, 3. Juni 2016
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«Sklerotische Männernetzwerke»

Nach drei Wochen öffentlicher Kritik gibt die als Verwaltungsrats-Präsidentin des St.Galler Spitalverbunds gewählte Kandidatin auf. Rückblick auf eine bedenkliche Machtdemonstration.

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Es geht um viel Geld – unter anderem für die Neubauten am Kantons- und Kinderspital (Bild: das Projekt). Und es geht um eine Person. Um eine Person des öffentlichen Interesses.

Wie spricht man über eine solche Person? Das «Tagblatt» spricht, im Kommentar der Donnerstagausgabe, so: Es fragt etwa, ob die Kandidatin «eine derart schwache Figur» sei. Oder es traut ihr gönnerhaft Management-Fähigkeiten zu, weil sie sonst an ihrer bisherigen Stelle «längst für unbrauchbar erklärt» worden wäre.

«Brauchbarkeit» ist ein Kriterium beim Besenkauf, angemessen für Dinge, schamlos hingegen, wenn auf Menschen angewendet. Weil ein Mensch auch keine «Figur» ist, die man auf dem Schachbrett der Respektlosigkeit einfach so vom Brett wischt.

Eskalation der Sprache

In der Debatte um die Chefposition des neuen St.Galler Spitalverbunds ist solche Begrifflichkeit aus dem Wörterbuch des Unmenschen aber gang und gäbe – ähnlich wie im «Tagblatt» tönt es von den Parteien selber. Inzwischen sind noch ein paar Scheiter verbaler Art zugelegt worden, von «Inquisition» spricht die Angegriffene selber, von «Scheiterhaufen» die Gewerkschaft. Marianne Mettler, die für den Chefposten von der Regierung gewählte Kandidatin, hat aus der «Schlammschlacht» (noch ein beliebter Eskalations-Begriff, diesmal von ihrer Partei, der SP verwendet) die Konsequenz gezogen und tritt die Stelle nicht an.

Nächste Woche tagt der Kantonsrat. Wenn das der Newspeak der neuen Machtverhältnisse in der kantonalen Politik ist, dann kann man für die neue Legislatur nichts Gutes erwarten. Doch tatsächlich geht es beim aktuellen Hickhack wohl nur in zweiter Linie um die Person und in erster Linie um eine Machtdemonstration – um die Handlungs-  und Deutungsmacht im st.gallischen Gesundheitswesen.

Das hat seine Vorgeschichte.

Die offenen Rechnungen

März 2004: 3 FDP, 3 CVP, 1 SP – so heisst bis dahin die Formel in der St.Galler Regierung.  Dann wird am 15. März Anton Grüninger (CVP) als Gesundheitschef abgewählt; ihm werden die Pläne zur Schliessung der Regionalspitäler Altstätten, Flawil und Wattwil zum Verhängnis. Seine Nachfolgerin heisst im zweiten Wahlgang Heidi Hanselmann (SP). Sie lernt aus Grüningers Fehlern; 12 Jahre später ist Hanselmann die Umstrukturierung der Spitallandschaft geglückt.

August 2013: Die Industrie- und Handelskammer IHK präsentiert eine Studie: einen Gegenentwurf zur Spitalstrategie der Regierung und zum bereits aufgegleisten Spital-Ausbauprogramm. Demnach sollen vier Spitäler zu Gesundheitsambulatorien zurückgestuft werden und das Kantonsspital auf der «grünen Wiese» neu gebaut werden. SVP-Mann Herbert Huser rekognosziert bereits einen Spitalstandort im Rheintal, während Kritiker die Studie als Freipass für die Privatspitäler ansehen. Immerhin geht es um viel Geld – laut IHK-Studie um mehr als 300 Millionen Franken jährlich (Zahlen von 2011) an Globalkrediten des Kantons an die Spitäler.

Der Kantonsrat hält der Regierung schliesslich die Stange, und im November 2014 bringen Hanselmann und Bauchef Willy Haag den bisher grössten Investitionsbrocken in der St.Galler Politgeschichte, die rund 1 Mia Franken für die Renovation des Kantonsspitals und der acht Regionalspitäler, komfortabel durch die Volksabstimmung.

Doch die Kampagne gegen die unbequeme (aber auch, so im Fall Wüst, unglücklich kommunizierende) Gesundheitschefin geht weiter.

Politisierte (Nicht-)Wahl

2015 bringen SVP und FDP mit einer Gesetzesänderung durch, dass in staatsnahen Institutionen wie dem Verwaltungsrat des Spitalverbunds die Regierung aus den Leitungsgremien ausgeschlossen wird – eine vernünftige Neuerung zur Verhinderung von Interessenkollisionen, aber mit dem schalen Beigeschmack einer «Lex Hanselmann». Und zudem setzt der Kantonsrat durch, dass er selber das letzte Wort bei Personalentscheiden dieser Dimension hat – erste Folge davon ist der Fall Mettler.

Die Pointe daran: Dieselben Parteien, die das Genehmigungsrecht durchsetzten, portierten kurz danach, letzten Herbst, in einem Brief an die Regierung einen ihnen genehmen Kandidaten und versuchten damit das Verfahren zu unterlaufen. Dies enthüllte SP-Fraktionschef Peter Hartmann jetzt im SRF-Regionaljournal – die bürgerlichen Parteien bestätigen den Brief; gemäss «Tagblatt» hiess der portierte Kandidat Martin Gehrer, damals noch Finanzchef des Kantons.

Das zeigt, welches Gewicht dem neuen Spital-Superjob zugemessen wird. Das Niveau der Debatte zeigt zugleich kläglich, was passiert, wenn Sach- und Personalentscheide politisiert und dem Profilierungsbedürfnis der Parteien ausgesetzt werden. In einem gemeinsamen Communique vom Donnerstag sehen die bürgerlichen Parteien dies allerdings ganz anders:  Der Fall zeige gerade, wie wichtig das Genehmigungsrecht durch das Parlament sei. Und: Dass dies «als Misstrauen der Mehrheit des Kantonsrats gegenüber der Regierung und insbesondere gegen die Vorsteherin des Gesundheitsdepartements ausgelegt werden kann, ist nicht gänzlich von der Hand zu weisen.»

Und wieder trifft es die Frauen

Noch weniger von der Hand zu weisen ist der fragwürdigste Aspekt des Falls: Einmal mehr trifft es eine Frau oder, wenn man Hanselmann mit bedenkt, gleich zwei Frauen in Führungspositionen. SP und Grüne gifteln in einer ebenfalls am Donnerstag publizierten Medienmitteilung: «Weiterhin eine Frau an der Spitze der öffentlichen St.Galler Spitäler? Offensichtlich für die meisten der grauen bürgerlichen Männer undenkbar.» Noch immer müssten Frauen einen höheren Leistungsnachweis erbringen, noch immer seien «viel zu oft sklerotische Männernetzwerke die grosse Gefahr für Frauenkandidaturen».

Die Frage lautet noch allgemeiner: Wie viel Druck kann bzw. muss eine öffentliche Person aushalten? Ist sie eine Frau, wird sie rasch als nicht belastbar hingestellt. Bricht hingegen ein Mann ein, ist plötzlich alle Welt hellhörig…

Peter Hartmanns Fazit im Radio: Die bürgerlichen Parteien hätten ein Macht- und ein Frauenproblem. Und das erste Opfer sei nicht die unerwünschte Kandidatin, sondern das st.gallische öffentliche Gesundheitswesen als Ganzes.

 

 

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