Soll nicht schiefgehen

Konzert und Theater St.Gallen wehren sich gegen den Spardruck – mit einem flammenden Appell von Genossenschaftspräsidentin Susanne Vincenz-Stauffacher und mit einem Programm, das stark auf Teilhabe und Kooperationen setzt.

Für Modestas Pitrenas wird 2025/26 die letzte Spielzeit als Chefdirigent in St.Gallen. Er verabschiedet sich mit Schostakowitschs 5. Sinfonie und damit auch mit einem politischen «Statement», wie er sagt. (Bild: pd)

An ers­ter Stel­le kom­me je­weils die Ent­wick­lungs­hil­fe, an zwei­ter Stel­le die Kul­tur: Die­se «Lo­gik» des Spa­rens sei fa­tal, ob in den jüngs­ten so­ge­nann­ten «Ent­las­tungs»-Pa­ke­ten des Bun­des oder dem be­vor­ste­hen­den Spar­re­gime im Kan­ton St.Gal­len, kri­ti­siert Su­san­ne Vin­cenz-Stauf­fa­cher. 

Die VR-Prä­si­den­tin der Ge­nos­sen­schaft Kon­zert und Thea­ter St.Gal­len und FDP-Na­tio­nal­rä­tin nutzt die Me­di­en­kon­fe­renz zur nächs­ten Spiel­zeit am Frei­tag im Thea­ter­foy­er für ei­nen Ap­pell ge­gen die herr­schen­den Spar-Prio­ri­tä­ten. Kul­tur sei ein zen­tra­ler Re­fle­xi­ons­ort für ge­sell­schaft­li­che Ent­wick­lun­gen, sie er­wei­te­re den Ho­ri­zont und ge­be Im­pul­se für Neue­run­gen. Kunst und Kul­tur sei­en der Ga­rant für ei­ne of­fe­ne und di­ver­se Ge­sell­schaft – was pas­sie­re, wenn sie be­hin­dert wer­den, kön­ne man der­zeit in den USA be­ob­ach­ten.

Bud­get­kür­zun­gen straf­ten ins­be­son­de­re je­ne ab, die ih­re «Haus­auf­ga­ben» ge­macht hät­ten. Und da­zu zählt Vin­cenz-Stauf­fa­cher das Thea­ter St.Gal­len. Sie zi­tiert aus der an­for­de­rungs­rei­chen Leis­tungs­ver­ein­ba­rung, die un­ter an­de­rem ho­he künst­le­ri­sche Qua­li­tät, at­trak­ti­ve Ar­beits­plät­ze, aber auch Ver­mitt­lung und über­re­gio­na­le Aus­strah­lung be­inhal­tet. Die Ge­nos­sen­schaft KTSG sei über­aus kos­ten­be­wusst un­ter­wegs, aber die aus dem Auf­trag ab­ge­lei­te­ten An­ge­bo­te sei­en «nicht gra­tis zu ha­ben». 

Die Spiel­zeit 2025/26 bringt die st.gal­lisch ty­pi­sche Mi­schung von Ri­si­ko und Be­währ­tem, mit ei­nem star­ken Fo­kus auf Ko­ope­ra­tio­nen und ju­gend­taug­li­chen Pro­gram­men. An der Me­di­en­kon­fe­renz stel­len Di­rek­tor und Opern­chef Jan Hen­ric Bo­gen so­wie Bar­ba­ra-Da­vid Brüesch (Schau­spiel), Mo­de­s­tas Pi­t­re­nas (Chef­di­ri­gent) und An­ja Horst (Pro­gram­me «jung» und «mit») die Schwer­punk­te vor.

Oper «an­ders­rum», Schau­spiel zeit­ge­nös­sisch

Mehr­heits­fä­hig – und dop­pel­sin­nig – ist das Spiel­zeit­mot­to: «Macht Lie­be». Der 68er-Slo­gan «make love not war» sei da­bei un­aus­ge­spro­chen mit­ge­dacht, sagt Bo­gen. Das Mu­si­cal Hair, Bel­li­nis Ro­meo und Ju­lia-Oper oder Mo­zarts Co­si fan tut­te um­spie­len das The­ma. Und in ei­nem wei­te­ren Sinn wird es auch in An­ders­rum ei­ne Rol­le spie­len: Als Ur­auf­füh­rung bringt das Mu­sik­thea­ter ein Kin­der­stück um Krea­ti­vi­tät, El­tern­macht und Selbst­be­stim­mung her­aus, das als mo­bi­le Pro­duk­ti­on in die Schu­len geht und von St.Gal­ler Part­ner­klas­sen mit­ent­wi­ckelt wird.

Das Schau­spiel ar­bei­tet sich stär­ker an Macht­kon­flik­ten ab. Bri­san­te Be­zü­ge zur USA heu­te ver­spricht Die Le­gen­de von Slee­py Hol­low, ei­ne Schwei­zer Erst­auf­füh­rung als Schau­spiel mit Mu­sik nach der Ge­schich­te von Wa­shing­ton Ir­ving. Und wenn Dür­ren­matts Al­te Da­me wie­der St.Gül­len be­sucht, 70 Jah­re nach der Ur­auf­füh­rung, sind drän­gen­de Fra­gen um Käuf­lich­keit und Kor­rup­ti­on ga­ran­tiert.

Har­te hie­si­ge Wirk­lich­keit ver­han­delt das Pro­jekt Ver­steckt – es geht dem Schick­sal der «un­sicht­ba­ren» Kin­der von Sai­son­niers in der Wirt­schafts­wun­der­schweiz nach. Fra­gen zur hel­ve­ti­schen Iden­ti­tät stellt auch das Stück Voll­ver­samm­lig, ei­ne er­neu­te Ko­ope­ra­ti­on mit dem St.Gal­ler Ko­mik­thea­ter. Im Kin­der­buch Das Mond­mäd­chen er­zählt die Au­torin Mehr­nousch Zae­ri-Es­faha­ni die Ge­schich­te ih­rer Flucht aus Iran nach Deutsch­land. Die Thea­ter­fas­sung der als Fa­mi­li­en­stück im gros­sen Haus pro­gram­mier­ten Pro­duk­ti­on schreibt die St.Gal­ler Thea­ter­ma­che­rin Pa­me­la Dürr.

Das Er­folgs­stück der lau­fen­den Sai­son, Das ko­mi­sche Thea­ter des Si­gno­re Gol­do­ni, kommt wie­der in die Lok, zu­dem mit Tyll ein in die­ser Spiel­zeit krank­heits­hal­ber ver­scho­be­ner Abend. In­ten­siv un­ter­wegs ist die Tanz­kom­pa­gnie. Sie tourt mit dem Zelt-Fes­ti­val und dem Pro­gramm Bey­ond Dance bis nach Genf und reist mit Twi/light im Rah­men von Steps eben­falls durch die hal­be Schweiz. Die Spiel­zeit 2025/26 be­schliesst Ai­da als Fest­spiel­oper, dies­mal in­door im ei­ge­nen Haus, er­gänzt um Tanz in der Ka­the­dra­le und Open­air-Schau­spiel. 

Ab­schieds­sin­fo­nie und Schief­la­ge

Im Kon­zert­pro­gramm ra­gen klin­gen­de Na­men wie Pia­nis­tin Mar­tha Ar­ge­rich, Cel­list Ste­ven Is­ser­lis, Gei­ge­rin Ara­bel­la Stein­ba­cher, Flö­tist Mau­rice Ste­ger, An­dras Schiff mit ei­nem Kla­vierre­zi­tal oder die Di­ri­gen­tin­nen Gie­d­re Sleky­te und Ruth Rein­hardt her­aus. Der Chef­di­ri­gent ver­ab­schie­det sich mit «Lieb­lings­wer­ken» wie Pe­trusch­ka, Mahlers Lied von der Er­de, Hin­de­mit­hs Ma­this der Ma­ler und im Fi­na­le mit Schost­a­ko­witschs 5. Sin­fo­nie, als Do­ku­ment des Wi­der­stands ge­gen die Sta­lin­zeit auch po­li­tisch ein «State­ment», wie Pi­t­re­nas sagt. 

Drei «Work­out»-Kon­zer­te von Mit­glie­dern des Sin­fo­nie­or­ches­ters fin­den im Ein­stein, in der Mi­li­tär­kan­ti­ne und im Pa­lace statt. Krab­bel­kon­zer­te gibt es im Stu­dio, Schul­haus­kon­zer­te sind im Pro­gramm und ei­ne gan­ze Pa­let­te von Mit­mach-An­ge­bo­ten für Kin­der und Ju­gend­li­che in Tanz, Schau­spiel und Chor. Dass die Kon­zert- und Thea­ter­ti­ckets freie Fahrt auf dem gan­zen Ost­wind-Netz in­klu­si­ve Liech­ten­stein und Vor­arl­berg bie­ten, soll sei­ner­seits da­zu bei­tra­gen, die Schwel­le in Ton­hal­le und Thea­ter nied­ri­ger zu ma­chen. 

Bleibt zu hof­fen, dass der Ti­tel je­ner Schau­spiel-Pro­duk­ti­on, die im Gros­sen Haus am 18. April 2026 Pre­mie­re hat, nur für die tur­bu­len­te Slap­stick-Ko­mö­die gilt und nicht für die Spiel­zeit ins­ge­samt. Im Best­sel­ler der eng­li­schen Grup­pe Mischief, im Lon­do­ner West­end und am New Yor­ker Broad­way be­ju­belt, fal­len Schein­wer­fer zu Bo­den und Schau­spie­ler aus ih­rer Rol­le, die Sto­ry läuft aus dem Ru­der und nicht nur das Thea­ter, son­dern die Welt ins­ge­samt ge­rät ins Wan­ken. Der Ti­tel heisst: Die­ses Stück geht schief. 

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