, 30. Oktober 2014
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Spritzpistolero des Grauens

Ab Samstag läuft der neue Dok-Film über HR Giger im Kinok. Er geht nah an den verkannten Künstler heran und bietet tiefe Einblicke in seine ominöse Schattenwelt, lässt allerdings eine tiefere Analyse vermissen.

Diese Würdigung hat er zweifellos längst verdient. Dark StarHR Gigers Welt der Westschweizer Dokfilmerin Belinda Sallin setzt dem Schweizer Künstler, den die halbe Welt kennt, ein Denkmal. Sozusagen in letzter Minute: Kurz nach den Dreharbeiten verstarb Giger im vergangenen Mai im Alter von 74 Jahren. Im Film ist er schon stark gezeichnet, sein Anblick ist ein Jammer. Doch Giger gibt sich geläutert: Er habe alles gesehen, was er sehen wollte, und alles getan, was er tun wollte. «Ich bin mit meinem Leben zufrieden», tut er kund und ringt sich dabei noch ein Lächeln ab.

Wer meint, Giger sei nun in jene fantastischen Welten entschwunden, die er Zeit seines Lebens mit Zeichenstift und Spritzpistole zu Papier und auf die Leinwand brachte, liegt aber falsch. Giger glaubte nicht an ein Jenseits. Nach dem Tod, den er nicht fürchte, sei alles zu Ende, bekennt er emotionslos. Da zeigt sich der abgründige Künstler einigermassen überraschend als strenger Rationalist.

Gleich zu Beginn führt der Film mit grossem Zoom nach Oerlikon in Gigers dämonische Welt. Das Reihenhäuschen ohne Namensschild, in dem er lebte, hatte er schon längst in ein Gesamtkunstwerk verwandelt. Im Garten steht eine selbstgebaute Geisterbahn, die Zimmer sind vollgestopft mit Büchern, Zeichnungen, Totenköpfen und anderen Utensilien aus der Unterwelt, die seine Heimat war.

Mit Dämonen gegen Dämonen

Wo liegt der Ursprung des Phänomens Giger? Sallins Film versucht eine Antwort: Der Apothekersohn aus Chur war als Kind erschreckt und fasziniert von einer Mumie im Rhätischen Museum, die er immer wieder besuchte, bis er die Angst vor ihr verlor. Eine strenge und prüde katholische Erziehung, die bekanntlich seit jeher allerlei Dämonen fördert, und eine starke Mutterbindung taten das Ihre, um Gigers Interesse an allem Abseitigen und Dunklen zu festigen. Sein künstlerisches Oeuvre wird daher oft als lebenslange Bewältigung von starken Kindheitsängsten interpretiert.

Etwas mehr als Trivialpsychologie bietet im Film ein Kurator aus dem österreichischen Linz, wo Giger im Jahr 2013 mit einer grossen Einzelausstellung geehrt wurde. Er würdigt Gigers Neosurrealismus als kunstvolle Verschränkung von drei Hauptthemen, Geburt, Sexualität und Tod, und rehabilitiert den Schweizer als einen zu Unrecht vom etablierten Kunstbetrieb Verstossenen. Seit Giger 1978 von Hollywood den Oscar für seine furchterregenden Schöpfungen im Horrorklassiker Alien erhielt, gilt er den Adepten zeitgenössischer Kunst als zwar begabter, aber doch bloss zweitrangiger Spritzpistolero der Popkultur. Gleichwohl hat sich Giger eine globale Fangemeinde geschaffen, die ihn vergöttert.

Danke, Meister!

Einer der berührendsten Momente im Film ist die Begegnung Gigers mit seinen Anhängern im Schloss Greyerz, wo er sein eigenes Museum eingerichtet hat. Da stehen abenteuerliche, schwer tätowierte Gestalten aus der Heavy Metal-, Gruftie- und Freakszene Schlange, um ein Autogramm zu ergattern. Einer hat sich ein ganzes Giger-Gemälde auf den Rücken tätowieren lassen. Ein anderer streckt seine Muckis vor, das Autogramm muss auf den Unterarm, und bricht vor Rührung gleich in Tränen aus: «Danke, Meister!» Das zeigt: Gigers Kunst ist keineswegs nur kunstvoll polierte Oberfläche, sondern rührt an etwas Tiefes, das in vielen Menschen sitzt.

Leider erspart sich der Film die Mühen einer weiteren Analyse, die zweifellos sehr spannend ausfallen müsste. Zu Recht wird Giger zwar als Seismograph seiner Zeit bezeichnet. Welcher zeitgeschichtliche Hintergrund aber in seine Kunst eingeflossen ist, bleibt weitgehend unerörtert. Der schlichte Hinweis auf einen Atompilz muss genügen. Dabei liegt auf der Hand, dass Giger die zeitgenössischen Ängste seiner Epoche, der 1960er-Jahre, verarbeitet hat.

Jene Jahre waren von einer fundamentalen Erfahrung geprägt: dem enormen Zerstörungspotenzial der Technik. Hat die Zivilisation solche Kräfte noch unter Kontrolle?, lautete damals die Kardinalsfrage. Gigers verstörende Kreationen, die er «Biomechanoiden» nannte – Mischwesen aus Fleisch und Stahl – rühren genau an diesen Punkt: Irgendwann wird die Menschheit von der eigenen Technik versklavt. Eindrücklich sind die Kamerafahrten tief in Gigers irreale Körperlandschaften hinein. Sie zeigen die handwerkliche Könnerschaft dieses Zampanos des Grauens, der nebenbei verrät, dass er manche Schöpfung einem LSD-Trip zu verdanken hat.

Im Unheimlichen zuhause

So darf Dark Star als notwendiger, wenn auch nicht ganz geglückter, filmischer Wiederentdeckungsversuch gewertet werden. Es geht um die definitive Rückkehr des Künstlers aus dem Under- in den Overground. Darum hat sich Giger wenig gekümmert und sich auch nicht kümmern müssen. Er war ja dank Hollywood finanziell abgesichert, konnte fortan seinen Leidenschaften frönen und im übrigen sein Lebenswerk ver- walten. Letztlich war es ihm egal, was die Leute von ihm dachten. Er wusste, dass ihn sein zeichnerisches Imperium überdauern wird. An einer Stelle im Film heisst es, er habe sich im Unheimlichen zuhause gefühlt. Eine schön paradoxe Formulierung für diese negative Utopie in schwarzer Hochglanz-Ästhetik. Sie wird zweifellos auch künftige Generationen durch ihren Sog aus Schrecken und Faszinosum in den Bann schlagen.

 

Dark Star – HR Gigers Welt
 Premiere: 
Samstag, 1. November, 21.30 Uhr, Kinok St.Gallen. 

 

 

Im Bild: HR Giger mit Müggi III (Frenetic Films)

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