Zwei glühende Antisemiten und Frontisten

Frontistenführer Hans Kläui (mitte) um 1930 im Kreis seiner Parteikameraden (Bild: Staatsarchiv St.Gallen)

Zahlreiche Persönlichkeiten prägten die nazifreundlichen Aktivitäten in der Stadt St.Gallen mit. Zu ihnen gehören der Romanist und spätere Lokalhistoriker Hans Kläui und der Altstoffhändler Mario Karrer.

Im April 1992 starb der pro­mo­vier­te Win­ter­thu­rer Ro­ma­nist Jo­hann Theo­dor «Hans» Kläui im Al­ter von 86 Jah­ren. Als sei­ne Toch­ter den Nach­lass sich­te­te, war sie ge­schockt. Sie fand sta­pel­wei­se Zei­tungs­ar­ti­kel und Schrif­ten mit ras­sis­ti­schem und an­ti­se­mi­ti­schem In­halt. Bis da­hin wuss­te sie prak­tisch nichts von sei­ner fa­schis­ti­schen Ver­gan­gen­heit. Für sie war er vor al­lem ein gu­ter Va­ter und lie­ben­der Gross­va­ter ih­rer Kin­der ge­we­sen. Und nach dem Zwei­ten Welt­krieg war er als ein ge­fei­er­ter Lo­kal­his­to­ri­ker Ver­fas­ser von ei­ner kaum über­schau­ba­ren Zahl von Zei­tungs- und Zeit­schrif­ten­ar­ti­keln so­wie Schrif­ten und Bü­chern zu lo­kal­his­to­ri­schen The­men, über Fa­mi­li­en und zur He­ral­dik. Da­für wur­de er, der sich auch für den Na­tur­schutz en­ga­gier­te, 1964 von der Stadt Win­ter­thur mit dem Kul­tur­preis aus­ge­zeich­net.

Im Pfarr­haus ge­bo­ren, zum Fa­schis­ten ge­wor­den

Hans Kläuis Le­bens­weg be­ginnt 1906 im Pfarr­haus der Zür­cher Ge­mein­de Berg am Ir­chel. Drei Jah­re spä­ter zieht die Fa­mi­lie nach Flaach ZH. Hier er­ringt die «Na­tio­na­le Front» (NF) 1934 ei­nen Stim­men­an­teil von 16 Pro­zent, kan­tons­weit ein­zig über­trof­fen von Rafz (25 Pro­zent) und Lau­fen (17 Pro­zent), wo Wolf­ram Blo­cher, Va­ter von Chris­toph Blo­cher, als Pfar­rer wirkt.

Zu die­ser Zeit ist Hans Kläui be­reits ein glü­hen­der Fron­tist, zu­erst als Mit­glied der aka­de­misch ge­präg­ten «Neu­en Front», dann ab 1933 der NF. Kläui wird NF-Orts­grup­pen­füh­rer von Flaach und be­tä­tigt sich als Jour­na­list bei der fron­tis­ti­schen Pres­se. Er schreibt ein Kampf­lied ge­gen den Bol­sche­wis­mus und die Ju­den. Für ihn sind sie und die «Nig­ger» und «Mu­lat­ten» so­wie die «min­der­wer­ti­gen Ele­men­te» wie Erb­kran­ke schuld an der völ­ki­schen Zer­set­zung der Sub­stanz der Eid­ge­nos­sen­schaft. In Der Kampf um die Volks­ge­mein­schaft (1934) fasst er die Zie­le der NF so zu­sam­men: «Die Na­tio­na­le Front er­strebt die geis­ti­ge und po­li­ti­sche Er­neue­rung der schwei­ze­ri­schen Volks­ge­mein­schaft durch na­tio­na­le und so­zia­le Po­li­tik auf schwei­ze­ri­schem Bo­den. (...) Es ist ei­ne Er­neue­rung des geis­ti­gen Le­bens in un­se­rem Volk, die Hand in Hand geht mit ei­ner po­li­ti­schen Neu­ge­stal­tung un­se­res Va­ter­lan­des.»

Fron­tist und «Gaufüh­rer» in St.Gal­len

1938 kommt Hans Kläui nach St.Gal­len, wohnt zu­erst an der Va­di­an­stras­se 21 (heu­te Raiff­ei­sen­bank) und spä­ter mit sei­ner Fa­mi­lie an der Gott­fried-Kel­ler-Stras­se 26. Er wird Orts­grup­pen­lei­ter und ist de­si­gnier­ter «Gaufüh­rer» für St.Gal­len. Sein vor­dring­li­ches Ziel ist es, die Ost­schwei­zer Par­tei­or­ga­ni­sa­ti­on der NF wach­zu­rüt­teln. Er hetzt auch hier ge­gen die Ju­den, warnt vor der «Emi­gran­ten­schwem­me», die St.Gal­len zu ei­nem «zwei­ten Tel Aviv» ma­che und spielt die Ar­mut der Heim­ar­bei­ter:in­nen im Rhein­tal ge­gen die an­geb­li­chen Pri­vi­le­gi­en jü­di­scher Flücht­lin­ge aus.

Im Ja­nu­ar 1941 ste­hen Mi­li­tär­po­li­zis­ten vor Kläuis Woh­nungs­tür. Er kommt kurz in Un­ter­su­chungs­haft und bald dar­auf ver­ur­teilt ihn das Di­vi­si­ons­ge­richt Lu­zern we­gen staats­ge­fähr­li­cher, na­tio­nal­so­zia­lis­ti­scher Pro­pa­gan­da in der Ar­mee zu 120 Ta­gen Haft. Auf­ge­ben will Kläui des­we­gen nicht. Er pu­bli­ziert wei­ter­hin in der fron­tis­ti­schen Pres­se und kan­di­diert 1942 er­folg­los bei den Gross­rats­wah­len auf der Lis­te der St.Gal­ler «Na­tio­na­len Op­po­si­ti­on». 1943 zieht Kläui mit sei­ner Fa­mi­lie nach Ober­win­ter­thur. Er stellt ein Jahr spä­ter sei­ne rechts­extre­me Pu­bli­zis­tik ein, schwört aber sei­ner Ge­sin­nung nie öf­fent­lich ab. Mit dem En­de des Zwei­ten Welt­kriegs be­ginnt der harm­lo­se zwei­te Teil sei­nes Le­bens­wegs. Hans Kläuis Le­ben ist tref­fend zu­sam­men­ge­fasst im Ti­tel ei­nes SRF-Pod­casts von 2023: Vom to­ben­den Fa­schis­ten zum an­ge­se­he­nen Lo­kal­his­to­ri­ker.

«Lum­pen­samm­ler» und  Na­tio­na­ler So­zia­list

Als Hans Kläui 1938 in St.Gal­len mit sei­nem Ein­satz für den Fa­schis­mus be­ginnt, trifft er hier ei­ne recht ak­ti­ve na­zi­freund­li­che Sze­ne an. Ei­ner ih­rer Haupt­prot­ago­nis­ten ist der Alt­stoff­händ­ler Ma­rio Kar­rer, im Volks­mund oft spöt­tisch «Lum­pen­samm­ler Kar­rer» ge­nannt.

Mario Karrer (vorne links im dunklen Hemd, in die Kamera blickend) bei einem Aufmarsch der Nationalen Front am 16.Juni 1935 in Grabs. (Bild: ETH-Archiv für Zeitgeschichte)

1907 in St.Gal­len ge­bo­ren, fühlt sich Kar­rer be­reits An­fang der 1930er-Jah­re mit der Fron­ten­be­we­gung ver­bun­den. 1931 tritt er ei­ner Er­neue­rungs­be­we­gung im Sin­ne des na­tio­na­len So­zia­lis­mus bei. Im dar­auf­fol­gen­den Jahr lässt er in ei­nem Thea­ter­stück den Chor schmet­tern: «Wer wi­der Volk / Wer wi­der Blut / Ist wi­der uns». Zwei Jah­re spä­ter wird er Orts­grup­pen­füh­rer der St.Gal­ler NF. Kar­rer ist ein Mensch mit ho­hem Gel­tungs­be­dürf­nis. Sei­ne streit­ba­re Art führt bald zu Zer­würf­nis­sen mit den Ge­sin­nungs­ge­nos­sen. Er tritt nach kur­zer Zeit aus der NF aus, tritt aber 1935 wie­der in sie ein. Doch schon bald kommt es zu ei­nem Macht­ge­ran­gel und Kar­rer wird aus der NF aus­ge­schlos­sen. Als sich die NF 1939 selbst auf­löst, ist Kar­rer schon bald Mit­glied der noch im glei­chen Jahr ge­grün­de­ten «Eid­ge­nös­si­schen So­zia­len Ar­bei­ter­par­tei» (ESAP). Wie­der­um ein Jahr spä­ter schliesst er sich der «Na­tio­na­len Be­we­gung der Schweiz» (NBS) an, der ne­ben an­de­ren St.Gal­lern auch der alt-Po­li­zei­in­spek­tor Karl Kap­pe­l­er an­ge­hört. In ih­rem Par­tei­pro­gramm lehnt sich die NBS eng an das­je­ni­ge der NSDAP an.

Mit dem Ver­bot der NBS im No­vem­ber 1940 ist Kar­rers «Po­lit­kar­rie­re» noch nicht zu En­de. Er grün­det zwei Jah­re spä­ter mit der «Na­tio­na­len Op­po­si­ti­on» (NO) ei­ne ei­ge­ne Par­tei. Noch im glei­chen Jahr tre­ten er, Hans Kläui und ein wei­te­rer Kan­di­dat bei den Gross­rats­wah­len an. Nach der Ver­tei­lung von rund 66’000 Flug­blät­tern er­reicht die Par­tei 3,3 Pro­zent der ab­ge­ge­be­nen Stim­men und er­ringt da­mit für Kar­rer, der zwei Stim­men mehr als Kläui er­hält, ei­nen Sitz. Lan­ge kann er sich sei­nes Man­dats nicht er­freu­en, denn noch im De­zem­ber des glei­chen Jah­res ver­bie­tet der Bun­des­rat die NO. Im Mai des nach­fol­gen­den Jah­res schliesst ihn der Gros­se Rat for­mell aus.

An­ti­se­mit, Fa­mi­li­en­for­scher und Un­be­irr­ba­rer

Ma­rio Kar­rer äus­sert sich wie­der­holt in hef­ti­ger Form an­ti­se­mi­tisch, zum Bei­spiel im fron­tis­ti­schen Hetz­blatt «Ei­ser­ner Be­sen», und er steht jah­re­lang im Brief­kon­takt mit In­sti­tu­tio­nen in Deutsch­land und mit Per­so­nen mit Be­zug zum Drit­ten Reich. Sei­ne Denk­wei­se wird im Vor­wort zu sei­ner Sip­pen­chro­nik Die Kar­rer von Obra­hai­men, die er 1942 bei Zol­li­ko­fer & Co. (da­mals In­ha­ber des «St.Gal­ler Tag­blatts») dru­cken lässt, deut­lich. «Der Ruf der Er­de und des Wal­des», schreibt er, «die Lie­be zur Schol­le und zu den Tie­ren, die­ser Grund­zug der Ale­man­nen, die Be­ja­hung des Blu­tes und der Ras­se sol­len in die­ser Re­kon­struk­ti­on ei­ner Sip­pen­chro­nik zum Aus­druck kom­men.»

Kar­rers Hal­tung än­dert sich bis zu sei­nem Le­bens­en­de (1993) an­schei­nend nicht, denn noch im Jah­re 1984 be­zeich­net er sich im Ge­spräch mit Mat­thi­as Küng, Ver­fas­ser ei­ner Li­zen­zi­ats­ar­beit über ihn, als «le­bens­lan­gen na­tio­na­len So­zia­lis­ten». Der Ver­such ei­nes Nach­kom­mens, Ma­rio Kar­rers po­li­ti­schen Nach­lass zu ver­nich­ten, miss­lingt glück­li­cher­wei­se. Ein weit­ge­hend voll­stän­di­ger Ko­pien­satz bleibt er­hal­ten und fin­det schliess­lich den Weg in das Ar­chiv für Zeit­ge­schich­te der ETH.

Quel­len:

Da­ni­el Gut: Neid­kopf – Zur Na­tur­ge­schich­te des Schwei­zer Fron­tis­ten Hans Kläui. El­f­und­zehn Ver­lag, Eg­li­s­au 2015.
Mat­thi­as Küng: Ma­rio Kar­rer – Ein «Na­tio­na­ler So­zia­list» sucht sei­nen Weg. Li­zen­zi­ats­ar­beit Uni­ver­si­tät Bern, 7. Au­gust 1984, ein­seh­bar im Staats­ar­chiv St.Gal­len.
SRF: Hans Kläui – Vom to­ben­den Fa­schis­ten zum an­ge­se­he­nen His­to­ri­ker. «Zeit­blen­de»-Pod­cast vom 11. No­vem­ber 2023.
Di­ver­se Zei­tungs­ar­ti­kel so­wie Do­ku­men­te im Staats­ar­chiv St.Gal­len und im Ar­chiv für Zeit­ge­schich­te (ETH).