«Ist das Leben ein Gefängnis?» Diese Frage steht im Zentrum von B. und der König. Ruth Weber erzählt die Geschichte von Berta, Tochter einer erzkatholischen Familie, die schon früh hadert: mit den strengen, distanzierten Eltern und der alle Lebensbereiche durchdringenden Kirche. Den Fehler sucht sie – wie es so oft geschieht – bei sich selbst. Sie fühlt sich nicht schön genug, nicht fleissig genug, und stets viel zu sündig. Unbeschwertheit blitzt nur selten auf, zum Beispiel beim Baden mit der Schwester im Seealpsee, wo Berta sich von Zukunftsfantasien treiben lässt:
«Und auf einmal dachte sie, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis auch sie jemanden kennenlernen würde. Einen Mann, der keine hohen Ansprüche ans Leben stellte, einer, der bescheiden und zufrieden wäre mit seiner Arbeit und einer Familie. (…) Da wäre nichts als Zufriedenheit in ihr und Müdigkeit, die sie abends in einen tiefen Schlaf fallen liesse.
Berta, was träumst du. Die Schwester lachte.»
Die Blicke der Mutter und das Auge Gottes
Ja, wovon träumt sie? Davon, Lehrerin zu werden. In die Weite zu ziehen. Frei zu sein. Aber es kommt anders. Belastet durch ihre eigene psychische Verfassung und traumatisiert von einer Vergewaltigung, fühlt Berta immerzu die prüfenden Blicke der Mutter und das Auge Gottes, das über sie richtet. Kurze Momente des Aufatmens gibt es nur wenige: als Dienstmagd, im Kloster und schliesslich in der Anstalt. Zum Beispiel dann, wenn ihr der Zugang zu einer Bibliothek ermöglicht wird. Wenn sie kocht, «ihren Gästen ein Lächeln auf die Lippen zaubert». Oder in einer Umarmung mit der Gärtnerin, die heraussticht in einer körperlich und emotional distanzierten Welt, in der es stets um Gehorsam und Hingabe geht – um eine Hingabe, «die einfach und überschaubar war».
Immer öfter verschiebt sich etwas in Bertas Wahrnehmung. Der Teufel sitzt unter dem Tisch, blickt ihr im Spiegel entgegen, und imaginierte Vögel mutieren zu bedrohlichen Spionen.
«Innen und Aussen schienen sich immer mehr aufzulösen, schienen in der Umgebung zu verschwinden und hinterliessen in ihr Verwirrung und Angst. Es kostete sie grosse Anstrengung, alles zusammenzuhalten, sich selbst zusammenzuhalten: Da war die Stimme des Teufels, der sie gehorchen musste. Der Teufel kam ohne Ankündigung, plötzlich war er da, sprach zu ihr und nahm Besitz von ihr.»
Berta beginnt, sich als Teil einer Dreifaltigkeit zu sehen: Da ist der Teufel, da ist das Auge Gottes, und da ist sie, «Teil dieses Bundes, Dienerin einer ewigen Macht». Ihr Leben ist ein ständiges Kippen zwischen Wahnvorstellungen und der Hoffnung, dass doch noch alles gut oder zumindest besser werden könnte.
Ein spannendes Gesellschaftsporträt
Erzählerisch folgt man Berta zu Beginn in Zeitsprüngen: Der Aufenthalt in der Anstalt wird angedeutet, dann werden assoziativ Kindheits- und Jugenderinnerungen entfaltet. Beim Lesen fühlt man sich zuweilen orientierungslos, aber die Erzählweise funktioniert: ein vielschichtiges, fast raues Bild von Berta entsteht. Später verlangsamt sich das Tempo, dann, als Berta als Magd zu arbeiten beginnt und die «Krankheit» – nie näher bestimmt – Überhand gewinnt. Die Geschichte scheint sich fortan auf einer einfacheren, linearen Erzählweise einzuspuren. Das ist schade, hätte die Autorin doch das Handwerk zu mehr Raffinesse.
Eine weitere Schwierigkeit zeigt sich bei der literarischen Darstellung von Bertas Krankheit. Durch Wiederholungen verliert der Text an Schärfe; eine stärkere Verdichtung hätte das Erleben noch eindringlicher wirken lassen.
Spannend bleibt das Gesellschaftsporträt: der Umgang miteinander im Kloster, in bürgerlichen Häusern, in den Dörfern. Auch der Erzählrahmen weckt Interesse: Eine Pflegerin, die nur zu Beginn und am Ende erscheint, berichtet aus der Ich-Perspektive. Ein gefundenes Foto – eines von Berta, der Schwester des Grossvaters der Erzählerin – dient als Ausgangspunkt. Damit öffnet der Roman einen Reflexionsraum über Erinnerung, Überlieferung und das Erzählen selbst.
Die Krönung von Prinz Charles
Im Schlussteil, in der Anstalt, findet Berta fernab von Teufel, Gottes Auge und Karl, dem Nachbarsjungen, dem sie ihr Leben lang nachtrauert, eine eigenwillige Form der Tröstung: Sie imaginiert eine Verbindung zu Prinz Charles, der in der Gegenwart zum König gekrönt wird und titelgebend ist. Das Schlussbild ist grotesk und tröstlich zugleich; es liest sich wie ein letzter Versuch, das Gefängnis des Lebens in eine erzählbare Form zu bringen.
Ruth Weber zeichnet mit Berta eine Frau ihrer Zeit. Ihr unaufgeregter, atmosphärisch dichter Roman überzeugt vor allem durch die psychologische Eindringlichkeit und die Zeichnung des gesellschaftlichen Umfelds. Ein Buch, das bedrückt und bewegt – getragen von Atmosphäre und Innenwelt, auch wenn es sich erzählerisch nicht immer ganz entfaltet.
Ruth Weber: B. und der König. Orte Verlag, Schwellbrunn 2025.
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