Ihr kürt am Samstag den 20. BandXOst-Gewinneract. Was bedeutet euch dieses Jubiläum?
Céline Fuchs: Ich bin unglaublich stolz, dass wir so weit gekommen sind. Vor allem wenn wir anschauen, wie alles begonnen hat und wo wir jetzt stehen. Was für ein grosses Team und riesiges Netzwerk wir haben. Und wie weit unsere Acts mit einem Sieg oder nur schon mit der Finalteilnahme kommen können.
Roger Gahler: Daran bist du nicht unschuldig. Du hast den Contest immer vorangetrieben. Dass er heute so gross ist, dafür brauchte es Ideen und Beharrlichkeit, über Jahre.
CF: Das will ich auch unseren Nachwuchsacts vermitteln: Ich zeige ihnen, dass man etwas erreichen kann, wenn man es will. Man muss dafür auch mit den richtigen Leuten zusammenarbeiten. Und hier will ich unserem ganzen Team ein Kränzchen winden. Ohne sie wäre das alles nicht möglich.
Wie muss man sich die Anfangszeit des BandXOst vorstellen? Wie ist er entstanden?
CF: BandXOst-Gründer Simon Frehner wurde ursprünglich von der Migros angefragt, einen Contest aufzugleisen. Also hat er ihn aus dem Boden gestampft. Ich bin zwei Jahre später hinzugekommen. Damals gab es drei Qualifikationsshows und den Final in der Grabenhalle. Der Siegeract gewann die Produktion einer EP, das wars.
RG: Kurze Zeit später ist das Clanx-Festival als erster Festivalpartner hinzugekommen. So kam ich als Clanx-Vertreter in die Jury.
Ihr beide seid praktisch von Anfang an dabei. Wie hat sich der BandXOst über all die Jahre verändert, abgesehen von der regionalen Ausweitung?
CF: Es geht schneller, wenn ich dir sage, was gleichgeblieben ist: die Liebe zum Nachwuchs und zur Musik. Alles andere hat sich drastisch verändert, sowohl was die Organisation betrifft als auch die teilnehmenden Musiker:innen. Früher hatten wir sehr viele Schüler:innenbands, heute fast gar nicht mehr. Dadurch steigen auch die Ansprüche der Musiker:innen an uns.
Inwiefern?
CF: Viele sind technisch schon sehr versiert, kommen mit eigenen Mischer:innen, haben In-Ear-Kopfhörer mit Click, manchmal sogar schon ein eigenes Studio, in dem sie aufnehmen können. Manche haben bereits Jahrespläne und wissen ganz genau, was sie wollen und welche Chance sie bei uns bekommen.
RG: Das fängt schon beim Feedback in den Qualis an. Da wird auf hohem Niveau diskutiert. Deshalb achten wir viel stärker auf die Zusammensetzung der Jurys für die mittlerweile neun Qualis und den Final. Früher machte praktisch das gleiche Jury-Team alle Anlässe im betreffenden Jahr. Heute haben wir ein grosses Jury-Team mit den unterschiedlichsten Personen, und in jeder Quali ist mindestens eine Frau und jemand aus dem Urban-Bereich vertreten.
Roger, du hast ein Tonstudio und bist eine wichtige Ansprechperson für die Acts, was das Technische betrifft. Wie wichtig ist das für die Teilnehmer:innen?
RG: Sehr wichtig. Beim BandXOst geht es nicht nur um die Finalteilnehmer:innen und die Sieger:innen. Alle Teilnehmer:innen sollen weiterkommen, mit jedem Schritt, den sie bei uns gehen. In den Feedbackrunden nach den Qualiauftritten geben wir den Acts Tipps, was sie besser machen können. Die 15 Minuten reichen dafür oft nicht. Manche Musiker:innen lade ich dann in mein Studio ein, damit wir dort an bestimmten Sachen arbeiten und vielleicht auch etwas aufnehmen können. Mir geht es dabei vor allem darum, ihnen einen Impuls zu geben, damit sie vorwärtskommen. Wenn du als junge Band jemanden an deiner Seite hast, der dich ermutigt, die Idee ernst zu nehmen und konsequent zu verfolgen, und dich dabei begleitet, kann das dein Leben verändern.
CF: Genau wegen solcher Sachen ist auch die Qualiphase sehr wichtig. Man kann schon da unglaublich profitieren.
Die meisten Sieger:innen der vergangenen 20 Jahre haben sich etabliert: Catalyst, Mischgewebe, Elio Ricca, Dachs, Riana, Marius Baer und so weiter. Einerseits spricht das für den Contest, weil es zeigt, dass der Sieg tatsächlich zu Erfolg führen kann. Andererseits könnte man fragen: Brauchen diese Künstler:innen überhaupt den BandXOst als Sprungbrett? Sind sie nicht so gut, dass sie es auch so geschafft hätten?
CF: Das kann schon sein. Aber wir sind mehr als ein Contest, fast schon eine Akademie – und eigentlich fängt es nach dem Final erst an. All die genannten Acts hätten ohne uns vermutlich nicht die Sensibilisierung auf mögliche Fallstricke gehabt. Sie wären wohl ein paarmal mehr gestolpert wegen falscher Entscheidungen, falscher Deals, falscher Leute um sich herum, wenn wir sie nicht so eng begleitet hätten.
Wie sieht diese Begleitung aus?
CF: Wir drücken ihnen nicht einfach Geld für eine Albumproduktion in die Hand. Sondern wir bringen ihnen bei, wie das Musikbusiness funktioniert, und ermahnen sie, vorsichtig zu sein, wenn ihnen jemand die Welt verspricht – gerade weil es immer einfacher wird, Musik zu veröffentlichen, ist unser Job je länger, je wichtiger geworden. Wir beraten sie bei Verträgen, schauen, was für Agenturen oder Menschen dahinterstecken, und gehen dann mit ihnen dort vorbei, bevor es zu einer Zusammenarbeit kommt. Man tappt schnell in die Falle. Das ist mir auch schon passiert. Ich hatte Leute ins BandXOst-Boot geholt, ohne genau zu recherchieren, wer sie sind. Etwa Studiopartner, die als Preis für den 2. Platz die Produktion einer Single stifteten, aber dadurch bloss die Albumproduktion frühzeitig akquirieren wollten und weniger Ahnung hatten als die Acts selber. Das machte mir bewusst, dass es längst nicht alle Menschen im Musikgeschäft gut meinen. Der BandXOst ist wie eine Familie. Die Musiker:innen wissen, dass sie sich jederzeit melden dürfen, wenn sie etwas brauchen. Ich wiederum habe ein riesiges Team im Hintergrund, an das ich mich wenden kann.
Gab es im Rückblick auch falsche Sieger:innen? Acts, für die der Sieg zu früh oder zu spät kam?
CF: Nein. Alle Sieger:innen sind mit ihren Gewinnen anders umgegangen. Allerdings hat es mir das Herz gebrochen, dass die Siegeracts während der Coronazeit um ihre Chance gebracht wurden. Ich hatte eine weinende Mel D (von Mischgewebe, dem Siegeract 2019, Anm. d. Red.) am Telefon, weil sie keinen einzigen Auftritt spielen durften, obwohl sie eine ganze Festivaltour gewonnen hatten. Auch Rapture Boy (Sieger 2020) war eingeschränkt. Wenigstens konnten wir ihnen teilweise im nächsten oder übernächsten Jahr die Slots an den Festivals sichern.
Projektleiterin Céline Fuchs und Jurymitglied Roger Gahler. (Bild: dag)
Am diesjährigen Final gibt es eine Vibrationsbühne für Gehörlose – erstmals überhaupt in Europa an Livekonzerten. Was hat es damit auf sich?
CF: Die Inklusion soll bei uns einen höheren Stellenwert haben. Ich finde Musik etwas vom Schönsten auf der Welt, jede Emotion lässt sich mit ihr verarbeiten. Ich kann mir fast nicht vorstellen, dass es Menschen gibt, die Musik nicht erleben können. Deshalb gibt es am Final einen Gebärdedolmetscher. Und dann hörten wir von dieser Vibrationsbühne, die am ESC in einer Disco für Gehörlose zum Einsatz kam. Also habe ich gesagt: Dann holen wir diese Bühne nach St.Gallen an den Final.
Wie funktioniert diese Vibrationsbühne? Und wie gross ist sie?
RG: Es handelt sich um ein gewöhnliches Bühnenelement, zwei auf zwei Meter gross und 30 Zentimeter hoch. Wir haben am Final zwei solche Bühnenelemente, also Platz für etwa zehn Personen. Darunter kommt jeweils ein Motor, der mit dem Mischpult verbunden ist. Dieser Motor überträgt die Musik mittels Vibrationen auf die Platte, auf der die Gehörlosen stehen.
Und das klappt?
CF: Ich habe es selbst ausprobiert. Du merkst, wie sich die Energie der Musik von unten in deinen Körper überträgt. Du spürst die Höhen, die Tiefen, den Gesang … ich hatte Gänsehaut. Man kann sich fast nicht vorstellen, was das mit dem Körper macht. Spätestens da war für mich klar, dass wir diese Idee umsetzen müssen. Wir sind europaweit die ersten, die eine solche Vibrationsbühne in ein Livekonzert integrieren. Das macht uns schon nervös, gemischt mit grosser Vorfreude.
Welche Inklusionsmassnahmen gibt es am BandXOst-Final sonst noch?
CF: Das fängt bei der Kommunikation an. Es braucht eine spezielle Signaletik für Gehörlose. Wir haben unsere Website angepasst, damit sie möglichst ruhig daherkommt, etwa ohne blinkende Elemente. Auch die Flyer haben wir so gestaltet, dass sich Gehörlose angesprochen fühlen. Weiter bieten wir Kulturbegleitung an. Viele Menschen – nicht nur Gehörlose – fühlen sich nicht wohl inmitten von vielen Menschen und bei der Enge an einem Konzert. Sie brauchen Sicherheit. Es gibt auch einen Ruheraum, damit sie sich zurückziehen können, wenn es ihnen zu viel wird. Ausserdem haben wir unsere Moderator:innen gecoacht, so zu sprechen, dass die Gebärdedolmetscher gut übersetzen können – Pausen machen zwischen den Sätzen, nicht einander reinreden, aber trotzdem spontan sein dürfen. Und Inklusion betrifft nicht zuletzt auch die Musiker:innen.
Was können sie anders machen?
CF: Während des Spielens nichts, aber beispielsweise ein Zeichen geben beim Applaus . Und es ist wichtig, sie für das Thema zu sensibilisieren. Wenn sie künftig an Festivals spielen oder ihren Technical Rider erstellen, dass sie sich erkundigen, ob es Gebärdedolmetscher gibt – oder sogar eine Vibrationsbühne. Dadurch können sie vielleicht die Veranstalter:innen dazu anregen, sich mit diesen Fragen zu beschäftigen. Dann kann sich auch etwas ändern. Alleine durch die Kulturbegleitung könnte man so vielen Leuten den Zugang zur Musik öffnen.
Wie viel kosten euch diese Inklusionsmassnahmen?
CF: In diesem Jahr betragen die Kosten total 45’000 Franken, künftig etwas weniger, nach Wegfall der Initialkosten. Ohne die viele Freiwilligenarbeit unseres ganzen Teams könnten wir das nicht stemmen. Dennoch soll das keine einmalige Sache fürs Jubiläum sein. Inklusion soll künftig am BandXOst-Final selbstverständlich sein. Denn für mich steht fest, dass sich etwas ändern muss.
Das ist viel Geld. Vor allem, wenn man bedenkt, dass ihr derzeit bei einem Crowdfunding Geld sammelt. Wofür alles?
CF: Unter anderem für die Inklusionsmassnahmen. Wir haben sehr viele weitere Ideen, wie wir den Wettbewerb weiterentwickeln könnten, aber uns fehlt die Zeit, sie umzusetzen. Unter anderem deshalb, weil wir eine veraltete technische Ausstattung haben, etwa für die Buchhaltung oder Mailings – auch nach 20 Jahren BandXOst führen wir Excel-Listen mit Mailkontakten. Mit dem Crowdfunding wollen wir zum einen unsere technische Ausstattung verbessern. Wir brauchen eine Vereinssoftware, ein Buchhaltungssystem, eine neue Website, auch bandlager.ch – eine Vermittlungsplattform, die wir für Veranstalter:innen immer wieder mit neuen Bands füllen – ist veraltet. Zum anderen wollen wir unserem riesigen Team endlich faire Löhne bezahlen: der Jury, den Fotograf:innen, dem Social-Media-Team und nicht zuletzt das Kernteam.
Acht Tage vor Schluss habt ihr knapp ein Viertel des Crowdfunding-Ziels von 39’000 Franken erreicht …
CF: Ja, es läuft nicht gut. Wir haben noch nicht einmal die zweite Etappe geschafft, das ist ernüchternd. Ich hoffe, dass wir am Final einen Sprung nach vorne machen können.
RG: Unabhängig davon machen wir unbeirrt weiter. Dann müssen wir eben neue Wege suchen, ein Ziel zu erreichen.
BandXOst-Final: 22. November, 20 Uhr, Grabenhalle, St.Gallen.
bandxost.ch