, 3. Mai 2021
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«Es geht immer auch um teilautonome Räume»

Die Wegweisungen, die an Ostern gegen Hunderte von Jugendlichen ausgesprochen wurden, gehen auf das städtische Polizeireglement von 2005 zurück. Damals wurden die Verschärfungen heftig bekämpft. Etrit Hasler, Stadtparlamentarier und Slammer, im Gespräch über Parallelen und Unterschiede und warum das Problem hausgemacht ist: Die Ausgehstadt hat ihre Geister selber gerufen.

Karfreitag 2021 in St.Gallen. (Bild: Jorimphotos)

Saiten: Die Jugendunruhen von Ostern 2021 erinnern an den Kampf gegen das Polizeireglement, über das die Stadt St.Gallen im Jahr 2005 abgestimmt hat. Damals wurde unter anderem das Instrument der Wegweisungen eingeführt. 2005 – was kommt da bei dir hoch?

Etrit Hasler: Die Vorgeschichte führte nicht zuletzt zu meiner Wahl ins Stadtparlament. Zum einen hatte die Securitas angefangen, auf Drei Weieren Personenkontrollen durchzuführen und Drogen zu konfiszieren. Und zum anderen hatte der damalige Stadtrat Hubert Schlegel aus einer Schnapsidee heraus beschlossen, dass alle Clubs (alle!) Türsteher einstellen müssten. Ich war in beiden Fragen mit «Aktiv Unzufrieden» dagegen aktiv, unter anderem reichten wir eine Petition gegen das unrechtmässige Handeln der Securitas ein. Ebenfalls wehrten wir uns gegen die Türsteherpflicht für alternative Klubs wie zum Beispiel die Grabenhalle. Nach einem Treffen mit Schlegel krebste die Stadt bei beiden Punkten zurück: Die Securitas wurde zurückgebunden, später ganz abgelöst durch Kontrollen der Polizei – was bis heute die Situation ist. Und die Türsteherpflicht verschwand in der Schublade.

Die Neuerungen im Polizeireglement waren: Videoüberwachung, Wegweisungsartikel, Vermummungsverbot bei Demonstrationen und das Verbot von wildem Plakatieren. Was war der Auslöser aus deiner Sicht?

Es wurde damals viel über vermeintliche «Punks am Bahnhof» gesprochen, die man aber ehrlicherweise als Drogensüchtige bezeichnen musste – die Stadt wollte sie weghaben, weil sie «nicht ins Stadtbild passten».

Videoüberwachung war damals hoch umstritten und ist heute allgegenwärtig. Und dass wildes Plakatieren einst erlaubt war, kann man sich schon gar nicht mehr vorstellen. Auch Wegweisungen waren jahrelang kaum ein Thema. Andere Zeiten…

Bei der Videoüberwachung und dem Plakatierverbot gebe ich dir recht: Das wird heute kaum noch in Frage gestellt. Aber gegen die Wegweisungspraxis haben wir jedes Jahr im Parlament protestiert, weil sie hauptsächlich gegen Dealer eingesetzt wurde. Das ist doch eine absurde Drogenpolitik: Anstatt Dealer zu verhaften, schickt man sie weg? Das löst das Problem nicht.

Etrit Hasler, 1977, ist Slampoet, Geschäftsführer von Suisseculture Sociale und seit 2005 Mitglied des Stadtparlaments. Vor seiner Wahl war er als Mitglied von «Aktiv Unzufrieden» Teil des Kampfes gegen die Einführung des Polizeireglements, seither setzte er sich im Parlament immer wieder mit Fragen zur Polizeiarbeit auseinander.

Wie beurteilst du das Reglement aus heutiger Sicht, mit dem Abstand von inzwischen gut 15 Jahren?

Ein Grossteil der Kritik von damals hat sich bewahrheitet. Das Vermummungsverbot ist reine Symbolpolitik, da es ohnehin nicht durchgesetzt werden kann. Was die Wegweisung betrifft, die ja einfach als eine Art polizeiliche Generalklausel gedacht war, mit der man unliebsame Gruppen los wird, hat sich doch einiges geändert. Es war damals eine Zeit mit zwei Hardlinern an der Spitze, Stadtrat Schlegel und Polizeikommandant Pius Valier, die beide überzeugt waren, dass man mit aller Härte des Gesetzes gegen «Störenfriede» vorgehen müsse, sei das am Bahnhof, im Kantipark oder bei politischen Kundgebungen. Vielleicht hängt damit zusammen, dass es genau zu der Zeit zum letzten Mal bei einer Demo wirklich zur Eskalation kam: an der Wegweisungsdemo vom 11. Juni 2005, nach der Abstimmung. Paradoxerweise hat das härtere Reglement eher dazu geführt, dass die Polizei und die Behörden umgänglicher wurden in ihrer Arbeit. In der Folge wurden zum Beispiel Quartierpolizisten eingesetzt oder die Jugendarbeit verstärkt.

Statt einer Verschärfung also eine Liberalisierung?

Ich würde es eher nennen: eine Zivilisierung der Polizei. Möglich, dass gerade die zusätzlichen Instrumente, die enorm viel Platz für Willkür bieten, und die zusätzliche Zahl von Polizeibeamten die Einsicht verstärkten: Wir können nicht einfach nur «draufhauen», sondern es braucht mehr Dialog. St.Gallen ist eine Kleinstadt – die Polizei hat ja doch recht regelmässig mit denselben Personen zu tun. Viel dazu beigetragen hat auch der Wechsel in der Polizeiführung von Hubert Schlegel zu Nino Cozzio, der einerseits die Polizei immer verteidigte, andererseits aber auch klar auf Kommunikation setzte. Das galt in allen Bereichen, ob Fussball, Ausgehkultur, Lärm oder Jugendliche im Mangenpärkli oder im Bermudadreieck. Und er machte auch klar: Es gibt Dinge, die einfach zu einer Stadt gehören. So legalisierte er de facto die Nutzung des öffentlichen Raums im Bermudadreieck im Rahmen einer Interpellationsdebatte, indem er antwortete: Wer Lärm nicht ertrage, sollte vielleicht woanders wohnen.

Auffällig aus heutiger Sicht ist, wie stark und breit abgestützt der Protest gegen die Massnahmen war. Die Kulturhäuser engagierten sich, es gab die IG Stadt ohne Willkür oder die Aktion Aktiv Unzufrieden. Eine starke zivilgesellschaftliche Bewegung lehnte sich auf – gegen Polizeiverschärfungen, aber vor allem gegen die fortschreitende Gentrifizierung der Stadt.

Genau. Den historischen Kontext darf man nicht vergessen. Passend, dass die Krawalle vom Karfreitag ausgerechnet auf dem Roten Platz stattfanden, wo Anfang des Jahrhunderts die letzten Freiräume im Bleicheliquartier abgerissen wurden und dem Bankenviertel weichen mussten. Entsprechend stark mobilisierten Leute aus der Kulturszene, die vorher im «Frohegg» engagiert waren. Dazu kamen die Abbrüche hinter dem Bahnhof, wo das «Wegdüda-Fest» stattfand, oder an der Leonhardsbrücke. In jener Zeit ist ein innerstädtisches Dreieck «gesäubert» worden, Rümpeltum, Bleicheli, Bahnhof Nord.

Ist von solchen kritischen Ansätzen heute noch etwas zu spüren?

Es war eine starke Bewegung, aber man darf sie auch nicht glorifizieren. Zum einen wäre zu fragen, ob es heute nicht eine ebenso starke Jugendbewegung gibt – ich selber bin da zu weit weg. Zum andern darf man nicht vergessen: 2005 war ungefähr der letzte öffentliche Kampf in der langen Geschichte des Umgangs dieser Stadt mit ihrer eigenen Drogenpolitik. Es waren die letzten Ausläufer der Repression gegen Süchtige. Seither ist der Umgang mit Drogen schlicht von der politischen Bühne verschwunden – mit Ausnahme des Vorstosses zu einem Pilotprojekt für die Cannabis-Abgabe haben wir im Stadtparlament nie mehr über Drogen diskutiert. Aber zurück zu 2005: Man darf schon nicht vergessen, dass es sowohl im Bleicheli als auch am Bahnhof Nord viele Junkies gab – das war auch nicht einfach nur «läss», dort zu wohnen.

Aber es war ein Lebensraum, wenn auch mit Ecken und Kanten.

Man konnte dort relativ autonom agieren, und es gab Wohnraum für Menschen aus den untersten sozialen Schichten. Aber man soll das nicht glorifizieren. Ich habe auch am Bahnhof in einer zerfallenden Vierzimmerwohnung gelebt, bei der man sich fragen kann, wieso die Stadt überhaupt noch Miete verlangen durfte.

Die Protestbewegung forderte genau die Erhaltung solcher autonomer Räume ein.

Ja, und das hatte immer auch mit der Drogenszene zu tun. Mitte der Neunziger wurde den Jungen das «Dömli», der Klosterplatz weggenommen, weil sich eine weiche Drogenszene etabliert hatte. Kiffen und Saufen vor dem Unesco-Weltkulturerbe: Das ging natürlich nicht. Es kam eine neue Platzordnung, es kamen Kontrollen durch private Sicherheitsdienste. Die Geschichte wiederholte sich später auf Drei Weieren. Nicht zu vergessen das Mangenpärkli, vor vielleicht zehn Jahren der Treffpunkt der Jungen. Jeden Sommer gab es böse Artikel gegen den Lärm und den Abfall um St.Mangen. Das wäre es dann auch schon, viel mehr Plätze gibt es nicht in dieser Stadt. Der Stadtpark? Ist vermutlich tabu. Der Kinderfestplatz? Zu weit weg.

Nochmal auf heute geschaut: Siehst du neben den Standorten auch inhaltliche Parallelen? Es gibt zumindest die eine: Im Juni 2005 wurde eine Demo zusammengeknüppelt mit den gleichen Argumentationslinien wie heute – die Demonstranten hätten angegriffen, die Polizei habe in Notwehr reagiert.

Was sicher dazumal wie heute ein Thema ist: Jugendliche brauchen Orte, wo sie konsumieren können, was sie wollen, zu ihren eigenen Bedingungen. Das ist häufig auch eine Geldfrage, damals wie heute.

Heute vermutlich weniger als damals.

Ja, was auch damit zu tun hat, dass die Jugendlichen weniger Drogen konsumieren als noch meine Generation. Die Diskussion um Räume, in denen die Jungen selber bestimmen können, was tabu ist und was nicht, zieht sich durch die Geschichte der Jugendarbeit in dieser Stadt bis zu ihrem Ursprung. Man hat über ähnliche Themen schon in den 50er-Jahren diskutiert. Bis Max Hungerbühler das erste Jugendhaus gleich hinter dem Africana finanzierte und «Blacky» als ersten Jugendarbeiter anstellte, weil die Stadt sich weigerte, selber etwas zu tun. Von hier, vom Goliath-Quartier lässt sich eine Linie ziehen bis zum «Dömli» und eben heute wieder dem Roten Platz. Es ging stets um teilautonome Räume, um Selbstbestimmung von Konsum- und Freizeitverhalten, es gab Dämonisierung von aussen und in der Folge Solidarisierung gegen innen. Auseinandersetzungen, auch heftige, mit der Polizei gab es schon in den 50er-Jahren – der «Blick» bezeichnete das Goliath-Quartier damals als «Klein-Chicago».

Die Unruhen rund um Ostern waren ja vordergründig durch Corona ausgelöst. Steckt dennoch der Wunsch nach autonomen Räumen dahinter?

Ich gehe schon davon aus. Allerdings gab es ja keine konkreten Forderungen, keine Transparente. Auch die Massnahmen-Gegner wie in Liestal oder Uri waren nicht vor Ort, und die meisten Jugendlichen trugen Masken. Stadtpräsidentin Maria Pappa hat mit Dutzenden gesprochen und meistens war die Botschaft recht simpel: Wir sind da, wo sollen wir sonst sein? Auslöser war eher eine diffuse Wut, verständlich, denn die Perspektiven sind nicht rosig.

Die Bewegungs- und Versammlungsfreiheit war noch nie so stark eingeschränkt – viel stärker als etwa 2005. Man konnte noch nie so wenig machen, was man will, wie jetzt in der Pandemie.

Zumindest in grösseren Gruppen: ja. Aber: Hätten an jenem Freitagabend nicht ein paar Einzelne die Polizei attackiert – sie hätte nicht eingegriffen, davon bin ich überzeugt. Die Polizei hat sich sehr lange zurückgehalten. Nach meinen Beobachtungen waren es Kleinstgruppen, welche die Eskalation suchten. Zuerst eine Kleingruppe, die mit Böllern nach der Polizei warf. Und später am Abend, als sich eigentlich alles schon wieder beruhigt hatte, kam es zum Angriff auf die Baustelle beim Neumarkt und dem Molotowcocktail.

Was schliesst du daraus? Der Grossteil hat den Krawall nicht gesucht?

Absolut. Solange es friedlich war, waren es viele junge Frauen, die dabei waren. Sobald es knallte, waren es nur noch junge Männer. Ich will nicht kleinreden, was da passiert ist, aber im Vergleich zu anderen Gewalteskalationen, wie wir sie von Fussballspielen oder vielleicht den Nachdemos am 1. Mai in Zürich kennen: Es war doch eher «harmlos». In Zürich ging die Polizei im letzten Jahr fünf- oder sechsmal gegen Jugendliche am Bahnhof Stadelhofen vor – das war national nie ein Thema. Aber das «beschauliche St.Gallen», das hat Aufsehen erregt. Dabei war weder die Zusammensetzung der Gruppe noch das Gewaltpotential wirklich höher als das eines ganz normalen Freitagabend-Publikums vor Covid in der Altstadt. So zynisch das klingen mag: Ich würde behaupten, es gab am Karfreitag weniger Verletzte als an einem ganz normalen Freitagabend in St.Gallen. Dass die Jungen wieder hinauswollen, kann ich ja nachvollziehen. Seltsamer ist, dass gerade die Kreise, die sonst als erste nach Repression rufen, jetzt finden: «Die Jugendlichen muss man verstehen, sie tragen die Hauptlast in der Coronakrise». Als ob die Jugendlichen die Einzigen wären, die unter den Einschränkungen leiden. Wir alle wollen doch Lockerungen. Aber die meisten von uns sind nicht bereit, dafür Menschenleben zu gefährden.

Trotzdem: Müsste man die Jungen nicht stärker einbeziehen in die Corona-Massnahmen?

Warum für die Massnahmen? Wer die Jungen einbeziehen will, soll ihnen das Stimmrecht mit 16 geben. Praktisch alle Entscheide, die wir fällen, betreffen sie auch, warum sollen wir da ausgerechnet für Covid eine Ausnahme machen? Stattdessen reden wir mit Expertinnen und Experten, die uns dann erklären, was die Jugendlichen wollen…

Junge sind deshalb stärker betroffen als die Erwachsenen, weil die Lebensart, die in diesem Alter die richtige wäre, momentan tabu und verboten ist.

Das mag schon sein, aber das Problem zeigt ja auf, dass die Partizipation von Jugendlichen nicht funktioniert. Selbstverständlich sind Jugendliche von den Einschränkungen betroffen: Weil sie keine Alternative haben als zuhause zu sein bei Eltern, mit denen das vielleicht eh schon schwierig ist. Weil sie die wirtschaftlichen Mittel nicht haben, um sich Auswege zu leisten. Und nicht zuletzt, weil psychische Probleme in solchen Ausnahmesituationen eher an die Oberfläche kommen – ein Bereich, in dem die Schweiz eher ein Entwicklungsland ist. Da erstaunt es nicht, wenn wie vor Kurzem die psychiatrischen Kliniken Alarm schlagen, dass sich die Zahl der Jugend-Suizidversuche verdoppelt habe.

Steckt ein politisches Potential in den St.Galler Unruhen? Es gibt ja eine starke Klimajugend, es gibt eine Re-Politisierung der Jugendlichen in den letzten Jahren.

Re-Politisierung finde ich eine gewagte These – die Jungen waren in den letzten 20 Jahren ja nicht einfach unpolitisch. Aber sicher: Die am stärksten wahrnehmbare Kraft im Moment ist die Klimabewegung. Lange Zeit war es ja gerade in St.Gallen so, dass abgesehen von der Fussballfanszene kaum eine Jugendbewegung existierte, die irgendeine öffentliche Strahlkraft hatte. Übrigens: Auch dort geht es ja hauptsächlich um das Schaffen von teilautonomen Räumen. Es ist das, was dir die Kurve bietet.

Das ist eine hauptsächlich männliche Geschichte.

Weniger als auch schon, aber von mir aus. Apropos teilautonome Räume: Ich staune immer wieder, wie sehr man sich in St.Gallen darüber aufregen kann, dass es solche Räume gibt. Mit der OLMA und der Fasnacht haben wir uralte Traditionen, die genau darauf basieren, dass die breite Bevölkerung zu gewissen Zeiten mal kontrolliert den Verstand verlieren kann.

Wie schätzt du die Reaktion von Stadtpräsidentin Maria Pappa ein?

Man kann ihr sicher nichts vorwerfen. Sie hat das Gespräch gesucht und sie hat danach den Einsatz der Polizei verteidigt. Ich sehe das natürlich ein bisschen anders: Den Einsatz vom Karfreitag fand ich richtig, bei den Massenwegweisungen vom Folge-Sonntag muss sich die Stadt die Frage gefallen lassen, ob das noch rechtens ist. Wegen den Handlungen einiger weniger wird pauschal eine ganze Altersgruppe bestraft bzw. alle Menschen, die ein bisschen anders aussehen. Das geht so nicht. Und de facto wurde an diesem Sonntag eine Ausgangssperre verfügt für eine weitgehend unbestimmte Gruppe von Menschen: Das ist Notrecht. Und bei allem Verständnis dafür, dass die Polizei schnell agieren musste: Wir waren nicht in einer Situation, die Notrecht rechtfertigt.

2005 hat Sina Bühler in der WOZ geschrieben: «St.Gallen ist eine Stadt, die das, was Städte ausmacht, nicht mehr erträgt.» Man wollte Gruppierungen, die nicht ins saubere Bild passten, weghaben.

Um es zuzuspitzen: Diesmal sind weniger die Leute betroffen, die nicht ins Bild passen, sondern ausgerechnet jene, die man angezogen hat und haben will – die Stadt hat in den letzten Jahren ihren öffentlichen Raum genauso verstanden. St.Gallen ist eine Ausgehstadt geworden. Sie hat ein kulturelles, auch ein kommerziell-kulturelles Angebot, wie es zwischen Winterthur und Chur nichts Vergleichbares gibt. Das zieht Menschen aus dem ganzen Kanton an und weit darüber hinaus. Wir sind weit weg von Diskussionen um die «Schlafstadt», die es noch einige Jahre zuvor zum Beispiel rund ums Mangenquartier gab.

Also eine Auszeichnung für St.Gallen, dass es auch mal chlöpft?

Zumindest zeigt es uns, dass Menschen hierher kommen wollen. Fairerweise muss man sagen: Es gibt auf weiter Flur auch wenig Alternativen. Und klar, da gibt es auch Konflikte. Persönlich finde ich eigentlich, dass sich ein schönes Nebeneinander in dieser Stadt entwickelt hat, zwischen hochkommerzialisierten Angeboten und konsumfreien Orten. Da kann ich am selben Abend mit professionellen Kulturschaffenden, Fussballfans, Politikerinnen, Handwerkern und Studierenden verkehren. Ob sich diese positive Ausgehkultur so schnell wieder etablieren kann, werden wir sehen: Die Gastrobranche wird die Corona-Auswirkungen am stärksten spüren.

Das ist auszuhalten. Wir haben uns ja schon gut dran gewöhnt, auf Bänklis im Freien zu konsumieren.

Da schliesst sich ein Kreis zu den Diskussionen der 90er- und Nullerjahre: Aktiv Unzufrieden forderte unter anderem, viel mehr Bänkli in der Stadt aufzustellen. Orte, wo man sich aufhalten kann, ohne zum Konsum gezwungen zu werden. Wir nutzen den öffentlichen Raum in dieser Stadt ja gern, um Biergärten aufzustellen – das hat die «Fachstelle für Letztinstanzliche Baubewilligungen» am Bahnhof Nord damals auch propagiert, nur eben in der Hand der Öffentlichkeit und nicht der Beizer.

Wenn Covid noch lange weitergeht?

Vielleicht werden wir Ausgehzonen definieren müssen: Orte, an denen man auf eigenes Risiko hingehen kann. Wenn wir das nicht tun, strömen die Jungen in den Wald und organisieren dort Partys – was irgendwie auch nicht die Idee sein kann. Keine Ahnung. Ich bin genauso ratlos wie alle anderen. Ich staune ja auch immer wieder, wie das die Menschen in anderen Ländern durchhalten – wir drehen schon fast durch, obwohl wir noch gar nie einen richtigen Lockdown hatten, während in Deutschland über Ausgangssperren diskutiert wird.

Eine Erklärung wäre: Je reicher ein Land und je selbstbestimmter der individuelle Lebensstil, desto privilegierter sind die Leute auch in der Pandemie.

Das muss man sicher in der Umkehrung mitbedenken: die schwierige Situation von Jugendlichen in weniger privilegierten Lebens- und Familiensituationen, in engen Wohnverhältnissen, vielleicht ohne Lehrstelle und mit schlechten Zukunftsperspektiven. Da kann man schnell an den Punkt kommen: Jetzt reicht es mir.

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