Kafka neu verwandelt

Ein alltägliches Wohnzimmer verwandelt sich in Metamorphose zu einer grotesken Erzählung (Bild: Elisa Faes)

Die Compagnie Buffpapier führt diese Woche im Palace ihr neues Stück Metamorphose auf. Die wuchtige Neuinterpretation von Kafkas Die Verwandlung bringt ein schwindelerregendes Karussell auf die Bühne. Ein Probenbesuch.

Zwei be­stick­te Ses­sel ste­hen auf der Pro­be­büh­ne. Ei­ne blu­mi­ge Ta­pe­te, Röss­ler-Ge­schirr auf dem Tee­wa­gen, aus dem Ra­dio er­tönt Freu­de, schö­ner Göt­ter­fun­ken. Die klein­bür­ger­li­che Stu­be lässt kaum er­ah­nen, welch be­droh­lich-skur­ri­ler Trip sie in der nächs­ten Stun­de durch­rüt­teln wird. In we­ni­gen Mi­nu­ten be­ginnt der ers­te Pro­ben-Durch­lauf. Fünf Ta­ge blei­ben bis zur Pre­mie­re. «Die­se Pha­se ist ei­gent­lich die schlimms­te», sagt Fran­zis­ka Ho­by la­chend, wäh­rend sie die letz­ten Re­qui­si­ten be­reit­stellt. Seit zehn Jah­ren probt die Cie Buff­pa­pier im vier­ten Stock der Haupt­post. 

Den­ken wir an Franz Kaf­kas Die Ver­wand­lung, se­hen wir Gre­gor Samsa als un­ge­heu­er­li­ches Un­ge­zie­fer vor uns. Fran­zis­ka Ho­by und Sté­pha­ne Fra­ti­ni ge­lingt es mit ei­nem klei­nen, ta­len­tier­ten En­sem­ble, die Un­ge­heu­er­lich­keit auf die Büh­ne zu brin­gen, oh­ne da­für ex­pli­zit zu wer­den. Mar­cel Gschwend ali­as Bit-Tu­ner und Pa­ra­noïa Nor­mal lie­fern den trei­ben­den Sound da­zu – ein in­sek­to­ides Beat-Ge­wit­ter, das ein schau­er­li­ches neu­es Gen­re er­schafft. 

An­ders als sonst

Plötz­lich lebt und zit­tert al­les: die Stu­be, der Tee­wa­gen, das Ge­schirr. Auch die Ge­räusch­ku­lis­se wur­de mit viel Sorg­falt ent­wi­ckelt– so, dass ei­nen beim Zu­schau­en schon mal mul­mig wird. Das Stück wirkt zu­gleich be­klem­mend und über­wäl­ti­gend. Es er­schafft ein Wech­sel­bad aus ma­ni­schen Sze­nen, in de­nen ver­renkt, ge­kämpft und ge­tobt wird – dann wird es wie­der still. Ein an­ge­streng­tes La­chen, ei­ne ver­schüt­te­te Tas­se Tee, das abend­li­che «Auch schon spät jetzt» un­ter Ehe­leu­ten. Zu se­hen ist ein bür­ger­li­cher Fa­mi­li­en­all­tag, der in ein bi­zar­res Schau­spiel aus­ar­tet. Ein Sohn, der zum Tier wird. Ei­ne Mut­ter, de­ren Selbst­be­herr­schung am sei­de­nen Fa­den hängt. Ein Va­ter, der plötz­lich als Sol­dat kämpft. Ei­ne Toch­ter, die sich wild am Bo­den win­det. 

Me­ta­mor­pho­se ist un­ge­wöhn­lich für Buff­pa­pier. Es han­delt sich um die Neu­in­ter­pre­ta­ti­on ei­nes Klas­si­kers; zu­vor wur­de ein­zig 2017 mit Bam nach Da­niil Charms ein be­stehen­der Text be­ar­bei­tet. Wenn Ho­by und Fra­ti­ni mit Text­vor­la­gen ar­bei­ten, müs­sen es Au­tor:in­nen wie Charms, Ca­mus oder Kaf­ka sein: Schrift­stel­ler, die das Gro­tes­ke fei­ern. Doch ein vor­han­de­ner Text macht die Ar­beit nicht ein­fa­cher: «Die Dra­ma­ti­sie­rung bleibt ei­ne Chall­enge», sagt Fra­ti­ni. Schnell sei klar ge­wor­den, dass die Fa­mi­lie im Zen­trum ste­hen soll. Wie so oft wird der Text auf ein Mi­ni­mum re­du­ziert – wich­ti­ger sind Stim­mun­gen und Kör­per­lich­keit auf der Büh­ne. «Trotz­dem wol­len wir dem Text auch ge­recht wer­den. Das macht Druck», er­klärt Fran­zis­ka. Die bei­den sind selbst we­nig prä­sent auf der Büh­ne, auch das ist neu. In Me­ta­mor­pho­se spielt Fra­ti­ni bloss in ein­zel­nen Sze­nen mit, Ho­by sitzt der­weil hin­ter dem Misch­pult.

Kaf­ka ro­tiert

Fran­zis­ka Ho­by und Sté­pha­ne Fra­ti­ni ar­bei­ten seit 26 Jah­ren zu­sam­men. Bei Me­ta­mor­pho­se sind sie für Dra­ma­tur­gie und Re­gie ver­ant­wort­lich; die Schluss­re­gie über­nahm Ho­by. Für die tra­gen­den Rol­len such­ten sie ein Trio – Va­ter, Mut­ter, Toch­ter. «Das er­for­der­te ei­ne neue Art von Cas­ting.» Mit Mo­ritz Prax­ma­rer ar­bei­te­ten sie be­reits 2022 in Work zu­sam­men. Über ihn ent­stand der Kon­takt zu Atha­na­sia Chat­zi­gi­anna­ki, die die Toch­ter spielt. Han­na Do­nald über­zeug­te das Duo in ei­ner an­de­ren Pro­duk­ti­on und über­nimmt in Me­ta­mor­pho­se die Rol­le der Mut­ter. Zu­sam­men mit Sté­pha­ne Fra­ti­ni ent­steht ein Fa­mi­li­en­ge­fü­ge, das sie gleich­zei­tig un­heim­lich und ur­ko­misch in­sze­nie­ren. Die gu­te Stu­be wird zum Alb­traum, be­ginnt sich zu dre­hen. Wäh­rend ei­ner Stun­de ent­fes­selt die Cie Buff­pa­pier die Gro­tes­ke des Le­bens. 

«Ab­sur­di­tät heisst für mich, sich fremd zu sich selbst füh­len. Ei­ne Not zu spü­ren, die sagt: Wir sind al­le zu­sam­men hier», sagt Fra­ti­ni. Ho­by er­gänzt: «In­ter­es­sant an dem Skur­ri­len ist vor al­lem der Hu­mor, die Äs­the­tik, fern von Kon­ven­tio­nen zu sein. Ab­sur­di­tät ist et­was Mensch­li­ches.» 

Die Pro­be ist vor­bei, die Stu­be ist ver­wan­delt, die Fa­mi­lie stellt sich noch­mal auf. Als Zu­schaue­rin er­wacht man lang­sam aus ei­nem ne­bu­lö­sen Traum. Me­ta­mor­pho­se er­zählt vom Ver­drän­gen, vom Nicht-Hin­schau­en und zeigt, wie laut die Stil­le in ei­nem Wohn­zim­mer wer­den kann.

Me­ta­mor­pho­se: Pre­miè­re am Mitt­woch 26. No­vem­ber, 20.30 Uhr, wei­te­re Vor­stel­lun­gen: Don­ners­tag 27., Frei­tag 28. und Sams­tag. 29. No­vem­ber, je­weils um 20:30 Uhr, Pa­lace.

Jetzt mitreden:
Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Dein Kommentar wird vor dem Publizieren von der Redaktion geprüft.