Zwei bestickte Sessel stehen auf der Probebühne. Eine blumige Tapete, Rössler-Geschirr auf dem Teewagen, aus dem Radio ertönt Freude, schöner Götterfunken. Die kleinbürgerliche Stube lässt kaum erahnen, welch bedrohlich-skurriler Trip sie in der nächsten Stunde durchrütteln wird. In wenigen Minuten beginnt der erste Proben-Durchlauf. Fünf Tage bleiben bis zur Premiere. «Diese Phase ist eigentlich die schlimmste», sagt Franziska Hoby lachend, während sie die letzten Requisiten bereitstellt. Seit zehn Jahren probt die Cie Buffpapier im vierten Stock der Hauptpost.
Denken wir an Franz Kafkas Die Verwandlung, sehen wir Gregor Samsa als ungeheuerliches Ungeziefer vor uns. Franziska Hoby und Stéphane Fratini gelingt es mit einem kleinen, talentierten Ensemble, die Ungeheuerlichkeit auf die Bühne zu bringen, ohne dafür explizit zu werden. Marcel Gschwend alias Bit-Tuner und Paranoïa Normal liefern den treibenden Sound dazu – ein insektoides Beat-Gewitter, das ein schauerliches neues Genre erschafft.
Anders als sonst
Plötzlich lebt und zittert alles: die Stube, der Teewagen, das Geschirr. Auch die Geräuschkulisse wurde mit viel Sorgfalt entwickelt– so, dass einen beim Zuschauen schon mal mulmig wird. Das Stück wirkt zugleich beklemmend und überwältigend. Es erschafft ein Wechselbad aus manischen Szenen, in denen verrenkt, gekämpft und getobt wird – dann wird es wieder still. Ein angestrengtes Lachen, eine verschüttete Tasse Tee, das abendliche «Auch schon spät jetzt» unter Eheleuten. Zu sehen ist ein bürgerlicher Familienalltag, der in ein bizarres Schauspiel ausartet. Ein Sohn, der zum Tier wird. Eine Mutter, deren Selbstbeherrschung am seidenen Faden hängt. Ein Vater, der plötzlich als Soldat kämpft. Eine Tochter, die sich wild am Boden windet.
Metamorphose ist ungewöhnlich für Buffpapier. Es handelt sich um die Neuinterpretation eines Klassikers; zuvor wurde einzig 2017 mit Bam nach Daniil Charms ein bestehender Text bearbeitet. Wenn Hoby und Fratini mit Textvorlagen arbeiten, müssen es Autor:innen wie Charms, Camus oder Kafka sein: Schriftsteller, die das Groteske feiern. Doch ein vorhandener Text macht die Arbeit nicht einfacher: «Die Dramatisierung bleibt eine Challenge», sagt Fratini. Schnell sei klar geworden, dass die Familie im Zentrum stehen soll. Wie so oft wird der Text auf ein Minimum reduziert – wichtiger sind Stimmungen und Körperlichkeit auf der Bühne. «Trotzdem wollen wir dem Text auch gerecht werden. Das macht Druck», erklärt Franziska. Die beiden sind selbst wenig präsent auf der Bühne, auch das ist neu. In Metamorphose spielt Fratini bloss in einzelnen Szenen mit, Hoby sitzt derweil hinter dem Mischpult.
Kafka rotiert
Franziska Hoby und Stéphane Fratini arbeiten seit 26 Jahren zusammen. Bei Metamorphose sind sie für Dramaturgie und Regie verantwortlich; die Schlussregie übernahm Hoby. Für die tragenden Rollen suchten sie ein Trio – Vater, Mutter, Tochter. «Das erforderte eine neue Art von Casting.» Mit Moritz Praxmarer arbeiteten sie bereits 2022 in Work zusammen. Über ihn entstand der Kontakt zu Athanasia Chatzigiannaki, die die Tochter spielt. Hanna Donald überzeugte das Duo in einer anderen Produktion und übernimmt in Metamorphose die Rolle der Mutter. Zusammen mit Stéphane Fratini entsteht ein Familiengefüge, das sie gleichzeitig unheimlich und urkomisch inszenieren. Die gute Stube wird zum Albtraum, beginnt sich zu drehen. Während einer Stunde entfesselt die Cie Buffpapier die Groteske des Lebens.
«Absurdität heisst für mich, sich fremd zu sich selbst fühlen. Eine Not zu spüren, die sagt: Wir sind alle zusammen hier», sagt Fratini. Hoby ergänzt: «Interessant an dem Skurrilen ist vor allem der Humor, die Ästhetik, fern von Konventionen zu sein. Absurdität ist etwas Menschliches.»
Die Probe ist vorbei, die Stube ist verwandelt, die Familie stellt sich nochmal auf. Als Zuschauerin erwacht man langsam aus einem nebulösen Traum. Metamorphose erzählt vom Verdrängen, vom Nicht-Hinschauen und zeigt, wie laut die Stille in einem Wohnzimmer werden kann.