«Mir war wichtig, dass es knallt»

Gut Ding will Weile haben … Einige Monate nach dem offiziellen Release feiert Verbrennung 3. Grades ihre wohlverdiente Plattentaufe in Frauenfeld. Da passt es doch wie die Faust aufs Auge, dass auch unsere Besprechung inklusive Interview zeitlich vielleicht ein wenig hinterher hinkt. Aber: Hauptsache es knallt!

Salomé Käsemodel alias Verbrennung 3. Grades (Bild: pd/Paula Blaser)

«Ich ... Ich bin ... die Neue ... die neue Hil­de­gard von Bin­gen!»

Hell ye­ah, ge­nau so! Sa­lo­mé Kä­se­mo­del ali­as Ver­bren­nung 3. Gra­des hat ein­deu­tig nicht nur ein Händ­chen für gran­dio­se Künst­le­rin­nen­na­men, son­dern auch ih­ren Ab­schluss auf der ma­gi­schen Punk­rock­schu­le für sta­bi­le Songan­fän­ge mit Aus­zeich­nung ab­ge­schlos­sen. 

Denn es ist schon ein göt­ti­nen­all­mäch­ti­ger Boss­mo­ve, gleich mit den ers­ten Zei­len der De­büt-EP Die un­sicht­ba­re Hand des Mark­tes würgt mich (oh­ne Kon­sens) aus­ge­rech­net Hil­de­gard von Bin­gen nach­hal­tig, theo­re­tisch fun­diert und mit der ky­ber­ne­ti­schen En­er­gie ei­ner Ab­riss­bir­ne zur Pun­ki­ko­ne aus­zu­ru­fen. 

«Hil­de­gard von Bin­gen be­glei­tet mich schon lan­ge. Ich bin erz­ka­tho­lisch auf­ge­wach­sen. Wir sind als Kin­der in den Fe­ri­en ins Klos­ter ge­fah­ren, ha­ben zu­hau­se ge­be­tet, wie man sich das eben vor­stellt. Die­se Nä­he zum Ka­tho­li­zis­mus ist bis heu­te da, ich dre­he ge­ra­de zum Bei­spiel auch ei­nen Film, der in ei­nem Klos­ter spielt. HvB war an­fangs ir­gend­ein ran­dom Rab­bit Ho­le. Je län­ger man sich mit ihr be­schäf­tigt, des­to fas­zi­nie­ren­der wirds: Sie war Mu­si­ke­rin, Uni­ver­sal­ge­lehr­te, Kräu­ter­he­xe, hat­te un­glaub­lich viel Macht und war ei­gent­lich ein fe­mi­nis­ti­sches Icon des Mit­tel­al­ters. Sie hat als ers­te den weib­li­chen Or­gas­mus be­schrie­ben, ob­sku­re Mu­sik ge­macht, war ins­ge­samt ein­fach ex­trem in­spi­rie­rend. Da­zu kom­men für mich low­key que­e­re Vi­bes», er­klär­te Sa­lo­mé ih­ren Zu­gang.

An­ge­sta­chelt von der Ur­ge­walt

Die En­er­gie je­den­falls jagt hier aus al­len Song­po­ren, die feins­ten 80er-Jah­re-Post-Punk-Schweiss in den Strea­ming­dienst dei­nes Ver­trau­ens schwit­zen. Und ihr merkt schon: Wenn sich ein Re­zen­sent der­ar­tig ins Zeug legt, merk­wür­di­ge Sprach­bil­der auf­zu­zei­gen, dann hat ihn ir­gend­et­was an­ge­sta­chelt. Und im Fal­le von Ver­bren­nung 3. Gra­des ist es die ly­ri­sche Ur­ge­walt des Ein-Per­so­nen-Band-Pro­jekts, die über fünf Songs auf­hor­chen und auf­krat­zen lässt. 

Sa­lo­mé selbst hat sich über Aus­rich­tung und Kon­zep­ti­on gar nicht so vie­le Ge­dan­ken ge­macht: «Es ist mei­ne ers­te EP, ich weiss noch gar nicht, was für Mu­sik ich ma­chen will oder kann. Ich hab kein ‹kon­se­quen­tes Sound­bild›, das ich ein­hal­ten müss­te. Viel­leicht ist das auch so ein Gen-Z-Ding: Fick Gen­res. Ich mach ein­fach, was ich ma­che.» Hier wird ge­rum­pelt und ge­kle­ckert, hier heisst es: «In fins­te­ren Zeit wird nicht ge­sun­gen / in fins­te­ren Zei­ten wird in­ves­tiert» oder «Ich wer­fe Stei­ne, ihr baut Männ­chen draus / ich le­ge Feu­er und ihr kehrt den Staub». 

Und das macht halt ein­fach nur Spass! «Ich tex­te ei­gent­lich stän­dig, meis­tens in Form von Skeets auf Blues­ky. Ich hab tau­send No­ti­zen auf mei­nem Han­dy mit Wor­ten, Sät­zen und Wit­zen – ich lie­be ein­fach Spra­che, ob kom­pli­ziert oder sim­pel. Im In­ter­net bin ich sonst eher wit­zig und zy­nisch, aber das woll­te ich für mei­ne Mu­sik nicht. Mir war wich­tig, mich ver­letz­li­cher zu zei­gen, statt mich hin­ter Hu­mor zu ver­ste­cken.»

Ein­fach aus­pro­bie­ren

Die EP trägt die ur­ty­pi­sche Gen-Z-DIY-DNA of­fen zur Schau. Das be­deu­tet: Ma­chen ist bes­ser als nicht ma­chen. Und manch­mal lohnt es sich Din­ge zu ma­chen, von de­nen man noch gar nicht weiss, dass sie mög­lich sind. Vie­le Mu­si­ker:in­nen die­ser Ge­ne­ra­ti­on ent­lehn­ten die­sen An­satz den his­to­ri­schen Punk- und Post-Punk-Be­we­gun­gen, nur um sie dann auf an­de­re Gen­res zu über­tra­gen. Ver­bren­nung 3. Gra­des schliesst aber die of­fe­nen Li­ni­en zu ei­nem ge­schlos­se­nen Kreis. Da­zu passt auch die Ent­ste­hungs­ge­schich­te des Werks:

«Im Ju­li 2023 hab’ ich mei­ne Schwes­ter in Süd­ost­asi­en be­sucht und war da­nach zehn Ta­ge al­lein in ei­ner win­zi­gen Hüt­te auf ei­ner In­sel in Thai­land. Nur le­sen, schrei­ben, Chang Bier trin­ken und Kip­pen rau­chen. Pro­ba­b­ly die zehn bes­ten Ta­ge mei­nes Le­bens. In die­ser Zeit bin ich nachts in so ei­nen Fron­tal-in-die-Fres­se-Punk-Mo­de ge­kom­men, weil ich ir­gend­wie Ab­wärts, KFC und Hans-A-Plast ge­hört ha­be. Aus die­ser nächt­li­chen Ar­ro­ganz her­aus ist dann der Text ent­stan­den. Den hab’ ich ein­fach auf den Rhyth­mus von Com­pu­ter­staat ge­tex­tet, in 5 Mi­nu­ten run­ter­ge­schrie­ben. In­halt­lich kom­plet­ter Non­sen­se, aber da­durch ist es so ein clea­ner Punk-Ban­ger ge­wor­den, der mir auch die Rich­tung für die EP auf­ge­zeigt hat.» 

Spu­cken und Kräu­ter­sam­meln

Und yes, die EP kre­denzt lü­cken­lo­sen 80er-Jah­re-Lo-fi-West­ber­lin-Neue-Deut­sche-Wel­le-Punk­rock und reiht da­bei ei­ne prä­gnan­te Li­ne an die nächs­te. Man spürt, dass Sa­lo­mé vor al­lem auch auf Blues­ky als Au­torin in bes­ter Jes­si­ca-Ju­ras­si­ca-Ma­nier in Er­schei­nung tritt. Kurz. Prä­gnant. Po­li­tisch. Roh. Za­ckig. Dre­ckig. Wild. Cool.

Auf musikalischer Ebene passiert dann das Äquivalent – vor allem im Underground-Hit T4 Bahnhof Tiefenbrunnen, der diesem ganzen Dekonstrukt einen düsteren Schleier überwirft. Dabei ergibt sich ein inkonstantes, waberndes musikalisches Gewand mit einer augenscheinlichen Liebe zu treibenden Drums: «Ich liebe einfach gute Drums, damit steht und fällt alles. Mir war wichtig, dass es knallt. Rational erklären kann ich’s nicht, es war einfach Intuition, Geschmack und Bock.»

Und spätestens wenn das alles dann in Helvetia in einem aufgeschäumten «Mensch, wie könnt ihr es hier nicht hassen?» kulminiert, hört man förmlich die verkrampften Nasenrümpfer:innen durchs Land knacken. Und genau so muss das. 

Yes, the kids in der Ostschweiz are alright. Und die Kids sind wütend. Und mit Verbrennung 3. Grades haben sie einen idealen Soundtrack zum wütend sein oder auf den Boden spucken. Oder Kräuter sammeln.

Verbrennungen 3. Grades: Die unsichtbare Hand des Marktes würgt mich (ohne Konsens)
Plattentaufe, 7. November, 21 Uhr, Kaff, Frauenfeld.
salomekaesemodel.com

V3 G Cover EP

Albumcover Die unsichtbare Hand des Marktes würgt mich (ohne Konsens)

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