«Ich ... Ich bin ... die Neue ... die neue Hildegard von Bingen!»
Hell yeah, genau so! Salomé Käsemodel alias Verbrennung 3. Grades hat eindeutig nicht nur ein Händchen für grandiose Künstlerinnennamen, sondern auch ihren Abschluss auf der magischen Punkrockschule für stabile Songanfänge mit Auszeichnung abgeschlossen.
Denn es ist schon ein göttinenallmächtiger Bossmove, gleich mit den ersten Zeilen der Debüt-EP Die unsichtbare Hand des Marktes würgt mich (ohne Konsens) ausgerechnet Hildegard von Bingen nachhaltig, theoretisch fundiert und mit der kybernetischen Energie einer Abrissbirne zur Punkikone auszurufen.
«Hildegard von Bingen begleitet mich schon lange. Ich bin erzkatholisch aufgewachsen. Wir sind als Kinder in den Ferien ins Kloster gefahren, haben zuhause gebetet, wie man sich das eben vorstellt. Diese Nähe zum Katholizismus ist bis heute da, ich drehe gerade zum Beispiel auch einen Film, der in einem Kloster spielt. HvB war anfangs irgendein random Rabbit Hole. Je länger man sich mit ihr beschäftigt, desto faszinierender wirds: Sie war Musikerin, Universalgelehrte, Kräuterhexe, hatte unglaublich viel Macht und war eigentlich ein feministisches Icon des Mittelalters. Sie hat als erste den weiblichen Orgasmus beschrieben, obskure Musik gemacht, war insgesamt einfach extrem inspirierend. Dazu kommen für mich lowkey queere Vibes», erklärte Salomé ihren Zugang.
Angestachelt von der Urgewalt
Die Energie jedenfalls jagt hier aus allen Songporen, die feinsten 80er-Jahre-Post-Punk-Schweiss in den Streamingdienst deines Vertrauens schwitzen. Und ihr merkt schon: Wenn sich ein Rezensent derartig ins Zeug legt, merkwürdige Sprachbilder aufzuzeigen, dann hat ihn irgendetwas angestachelt. Und im Falle von Verbrennung 3. Grades ist es die lyrische Urgewalt des Ein-Personen-Band-Projekts, die über fünf Songs aufhorchen und aufkratzen lässt.
Salomé selbst hat sich über Ausrichtung und Konzeption gar nicht so viele Gedanken gemacht: «Es ist meine erste EP, ich weiss noch gar nicht, was für Musik ich machen will oder kann. Ich hab kein ‹konsequentes Soundbild›, das ich einhalten müsste. Vielleicht ist das auch so ein Gen-Z-Ding: Fick Genres. Ich mach einfach, was ich mache.» Hier wird gerumpelt und gekleckert, hier heisst es: «In finsteren Zeit wird nicht gesungen / in finsteren Zeiten wird investiert» oder «Ich werfe Steine, ihr baut Männchen draus / ich lege Feuer und ihr kehrt den Staub».
Und das macht halt einfach nur Spass! «Ich texte eigentlich ständig, meistens in Form von Skeets auf Bluesky. Ich hab tausend Notizen auf meinem Handy mit Worten, Sätzen und Witzen – ich liebe einfach Sprache, ob kompliziert oder simpel. Im Internet bin ich sonst eher witzig und zynisch, aber das wollte ich für meine Musik nicht. Mir war wichtig, mich verletzlicher zu zeigen, statt mich hinter Humor zu verstecken.»
Einfach ausprobieren
Die EP trägt die urtypische Gen-Z-DIY-DNA offen zur Schau. Das bedeutet: Machen ist besser als nicht machen. Und manchmal lohnt es sich Dinge zu machen, von denen man noch gar nicht weiss, dass sie möglich sind. Viele Musiker:innen dieser Generation entlehnten diesen Ansatz den historischen Punk- und Post-Punk-Bewegungen, nur um sie dann auf andere Genres zu übertragen. Verbrennung 3. Grades schliesst aber die offenen Linien zu einem geschlossenen Kreis. Dazu passt auch die Entstehungsgeschichte des Werks:
«Im Juli 2023 hab’ ich meine Schwester in Südostasien besucht und war danach zehn Tage allein in einer winzigen Hütte auf einer Insel in Thailand. Nur lesen, schreiben, Chang Bier trinken und Kippen rauchen. Probably die zehn besten Tage meines Lebens. In dieser Zeit bin ich nachts in so einen Frontal-in-die-Fresse-Punk-Mode gekommen, weil ich irgendwie Abwärts, KFC und Hans-A-Plast gehört habe. Aus dieser nächtlichen Arroganz heraus ist dann der Text entstanden. Den hab’ ich einfach auf den Rhythmus von Computerstaat getextet, in 5 Minuten runtergeschrieben. Inhaltlich kompletter Nonsense, aber dadurch ist es so ein cleaner Punk-Banger geworden, der mir auch die Richtung für die EP aufgezeigt hat.»
Spucken und Kräutersammeln
Und yes, die EP kredenzt lückenlosen 80er-Jahre-Lo-fi-Westberlin-Neue-Deutsche-Welle-Punkrock und reiht dabei eine prägnante Line an die nächste. Man spürt, dass Salomé vor allem auch auf Bluesky als Autorin in bester Jessica-Jurassica-Manier in Erscheinung tritt. Kurz. Prägnant. Politisch. Roh. Zackig. Dreckig. Wild. Cool.
Auf musikalischer Ebene passiert dann das Äquivalent – vor allem im Underground-Hit T4 Bahnhof Tiefenbrunnen, der diesem ganzen Dekonstrukt einen düsteren Schleier überwirft. Dabei ergibt sich ein inkonstantes, waberndes musikalisches Gewand mit einer augenscheinlichen Liebe zu treibenden Drums: «Ich liebe einfach gute Drums, damit steht und fällt alles. Mir war wichtig, dass es knallt. Rational erklären kann ich’s nicht, es war einfach Intuition, Geschmack und Bock.»
Und spätestens wenn das alles dann in Helvetia in einem aufgeschäumten «Mensch, wie könnt ihr es hier nicht hassen?» kulminiert, hört man förmlich die verkrampften Nasenrümpfer:innen durchs Land knacken. Und genau so muss das.
Yes, the kids in der Ostschweiz are alright. Und die Kids sind wütend. Und mit Verbrennung 3. Grades haben sie einen idealen Soundtrack zum wütend sein oder auf den Boden spucken. Oder Kräuter sammeln.
Verbrennungen 3. Grades: Die unsichtbare Hand des Marktes würgt mich (ohne Konsens)
Plattentaufe, 7. November, 21 Uhr, Kaff, Frauenfeld.
salomekaesemodel.com
Albumcover Die unsichtbare Hand des Marktes würgt mich (ohne Konsens)