Zwischen Leichtigkeit und Melancholie

Simon Deckert alias Mondegg (Bild: pd/Stephan Zbinden)

Simon Deckert alias Mondegg verbindet in seinem Debütalbum Hier entlang mit reinem Herzen Sprachkunst und Folk. Am Samstagabend war die Albumtaufe im Figurentheater in St.Gallen.

Es geht um Na­tur­er­leb­nis­se, Hei­mat, Fa­mi­lie und auch ein biss­chen um Tie­re. Das De­büt­al­bum von Si­mon De­ckert, ali­as Mond­egg, ist viel­sei­tig. Beim ers­ten Rein­hö­ren wir­ken die teils skur­ri­len Tex­te et­was un­ge­wohnt. Doch wer ge­nau­er hin­hört, ent­deckt fei­ne Sprach­spie­le­rei­en, die, ge­tra­gen von fol­ki­gen Me­lo­dien, ei­nen ei­gen­wil­li­gen Charme ent­fal­ten.

De­ckert ist in St.Gal­len kein Un­be­kann­ter. Er hat Li­te­ra­ri­sches Schrei­ben stu­diert und im Ne­ben­fach Jazz­kur­se be­legt, ver­öf­fent­lich­te 2020 mit Sie­ben­mei­len­stie­fel sei­nen ers­ten Ro­man, schreibt Thea­ter­tex­te und steht seit Jah­ren auf Büh­nen. Für ein Mu­sik­al­bum brauch­te es den­noch Zeit: Der Song Jel­ly­fi­sh Glow ist be­reits 13 Jah­re alt, wie De­ckert im Ge­spräch mit Sai­ten er­zählt.

Dass es schliess­lich doch zu ei­nem Al­bum kam, ver­dankt er vor al­lem sei­ner Frau Ju­lia Sut­ter. «Ich ha­be mir lan­ge nicht zu­ge­traut, Mu­sik so ernst­haft zu ma­chen wie das Schrei­ben», sagt De­ckert. «Beim Schrei­ben an ei­nem zwei­ten Ro­man­pro­jekt ging es dann um ei­ne Band und ich ha­be ge­merkt, dass ich über das schrei­be, was ich ei­gent­lich selbst ma­chen will.»

Sut­ter ha­be ihn er­mun­tert, das Mu­sik­pro­jekt ein­fach zu ver­su­chen. Da die Fa­mi­lie dank «Brot­jobs» fi­nan­zi­ell ab­ge­si­chert war, star­te­te De­ckert An­fang 2024 das Aben­teu­er Al­bum­pro­duk­ti­on. 

Folk mit Sprach­ge­fühl

De­ckert, der nie pro­fes­sio­nell Mu­sik auf­ge­nom­men hat­te, konn­te sei­nen Kol­le­gen, den Sound-De­si­gner und Kom­po­nis­ten Pas­cal Schär­li, als Pro­du­zen­ten ge­win­nen. Un­ter­stützt von Mu­si­ker:in­nen aus sei­nem Netz­werk nahm das Al­bum nach und nach Ge­stalt an. Nach an­dert­halb Jah­ren in­ten­si­ver Ar­beit war Hier ent­lang mit rei­nem Her­zen fer­tig. «Zu se­hen, wie al­les zu­sam­men­kommt und funk­tio­niert, war toll», sagt De­ckert. 

Elf Songs um­fasst das Al­bum. Frü­he­re Songs wie Jel­ly­fi­sh Glow sind auf Eng­lisch, neue­re Wer­ke zu­neh­mend auf Deutsch. De­ckert er­klärt: «Am An­fang war ich noch stark von eng­lisch­spra­chi­ger Mu­sik in­spi­riert, aber dann, je ernst­haf­ter ich das Tex­ten nahm, des­to woh­ler fühl­te ich mich in mei­ner Mut­ter­spra­che.» Die fol­ki­gen Songs le­ben von Gi­tar­re (Si­mon De­ckert) und ver­schie­de­nen Gast­in­stru­men­ten, zwi­schen­durch las­sen sich im­mer wie­der kirch­li­che und gos­pel­ar­ti­ge Mu­sik­ele­men­te er­ken­nen.

Das Al­bum er­zählt in sprach­ge­wand­ten und hu­mor­vol­len Song­tex­ten mär­chen­haf­te Ge­schich­ten. Da­bei geht es im­mer wie­der auch um das Le­ben selbst, um Fa­mi­lie, ums Glück­lich­sein und dar­um, dass oft Klei­nig­kei­ten al­les ver­än­dern kön­nen.

Star­ke Mo­ti­ve sind, gen­re­ty­pisch für Folk, Na­tur­er­leb­nis­se. «Ei­ni­ge Lie­der sind in ei­ner Zeit ent­stan­den, in der ich Ant­wor­ten in der Na­tur ge­sucht ha­be», er­zählt De­ckert. «Das klingt kli­schee­haft, aber es war nun mal so.» Oft kom­men Tie­re in den Tex­ten vor, was aber kei­ne kei­ne Ent­spre­chung im All­tag ha­be, be­merkt De­ckert. Und so geht dem Song Drei Kat­zen zum Trotz bei Fa­mi­lie Sut­ter-De­ckert kein Stu­ben­ti­ger ein und aus. 

Vom Oze­an und war­men Tas­sen

Am ver­gan­ge­nen Sams­tag fei­er­te Mond­egg die Tau­fe sei­nes Al­bums im Fi­gu­ren­thea­ter St.Gal­len, in dem De­ckert auch in der Ad­mi­nis­tra­ti­on und pro­jekt­wei­se als Büh­nen­tex­ter ar­bei­tet. In den rot-schwar­zen Thea­ter­räu­men herrscht ei­ne wohl­wol­len­de, fast fa­mi­liä­re At­mo­sphä­re. Den Auf­takt macht der St.Gal­ler Mu­si­ker Se­bas­ti­an Bill, der spä­ter in De­ckerts Song Gibt es ei­nen Ort den Mund­art-Part über­nimmt. 

Hu­mor­voll führt Bill durch sein Set und schaut im­mer wie­der auf die Uhr – viel­leicht, um nicht zu über­zie­hen, ob­wohl das ver­mut­lich kaum je­man­den im Pu­bli­kum ge­stört hät­te. Dann star­tet der Haupt­act des Abends: Si­mon De­ckert ali­as Mond­egg. Im Fi­gu­ren­thea­ter stellt der Mu­si­ker sein ers­tes Al­bum zu­sam­men mit Ma­thi­as Schmid (E-Bass), Lu­ci­en Pal­ser (Kla­vier/Vo­cals) und Si­mon Hotz (Ak­kor­de­on/Vo­cals) vor.

Wie das Al­bum be­ginnt auch die Al­bum­tau­fe mit Das neue Schwer. Zwar klingt De­ckerts Stim­me an­fangs noch ver­hal­ten, doch mit je­der Zei­le ge­winnt sie an Si­cher­heit. «Aber viel­leicht», heisst es am En­de des Lie­des, «ist mor­gen schon leicht das neue Schwer.» Und viel­leicht ist ge­ra­de die­ses Spiel mit Leich­tig­keit und Schwe­re das Mot­to des Abends im Fi­gu­ren­thea­ter. Die Mu­sik legt sich fast schwer­mü­tig auf das Pu­bli­kum, um im­mer dann, wenn sie gänz­lich ins Dunk­le zu glei­ten droht, wie­der spie­le­risch auf­zu­bre­chen. 

Et­wa in Gros­se Wel­len, wenn De­ckert mit ho­nig­war­mer Stim­me singt: «Gros­se Wel­len, nehmt mich mit, auf euch wag ich den letz­ten Ritt zum Grund von mei­nem Oze­an. Aber kann ich noch ein­mal die war­me Tas­se in den Hän­den spür‘n? In der Zei­tung blät­tern, wäh­rend mein Sohn drü­ben noch schläft?» 

Klei­ne Va­ria­ti­on, gros­se Wir­kung

Die­ses sanf­te Mä­an­dern zwi­schen Tris­tesse und Leich­tig­keit zieht sich durch fast al­le Songs. Da­bei zieht der Text die Mu­sik. Und wer nicht ge­nau hin­hört, ver­passt so man­ches Wort­spiel. Die­se sei­en, so De­ckert, mal ab­sicht­lich kon­stru­iert und mal zu­fäl­lig ent­stan­den. «Ich ha­be das Ge­fühl, dass klei­ne text­li­che Än­de­run­gen, die dann ei­nen Per­spek­ti­ven­wech­sel er­mög­li­chen, ei­ne schö­ne Art sind, et­was in ei­nem Song­text zum Aus­druck zu brin­gen», sagt De­ckert über sei­ne Ar­beit mit Spra­che.

De­ckerts sprach­li­ches Fein­ge­fühl steht sei­nem mu­si­ka­li­schen Kön­nen in nichts nach. Das wird auch bei My Home­townklar. Der auf schot­ti­scher Du­del­sack-Mu­sik ba­sie­ren­de Song dient der De­kon­struk­ti­on ei­nes kon­ser­va­ti­ven Hei­mat­be­griffs. Bei der Al­bum­tau­fe trägt De­ckert das Stück so­lo vor – oh­ne Mi­kro­fon, oh­ne Band. Er steht al­lein auf der Büh­ne, sei­ne Stim­me füllt den Raum, bis sich schliess­lich Hotz mit Ak­kor­de­on und ei­ner zwei­ten Stim­me da­zu­ge­sellt. Die thea­tra­li­sche In­sze­nie­rung wirkt pa­trio­tisch – nur, dass De­ckert singt: «Mei­ne Hei­mat­stadt ist noch nicht ge­baut … I sing it proud, I sing it loud.» 

Das Al­bum scheint gleich­zei­tig ei­ne Art Rück­blick, aber auch ein Auf­bruch zu sein. Der Al­bum­ti­tel Hier ent­lang mit rei­nem Her­zen passt da ganz gut. In­spi­ra­ti­on da­für fand De­ckert auf ei­nem Denk­mal in Wales, das See­leu­te mahn­te: «Pass this way wi­th a pu­re he­art», be­vor sie ih­re Rei­se an­tra­ten – und ge­nau die­ses Denk­mal ist auch auf der CD zu se­hen.

Im Fi­gu­ren­thea­ter en­det der Abend mit viel Ap­plaus, be­vor sich das Pu­bli­kum dann auf den Heim­weg macht – oder noch für ei­nen Um­trunk in der Bar ver­weilt.

Mond­egg: Hier ent­lang mit rei­nem Her­zen, er­schien am 18. Ok­to­ber auf CD und Band­camp.
Live: 31. Ok­to­ber, 20 Uhr, Schlöss­le­kel­ler, Va­duz.
si­mon­de­ckert.com

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