, 3. August 2015
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Wie man einen Menschen hackt

Biohacker wollen den Menschen mit modernster Technik, Medikamenten und einem gesundem Lebensstil besser machen. Die Künstlerin Barbara Brülisauer lebt zur Zeit in San Francisco, wo sie sich in einem dreimonatigen Experiment selber hacken will.

Darüber, dass Selbstoptimierung zum Zeitgeist gehört, schreiben sich Soziologen und Feuilletonisten die Finger wund. Eine zahlenmässig kleine, aber radikale Bewegung treibt derweil vom Mainstream praktisch unbemerkt diese Selbstoptimierung in neue Höhen: die sogenannten Biohacker. Sie kombinieren biologische und technische Forschung mit dem Anspruch von Computer-Hackern, bestehende Grenzen überwinden zu wollen. Das Spektrum reicht dabei von Gesundheitsfreaks, die jede ihrer Bewegungen und Nahrungsaufnahmen messen, protokollieren und vergleichen bis hin zu Forschern, die sich ihre elektronischen Gadgets gleich selber in ihre Körper einpflanzen.

Auch die St.Galler Künstlerin Barbara Brülisauer macht sich diesen Sommer mit ihrem Projekt Biohack Myself zum Versuchsobjekt: Seit Anfang Juli befindet sie sich für einen dreimonatigen Aufenthalt in San Francisco. Dort will sie mittels Biohacking ihre künstlerische Kreativität optimieren.

Diesen Prozess wird sie minutiös dokumentieren. Die gesammelten Daten und Erkenntnisse werden mit anderen Biohackern geteilt und auf Brülisauers Blog veröffentlicht und kommentiert.

Die Stadt an der US-Westküste biete sich für das Projekt ideal an, sagt die 40-jährige Brülisauer: «San Francisco war ein Eldorado der Hippies auf der Suche nach Sinn, Bewusstseinserweiterung und Persönlichkeitsentfaltung. Es scheint fast, als habe die Ausschöpfung und Optimierung aller Potentiale dort angefangen.»

Kaffee, Vitamine, Amphetamine

Als «Durchschnittsmensch» sei sie zudem bestens für ein solches Biohacking geeignet. Ihre Selbstüberwachung soll lückenlos geschehen: Während des Schlafs trägt Brülisauer ein Stirnband, das ihre Hirnaktivitäten aufzeichnet. Tagsüber führt sie Tagebuch führen zu Dingen wie Stimmung, Produktivität, Schlafqualität, Nahrungsaufnahme, sportlicher Betätigung und Stress. Letzterer ist manchmal sogar erwünscht: «Unter Stress bin ich kreativer und produktiver.» Um den Körper zu stressen, wolle sie beispielsweise einen Kilometer in hohem Tempo rennen und sich unmittelbar danach an ihre Arbeit setzen.

Brülisauer will zudem Yoga, Meditation, Kreativitätstechniken sowie «alle legalen Enhancements» ausprobieren. Unter Enhancements (to enhance = verbessern, steigern) kann man von Kaffee über Vitaminpillen oder Medikamenten bis hin zu Amphetaminen alles verstehen.

Die Stadt St.Gallen sprach Brülisauer für das Projekt Biohack Myself einen Werkbeitrag von 10’000 Franken zu – allerdings erst, nachdem sich die Kommission für Kulturförderung versichert hatte, dass die Künstlerin dabei auf illegale Substanzen verzichten wird.

Dass sie sich zum eigenen Versuchsobjekt macht, hat in Brülisauers künstlerischem Schaffen Tradition: Für ihre Abschlussarbeit an der Basler Hochschule für Kunst und Gestaltung lebte Brülisauer 2010 während eines halben Jahres in ihrem Bürgerort Appenzell, aus dem ihr Vater stammt. «Ich ging zu möglichst vielen kulturellen, religiösen und politischen Veranstaltungen, gab mich katholisch und bürgerlich und integrierte mich ins Dorfleben», sagt Brülisauer. Dieses Experiment, das die Innerrhödler Volksseele erkundet, dokumentierte sie unter dem Titel Gott macht schön mit einem Essay sowie Video- und Fotoaufnahmen.

Auch aus ihrem Aufenthalt in San Francisco soll eine künstlerische Arbeit entstehen. Noch ist allerdings unklar, in welcher Form. Bei der Wahl ihrer Materialien und Medien ist Brülisauer sehr vielseitig. So stellte sie im vergangenen Jahr im Kunstraum Nextex eine ausgeklügelte Installation aus, einen mehrstufigen Brunnen mit Rosenwasser. Dieser war inspiriert vom Satz «Revolutionen macht man nicht mit Rosenwasser», der kurz nach dem Ausbruch der französischen Revolution zum geflügelten Wort wurde.

Sektiererische Züge

Revolutionen und Biohacking haben eines gemeinsam: Sie werden von der Hoffnung auf einen besseren Menschen und letztlich eine bessere Gesellschaft angetrieben. Eine der extremsten Spielarten ist im Biohacking der Transhumanismus. Dieser strebt etwa die Aufhebung des Alterns, die Schaffung künstlicher Intelligenz, die Kontrolle der eigenen Psyche sowie allgemein die Überwindung menschlichen Leidens und die Ausbreitung des Menschen im All an. Visionen, die in ihrem unbedingten Glauben an die Zukunft etwas quasireligiöses, manchmal gar sektiererisches haben.

Tatsächlich zieht sich die Beschäftigung mit Utopien und Hoffnungen der Menschen auch wie ein roter Faden durch die Arbeit der Künstlerin. Die  Inspirationen dafür kommen immer von unterwegs, von der Strasse sozusagen: Brülisauer bereiste die Mongolei, China, Japan, Polen, Kasachstan, Venezuela, den Iran. 2012 verbrachte sie ein halbes Jahr in Kairo und dokumentierte die postrevolutionären Träume von ägyptischen Gemüsehändlern. In den USA – wo sich der Mythos des amerikanischen Traums hartnäckig hält – hält sie sich diesen Sommer zum ersten Mal auf.

barbarabruelisauer.com

Titelbild: Der Terminator, eine Schreckensgestalt an der Grenze zwischen Mensch und Maschine. (Bild: pd)

Dieser Beitrag erschien erstmals im Juni-Heft von Saiten.

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