La Tramontana, das ist ein kalter, meist böiger Wind, der über die Alpen hinweg nach Italien weht. Er kann klar machen, was zuvor von Dunst getrübt war. Oder alles aufstäuben und durcheinanderbringen.
Genau so liest sich Monika Schnyders neuer Gedichtband Tramontana: Gedichte, die Sprache, Beobachtungen, Alltägliches sowie Erinnerungen aufwirbeln und zu etwas Neuem formen. Die vom Literaturhaus St.Gallen organisierte Buchvernissage findet am 8. Mai im Raum für Literatur statt.
«Viel Wind viele Poeten und historische Palazzi»
Die 1945 geborene und in St. Gallen lebende Lyrikerin verwebt eigene Eindrücke von ihren Reisen – seien es Aufenthalte am Meer, Besuche in Cafés oder Spaziergänge – mit Historischem, Mythischem und Modernem. Der Band gliedert sich in sechs unterschiedlich fokussierte Teile: Gemachte Wetter befasst sich mit Winden und Stürmen, spürt deren Einfluss in der Menschheitsgeschichte nach. Mit un gelato al limone nimmt uns Schnyder mit nach Italien in stimmungsvolle Szenerien, wobei Ort und Datum jeweils auf den Entstehungskontext des Gedichts verweisen. Störfrequenzen zersplittert Robotik, Bots und Sternenkunde in poetisch-philosophische Splitter, während Tief tiefer am tiefsten in Vergangenheiten eindringt und Grenzen der Vorstellungkraft austestet.
Schliesslich schreibt die Autorin auf und von Texel, der westlichsten bewohnten Friesischen Insel. Diverse Themen also, aber erkennbar bleibt stets das Nachdenken und Beobachten von Natur und ihrer Verbindung zu den Menschen. Und in jedem Satz ist Schnyders Freude an der Sprache deutlich spürbar.
«ERDMANTEL MANTEL
des Schweigens ein Schweifstern
narkotische Stimmen. Der Mond sein
kaltes Herz»
Eine Freude, die sich direkt auf die Lesenden überträgt. Durch den ganzen Band ziehen sich Formexperimente und Wortspiele; von Lautmalereien und dialektalen Einschüben mitten im Satz, über Kreisstrukturen und Wortneuschöpfungen wie «Entenkükenwetter» bis hin zu Binnenreimen und dadaistischen Elementen. Auch mit Wiederholungen – wie dem vorherigen Erdmantel Mantel – arbeitet Schnyder oft, was je nach Kontext wie eine Zauberformel an die Natur wirkt.
Die Texte klingen nicht nur schön, sondern bescheren auch immer wieder ein Schmunzeln; zum Beispiel, wenn das Einfallen von Hunnen mit Tourismus-Anstürmen auf Cafés verglichen wird oder das niederländische Wort für Pilz (paddenstoel) wörtlich als «Stühle für Kröten» übersetzt wird. Gerade das Unkonventionelle, das Überraschende und die Begeisterung an Kleinigkeiten machen den Reiz des Buches aus und sorgen dafür, dass man am Ende gerne noch mehr gehabt hätte.
«Galgenvögel kreisen und krächzen ihr Nevermore»
Tramontana ist eine Flut an Bezügen – Geschichtliches, Lokales, Traditionelles, Literatur, Musik. Die Eisheiligen, Edgar Allen Poe, ein Restaurant in Asti; es ist schier unmöglich, alle Verweise zu entdecken und zu verstehen. Das ist nicht weiter schlimm, da die Gedichte kurz sind und man sich einfach vom wogenden Rhythmus der Worte weitertreiben lassen kann.
Schnyder hat keine Angst vor Anglizismen oder anderen Fremdsprachen. Ohne Rücksichtnahme wird in Italien Italienisches (mare e terra), im Allgäu Bayrisches (g’scheit) und auf Texel Niederländisches (een bromfiets toetert) eingestreut. Ein Gedicht ist sogar komplett auf Niederländisch verfasst und das Glossar liefert keine Übersetzung, sondern lediglich den Anstoss «zum Mitraten».
Das Buch ist wie die Tramontana selbst: Manchmal sanfter, manchmal stürmischer, aber stets erfrischend und überraschend. Und lässt man sich mitreissen, geht man auf eine Reise durch die Zeit, durch die Welt, durch Alltag und Ausnahme. Man muss nicht alles verstehen. Solange man sich darauf einlässt, kann man die Räume zwischen Sprachwitz und Weltneugier, zwischen Formexperiment und Reiselust, zwischen «Schirmpinien und Palmen» erforschen. Somit ist Monika Schnyders Tramontana eine gelungene und abwechslungsreiche Gedichtsammlung, die im Gedächtnis bleibt.
«Wir werden uns daran erinnern
vielleicht beim nächsten Candle
Light Dinner»
Monika Schnyder: Tramontana. Caracol Verlag, Arbon 2025.
Buchvernissage mit der Autorin, 8. Mai, 19.30 Uhr, Raum für Literatur, St.Gallen.