Australien: Weisser Sand, Bäume, türkisfarbenes Meer, Wellen, die gesurft werden wollen, und ein leichter Wind, der durch die Eukalyptusbäume weht. Die Orte, an denen Karin Ochsner lebt, sehen aus wie das Paradies. Sie lebt jedoch nicht dort, weil sie Lust auf paradiesische Idylle hat oder ein Buch über Aussteiger:innen schreibt – nein. Karin Ochsner muss dort leben, um zu überleben.
Die 48-jährige Goldacherin leidet unter zahlreichen Allergien. Ihr Körper reagiert auf fast alle Nahrungsmittel, auf Süsswasser, Schimmel, bestimmte Textilien und Materialien. Auch Bakterien auf ihrer Haut und in ihrem Verdauungssystem lösen allergische Reaktionen aus. Manchmal fühle es sich an, als wäre sie allergisch auf sich selbst, erzählt Karin Ochsner in ihrem aktuellen Film Mehr als Abenteuer.
Die Dokumentation feierte ihre Schweizer Premiere Mitte August in Goldach. Zuvor war sie an diversen internationalen Filmfestivals zu sehen und wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Bereits 2019 hatte Ochsner mit Spendengeldern einen Film produziert: Mehr als überleben sollte vor allem dazu dienen, ihrem Umfeld ihre Krankheit zu erklären und für Verständnis zu sorgen – auch bei sich selbst. Darin zu sehen ist ihr Alltag, ihr Leben unter Planen – auf die sie nicht allergisch reagiert – und die mal stärkeren und mal schwächeren Symptome ihrer Krankheit.
Nun hat sie einen zweiten, längeren Film ebenfalls mithilfe von Spendengeldern produziert, gemeinsam mit dem südafrikanischen Filmemacher Andy Bowles. Mehr als Abenteuer zeigt die Vergangenheit von Ochsner – auch der Alpstein hat einen spektakulären Auftritt, und ihre Mutter kommt zu Wort. Es geht aber auch um das Berufsleben der Schweizerin: Wie sie sich in Australien ein neues Leben aufgebaut hat und als Surflehrerin und Outdoor-Pädagogin arbeitet – Berufe, denen sie nachgehen kann, weil sie im Salzwasser und an der frischen Luft stattfinden.
Surfen um zu überleben
In vielen wunderbaren Landschaftsaufnahmen werden Orte gezeigt, an denen Karin Ochsner gelebt hat. Der Film zeigt aber auch den strengen Alltag: die stete Suche nach einem keimfreien, trockenen Schlafplatz und das Leben im und am Salzwasser. Denn dort fühlt sie sich am wohlsten – in den Wellen, beim Surfen. Bakterien können im Salzwasser nicht leben und deshalb braucht Ochsner es zum Überleben. Daneben kommen Ärzte, Therapeutinnen und Surfer:innen zu Wort. Sie alle kennen Ochsners Geschichte und zeigen sich sichtlich beeindruckt von der Schweizerin. Auch die Nachfahren der indigenen Bevölkerung spielen im Film wie auch im Leben von Ochsner eine wichtige Rolle: Sie wissen, wie man im Einklang mit der Natur lebt, und lassen sie auf ihrem Land leben.

Die Goldacherin lebt alleine in der australischen Wildnis. (Bild:pd)
In der eineinhalbstündigen Dokumentation wird vor allem eins klar: Karin Ochsner gibt nicht auf. Sie lacht immer. Und kein Problem ist zu gross für die Goldacherin, die einst als Primarlehrerin in der Ostschweiz arbeitete. Ihr Leben besteht durch die Allergieschübe aus lauter Hochs und Tiefs und noch mehr Kompromissen. Wenn die Sonne scheint und sie im Salzwasser ist, ist alles gut. Aber wenn der Regen kommt, muss sie umdenken, planen und vor allem trockenbleiben, ohne sich unter Betondächer stellen oder in ein Haus mit vier Wänden zurückziehen zu können. Während sie also zwischen etlichen Schirmen und Blachen sitzt, die Hände in Gummihandschuhen, gekleidet in Regenponcho und Gummistiefel, sagt sie lachend: «Es ist nicht so schlimm, die Sonne kommt ja wieder, dann wird alles wieder gut.»
Es ist beeindruckend, zuzuschauen, wie motiviert und anpassungsfähig die 48-Jährige ist – oder besser gesagt: sein muss. Nicht nur um zu überleben, sondern auch um zu gedeihen. Im Original heisst der Film entsprechend Surviving to thriving. Genauso beeindruckend ist, welche Rolle die Natur, das Salzwasser und die Sonne für ihre Gesundheit spielen.
Alles hängt zusammen
Allerdings verliert die Dokumentation stellenweise an Ernsthaftigkeit, wenn Ochsner Szenen aus ihrem Leben nachstellt. So spricht sie im Halbportrait über die ernsten Folgen ihrer Allergien, über die Momente, in denen es ihr schlecht geht, und erklärt, was dann mit ihrem Körper passiert. Dazu werden die von Ochsner offenbar nachgestellten Szenen eingespielt, die durch theatralische Gesten überzeichnet wirken und so der Sequenz etwas an Glaubwürdigkeit nehmen. Dabei wäre gerade diese Passage wichtig, um die schwere und oft mysteriös wirkende Krankheit besser verstehen zu können.
Im Verlauf der Dokumentation werden auch immer wieder Geschichten und Erlebnisse aus Ochsners Leben erzählt, die mit bedrohlicher Musik untermalt sind – wohl, um sie dramatischer wirken zu lassen. Leider erscheinen auch diese Sequenzen dadurch teilweise überspitzt, sodass man sie als Zuschauer:in zwiespältig wahrnimmt.
Gleichzeitig sind diese Erzählungen wichtig für den Film. Denn wie es so oft ist im Leben, hängt eben doch alles immer irgendwie zusammen. So begegnet Ochsner mitten in ihrem Heilungsprozess einem Hai – einem Tier, das sie seit ihrer Kindheit verängstigt. Doch statt Panik steigt in ihr Wut auf. Verbal schlägt sie das Tier in die Flucht und erkennt später die davongetragenen Wunden als Teil des Heilungsprozesses. Lachend erzählt Karin Ochsner der Kamera, was für einen positiven Effekt die Hai-Attacke auf ihr Leben hatte.
Mehr als Abenteuer:
2. Oktober, 19.30 Uhr, Kino Roxy, Romanshorn
3. Oktober, 20 Uhr, Kino Rosenthal, Heiden