, 4. Juni 2014
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Als Radium in Teufen für einen Skandal sorgte

Biel macht Schlagzeilen mit einer verschwiegenen Radium-Verseuchung. Der Stoff stammte aus dem ausserrhodischen Teufen, das vor 35 Jahren einen Umweltskandal erlebte.

Wer erinnert sich noch an den Radium-Skandal in Teufen AR? Der fand 1979 statt und erregte über Monate die Gemüter. Auslöser waren anonyme Plakate und Flugblätter mit dem Titel «Radioaktivität verseucht Teufen». Dabei wurde die Firma Radium Chemie AG an der Speicherstrasse als Umweltverschmutzerin angeprangert.

Die Firma von Albert Zeller arbeitete seit 1935 mit radioaktiven Stoffen wie Radium, Strontium oder Tritium. Diese wurden als Leuchtfarben für Zifferblätter in der Uhrenindustrie sowie auch für militärische Geräte verwendet. Zellers Exporte gingen bis nach China und in die USA.

Es gebe überhöhte Strahlenwerte in der Umgebung der Firma, so der Vorwurf. Die Firma dementierte. Und auch die Gemeinde: Es bestehe keine Gefahr für die Bevölkerung. Doch als ein Arzt die anonymen Angaben bekräftigte, musste der Teufner Gemeinderat handeln. Er bestellte bei den Bundesstellen einen Untersuchungsbericht. Nachbarn konnten zudem gratis ihren Urin analysieren lassen. Fast alle machten davon Gebrauch.

Im Bericht der eidgenössischen Fachstellen wurde zugegeben, dass auf dem Fabrikgelände überhöhte Strahlenwerte festgestellt wurden. Es gebe aber keine lose, sondern nur eine fixierte Radioaktivität, was keine Gefahr darstelle.

Das Bundesamt für Gesundheitswesen empfahl die Sanierung des kontaminierten Geländes. Dort befand sich die «Villa Zeller», das Wohnhaus des verstorbenen Firmengründers. Und dort hatte just der Arzt gewohnt, der mit seinen Aussagen die Untersuchung ins Rollen brachte.

Danach ebbte der «Skandal» bald wieder ab. 1985 war schon wieder alles vergessen. Dazu trug auch der bekannte Historiker Georg Thürer bei, der in Teufen wohnhaft war. In einem Artikel über das 50-Jahr-Jubiläum der Firma in der «Appenzeller Zeitung» erwähnte er die Aufregungen um die Kontaminationen mit keinem Wort.

Die Geschichten von Teufen und Biel zeigen den früher sorglosen Umgang mit radioaktiven Stoffen, deren Risiken in der Vor-Tschernobyl-Ära noch wenig bewusst waren. Und das behördliche Verschweigen von unangenehmen Tatsachen. Das bis heute Usus geblieben ist.

Apropos: Die Firma Radium Chemie AG gibt es nicht mehr. Wohl aber eine Nachfolgerin. Sie stellt unter anderem immer noch Uhren-Leuchtfarben her. Aber mit Radioaktivität haben diese nichts mehr zu tun.

 

«RADIUM als Kurmittel im eigenen Heim. Der natürliche Weg zur Gesundheit!» Prospekt für «Dr. Diehls Radium Trinkapparate», für die der Apotheker Albert Zeller in Teufen den Alleinvertrieb für die Schweiz hatte, 1937. (Bild: Tüüfner Post)

3 Kommentare zu Als Radium in Teufen für einen Skandal sorgte

  • Rubel sagt:

    … Es war nicht nur der Arzt, sondern auch der angrenzende Landwirt, der bemerkte, wenn immer sein Vieh (Kühe) in einer Weide weidete, mind. eine Kuh die selbige Krankheit erhält. Die Verbindung zu den Rissen im Haus des Arztes lag plötzlich nahe. Ich bin als Nachbar der Radium Chemie aufgewachsen und Lebe noch immer. Als jugendlicher war es aber auch lustig, wenn jeweils Leute von Bern ums Haus schlichen mit irgendwelchen Geräten und Papier in den Händen… und wir durften, natürlich mussten über eine Zeit monatlich in ein „Fläschli“ „pissen“. Und anschliessend wurden die schwarzen Plastiksäcke mit all dem kontaminierten „Dreck“ überall bis zum Abtransport gelagert. Die täglich Milch dieses Bauern hinterliess aber keine Spuren. Oder doch- ist meine momentane „Halscheri“ nun evtl. diesem Umstand zuzuschreiben???

  • Money makes the world goes round sagt:

    Und was bitte hat sich in Teufen seit dem geändert? Trotz „Sanierung“ (auf Kosten des Steuerzahlers natürlich, schliesslich ist die Geschichte ja schon längst verjährt und der Gründer verstorben) sind weite Teile um das Gelände der Firma kontaminiert. Staatlich diktierte Kontrollmessungen der Gemeinde werden tunlichst weit weg auf dem Gemeindegebiet durchgeführt um ja nicht auf unangenehme Strahlungen zu stossen. Ich hoffe dass hier endlich mal jemand die entsprechenden Stellen wachrüttelt und das „Wegschauen und nichts wissen wollen“ mal ein Ende hat. Zum Glück ist dies heute einfacher im Zeitalter von Internet. Ausserdem ist durch viel Neuzuzüger die ganze Vetternwirtschaft nicht mehr so stark! Teufen die Radiumterrasse im Appenzellerland…

  • Jonas M L sagt:

    Ja, das waren Radium – Ampullen mit der Aufschrift „Radium Chemie AG“ (gelb leuchtend). Die hatten wir Kistenweise im Estrich meiner Lehrfirma am Bodensee. Als ich diese fand, wurde die SUVA eingeschaltet. Estrich und Zwischenstock musste der Holz-Boden übers Wochenende abgeschliffen werden. Sie kamen in Bleifässer und wurden im Ärmelkanal versenkt. Wenn ich darüber geredet hätte, hätte ich die KV-Lehre vergessen können. War 1980. Gab auch noch nen Ableger in Konstanz. Der alte Chef sagte mir, dass in besagter Gemeinde am Bodensee die Nacht hell beleuchtet war (Schornstein), die Haare und Fingernägel der Frauen läuchteten. Ich hatte noch einige Ampullen behalten, hab sie meinem Chemielehrer gebeben. Bekam von ihm den Geigerzähler. Der hatte nen durchgehenden Ton, das Zählwerk kam nicht mehr nach. Dies war im Jahre 1980 und an die Radium Chemie AG in Teufen erinnere ich mich auch bestens.

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