Der Dichter hinter dem Journalisten

Peter E. Schaufelberger-Breguet ist eine Ostschweizer Journalismus- und Publizistik-Legende. Kaum bekannt war bisher, dass er auch ein Lyriker ist. Das ändert sich jetzt mit der VGS-Publikation Ganz privat – Gedichte und Telefonzeichnungen.

Der Ti­tel von Pe­ter E. Schau­fel­ber­ger-Ber­guets Ly­rik­band Ganz pri­vat – Ge­dich­te und Te­le­fon­zeich­nun­gen ist zu Recht ge­wählt, denn ei­gent­lich schreibt Pe­ter E. Schau­fel­ber­ger sei­ne Ge­dich­te, oh­ne an ein Pu­bli­kum zu den­ken: «Schreib die Ver­se nicht auf, / hier liest sie kei­ner. / Birg sie / in Sät­zen, / die kei­nem ver­däch­tig. / Oder ver­giss, / wenn Du kannst.» Nur sel­ten hat er an­ders ge­han­delt, et­wa 1986 mit drei Ge­dich­ten in der An­tho­lo­gie «Schreib­werk­Stadt St.Gal­len – Mo­ment­auf­nah­me Ly­rik» oder 1979 mit ei­nem Ge­dicht im St.Gal­ler Tag­blatt nach ei­ner Le­sung des von ihm hoch­ge­schätz­ten St.Gal­ler Ly­ri­kers Jo­seph Kopf.

Als Si­mo­ne Schau­fel­ber­ger-Bre­guet dem Ver­lag ei­ne Aus­wahl von Ge­dich­ten vor­leg­te, mein­te sie, sie ent­sprä­chen wohl nicht dem, was heu­te als zeit­ge­nös­si­sche Ly­rik An­er­ken­nung fin­de. Und Pe­ters Te­le­fon­zeich­nun­gen sei­en oh­ne je­den künst­le­ri­schen An­spruch ent­stan­den. Gut, dass der Ver­lag an­de­rer Mei­nung war. Er macht es nun mög­lich, wie Hans­pe­ter Spör­ri, der sei­ne glanz­vol­le jour­na­lis­ti­sche und pu­bli­zis­ti­sche Lauf­bahn un­ter Schau­fel­ber­ger be­gann, in sei­nem Vor­wort fest­hält, ei­ne ganz pri­va­te Sei­te von ihm ken­nen­zu­ler­nen und ei­nen in­ti­men Ein­blick in des­sen skep­ti­sches Den­ken, sei­nen Rea­lis­mus, sein Spiel mit Iro­nie, sei­ne Fä­hig­keit zur Fo­kus­sie­rung, zu Acht- und Wach­sam­keit zu er­hal­ten. 

Ge­gen Ver­öf­fent­li­chung ge­wehrt

Si­mo­ne Schau­fel­ber­ger-Bre­guet be­rich­tet in ih­rer Ein­lei­tung, wie sehr sich ihr Mann stets ge­gen ei­ne Ver­öf­fent­li­chung sei­ner nicht jour­na­lis­ti­schen Tex­te wehr­te und sie in ei­ner Schub­la­de lan­de­ten, wo sie lan­ge Jah­re schlum­mer­ten. Die­sen Wunsch ha­be sie eben­falls jah­re­lang re­spek­tiert. Doch, so fragt sie, «ist es nicht eben­so re­spekt­voll, die­ser schub­la­di­sier­ten Spra­che end­lich Raum, Atem, Sicht­bar­keit und Ge­hör zu ver­schaf­fen?» Und dies nicht, «um die Welt zu ver­än­dern, nicht um Be­rühmt­heit zu er­lan­gen, Spra­che kann spre­chen oder schwei­gen». 

Ge­schlum­mert in der Schub­la­de ha­ben auch Schau­fel­ber­gers Te­le­fon­zeich­nun­gen, die der «écri­tu­re au­to­ma­tique» zu­zu­rech­nen sind. Sie sind oh­ne Plan am Schreib­tisch ent­stan­den, wäh­rend ei­nes Ge­sprächs, in Mo­men­ten höchs­ter Kon­zen­tra­ti­on, «die», wie sie Si­mo­ne Schau­fel­ber­ger be­schreibt, «al­ler­dings nicht der Zeich­nung gilt, son­dern ei­nem The­ma, ei­nem Pro­blem, ei­ner Sinn­su­che, ei­nem In­halt, der vol­le Auf­merk­sam­keit ver­langt». 

Schau­fel­ber­gers Ge­dich­te sind wohl nicht mo­dern, aber den­noch zeit­ge­mäss. Sie sind meist dun­kel und schwer, «be­rüh­ren das Ge­heim­nis des Un­sag­ba­ren» (Si­mo­ne Schau­fel­ber­ger), und ih­re stän­di­gen Be­glei­ter sind oft der Tod oder die Ver­zweif­lung: «Ich le­be in der Küh­le des To­des / im Schat­ten des Eich­baums / und war­te / bis das Boot her­über­kommt. / Durch das Ge­äst / fliesst die Licht­bahn / des Mon­des. / Im Mö­ven­ge­krin­gel / trägt mich der Kahn / hin­über.» 

Spra­che und Po­li­tik

Wie sehr sich Schau­fel­ber­ger um die Ge­nau­ig­keit der Spra­che be­müht, zeigt sich im Ab­schnitt «Va­ria­tio­nen». Er er­öff­net sein Bei­spiel mit: «Auf schma­len Schul­tern / trug ich den Tod., und be­ginnt die Va­ria­ti­on mit: Hockt mir der Tod im Na­cken, / schrei­en im Kirsch­baum die Doh­len.» 

Aber auch po­li­ti­sche The­men be­schäf­ti­gen ihn, et­wa wenn er auf das Mas­sa­ker im Dorf­teil My Lai, an­ge­rich­tet von US-Trup­pen wäh­rend des Viet­nam­krie­ges, re­agiert: «Es wa­ren Fein­de, Sir, / nicht Men­schen, / sag­te der Leut­nant, / und die Frau­en und Kin­der / sind in­zwi­schen / ord­nungs­ge­mäss / be­stat­tet wor­den. / Über den Grä­bern / krei­sen die Gei­er / ver­geb­lich. Und ent­setzt fügt er an: Al­so / ist die Welt / wie­der in Ord­nung. / Die Gei­er / ver­hun­gern nicht, / so­lan­ge die Fein­de / nicht die Men­schen sind.» 

Wie­der an­de­re Ge­dich­te sind auf Rei­sen ent­stan­den. Oder in dem von ihm ge­lieb­ten Pa­ris. Den­noch sind auch die Pa­ris-Ge­dich­te dun­kel ge­färbt: «Die Nacht tropft in die Hin­ter­hö­fe, / in de­nen sich der Wind ver­fängt. / Aus ei­nem Fens­ter­vier­eck sau­gen blin­de Mau­ern / das Licht, das in den Storen hängt. / Die Uhr des Pfört­ners schlägt die Vier­tel­stun­de, / ein Pu­del win­selt Ein­lass hei­schend auf. / Im Trep­pen­haus Ge­schell und Tritt­ge­klap­per, / ver­wischt von ei­nem auf­ge­stör­ten Lauf.»

Ein hei­te­rer Kon­trast zur vor­herr­schen­den Dun­kel­heit, Schwe­re und In­tro­spek­ti­on bil­den die den Band ab­schlies­sen­den 13 «Mai­kä­fer­ge­schich­ten», die zum Teil ge­reimt sind: «Mai­en­kä­fer, spät ge­bo­ren, / fühl­te sich im Mai ver­lo­ren. / Sah sich schon als jung ver­stor­ben, noch be­vor er recht um­wor­ben / all die hüb­schen Kä­fer­da­men. / Oder lag’s viel­leicht am Na­men? / Item: Aus dem Mai­en wur­de / flugs ein Ju­ni, und seit­her / fliegt der Mai­en-Ju­ni-Kä­fer / ei­nen gan­zen Mo­nat mehr.»

Der rund 80 Sei­ten Ge­dich­te und Te­le­fon­zeich­nun­gen um­fas­sen­de schma­le und schön ge­stal­te­te Band ist ei­ne will­kom­me­ne und ver­dien­te Wür­di­gung für Pe­ter E. Schau­fel­ber­ger.

Pe­ter E. Schau­fel­ber­ger: Ganz pri­vat – Ge­dich­te und Te­le­fon­zeich­nun­gen. VGS Ver­lag, St.Gal­len 2025.
Buch­ver­nis­sa­ge: Sonn­tag, 22. Ju­ni, 11 Uhr, Thea­ter Trou­vail­le, St.Gal­len.
thea­ter-trou­vail­le.ch