Ein Museum im Windschatten des Appenzellerlandes 

Herisau in alten Bildern (Bild: pd)

Wer einmal historische Museumswelten erleben will, die nicht das chic inszenierte Einerlei bieten, das man sonst oft erlebt: Da ist das Museum im Alten Rathaus in Herisau eine gute Adresse. Ein Rundgang. 

In der Mu­se­ums­welt zäh­len heu­te Fak­to­ren wie ein klar um­ris­se­ner Mar­ken­kern, So­cial-Me­dia-taug­li­che High­lights und ei­ne raf­fi­nier­te Szen­o­gra­fie. Das Mu­se­um He­ris­au kann da nicht mit­hal­ten. Es steht im Wind­schat­ten der be­kann­ten Mu­se­en in Ap­pen­zell, Urn­äsch und Stein. His­to­risch und geo­gra­fisch ist He­ris­au nä­her an den städ­ti­schen Wel­ten St.Gal­lens und doch auch mit den länd­li­chen Wel­ten des Ap­pen­zel­ler­lan­des ver­bun­den. Und mit sei­nen gut 16‘000 Ein­woh­ne­rIn­nen und sei­nem Tun und Trei­ben ist es ir­gend­wo zwi­schen Dorf und Stadt. Da­mit hat He­ris­au für sein ei­ge­nes Mu­se­um nur be­schränk­te Res­sour­cen, und kein rie­si­ges Pu­bli­kum, das es an­spre­chen könn­te. 

Wie meis­tens bei Lo­kal- und Re­gio­nal­mu­se­en stand auch hin­ter sei­ner Grün­dung ein Ver­ein: der 1946 ge­grün­de­te «His­to­ri­sche Ver­ein He­ris­au und Um­ge­bung». Schon 1947 er­öff­ne­te er im Par­terre des «Hau­ses zum Baum­gar­ten» ein klei­nes Mu­se­um. Aus­ge­stellt wur­den Ob­jek­te zu den Bur­gen von He­ris­au, Ap­pen­zel­ler Kul­tur­gut und Ob­jek­te aus der aus­ser­rho­di­schen Ge­schich­te. 1967 fand dann die Er­öff­nung am heu­ti­gen Stand­ort statt, im Al­ten Rat­haus von He­ris­au.

Dreis­sig Jah­re spä­ter be­gann man mit ei­ner mehr­jäh­ri­gen Um­ge­stal­tung und Sa­nie­rung. His­to­risch ver­leg­te man das Schwer­ge­wicht auf das 19. und 20. Jahr­hun­dert, auf die bür­ger­lich und in­dus­tri­ell ge­präg­ten Le­bens­wel­ten des Ap­pen­zel­ler­lan­des. Son­der­aus­stel­lun­gen öff­ne­ten in­ter­es­san­te Fens­ter in die Ge­schich­te, von der Wirt­schafts- bis zur Men­ta­li­täts­ge­schich­te. 2006 setzt dann ei­ne Pro­fes­sio­na­li­sie­rung ein. Das Mu­se­um er­hielt ei­ne Ku­ra­to­ren­stel­le, die Ver­mitt­lung wur­de aus­ge­baut.

Von Schrän­ken und Pro­phy­la­xen

Doch ge­nug der Mu­se­ums­ge­schich­te. Was bie­tet die Dau­er­aus­stel­lung in den zwei­ein­halb Stock­wer­ken heu­te? Die Ein­bli­cke in die Ge­schich­te von He­ris­au und dem Ap­pen­zel­ler­land sind breit. Sie rei­chen vom Ver­kehrs­we­sen bis zur ge­ho­be­nen bür­ger­li­chen Wohn­kul­tur mit ih­ren be­mal­ten Schrän­ken, vom Ge­sund­heits­we­sen bis zum Müh­len­ge­wer­be und las­sen al­ler­lei span­nen­de, reiz­vol­le Ent­de­ckun­gen ma­chen.

Das Le­ben frü­he­rer Jahr­zehn­te und Jahr­hun­der­te prä­sen­tiert sich in die­sem Mu­se­um nicht chic und ef­fekt­voll in­sze­niert, son­dern stim­mi­ger: als Mi­schung un­ter­schied­lichs­ter Rea­li­tä­ten. Als Ne­ben­ein­an­der, Mit­ein­an­der, Ge­gen­ein­an­der. Man könn­te so­gar sa­gen: als Durch­ein­an­der von Ob­jek­ten und Bil­dern, Tex­ten und The­men.

Hin­reis­send ist et­wa der be­mal­te Schrank, den Jung­fer An­na Bar­ba­ra Er­bar aus Urn­äsch 1819 zur Kon­fir­ma­ti­on er­hielt. Auf 12 Dar­stel­lun­gen zeigt er ei­ne ver­kehr­te Welt. Er wagt ei­nen Blick in sie und gibt doch zu ver­ste­hen: «So weit darf es nie kom­men.» Da sieht man z.B. ei­nen Pa­pa­gei, der ei­nem Men­schen Wör­ter lehrt, oder ei­nen Mann, der am Spinn­rad sitzt, wäh­rend die Frau ne­ben ihm steht. Sie ist hier der Chef, und da­mit man das so­fort rea­li­siert, hängt an ih­rer Sei­te der Lands­ge­mein­de-De­gen – bis die Aus­ser­rho­de­rin­nen auch an die Lands­ge­mein­de durf­ten, soll­te es 1990 wer­den.

Einn Schaufenster über die Kropfprophylaxe (Bild: pd)

Span­nend sind die Ein­bli­cke ins Ge­sund­heits­we­sen. Wer weiss zum Bei­spiel noch, dass die Kur­an­stalt Hein­richs­bad in He­ris­au im 19. Jahr­hun­dert wäh­rend ei­ni­gen Jahr­zehn­ten zu den füh­ren­den Adres­sen Eu­ro­pas ge­hör­te? Und wer hat noch ei­ne Ah­nung von den Kröp­fen, mons­trö­sen Aus­wüch­sen am Hals, die frü­her zum All­tag ge­hör­ten? Wich­ti­ge Im­pul­se zu ih­rer Pro­phy­la­xe ka­men in den 1920er-Jah­ren von Hans Eg­gen­ber­ger, Chef­arzt am Spi­tal He­ris­au.

Ein Dich­ter in der Kli­nik

Nicht feh­len darf der Dich­ter Ro­bert Wal­ser (1878–1956), der sei­ne letz­ten 23 Jah­re in der Kli­nik He­ris­au ver­brach­te. Ei­ne Ge­schich­te, die man in­zwi­schen kennt? Das Ro­bert-Wal­ser-Zim­mer im Mu­se­um He­ris­au bie­tet neue Zu­gän­ge, ein­ge­bun­den in die Le­bens­wel­ten von He­ris­au und der Ost­schweiz.

Das Robert-Walser-Zimmer (Bild: pd)

Das viel­leicht über­ra­schends­te Ob­jekt – so­fern man hier über­haupt von ei­nem Ob­jekt re­den kann – ist ein le­bens­gros­ses Pferd, ein «aus­ge­stopf­tes», wie man frü­her sag­te. Ein le­bens­gros­ses Pferd er­war­tet man wirk­lich nicht hier im Al­ten Rat­haus He­ris­au. Es ist ein «Gremp­ler­ross». Der Mol­ken­grem­pel, der Han­del mit Milch­pro­duk­ten von den Al­pen ge­hör­te zu den wich­tigs­ten al­ten Ge­wer­ben im Ap­pen­zel­ler­land. Der Ab­trans­port er­folg­te bis um 1950 mit Saum­tie­ren. Das Pferd im Mu­se­um trägt das ent­spre­chen­de Zaum­zeug, und auch die La­dung fehlt nicht. 

Und was fehlt in die­sem Mu­se­um? Was wä­re zu ver­bes­sern? Da lies­se sich durch­aus ei­ni­ges auf­füh­ren. An die­ser Stel­le mö­ge ein Punkt ge­nü­gen: Man wür­de ger­ne Kon­kre­te­res über He­ris­au sel­ber er­fah­ren: Was macht He­ris­au his­to­risch aus? Was gibt es für He­ri­sau­er Kli­schees und My­then, Selbst­bil­der und Fremd­bil­der? Wo steht He­ris­au heu­te und was sind sei­ne Per­spek­ti­ven? Denn wenn man da ein­fach durch­fährt, ob mit der Süd­ost­bahn, dem Au­to oder dem Ve­lo, be­kommt man viel zu we­nig von die­sem Ort mit. Und auch auf der ei­ge­nen Frei­zeit-Land­kar­te ist He­ris­au bei vie­len kaum prä­sent.

Mu­se­um He­ris­au, mitt­wochs bis sonn­tags, 13 bis 17 Uhr.
mu­se­umhe­ris­au.ch