Ein Sternchen sorgt für Theater

Es wird diskutiert. (Bild: pd/Jos Schmid)

Die Komödie Kalter Weisser Mann feierte am 12. Juni auf der Parkbühne des Theaters St.Gallen Premiere. Vor ausverkaufter Tribüne im Stadtpark zeigt das Stück eine Zankerei über das wohl kontroverseste Sternchen unserer Zeit.

Es hät­te kei­ne gros­se Sa­che wer­den sol­len. Ger­not Stein­fels ist mit 94 Jah­ren ver­stor­ben, die Be­er­di­gung or­ga­ni­siert sein lang­jäh­ri­ger Mit­ar­bei­ter Mat­thi­as Boh­ne. Nach­kom­men hat Stein­fels nicht, die Fein­wä­sche Stein­fels GmbH war sei­ne Fa­mi­lie. Mit drei sei­ner Se­kre­tä­rin­nen war der Fir­men­chef so­gar ver­hei­ra­tet. Boh­ne ist sich si­cher: Er wird nun end­lich den La­den über­neh­men kön­nen. Be­vor die Gäs­te in die Kir­che strö­men, übt er noch­mals sei­ne An­spra­che. Wäh­rend­des­sen de­ko­riert Edith Schnei­der, die lang­jäh­ri­ge Se­kre­tä­rin (je­doch nie mit Stein­fels ver­hei­ra­tet), die Kir­che mit Ker­zen, Ro­sen­blät­tern und ei­nem gros­sen Por­trät des ehe­ma­li­gen Pa­tri­ar­chen. Die Trau­er­fei­er soll ein wür­de­vol­ler Ab­schied sein.

Der jün­ge­re Teil des Un­ter­neh­mens kommt da­zu: Mar­ke­ting­lei­te­rin Ali­na Berg­rei­ter, So­cial-Me­dia-Ma­na­ger Ke­vin Pa­ckert und die Prak­ti­kan­tin, Kim Ol­kow­ski. Sie ent­de­cken mit Ent­set­zen den Trau­er­kranz, den Boh­ne und Schnei­der be­stellt ha­ben. Da steht auf der Schlei­fe: «In tie­fer Trau­er. Dei­ne Mit­ar­bei­ter.» Ein No-Go, fin­det der jün­ge­re Teil der Grup­pe, ei­ne hit­zi­ge De­bat­te über Gen­dern, Se­xis­mus und po­li­ti­sche Kor­rekt­heit ent­zün­det sich. «Wo­zu ein Stern?» – «Der ist für die Schwu­len.» – «Nein für die LGBT­QIA.» – Das gan­ze que­e­re Al­pha­bet wird er­klärt. Die Prak­ti­kan­tin Kim – selbst que­er – sieht das mit der Schlei­fe am lo­ckers­ten: «Pha, crin­ge.»

Macht und Kreu­zi­gung

Boh­ne ge­rät in die De­fen­si­ve. Er greift zu be­währ­ten Stra­te­gien: Durch­set­zungs­ver­mö­gen und Här­te. Er be­kämpft je­de an­de­re For­mu­lie­rung mit ei­ner Ve­he­menz, dass es al­bern, ja fast wie­der nied­lich ist. Er macht ei­nen auf Platz­hirsch: «Ich bin hier der Chef, das ist mei­ne Be­er­di­gung!» Gleich­zei­tig treibt Berg­rei­ter die De­bat­te im­mer wei­ter in die Hö­he. Sie liebt es, den ver­meint­lich ge­si­cher­ten Chef­ses­sel von Boh­ne wa­ckeln zu se­hen: «Es ist ja nur ein Stern­chen, nicht das En­de der Mensch­heit.»

Es wird bald klar, dass es gar nicht um que­e­re Rech­te geht. Die Dis­kus­si­on um das Gen­dern wird stell­ver­tre­tend für die un­glei­chen Macht­ver­hält­nis­se in der Fir­ma aus­ge­tra­gen. Der Pfar­rer ver­sucht in­des ver­zwei­felt, die 14 Sta­tio­nen des Kreuz­wegs Je­su durch­zu­ge­hen. Er fin­det die De­bat­te da­ne­ben und Schnee von ges­tern: «Se­xis­mus­vor­wür­fe hö­ren wir in der Kir­che seit 2000 Jah­ren.» Bald platzt ihm der Kra­gen, die bro­deln­de Stim­mung kocht über.

Be­kann­tes Team da­hin­ter

Ge­schrie­ben ha­ben das Stück Diet­mar Ja­cobs und Mo­ritz Ne­ten­ja­kob. Die bei­den wa­ren Co­me­dy-Au­toren für Fern­seh­for­ma­te wie Die Wo­chen­show, Strom­berg oder La­dy­kra­cher. Sie ha­ben be­reits das Stück Ex­tra­wurst ge­schrie­ben, das letz­tes Jahr auf der Park­büh­ne ge­zeigt wur­de. Da ging es um ei­nen Ten­nis­club, der sich ei­nen Grill an­schaf­fen woll­te. Ei­ne De­bat­te über Halāl und das Zu­sam­men­le­ben ver­schie­de­ner Kul­tu­ren ent­brann­te. Im neu­en Stück sind in­halt­li­che Par­al­le­len kaum zu über­se­hen und wer­den von Herrn Boh­ne so­gar wie­der auf­ge­nom­men. Und auch schon da­mals war Jo­han­na Böck­li für die In­sze­nie­rung, Co­rin­ne Rusch für die Aus­stat­tung und An­ja Horst für die Dra­ma­tur­gie ver­ant­wort­lich.

Die Mitarbeiter:innen in Trauer. (Bild: pd/Jos Schmid)

Im Ver­lauf des Abends ent­wi­ckelt das Pu­bli­kum für fast al­le Fi­gu­ren ge­wis­se Sym­pa­thien. Man ge­winnt an Di­stanz zur De­bat­te und lacht dar­über. Das Stück schafft es, die Dis­kus­si­on übers Gen­dern nicht ins Lä­cher­li­che zu zie­hen, denn sie wird mit gu­ten Ar­gu­men­ten ge­führt. Die­se sind stark ver­dich­tet und teil­wei­se mit tref­fen­den Ver­glei­chen un­ter­mau­ert. Gleich­zei­tig wird mit der Zeit klar, dass es we­der um Satz­zei­chen noch um Le­ben oder Tod geht. Es geht um ge­gen­sei­ti­gen Re­spekt und Ak­zep­tanz.

Die Ko­mö­die ist mit Si­cher­heit nicht das pro­gres­sivs­te Stück die­ser Thea­ter­sai­son, da­für ist sie zu schwank­haft und hat zu viel Wo­o­pie-Hu­mor (Wo­o­pies sind wohl­ha­ben­de äl­te­re Per­so­nen). Doch sie er­laubt uns, bei ei­ner ak­tu­el­len De­bat­te ei­ne neue Per­spek­ti­ve ein­zu­neh­men: die des la­chen­den Pu­bli­kums. Sie lässt ei­ne Ge­las­sen­heit zu, die im Stück selbst ein­zig von der quee­ren Prak­ti­kan­tin ver­kör­pert wird. In der Ori­gi­nal­fas­sung gibt es ein Hap­py End, doch das St.Gal­ler Team wuss­te, dass ein Plä­doy­er für mehr Ver­söhn­lich­keit auch an­ders funk­tio­nie­ren kann. So viel sei ver­ra­ten: Die bes­te al­ler Mo­ral­pre­dig­ten kommt zum Schluss.

Kal­ter Weis­ser Mann: bis 3. Ju­li auf der Park­büh­ne Gros­ses Haus, Kon­zert und Thea­ter St.Gal­len.

sai­ten.ch/ka­len­der