Freud inszeniert mit

Bewältigt die Rolle der Elektra mit Wucht und Glanz: Sopranistin Eliška Weissová. (Bilder: Edyta Dufaj)

Die «Elektra» von Richard Strauss ist ein Rausch der weiblichen Stimme und Unversöhnlichkeit – am Theater St.Gallen redet das Patriarchat bildstark mit. Ist das jetzt feministisch oder im Gegenteil?

Ihr Hass gilt ih­rer Mut­ter Klytäm­nes­tra, ih­re Lie­be Aga­mem­non, ih­rem Va­ter, den die Mut­ter mit Bei­hil­fe ih­res Ge­lieb­ten Ägisth er­schla­gen hat. Elek­tra ist in die­sem Ker­ker von Hass und in­zes­tuös auf­ge­la­de­ner Lie­be ein­ge­sperrt, aus ihm kennt sie nur ei­nen Aus­weg: Ra­che. Die Mut­ter er­mor­den, mit dem­sel­ben Beil, das Aga­mem­non den Schä­del ge­spal­tet hat.

Elekt­ras Wut­hass durch­tränkt das Li­bret­to von Hu­go von Hof­manns­thal. Kaum je sind fins­te­re­re Wör­ter für die Ab­grün­de der Psy­che ge­fun­den wor­den. Sät­ze wie: «Er­hängt ist dir die See­le in der selbst­ge­dreh­ten Schlin­ge.» Bil­der wie: «Ich füt­te­re mir ei­nen Gei­er auf im Leib.» Oder apo­ka­lyp­ti­sche Ge­sich­te wie der «Dunst des Blu­tes, den die Son­ne nach sich zieht.»

Fest der Frau­en­stim­men

Ri­chard Strauss wü­tet kon­ge­ni­al mit, sei­ne Par­ti­tur ist ein fast zwei­stün­di­ger Auf­schrei, dis­so­nant, to­bend in der Bläs­er­höl­le, klir­rend die Strei­cher, macht­voll die Ak­kord­schich­tun­gen. Chef­di­ri­gent Mo­de­s­tas Pi­t­re­nas be­hält im Tu­mult den Über­blick. Er bän­digt die Klang­mas­sen des Sin­fo­nie­or­ches­ters, gibt den Leit­mo­ti­ven und auch den ra­ren in­ni­gen Mo­men­ten Raum. Strauss woll­te die Mu­sik an die «Gren­zen der psy­chi­schen Po­ly­pho­nie» vor­an­trei­ben. Mehr als hun­dert Jah­re spä­ter schlägt ei­nen die­ses Wag­nis un­ver­än­dert in Bann und wühlt beim Zu­hö­ren Geist und Ge­där­me auf.

Die An­for­de­run­gen an die Sän­ge­rin­nen sind stra­pa­zi­ös – ins­be­son­de­re die Par­tie der Elek­tra, ei­ne der schwers­ten des Opern­re­per­toires über­haupt. Die tsche­chi­sche So­pra­nis­tin Eliš­ka Weis­so­vá be­wäl­tigt sie mit Wucht und Glanz. Syl­via d’Era­mo als ih­re Schwes­ter Chry­so­t­he­mis ver­kör­pert see­lisch wie stimm­lich be­rüh­rend ih­ren Ge­gen­part, Aria­na Lu­cas singt die Ty­ran­nin Klytäm­nes­tra angst­ge­trie­ben und über­ra­schend mensch­lich. Die Die­ne­rin­nen Chris­ti­na Blasch­ke, Jen­ni­fer Pan­a­ra, Mack Wolz, An­na Ma­hon, Ka­li Hard­wick und Kat­ri­ne De­le­ur­an ver­voll­stän­di­gen das glü­hen­de Fest der ho­hen Stim­men, das die Män­ner (Krist­jan Jo­han­nes­son, Ric­car­do Bot­ta, Jo­nas Jud, Bar­na Ko­vacs) fast ganz aus­sen vor lässt.

Kurzes Wiedersehen: Orest (Kristjan Johannesson) und Elektra (Eliska Weissova).

Die In­sze­nie­rung ver­stärkt die­se Ten­denz noch – ei­ner­seits. Elek­tra nimmt in St.Gal­len, ent­ge­gen der Strauss-Hoff­manns­thal’schen Fas­sung, ih­rem Bru­der Orest das Ge­schäft des Tö­tens ab; die­ser muss nach sei­ner er­sehn­ten An­kunft rasch wie­der ab­tre­ten. Re­gis­seu­rin Li­sa­boa Hou­b­rechts ver­steht dies als eman­zi­pa­to­ri­sche Ges­te: Elek­tra soll die Tat («Der ist se­lig, der tun darf») sel­ber aus­füh­ren, ei­ne «männ­li­che Kraft in sich selbst» fin­den. Sie be­grün­det das klug mit dem Über­gang vom Ma­tri­ar­chat zum Pa­tri­ar­chat, der sich in den Atri­den­my­then und Elekt­ras pre­kä­rer Po­si­ti­on wie­der­spie­gelt. 

Phal­li­scher Drei­klang

Die Büh­nen­sym­bo­lik spricht al­ler­dings ei­ne an­de­re Spra­che. Im zu­vor un­schul­dig weis­sen Kin­der­zim­mer der schwarz­ge­wan­de­ten Elek­tra (Büh­ne Clé­mence Be­zat, Kos­tü­me Ou­mar Dicko) wächst ei­ne ro­he Stein­skulp­tur obs­zön aus dem Bo­den, als Elek­tra ih­ren er­schla­ge­nen Va­ter Aga­mem­non an­ruft. Ei­ne zwei­te Ste­le reckt sich über­le­bens­gross auf beim Er­schei­nen des tot­ge­glaub­ten Bru­ders Orest. Den phal­li­schen Drei­klang ver­voll­stän­digt ei­ne roh be­haue­ne Keu­le, Elekt­ras Mord­in­stru­ment, das der Chor im fi­na­len Tri­umph­ge­sang an­stel­le Orests an­him­melt.

Nicht das my­thi­sche Ma­tri­ar­chat oder heu­ti­ge gen­der­re­flek­tier­te Frau­en­power set­zen den Bild­ak­zent. Son­dern Sig­mund Freud. Dem Zeit­ge­nos­sen und Vor­den­ker von Hof­manns­thal und Strauss hul­digt die eri­gier­te Sym­bo­lik, die sich ein­prägt wie die Pau­ken­schlä­ge aus dem Or­ches­ter­gra­ben. 

Das hat sei­ne werk­his­to­ri­sche Lo­gik. Aber es wirkt pla­ka­tiv ge­gen­über den psy­cho­lo­gi­schen Fein­hei­ten im Mut­ter-Toch­ter-Be­zie­hungs­drei­eck von Klytäm­nes­tra, Elek­tra und Chry­so­t­he­mis, die Strauss/Hof­manns­thal im Zen­tral­teil der Oper ent­wi­ckeln. Und die die Sän­ge­rin­nen pa­ckend um­set­zen, be­stärkt durch be­zwin­gen­de Re­gie­bil­der wie das Rin­gen der Schwes­tern mit ei­nem lan­gen weis­sen Tuch oder der Ba­by­mord der Die­ne­rin­nen.

Thea­tra­les Au­gen­zwin­kern

Die Fol­gen von Elekt­ras männ­li­cher Tat blei­ben of­fen – im Fi­na­le lässt Eliš­ka Weis­so­vá noch ein­mal das «Nun denn, al­lein!», die gna­den­lo­se For­mel für die Ein­sam­keit der Toch­ter spü­ren, die auch der Mut­ter­mord nicht be­en­den kann. Wie ein weib­li­che­rer Be­frei­ungs­schlag aus dem my­thi­schen Ge­ne­ra­tio­nen­fluch aus­se­hen könn­te, dar­über denkt man nach die­sem her­aus­for­dern­den Abend un­ru­hig nach.

Elekt­ras ra­sen­de Wut hält das Thea­ter seit mehr als zwei­tau­send Jah­ren auf Trab. Auch wenn es «nur» Thea­ter ist …  Viel­leicht dar­um, dass wir das nicht ver­ges­sen, sind Die­ne­rin­nen, Kom­par­sen und Chor von My­ke­ne im schwar­zen Te­nü von Kon­zert und Thea­ter St.Gal­len ge­klei­det, als Gar­de­ro­biè­ren, In­spi­zi­en­tin oder Büh­nen­tech­ni­ker. Das holt die strauss-freud’sche Klang- und Ra­che­or­gie auf ein et­was hie­si­ge­res und bei­nah au­gen­zwin­kern­des Mass her­ab. 

 

Wei­te­re Vor­stel­lun­gen in die­ser Spiel­zeit: 20., 26. Mai und 1. Ju­ni

kon­zert­und­thea­ter.ch

Kinderzimmer, freudianisch möbliert – auf dem Bett Elektra, auf der Galerie Klytämnestra (Ariana Lucas) und Dienerinnen.