Man weiss am Ende nicht, wem die grössten Sympathien gelten sollen. Dem schönen Löwen Leo, Podcaster mit hypochondrischen Anwandlungen? Huhn Sofie mit der Berliner Schnauze, dauergestresst zwischen Nachwuchspflege und Eierbusiness? Dem sphynxischen, übersensiblen Chamäleon Betunia oder ihrem Gegenpart, Meerschweinchen Trixie und seiner partyfreudigen Devise «Sex ist Kommunikation»? Oder doch Jean-Gilbert, der schweinchenrosa die Fäden zieht und seinen WG-Mitbewohner:innen in gemütvollem Wallisertitsch die Leviten liest?
Mein Favorit ist, trotz ihrer schiefen Zähne, Flavia – gemobbt, verachtet, immer aussen vor und von allen andern verdächtigt, wenn Sofie wieder eins ihrer kostbaren Eier geklaut wurde oder sonst einer etwas ausgefressen hat. Flavia holt aus ihrem traurigen Hyänenschicksal das Beste heraus: Empathie. Hilft allen, hat die Psychologie-Ratgeber intus und lebt vor, dass Gemeinschaft das höchste Gut im WG-Leben ist – besonders wenn sich, vom Fress- bis zum Fortpflanzungsverhalten, so unterschiedliche Naturen zusammengefunden haben wie an der Goliathgasse.
Verdächtig verwandt
Am Ende liebt man die WG-Bewohner:innen alle und fühlt sich mal diesem, mal jener verdächtig verwandt – denn tatsächlich menschelt es tierisch in dieser Goliathshow. Animositäten und Amouren, Konflikte um Ämtli und Kühlschrank vermischen sich nahtlos mit akuten gesellschaftlichen Themen: Selbstoptimierung, Veganismus, Burn-out, Diskriminierungen, Coping-Mechanismen (falls unbekannt: Flavia fragen, die weiss Bescheid …), Streitkultur, Toleranz usw.
Auf eine harte Probe gestellt wird die Goliath-WG durch einen Todesfall: WG-Mitgründer Goliath, der Breitmaulfrosch, ist im Suff von einem Lastwagen plattgefahren worden. In die Trauer mischt sich tierischer Pragmatismus: Ein Zimmer ist frei, ein Nachmieter wird gesucht, auch wenn die einen aus dem Zimmer lieber eine Sauna, ein B&B oder sonst etwas Lukratives machen würden.
Der Clou der Goliathshow: Sie lädt an den einzelnen Spielorten prominente Gäste als potentielle WG-Nachmieter ein. In St.Gallen war es Slam-Pionier, Autor und Ex-Parlamentarier Etrit Hasler. Und der bot der strengen Jury schlagfertig Paroli – für den Schnellsprecher und -denker Hasler zwar ein Schlagabtausch, wie er ihn kennt, aber inmitten von grossmäuligen WG-Kumpanen doch eine Herausforderung.
Zur Abdankung eine Wutrede
Hasler outete sich glaubwürdig als Heimweh-St.Galler, fiel zwar bei den Fragen nach dem Fressverhalten zumindest bei Huhn Sofie durch, die auch sonst dem Ex-Politiker nicht über den Weg traute. Er krönte dann aber die wild improvisierte Abdankungsfeier, bei der auch James Bond explosiv mitmischte, mit einer fulminanten Wutrede gegen die Milliardärs-Schweiz, für die Erbschaftssteuer der Juso und gegen Militaristen in Bundesbern à la Michael Götte. Sein Schlussappell für Solidarität und das Feiern im Hier und Jetzt hätte dem verblichenen Goliath aus dem kalten Froschherzen gesprochen – meinte zumindest Flavia.
An der spektakulären Goliathshow haben die von Kathrin Bosshard und Marianne Amstutz gebauten lebensgrossen Figuren mit ihren sprechenden Schnauzen, Schnäbeln und Mäulern, ihren Flügeln, Pfoten und Kulleraugen den Löwenanteil. Nicht zu vergessen die schwarzgekleideten Spieler, die man im ganzen Tumult zwar in der Tat beinah vergisst, weil alle Aufmerksamkeit den Figuren gilt: Kathrin Bosshard, Sebastian Ryser, Dani Mangisch und Eva Kaufmann. Getextet haben Gabriel Vetter und Rolf Hellat, Regie führt Fabienne Hadorn.
Dass nur vier Spieler:innen auf der Bühne sind, glaubt man kaum im zweistündigen Wirbel der Szenen, Prügeleien und Liebeleien und Textkaskaden in allen möglichen Dialekten. Umso mehr, als sich zum WG-Personal noch ein halber Zoo hinzugesellt, darunter Edelkatze Maja im Nerzcape, Krokodil Jason, Dr. Spatz, Froschtante Eleonore oder ihre US-Freundin Piggy.
Und auch Goli, der Geist von Goliath, taucht immer wieder auf. Dem bleichen Knochenmann spürt man an: Er fühlt mit, ist noch nicht weg, greift auch mal ein, wenn die ganze WG nur noch ein einziger zum Himmel schreiender Haufen von Notfällen ist. Mitten im prallen WG-Leben erinnert er an die Vergänglichkeit. Und geigt am Ende sich selber und uns alle in den Tierhimmel, der hoffentlich genauso furios heiter ist wie das irdische Leben in der Goliath-WG.
Weitere Vorstellungen in der Region: 5. und 6. März, jeweils 20 Uhr, Casino Herisau (mit Reena Krishnaraja); 28. März, 20 Uhr, Rotfarb Uznach (mit Manuel Stahlberger).
goliathshow.ch