Es menschelt tierisch in der Goliathgasse

Die Goliathshow gastierte diese Woche in der Grabenhalle (im Bild eine Aufführung im Casinotheater Winterthur). (Bild: Daniel Ammann)

Zweimal ausverkaufte Grabenhalle: Die Goliathshow hat St.Gallen heimgesucht. Im Stück über eine tierische WG bieten vier Spieler:innen virtuoses, unglaublich lustiges Figurentheater für Erwachsene.

Man weiss am En­de nicht, wem die gröss­ten Sym­pa­thien gel­ten sol­len. Dem schö­nen Lö­wen Leo, Pod­cas­ter mit hy­po­chon­dri­schen An­wand­lun­gen? Huhn So­fie mit der Ber­li­ner Schnau­ze, dau­er­ge­stresst zwi­schen Nach­wuchs­pfle­ge und Ei­er­busi­ness? Dem sphyn­xi­schen, über­sen­si­blen Cha­mä­le­on Be­tu­nia oder ih­rem Ge­gen­part, Meer­schwein­chen Tri­xie und sei­ner par­ty­freu­di­gen De­vi­se «Sex ist Kom­mu­ni­ka­ti­on»? Oder doch Jean-Gil­bert, der schwein­chen­ro­sa die Fä­den zieht und sei­nen WG-Mit­be­woh­ner:in­nen in ge­müt­vol­lem Wal­li­ser­titsch die Le­vi­ten liest?

Mein Fa­vo­rit ist, trotz ih­rer schie­fen Zäh­ne, Fla­via – ge­mobbt, ver­ach­tet, im­mer aus­sen vor und von al­len an­dern ver­däch­tigt, wenn So­fie wie­der eins ih­rer kost­ba­ren Ei­er ge­klaut wur­de oder sonst ei­ner et­was aus­ge­fres­sen hat. Fla­via holt aus ih­rem trau­ri­gen Hyä­nen­schick­sal das Bes­te her­aus: Em­pa­thie. Hilft al­len, hat die Psy­cho­lo­gie-Rat­ge­ber in­tus und lebt vor, dass Ge­mein­schaft das höchs­te Gut im WG-Le­ben ist – be­son­ders wenn sich, vom Fress- bis zum Fort­pflan­zungs­ver­hal­ten, so un­ter­schied­li­che Na­tu­ren zu­sam­men­ge­fun­den ha­ben wie an der Go­li­ath­gas­se.

Ver­däch­tig ver­wandt

Am En­de liebt man die WG-Be­woh­ner:in­nen al­le und fühlt sich mal die­sem, mal je­ner ver­däch­tig ver­wandt – denn tat­säch­lich men­schelt es tie­risch in die­ser Go­li­ath­show. Ani­mo­si­tä­ten und Amou­ren, Kon­flik­te um Ämt­li und Kühl­schrank ver­mi­schen sich naht­los mit aku­ten ge­sell­schaft­li­chen The­men: Selbst­op­ti­mie­rung, Ve­ga­nis­mus, Burn-out, Dis­kri­mi­nie­run­gen, Co­ping-Me­cha­nis­men (falls un­be­kannt: Fla­via fra­gen, die weiss Be­scheid …), Streit­kul­tur, To­le­ranz usw.

Auf ei­ne har­te Pro­be ge­stellt wird die Go­li­ath-WG durch ei­nen To­des­fall: WG-Mit­grün­der Go­li­ath, der Breit­maul­frosch, ist im Suff von ei­nem Last­wa­gen platt­ge­fah­ren wor­den. In die Trau­er mischt sich tie­ri­scher Prag­ma­tis­mus: Ein Zim­mer ist frei, ein Nach­mie­ter wird ge­sucht, auch wenn die ei­nen aus dem Zim­mer lie­ber ei­ne Sau­na, ein B&B oder sonst et­was Lu­kra­ti­ves ma­chen wür­den. 

Der Clou der Go­li­ath­show: Sie lädt an den ein­zel­nen Spiel­or­ten pro­mi­nen­te Gäs­te als po­ten­ti­el­le WG-Nach­mie­ter ein. In St.Gal­len war es Slam-Pio­nier, Au­tor und Ex-Par­la­men­ta­ri­er Etrit Has­ler. Und der bot der stren­gen Ju­ry schlag­fer­tig Pa­ro­li – für den Schnell­spre­cher und -den­ker Has­ler zwar ein Schlag­ab­tausch, wie er ihn kennt, aber in­mit­ten von gross­mäu­li­gen WG-Kum­pa­nen doch ei­ne Her­aus­for­de­rung.

Zur Ab­dan­kung ei­ne Wut­re­de

Has­ler oute­te sich glaub­wür­dig als Heim­weh-St.Gal­ler, fiel zwar bei den Fra­gen nach dem Fress­ver­hal­ten zu­min­dest bei Huhn So­fie durch, die auch sonst dem Ex-Po­li­ti­ker nicht über den Weg trau­te. Er krön­te dann aber die wild im­pro­vi­sier­te Ab­dan­kungs­fei­er, bei der auch Ja­mes Bond ex­plo­siv mit­misch­te, mit ei­ner ful­mi­nan­ten Wut­re­de ge­gen die Mil­li­ar­därs-Schweiz, für die Erb­schafts­steu­er der Ju­so und ge­gen Mi­li­ta­ris­ten in Bun­des­bern à la Mi­cha­el Göt­te. Sein Schluss­ap­pell für So­li­da­ri­tät und das Fei­ern im Hier und Jetzt hät­te dem ver­bli­che­nen Go­li­ath aus dem kal­ten Frosch­her­zen ge­spro­chen – mein­te zu­min­dest Fla­via. 

An der spek­ta­ku­lä­ren Go­li­ath­show ha­ben die von Kath­rin Boss­hard und Ma­ri­an­ne Am­stutz ge­bau­ten le­bens­gros­sen Fi­gu­ren mit ih­ren spre­chen­den Schnau­zen, Schnä­beln und Mäu­lern, ih­ren Flü­geln, Pfo­ten und Kul­ler­au­gen den Lö­wen­an­teil. Nicht zu ver­ges­sen die schwarz­ge­klei­de­ten Spie­ler, die man im gan­zen Tu­mult zwar in der Tat bei­nah ver­gisst, weil al­le Auf­merk­sam­keit den Fi­gu­ren gilt: Kath­rin Boss­hard, Se­bas­ti­an Ry­ser, Da­ni Man­gisch und Eva Kauf­mann. Ge­tex­tet ha­ben Ga­bri­el Vet­ter und Rolf Hel­lat, Re­gie führt Fa­bi­en­ne Ha­dorn.

Dass nur vier Spie­ler:in­nen auf der Büh­ne sind, glaubt man kaum im zwei­stün­di­gen Wir­bel der Sze­nen, Prü­ge­lei­en und Lie­be­lei­en und Text­kas­ka­den in al­len mög­li­chen Dia­lek­ten. Um­so mehr, als sich zum WG-Per­so­nal noch ein hal­ber Zoo hin­zu­ge­sellt, dar­un­ter Edel­kat­ze Ma­ja im Nerz­cape, Kro­ko­dil Ja­son, Dr. Spatz, Frosch­tan­te Eleo­no­re oder ih­re US-Freun­din Pig­gy. 

Und auch Go­li, der Geist von Go­li­ath, taucht im­mer wie­der auf. Dem blei­chen Kno­chen­mann spürt man an: Er fühlt mit, ist noch nicht weg, greift auch mal ein, wenn die gan­ze WG nur noch ein ein­zi­ger zum Him­mel schrei­en­der Hau­fen von Not­fäl­len ist. Mit­ten im pral­len WG-Le­ben er­in­nert er an die Ver­gäng­lich­keit. Und geigt am En­de sich sel­ber und uns al­le in den Tier­him­mel, der hof­fent­lich ge­nau­so fu­ri­os hei­ter ist wie das ir­di­sche Le­ben in der Go­li­ath-WG. 


Wei­te­re Vor­stel­lun­gen in der Re­gi­on: 5. und 6. März, je­weils 20 Uhr, Ca­si­no He­ris­au (mit Ree­na Krish­n­a­ra­ja); 28. März, 20 Uhr, Rot­farb Uz­nach (mit Ma­nu­el Stahl­ber­ger). 
go­li­ath­show.ch

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