, 2. August 2017
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Go all the way #7

Die Grenze zwischen Kroatien und Bosnien-Herzegowina wird auch zur Entscheidungsgrenze: weiter ohne Zelt, im Modus des Spazierens. Aber überall die Spuren des Kriegs. Dies ist Ruth Wilis siebter Tagebuchbericht ihrer Fussreise ans Schwarze Meer.

Herzegowina. Seit zehn Tagen wandern wir nun durch Bosnien-Herzegowina. Wir haben die Grenze unerwartet früh in Kamensko überschritten, nachdem drei Tage vorher das Zelt auf die Post ging. Das hatte seinerseits drei Tage gebraucht, ehe es Realität wurde. Eine Krise war vorangegangen. Und der Impuls daraus: Zelt heim, ans Schwarze Meer spazieren. Der Impuls machte ausserhalb und innerhalb von mir Rotieren. Die Postbeamtin von Gornj Muč wollte (zum ersten Mal) kein Paket ohne kroatischen Absender verschicken, so dass ich mit dem Paket wieder raustrottete und es am nächsten Tag in der Hand nach Sinj trug, wo nun ich freakte. Aber am Folgetag gings. Und gings auch wieder, es ohne kroatischen Absender zu verschicken. Danke, Postbeamtin! Am Tag darauf schwarzes Loch. Ohne Zelt kann ich nicht gehen. Wir bleiben einen Sumpftag und eine weitere schwere, heisse Nacht. Kraftlos wie Schimmel.

Nur über die Grenze müsse ich korrekt gehen

Aber dann geht’s. Durch die Ebene, drüben den Hügeln entlang. Nach 12 Kilometern wird mir eine Dusche angeboten. Ich trinke Kaffee, aber die Dusche schlag ich aus. Wir gehen weiter und da wärs reine Verschwendung. Nahe Jabuka: zwei Absagen für Zimmer. Kann mir nichts. Ich bin zeltfrei federleicht! Wir machen Pause, weil nun Hitzepause dran ist und aus der Pause wird eine Möglichkeit, in einem unfertigen Haus zu schlafen, und Leute aus dem Dorf versorgen uns mit allem, was wir brauchen könnten. Und weit mehr. Als ich am nächsten Morgen packe, hinterlasse ich ein Danke und vieles von dem, was für uns bereitgelegt wurde. Das Zelt ist weg, um leichter zu sein. Nur Vertrauen an seiner Stelle zu packen. Das gilt es einzuhalten! Wir wandern straight in die Höhe, auf die Grenze zu. Ein kommender und gehender Feldweg unser willkommener Begleiter. Nur über die Grenze müsse ich korrekt, sonst: gekreuzte Hände. Machen wir! Kamensko, der letzte Ort auf kroatischem Boden, hat nichts, ausser einer Gedenkfeier für einen Mann, der vor – ich glaube – zehn Jahren verstorben ist, und weswegen die Dorfbeiz voller Leute ist. Auch gut. Wir setzen uns hin, ruhen aus, kommen an. Gerade gelingt es mir, nicht schneller zu sein, als ich bin!

Später: Zimmer haben sie nicht in der Beiz. Wenn ich ein Zelt habe, dürfe ich gerne hinterm Haus campieren. Hab ich nicht. Ich frag rum, als ich spüre, dass nun Zeit ist. Ein Mann, der ein Haus baut, bietet uns an, das fertige Zimmer zu bewohnen. Es ist, wie ich später sehe, sein Schlafzimmer. Er selber schläft unten auf einer Bank. Ich bin sehr glücklich, in Sinj, trotz der Ahnung, dass wir ziemlich sofort die Grenze anpeilen würden, noch eine Prepaidkarte gekauft zu haben. Ich sah so eine auf dem Nachttisch liegen. Und da er nichts annehmen will für die Übernachtung, lege ich sie ihm mit dem Schlüssel auf den Tisch, als wir am Morgen mäuschenstill, um ihn nicht zu wecken, rausschleichen. Grenze um 06.02 überschritten! Homer wie eine Sphinx alle Formalitäten stoisch übersehend, nur auf mich fixiert. Ich bin so hibbelig, da muss was Tolles warten! Hochgefühl! Wir spielen Petflaschenkicken und -jagen zur Feier. Um die Zeit ist das möglich, kaum jemand auf der grossen freien Asphaltfläche nach dem Nadelöhr. Als die Strasse schmal wird, frei gehen.

An der Grenze.

Stimmungswechsel, als Homer seinem Hobby frönt. Bisher mochte er kleine Leichen, Mäuse o.Ä., um sich zu wälzen, was ich ohne weiteres akzeptieren kann: Ich nehme den Geruch nicht wahr. Diesmal hat aber offenbar jemand was Grösseres in einem Plastiksack entsorgt. Zersetzungsstadium: braune Suppe. Homer schaut zum Heulen aus und pestet, dass mich würgt. Findet mich daneben, als ich, desesperiert, meinen Hund festbinde und ihn mit Shampoo von mir und 1,5 l kostbarem Wasser schrubbe. Der Geruch ist nicht rauszukriegen, auch in meinen Händen haftet er für die nächsten Tage, süsslich. Mir ist zum die Welt zusammenschreien. Aber wenigstens schaut Homer nicht mehr aus wie personifizierte Gülle. Gesicht, Hals, Vorderläufe, Nacken, alles war von dieser braunen Sauce bedeckt. So bräuchten wir nirgendwo anklopfen… und ich hab nach zwei duschfreien Tagen wirklich Duschbedarf. Nun noch mehr. Ich versuche, ihm zu erklären…, gelobe, mein Shampoo nicht mehr auf ihn zu kleckern, wenn er es unterlässt, sowas nochmal zu tun. Tatsache ist, wir sind gerade nicht auf einer Linie. Homer, es geht darum, ein Dach überm Kopf zu haben heute! Homer ignoriert mich. Ich komm mir blöd vor. Irgendwie verzweifelt und rechthaberisch kleinlich in einem.

«Bah, Roma»

Seither sind wir in einem Ökodorf gewesen, haben Tomislavgrad durchquert, Ebene ohne Erhebungen. Gelbgolden in der Trockenheit. Sind Stunden durch – schier – menschenleeres Gebiet gewandert. Wo auf einer Karte ein Ort eingezeichnet war, so hab ichs verstanden, war nichts. Dafür später eine stinkende Mülldeponie, wo Hütten stehen. Die bewohnt sind. Der einzige Mensch, den wir sehen, haut ab, als wir näherkommen. Ein Gefühl von Leere und Schock wandert ab hier mit.

Die Deponie.

«Bah, Roma», als ich später frage. Was, wenn nicht die Gewissheit, dort zumindest in Ruhe gelassen zu werden, kann einen bewegen, da sein Daheim zu bauen? Europa 2017. Ich möchte kotzen und weiss nicht auf wen. Suche Schuldige. Rundum erstrecken sich Kilometer unberührte Natur. Hügel, Dolinen. Eine einzige Rinderherde, sonst nichts. Da wird doch wohl Platz sein, um ein Leben in Würde führen zu dürfen. Aber: Wir haben eine Familie kennengelernt, Farmer, die am äusseren Ende dieser Hochebene leben, und die einfach hoffen, dass keine Minen mehr liegen. Die Häuser sind neu gebaut, die Fotos der kriegszerstörten Gebäude treffen mich. Sind nach Rama Šćit weiter. Es liegt an einem Stausee, der bei tiefem Wasserstand braune Reisterrassen ohne Reis hinterlässt. Von dort in Irrwegen nach Prozor-Rama, weiter nach Jablanica. Plötzlich aller Sicht beraubt, schlänglen wir uns durch enge Schluchten, möglichst kleinen Strassen entlang. Schwierig. Nebst den Strassen hats ausser dem Gewässer nichts in den Schluchten. Ich find den Verkehr fürchterlich und es ist meine Verantwortung, wo wir durchgehen. Hupt jemand, geht mir der Deckel hoch, Homer erschreckt sich so sehr daran. Als ob die Disziplin an der Strasse nicht genug wäre! Müll säumt die Strassenränder, Müllkippen da und dort.

Hätte ich zwei Wünsche frei für die nächsten zehn Jahre hier: eine Woche alles stoppen und gemeinsam den Müll in einer nationalen Aktion einsammeln und korrekt verbrennen oder entsorgen. Immer wieder steigen stinkende Rauchsäulen zum Himmel, wo jemand selbständig «werkelt». Plastik, alles landet auf dem Feuer. Eins von zwei Dingen, die erkennen lassen, wie Staat und Eigenregie nebeneinander existieren. Das zweite sind die unzähligen Autos, die ohne Nummernschilder fahren. Der Mann, der uns vom Irrweg weggesammelt hat, grinst schelmisch, als er auf einem Nebenweg parkt: das Zentrum meide er, zuviel Polizei.

Rama Šćit.

Mein zweiter Wunsch wäre: ausgeschilderte Wege! Der glückliche Weg nach Rama Šćit hat ahnen lassen, welche Naturjuwelen dieses Land birgt! Wege zum Ergehen dieses wunderschönen Gebirgsstaates! Als ich in Konjic versuche, an Kartenmaterial zu kommen – wir haben Wildheit, Natur verdient! Und hier ists mit Googlemaps nicht weit her, zwecks Genusssteigerung wär ich hier bereit, mal Karten zu kaufen –, erlebe ich grosse Hilfsbereitschaft, aber das Kartenmaterial ist schlicht untauglich. Da können wir auch ohne gehen. Anyway. Wir gehen heute wieder in die Höhe! Weitsicht. Sicht! Keine Lastwagen mehr an unserer Seite. Die Nächte sind entweder tüppig schwül und es kühlt nicht ab hier unten, oder aber, oben, kalt. Kalt! Erfrieren werden wir nicht, auch ohne Zelt!

Ob denn Spazieren nicht gehe?

Konjic. Muezzinrufe. Und plötzlich hab ich das Gefühl: Wir sind in Bosnien! Warum? Ich suche. Überall wird geraucht. Drinnen wie draussen. Zum ersten Mal seit wir hier sind, empfinde ich als erfahrbar, dass die Mehrheit der Bevölkerung muslimisch ist. Ich mag die Gebetsrufe. Ist das für mich bosnisch? Oder ist es einfach so, dass selbst Gehen schneller sein kann als Fühlen?

Konjic. Ein Ort mit erschreckenden Blockbauten und einem alten Kern. Mit Secondhandladen und veganem Burek (mit Kartoffeln!), mit einem No-Pet-Motel, wo der Receptionist sich umdreht und mir den Schlüssel 106 in die Hand drückt, als er sieht, wie Homer sich hinlegt und ich ihn frage, ob er was anderes wisse. Ich würde Homer nicht im Bett schlafen lassen. Herzenswarme Menschen, immer wieder, säumen unseren Weg. Sind Antwort, wo wir was brauchen.

Zeltfrei ist die Hürde gestiegen, aufzubrechen, wenn ich nicht um vier aus den Federn komme. Die Hitze ist ab Mittag mörderisch. Und hier feucht! Das Nicht-Wissen, wo wir bleiben werden, «muss sich lohnen». Manchmal gibt’s Tage, da will alles liegenbleiben. Aber gestern hab ich da ein Geschenk erhalten. Schrieb mir eine liebevoll im Herzen unsere Reise Begleitende, ob denn Spazieren nicht gehe? Ob ich zu einem Termin ankommen müsse. Da hats Klick gemacht und wir sind um acht, als ich endlich senkrecht war, aufgebrochen. Spazierten dem Schwarzen Meer entgegen, bis es eben zu heiss war und da blieben wir dann. Und die Antwort vom Leben lag da: Es gab ein Zimmer für uns am Ende des Spaziergangs!

Ruth Wili, Jahrgang 1981, war bis Ende 2016 als Inspizientin am Theater St.Gallen tätig. Vor rund fünf Monaten ist sie aufgebrochen zu einer Fussreise von St.Gallen ans Schwarze Meer. Mit dabei: ihr Hund Homer. Auf saiten.ch berichtet sie von ihren Erfahrungen unterwegs.

1 Kommentar zu Go all the way #7

  • Markus Meier sagt:

    Schöner Text, Ruth! Aber anstatt 2 hast du 3 Wünsche formuliert. Und die Erfahrung mit dem Receptionist im No-Pet-Motel gefällt mir; der Receptionist hat erstens gegen eine Anweisung seines Arbeitgebers gehandelt, vermutlich aus Mitleid oder was weiss ich sonst was. Bist du deinen Mitmenschen, neuen oder alten Freunden, neuen oder alten Familienangehörigen auch in diesem Masse tolerant?

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