«Ich erzähle meine Geschichte bewusst als Glückssträhne»

Der St.Galler Musiker, Komponist und Autor Roman Riklin erhält den diesjährigen Kunstpreis der St.Gallischen Kulturstiftung, der mit 25’000 Franken dotiert ist. Im Interview mit Saiten spricht er über Anerkennung, strukturellen Rassismus und sein Verhältnis zu seiner Heimatstadt. Und sagt, warum es nie ein Soloprogramm von ihm geben wird.

Roman Riklin in seinem Atelier in Zürich. (Bild:  Florian Bachmann)

SAI­TEN: Das ist nicht der ers­te Preis, den du be­kommst. Was be­deu­tet dir die­se Aus­zeich­nung, mal ganz ab­ge­se­hen vom Fi­nan­zi­el­len?

RO­MAN RIK­LIN: Prei­se sind ei­ne An­er­ken­nung, und Kul­tur­schaf­fen­de buh­len dar­um. Aus­ge­zeich­net zu wer­den für mein Wir­ken in sei­ner Ge­samt­heit, hal­te ich für ei­ne be­son­ders gros­se An­er­ken­nung. Das ist das ers­te Mal, dass ich ei­nen Preis er­hal­te, der sein Licht auf die Viel­sei­tig­keit und Kon­ti­nui­tät mei­ner Ar­bei­ten wirft. Des­halb füh­le ich mich be­son­ders ge­ehrt. Ich ver­ste­he es aber nicht als Preis für mein Le­bens­werk, da­für bin ich noch zu jung, und ich ge­he da­von aus, dass mein Werk noch et­was wach­sen wird.

Du hast kürz­lich in ei­nem In­ter­view ge­sagt: «Ich bin be­reits mein gan­zes Le­ben auf der Su­che nach An­er­ken­nung.» Wie de­fi­nierst du An­er­ken­nung?

An­er­ken­nung be­ginnt da­mit, wahr­ge­nom­men zu wer­den. Das gilt auch in ei­ner Fa­mi­lie oder ei­ner Part­ner­schaft. Was das künst­le­ri­sche Schaf­fen be­trifft, ist mir des­halb die Funk­tio­na­li­tät der Kom­mu­ni­ka­ti­on sehr wich­tig. Wie er­zäh­le ich ei­ne Ge­schich­te so, dass sie die Leu­te mit­reisst und gleich­zei­tig Hal­tung und Wer­te trans­por­tiert? Wenn sie nie­man­den an­spricht, er­füllt sie den Zweck nicht. Ich will mit dem Pu­bli­kum in ei­nen Aus­tausch tre­ten, ei­ne Re­ak­ti­on aus­lö­sen – die Leu­te zum La­chen brin­gen, sie be­rüh­ren, zum Nach­den­ken an­re­gen. An­er­ken­nung ist, wenn das statt­fin­det und sich das Pu­bli­kum dar­auf ein­lässt.

Wie hat sich das über die Jah­re ver­än­dert?

Das Er­zähl­be­dürf­nis geht von der nai­ven Idee aus, dass man die Welt ver­än­dern könn­te. Bei mir hat es in der Pu­ber­tät an­ge­fan­gen. Da­mals dach­te ich, ich wer­de ein gros­ser Schrift­stel­ler, der wich­ti­ge Wer­ke schreibt. Na­tür­lich bin ich in­zwi­schen des­il­lu­sio­niert und weiss, dass ich nur ganz im Klei­nen et­was bei­tra­gen kann. Aber ich hal­te den Ver­such wei­ter­hin für wich­tig. Die Su­che nach An­er­ken­nung ist ein Teil des Schaf­fens. Als ich jung war, war für mich die gröss­te An­er­ken­nung, vor mög­lichst vie­len Leu­ten auf­zu­tre­ten – z.B. am Open­Air St.Gal­len – und be­ju­belt zu wer­den. Heu­te ist mir An­er­ken­nung ins­be­son­de­re von Leu­ten wich­tig, die mei­ne Ar­beit aus ei­ner pro­fes­sio­nel­len Per­spek­ti­ve be­ur­tei­len – an­de­re Künst­ler:in­nen, Song­wri­ter:in­nen, Au­tor:in­nen. Das Pu­bli­kum ist aber nach wie vor zen­tral, denn es ist ganz ein­fach: Wenn mei­ne Ideen nicht gut an­kom­men, kann ich mit mei­ner Ar­beit nicht über­le­ben. Sie muss wirt­schaft­lich funk­tio­nie­ren. Seit 35 Jah­ren le­be ich in­zwi­schen da­von. Ich bin sehr dank­bar und weiss: Das ist ein rie­si­ges Pri­vi­leg.

Ist al­le An­er­ken­nung al­so nichts wert, wenn am En­de nicht Er­folg da­mit ein­her­geht?

Er­folg ist ein schwie­ri­ges Wort, weil man es un­ter­schied­lich de­fi­nie­ren kann. Wenn ich über­le­ben will, müs­sen mei­ne Büh­nen­wer­ke in dem Sinn er­folg­reich sein, dass sie mehr Geld ein­brin­gen, als sie kos­ten. Das ist bei wei­tem nicht im­mer der Fall. Er­folg ist für mich aber auch, Teil ei­nes Teams zu sein und da­zu bei­zu­tra­gen, dass es al­len gut geht. Ei­ne sol­che Zu­sam­men­ar­beit, wie Da­ni Schaub (Rik­lins Part­ner bei Rik­lin & Schaub und Se­cond­hand Or­ches­tra so­wie ehe­mals bei Heinz de Specht, d. Red.) und ich sie seit 21 Jah­ren zu­sam­men er­le­ben und ge­stal­ten, ist ein Ge­schenk. Die­se Er­fol­ge in­ter­es­sie­ren mich per­sön­lich mehr. Aber das kann ich auch nur sa­gen, weil mei­ne Pro­duk­tio­nen un­ter dem Strich funk­tio­nie­ren. Der kom­mer­zi­el­le Druck bleibt für uns Frei­schaf­fen­de trotz­dem.

 «Ich wur­de zum Ab­trün­ni­gen, weil wir mit Mum­pitz Er­folg hat­ten und ich zum Geld­ver­die­nen in Mu­si­cals ge­spielt hat­te.»

Roman Riklin

Be­kommst du zu spü­ren, dass Kul­tur, die kom­mer­zi­ell er­folg­reich sein muss, ei­nen an­de­ren Stel­len­wert hat?

Ja. Dann und wann rümpft je­mand die Na­se, «das ist kom­mer­zi­ell, was der macht». Das fand ich frü­her in St. Gal­len be­son­ders aus­ge­prägt. Ich wur­de zum Ab­trün­ni­gen, weil wir mit Mum­pitz Er­folg hat­ten und ich zum Geld­ver­die­nen in Mu­si­cals ge­spielt hat­te. Es gibt bis heu­te teil­wei­se mehr In­to­le­ranz als To­le­ranz ge­gen­über an­de­ren Sze­nen, nicht nur in St.Gal­len. In Zü­rich gibt es bei­spiels­wei­se die Shake Com­pa­ny von Do­mi­nik Flasch­ka, die kom­mer­zi­el­les Un­ter­hal­tungs­thea­ter macht, oh­ne jeg­li­che Sub­ven­ti­on, vier bis fünf Pro­duk­tio­nen im Jahr. Da­für braucht es un­glaub­li­che Zu­schau­er­zah­len. So et­was wird viel zu we­nig an­er­kannt. Aber das ist der Kul­tur­dün­kel hier­zu­lan­de.

Wür­dest du dir mehr För­der­gel­der wün­schen?

Ich ha­be sel­ten für Pro­jek­te För­der­gel­der be­zo­gen, und wenn ich mal ei­nen Un­ter­stüt­zungs­an­trag stel­le für ein Pro­jekt, heisst es in der Re­gel, es sei zu kom­mer­zi­ell. Soll ich es ex­tra bach­ab ge­hen las­sen, da­mit wir Geld da­für be­kom­men? Es ist toll, dass es uns mehr­heit­lich ge­lingt, oh­ne Un­ter­stüt­zung von Staat und Stif­tun­gen mit Mu­sik und Thea­ter wirt­schaft­li­chen Er­folg zu ha­ben. In den Mum­pitz-CDs schrie­ben wir An­fang 90er nicht oh­ne Stolz: «Für die fi­nan­zi­el­le Un­ter­stüt­zung dankt Mum­pitz nie­man­dem.»

Trifft es dich um­so mehr, wenn man dich in die Main­stream-Ecke stellt?

Mit 20 ha­be ich mir vie­le Ge­dan­ken ge­macht, was an­de­re über mich den­ken. Mit 40 war es mir end­lich egal. Heu­te weiss ich, so­zu­sa­gen nie­mand macht sich wirk­lich Ge­dan­ken über mich … Ich ha­be nicht das Ge­fühl, dass ich Main­stream-Sa­chen ma­che – aber was Er­folg hat, gilt halt als Main­stream. Es ist mehr­heits­taug­lich. Mit dem Se­cond­hand Or­ches­tra ha­ben wir in den ver­gan­ge­nen knapp ein­ein­halb Jah­ren 60’000 Ti­ckets ver­kauft, seit 2017 gab es kaum ei­ne Vor­stel­lung, die nicht aus­ver­kauft war, und im Herbst spie­len wir als Tour-Ab­schluss mit LOVE, un­se­rem Mund­art-Ab­ba-Tri­bu­te, sechs Kon­zert­shows im Thea­ter 11 in Zü­rich, vor rund 9000 Leu­ten. Wir fin­den das sel­ber ab­surd.

Die­ses Na­se-Rümp­fen über­ein­an­der ist wohl auch Aus­druck des Kamp­fes um För­der­gel­der und Auf­merk­sam­keit, die eben­falls nur be­grenzt ver­füg­bar ist.

Klar, Kul­tur­schaf­fen­de sind im­mer in ei­ner Auf­merk­sam­keits­kon­kur­renz. Und die­se ver­schärft sich durch die Ent­wick­lun­gen in der Me­di­en­land­schaft: Es wird im­mer we­ni­ger be­rich­tet über Kul­tur, da­für im­mer mehr über die we­ni­gen glei­chen Ak­teu­re. Für jun­ge Künst­ler:in­nen, neue Bands oder Au­tor:in­nen wird es im­mer schwie­ri­ger, wahr­ge­nom­men zu wer­den.

Vor al­lem, wenn man die Re­le­vanz von The­men an Klicks misst.

Das hat sich sehr ver­än­dert. Vor 30 Jah­ren war mei­ne Ein­stel­lung: Dem Peo­p­le-Jour­na­lis­mus der «Schwei­zer Il­lus­trier­ten», der «Glücks­post» oder der «Schwei­zer Fa­mi­lie» ge­he ich aus dem Weg. In­zwi­schen ma­chen wir das mit, wenn auch mit leich­tem Un­wohl­ge­fühl. Denn wer in den Me­di­en nicht statt­fin­det, hat es schwer, Ti­ckets zu ver­kau­fen.

Ist es er­mü­dend, im­mer ge­fal­len zu müs­sen?

Es muss nicht ge­fal­len. Aber es muss in­ter­es­sie­ren. Mir ist es wich­tig, dass die meis­ten Sa­chen, die ich auf die Büh­ne brin­ge, ei­ne kla­re Hal­tung ver­mit­teln. Kei­ne be­leh­ren­de, päd­ago­gi­sche Zeig­fin­ger-Hal­tung, das ekelt mich an. Ich möch­te, dass man spürt, wo ich ste­he, oh­ne zu mo­ra­li­sie­ren. Dass sich die Leu­te mit Din­gen aus­ein­an­der­set­zen, die uns be­tref­fen, sei es auch nur im Klei­nen. Was sie dar­aus ma­chen, ist ih­nen über­las­sen.

«Schmun­zeln ist mei­ne Lieb­lings­re­ak­ti­on. Viel schö­ner als La­chen.»

Roman Riklin

Ei­ne An­re­gung zur Selbst­re­fle­xi­on?

Ge­nau. Ich will das Pu­bli­kum ge­nau­so zum Nach­den­ken brin­gen wie zum La­chen oder noch bes­ser zum Schmun­zeln. Das ist mei­ne Lieb­lings­re­ak­ti­on. Viel schö­ner als La­chen.

War­um?

La­chen ist die un­mit­tel­bars­te Re­ak­ti­on, die man auf der Büh­ne mit­be­kommt, wenn man das Pu­bli­kum nicht gut sieht. Aber das kann auch ei­ne Ge­fahr sein. Weil wir Per­for­mer:in­nen uns ge­ra­de des­halb da­zu ver­füh­ren las­sen, be­son­ders auf La­cher ab­zu­zie­len. Das kommt oft nicht gut … 

Es ist auch ei­ne Form von An­er­ken­nung. 

Ja, es ist ei­ne gros­se An­er­ken­nung, wenn man es ge­schafft hat, die Leu­te zum La­chen zu brin­gen. Aber Schmun­zeln hal­te ich für die wert­vol­le­re, viel­leicht auch die ehr­li­che­re Re­ak­ti­on. Es ist ein nach in­nen ge­kehr­tes, ein er­kennt­nis­ge­tränk­tes La­chen. Et­was, das man nicht den an­de­ren zei­gen will, son­dern für sich be­hält. La­chen ist ein lau­tes State­ment, es hat auch et­was Ag­gres­si­ves, et­was An­grif­fi­ges, es kann auch ner­ven oder stö­ren. Es gibt auch Leu­te, die an den fal­schen Stel­len la­chen – dann, wenn ei­nem das La­chen im Hals ste­cken­blei­ben soll­te. Schmun­zeln ist et­was viel Fried­li­che­res. Des­halb ist es für mich am schöns­ten, wenn je­mand mit ei­nem Lä­cheln im Pu­bli­kum sitzt und strahlt, wenn ich mer­ke, er oder sie ist ver­zau­bert. Das be­rührt mich.

Ist es schwie­ri­ger ge­wor­den, Un­ter­hal­tung mit Hal­tung zu ma­chen in ei­ner Zeit, in der ge­sell­schafts­po­li­ti­sche The­men so kon­tro­vers dis­ku­tiert wer­den?

Ich be­trach­te es als et­was Hei­len­des, den Zu­schau­er:in­nen ei­nen Abend zu schen­ken, an dem sie sich ent­span­nen und la­chen kön­nen – und trotz­dem tut nie­mand so, als gä­be es kei­ne Pro­ble­me in der Welt. Hu­mor hat in ge­sell­schaft­li­chen Kri­sen ei­ne wich­ti­ge Auf­ga­be. Je grös­ser die Un­si­cher­heit in der Welt, des­to zy­ni­scher und be­frei­en­der kann der Hu­mor wer­den. Aber der Hu­mor än­dert sich mit ge­sell­schaft­li­chen Ent­wick­lun­gen, heu­te über­le­gen wir dif­fe­ren­zier­ter, wel­che Poin­te geht und wel­che nicht mehr. Rolf Knie hat be­klagt: «So viel ist uns ge­nom­men wor­den in der Ko­mik und in der Sa­ti­re nur we­gen der po­li­ti­schen Kor­rekt­heit.» Die Weh­lei­digs­ten sind lei­der oft die äl­tes­ten weis­sen Su­per­pri­vi­le­gier­ten. Ich se­he das an­ders, ler­ne ger­ne da­zu und fin­de die­se Dis­kus­sio­nen sehr span­nend.

Mit die­ser Fra­ge habt Mi­cha­el El­se­ner und du euch 2023 im Stück Shit­s­torm für An­fän­ger*in­nen be­schäf­tigt, das von All­tags­ras­sis­mus han­del­te.

Ge­nau. Die­se ge­sell­schafts­po­li­ti­sche Ko­mö­die wur­de aber, ganz im Ge­gen­satz zu un­se­rem Stück Vier wer­den El­tern, kein Pu­bli­kums­er­folg. Sie lock­te zu we­nig Zu­schau­er:in­nen an und war lei­der für das Ca­si­no­thea­ter ein fi­nan­zi­el­ler Ver­lust. Für mich per­sön­lich war aber die Ar­beit an ei­nem Stoff noch nie so auf­wüh­lend. Auch weil ich dach­te, dass ich mich mit dem The­ma struk­tu­rel­ler Ras­sis­mus aus­ken­ne. Doch je län­ger wir dar­an ar­bei­te­ten, des­to mehr merk­ten wir, dass wir noch viel zu ler­nen ha­ben, weil un­se­re ras­sis­ti­sche So­zia­li­sie­rung in uns so tief ver­an­kert ist. Wir gin­gen sehr vor­sich­tig an die­ses The­ma her­an, weil wir auf kei­nen Fall ras­sis­ti­sche Ste­reo­ty­pen re­pro­du­zie­ren woll­ten. Des­halb zo­gen wir mit Ra­hel El Maa­wi ei­ne Fach­per­son für ras­sis­mus­kri­ti­sche Be­ra­tung bei und tausch­ten uns mit ver­schie­de­nen Peo­p­le of Co­lor aus. Bei vie­lem, das wir lus­tig fan­den und ur­sprüng­lich rein­ge­schrie­ben hat­ten, muss­ten wir uns – völ­lig zu­recht – er­klä­ren las­sen, dass das nicht geht. Durch die Aus­ein­an­der­set­zung mit die­sem Stoff durf­te ich per­sön­lich viel ler­nen.

War­um ist es beim Pu­bli­kum nicht gut an­ge­kom­men?

Es zeig­te sich als un­glaub­lich schwie­rig, ei­ne Ko­mö­die zu ent­wi­ckeln, die sich über das Un­ver­mö­gen weis­ser Men­schen lus­tig macht, ihr ras­sis­ti­sches Ver­hal­ten zu er­ken­nen und ih­re ras­sis­ti­sche So­zia­li­sie­rung zu hin­ter­fra­gen – und gleich­zei­tig ein weis­ses Pu­bli­kum da­für zu be­geis­tern. 

Man will lie­ber ein­fach un­ter­hal­ten wer­den?

Al­lein das The­ma weis­se Pri­vi­le­gi­en hat bei vie­len Zu­schau­en­den Ab­wehr­re­fle­xe aus­ge­löst. Das Pu­bli­kum fühl­te sich an­ge­grif­fen. Uns Au­toren ist es wohl nicht ide­al ge­lun­gen, die vie­len Fak­ten so in die Ko­mö­die zu pa­cken, dass es die Leu­te nicht be­leh­rend emp­fun­den ha­ben. Es stell­te sich zu­dem die Fra­ge: Dür­fen zwei weis­se Män­ner – als Nicht­be­trof­fe­ne – über­haupt ein Stück über struk­tu­rel­len Ras­sis­mus schrei­ben? Wir fan­den: Ja. Ras­sis­mus ist ei­ne ideo­lo­gi­sche Er­fin­dung von Weis­sen. Wir Weis­sen ha­ben das Pro­blem ge­schaf­fen. Wir müs­sen es auch wie­der lö­sen. Wir ha­ben ver­sucht, die un­sicht­ba­ren Me­cha­nis­men der Dis­kri­mi­nie­rung aus der Tä­ter­sicht er­leb­bar zu ma­chen. Es fehlt in un­se­rer Kul­tur an po­si­tiv be­setz­ten Vor­bil­dern von pri­vi­le­gier­ten weis­sen Men­schen, die ihr ras­sis­ti­sches Ver­hal­ten und ih­re ras­sis­ti­sche So­zia­li­sa­ti­on er­ken­nen und sich für ihr Fehl­ver­hal­ten ehr­lich ent­schul­di­gen. Wir woll­ten die­se Vor­bild­lü­cke fül­len, in­dem wir mit un­se­rer Haupt­fi­gur ein Bei­spiel lie­fer­ten, wie sich ein weis­ser Mann ent­schul­di­gen kann.

Da­bei wä­re es ge­ra­de jetzt re­le­vant, über sol­che The­men zu re­den.

Das dach­ten wir auch. Aber Ak­tua­li­tät, Bri­sanz und Re­le­vanz al­lein reicht nicht. Es braucht auch die Of­fen­heit des Pu­bli­kums, sich mit ei­nem The­ma aus­ein­an­der­zu­set­zen. Und wir hat­ten die Hoff­nung, über ei­ne Ko­mö­die im Ca­si­no­thea­ter ein Pu­bli­kum von ver­schie­dens­ter Cou­leur zu er­rei­chen. Ge­nau je­ne, die sie hät­ten se­hen müs­sen, woll­ten sie je­doch nicht se­hen. Es bringt nicht viel, wenn nur Leu­te ins Thea­ter kom­men, die oh­ne­hin al­le glei­cher Mei­nung sind.

Es gibt kaum ei­nen Be­ruf, den du noch nicht aus­ge­übt hast: Kom­po­nist, Ar­ran­geur, Sän­ger, Band­lea­der, mu­si­ka­li­scher Lei­ter, Re­gis­seur, Pro­du­zent, Dreh­buch­au­tor, Sketch­schrei­ber, Schau­spie­ler, Mu­si­cal­dar­stel­ler, Jour­na­list ... Du hast aber noch nie ein So­lo­pro­gramm ge­macht. War­um nicht?

Doch, als Ju­gend­li­cher. (lacht) Frü­her dach­te ich, dass ich das ma­che, wenn ich alt bin. Dass ich mit ei­nem lan­gen weis­sen Bart Ge­schich­ten er­zäh­le und da­zu auf mei­nen ei­gens ent­wi­ckel­ten In­stru­men­ten spie­le – ich ha­be ei­ne Flö­ten­or­gel mit ganz vie­len Block­flö­ten oder ei­ne Ra­ckule­le, ei­ne elek­tri­sche Uku­le­le auf ei­nem Ten­nis­schlä­ger. Was mich auf der Büh­ne aber wirk­lich er­füllt, ist das ge­mein­sa­me Er­le­ben mit mei­nen Büh­nen­part­ner:in­nen. Ich ha­be ei­nen gu­ten Abend, wenn ich die Leu­te, mit de­nen ich die Büh­ne tei­le, spü­re, wenn es ei­ne In­ter­ak­ti­on gibt, sei es mit Tö­nen, Bli­cken oder Ge­füh­len. Ich ar­bei­te ex­trem ger­ne im Team. Das liegt in mei­ner Na­tur. Ein So­lo­pro­gramm wird es des­halb ver­mut­lich nie ge­ben.

«Was ich in St.Gal­len ge­lernt ha­be, ist bis heu­te die Ba­sis mei­nes Hand­werks. Dar­um war es ein Glück, dort auf­zu­wach­sen.»

Roman Riklin

Kom­men wir noch­mal zu­rück zum Kunst­preis: Du hast 1994 Sai­ten mit­ge­grün­det und bist we­ni­ge Jah­re spä­ter nach Ber­lin aus­ge­wan­dert. Seit über 20 Jah­ren lebst du in Zü­rich. Macht es das be­son­ders, dass der Preis aus dei­ner al­ten Hei­mat kommt?

Ja – an­ders­wo wür­de ich ei­nen sol­chen Preis wohl nicht be­kom­men, auch nicht in Zü­rich. Hier ist ein grös­se­res Ge­drän­ge, ich wer­de hier gar nicht so wahr­ge­nom­men, hier bin ich an­ony­mer. Oh­ne den Wert die­ses Prei­ses schmä­lern zu wol­len – es ist ein biss­chen das We­sen klei­ne­rer Städ­te: Sie ha­ben nicht so vie­le be­kann­te Fi­gu­ren, al­so sind sie be­son­ders stolz auf je­ne, die sie ha­ben. Für mei­nen Wer­de­gang war St.Gal­len je­den­falls ganz wich­tig, ge­ra­de auch we­gen der Grös­se der Stadt. Ir­gend­wo mal ei­ne Art Lo­kal­ma­ta­dor sein zu dür­fen, ist ein Ge­schenk, denn es macht Mut, wei­ter viel zu wa­gen. Ich durf­te mit 20 ei­ne Fi­gur wer­den, die Leu­te nah­men mein künst­le­ri­sches Schaf­fen wahr. In Ber­lin hät­te ich we­der mit mei­ner Schü­ler­band auf­fal­len noch ei­ne Kul­tur­zeit­schrift lan­cie­ren kön­nen, weil die Kon­kur­renz zu gross war. Was ich in St.Gal­len ge­lernt ha­be, ist bis heu­te die Ba­sis mei­nes Hand­werks. Dar­um war es ein Glück, dort auf­zu­wach­sen.

Was hast du in Ber­lin ge­lernt?

Ich ha­be wahn­sin­nig an mei­nem Song­wri­ting ge­ar­bei­tet, un­zäh­li­ge Songs ge­schrie­ben, auch für an­de­re, mei­ne ers­ten Mu­si­cals ent­wi­ckelt. Ich ha­be ge­lernt, Mu­sik am Com­pu­ter zu pro­du­zie­ren, was ich da­vor hass­te, weil mir das Hap­ti­sche der In­stru­men­te sehr wich­tig ist. Aber oh­ne die­se Fä­hig­kei­ten hät­te ich als Mu­si­ker und Kom­po­nist spä­ter nicht über­le­ben kön­nen. Aber viel­leicht das Wich­tigs­te, was ich ge­lernt ha­be, war: Es war­tet nir­gends je­mand auf mich, es in­ter­es­siert sich kei­ne Sau da­für, was ich trei­be. Des­halb hat Ber­lin mei­ne Sicht auf St.Gal­len ver­än­dert. Für mei­ne Ent­wick­lung war es wich­tig, in ei­ner Stadt auf­zu­wach­sen, die mir die Mög­lich­keit gab, mich aus­zu­pro­bie­ren und da­bei wahr­ge­nom­men zu wer­den.

Aber mit der Wahr­neh­mung hast du oft auch ge­ha­dert.

Ber­lin war ei­ne Be­frei­ung nach St.Gal­len, wo ich mich oft be­ob­ach­tet ge­fühlt ha­be. Es war mir ir­gend­wie zu eng da­für, dass mich so vie­le Leu­te ge­kannt ha­ben. Ber­lin war das Ge­gen­teil, die to­ta­le An­ony­mi­tät. Das führ­te da­zu, dass ich al­les Mög­li­che aus­pro­bie­ren konn­te. Ich hat­te kei­ne Hem­mun­gen, bei Sa­chen mit­zu­ma­chen, in de­nen ich nicht be­son­ders gut war, in Rö­cken her­um­zu­lau­fen oder mir die Fin­ger­nä­gel bunt an­zu­ma­len. Es war mir scheiss­egal, was an­de­re von mir den­ken. Ich fühl­te mich ein­fach frei.

Wor­an ar­bei­test du jetzt, was kommt als nächs­tes? 

Da­ni Schaub und ich ent­wi­ckeln ak­tu­ell neue Lie­der, die du se­hen musst für Rik­lin & Schaub. Auch mit dem Se­cond­hand Or­ches­tra lau­fen be­reits die Vor­be­rei­tun­gen für ein neu­es Pro­jekt im 2027, gleich­zei­tig be­rei­ten wir ge­ra­de die Tour­nee für den Herbst vor. Mit Mi­cha­el El­se­ner ar­bei­te ich an ei­ner neu­en Ko­mö­die. Ich be­tä­ti­ge mich zu­dem als Co-Au­tor in ei­nem neu­en Mu­si­cal­pro­jekt, von dem noch of­fen ist, ob es wirk­lich auf die Büh­ne kommt. Es sind ziem­lich vie­le Bau­stel­len mo­men­tan.

Aber es ist be­stimmt er­fül­lend, die­se Viel­falt zu ha­ben.

Ja, in­zwi­schen sa­ge ich im­mer: Ich bin der Glücks­pilz hims­elf. In mei­nem Le­ben war vie­les auch ei­ne Fra­ge der Per­spek­ti­ve. Man kann sei­ne Ge­schich­te als Pech­sträh­ne er­zäh­len oder als Glücks­sträh­ne. Ich er­zäh­le sie in­zwi­schen be­wusst als Glücks­sträh­ne.


Preis­ver­lei­hung des Kunst­prei­ses 2025 an Ro­man Rik­lin: 30. Ok­to­ber, 19 Uhr, Kan­ton­schu­le am Burg­gra­ben (Au­la Neu­bau), St.Gal­len.

Se­cond­hand Or­ches­tra: LOVE – Das Mund­art-Ab­ba-Tri­bu­te: 19. No­vem­ber, 20 Uhr, Ton­hal­le, Wil; 22. No­vem­ber, 19.30 Uhr, Thea­ter Chur; 25. No­vem­ber, 20 Uhr, Press­werk, Ar­bon; 26. und 27. No­vem­ber, je­weils 20 Uhr, Ca­si­no, He­ris­au.

ro­man­rik­lin.com

Jetzt mitreden:
Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Dein Kommentar wird vor dem Publizieren von der Redaktion geprüft.