Legt euch hin. Es reicht!

Ganz so still sind sie doch nicht: Protest der Frauen im Stück Und alle so still. (Bilder: Ilja Mess)

Und alle so still läuft derzeit am Konstanzer Theater, ein Stück nach dem Roman der österreichischen Autorin Mareike Fallwickl. Über zweieinhalb Stunden werden Care-Krise, Erschöpfungszustände und die Schattenseiten des Patriarchats in all ihren Facetten ausgeleuchtet. Es ist kein erbauliches, aber ein wichtiges Stück in Vorbereitung auf den Frauenstreik am 9. März.

Die­ser Thea­ter­abend müss­te ei­gent­lich mit ei­ner Trig­ger­war­nung be­gin­nen. Denn scho­nungs­los rei­hen sich psy­chi­sche Be­las­tun­gen, Sui­zid­ge­dan­ken, struk­tu­rel­le Un­ter­drü­ckung, Mut­ter­schafts­kon­flik­te, Ver­ge­wal­ti­gun­gen so­wie Fe­mi­zi­de an­ein­an­der. Der Plot des Stü­ckes wech­selt da­bei im­mer wie­der die Er­zähl­per­spek­ti­ve: Wir tref­fen Elin (Kris­ti­na Lot­ta Kah­lert), ei­ne jun­ge Frau, die mit ih­rer Mut­ter Al­ma (Mi­chae­la Al­len­dorf) in ei­nem Ho­tel auf­wächst. Sie ist In­fluen­ce­rin, lebt ih­re Se­xua­li­tät frei aus und be­greift sich als Fe­mi­nis­tin. Sie kennt al­le Be­grif­fe von «wea­po­nis­ed in­com­pe­tence» (die stra­te­gisch ge­spiel­te Un­fä­hig­keit von Vä­tern, um Ca­re- oder Haus­ar­beit zu ver­mei­den) bis Ste­alt­hing (das ab­sicht­li­che Ent­fer­nen oder Be­schä­di­gen ei­nes Kon­doms wäh­rend des ein­ver­nehm­li­chen Ge­schlechts­ver­kehrs, oh­ne Wis­sen oder Zu­stim­mung der an­de­ren Per­son). «Aber es nützt mir ei­nen Scheiss», be­tont sie, denn im­mer wie­der ist sie mit den Schat­ten­sei­ten des Pa­tri­ar­chats kon­fron­tiert. Sie ist da­von ex­trem er­schöpft und ver­zwei­felt. Und da­bei wirkt sie im Ge­gen­satz zu den an­de­ren Fi­gu­ren, die wir tref­fen, noch sehr pri­vi­le­giert.

Denn da ist Ruth (An­na Eger), ei­ne Kran­ken­schwes­ter, de­ren be­hin­der­ter Sohn im Al­ter von zehn Jah­ren ge­stor­ben ist. Sie ar­bei­tet na­he­zu oh­ne Pau­se in ei­nem Sys­tem, das sich selbst zer­setzt. Oder Nuri (gross­ar­tig: Ol­ek­sii Kryzha­novs­kyi), ein jun­ger Typ, der mit drei Jobs ver­sucht, über die Run­den zu kom­men. Ge­gen de­ren All­tag er­schei­nen die Pro­ble­me von Elin ge­ra­de­zu ba­nal. 

Und doch sind sie al­le be­rech­tigt, sie fin­den schliess­lich al­le ih­ren Ur­sprung in un­se­rer ak­tu­el­len Ge­sell­schaft und de­ren Sys­te­men. Sie al­le füh­ren zu ei­ner kol­lek­ti­ven Er­schöp­fung und auf die­se folgt: ein Streik der Frau­en. Erst be­gin­nen ei­ni­ge we­ni­ge, sich vor ei­nem Kran­ken­haus auf die Stras­se zu le­gen und nicht mehr zu be­we­gen. Sie in­spi­rie­ren an­de­re Frau­en, und so folgt ein flä­chen­de­cken­der stil­ler Pro­test: Im gan­zen Land le­gen Frau­en ih­re Ar­beit und ih­re Kör­per nie­der, sie lie­gen da «wie hin­ge­schubst» und strei­ken, oh­ne For­de­run­gen, oh­ne Pro­gramm, oh­ne lau­te Pa­ro­len.

Zwi­schen Ca­re-Kri­se und struk­tu­rel­ler Ge­walt 

Die­ser Streik er­in­nert an den Frau­en­streik in Is­land aus dem Jahr 1975 – dort ging an ei­nem Tag ein Gross­teil der Frau­en auf die Stras­se und pro­tes­tier­te ge­gen die un­ge­rech­ten Ar­beits­ver­tei­lun­gen, mit dem Er­folg, dass die Kin­der­be­treu­ung aus­ge­baut, ein Gleich­stel­lungs­ge­setz ver­an­kert und fünf Jah­re spä­ter welt­weit die ers­te Frau als Prä­si­den­tin ge­wählt wur­de. 

Hier im Stück bleibt der Pro­test aber kei­nes­falls fried­lich, son­dern be­geg­net dem, was Un­ter­drück­te seit Jahr­hun­der­ten am meis­ten fürch­ten: Ge­walt. Männ­li­che Ge­walt. Das Mi­li­tär wird ein­ge­schal­tet, Män­ner schlies­sen sich zu Grup­pen zu­sam­men und ge­hen ge­gen die Strei­ken­den vor – die La­ge es­ka­liert. Was Iris (Kat­rin Hu­ke), die Gross­mutter von Elin, er­zäh­len lässt, war­um sie ih­ren Mann ver­liess: «Es konn­te nicht noch schlim­mer wer­den.» Das gilt längst nicht für al­le Frau­en und das zeigt sich auch im Stück. Wenn Frau­en ei­ne Be­zie­hung be­en­den und ei­nen ge­walt­tä­ti­gen Mann ver­las­sen wol­len, kann es durch­aus noch schlim­mer wer­den – das be­le­gen die Zah­len der Fe­mi­zi­de, die in den letz­ten Jah­ren im­mer hö­her stei­gen. Ein Nein kann al­so Aus­wir­kun­gen ha­ben, die so­gar le­bens­be­droh­lich sein kön­nen.

Anna Eger und Oleksii Kryzhanovskyi. 

Im Lau­fe des Stücks un­ter der Re­gie von Fran­zis­ka Aut­zen und der Dra­ma­tur­gie von Ca­ro­la von Gra­du­lew­ski, das schon auf­grund sei­ner Dau­er von über zwei­ein­halb Stun­den her­aus­for­dernd ist, wird dem Pu­bli­kum scho­nungs­los je­de Fa­cet­te des Pa­tri­ar­chats er­klärt. Man muss ei­ni­ger­mas­sen sat­tel­fest im fe­mi­nis­ti­schen Dis­kurs sein, um die Be­griff­lich­kei­ten und de­ren Pro­ble­ma­ti­ken zu ver­ste­hen. Aber auch oh­ne ein tief­grei­fen­des Ver­ständ­nis wird klar, dass die Schief­la­ge beim Ku­chen­ba­cken für das Schul­fest be­ginnt und in der kör­per­li­chen Ge­walt en­det. Im­mer wie­der wird deut­lich ge­macht, dass das Pa­tri­ar­chat aber auch ein Sys­tem ist, das den Män­nern eben­so scha­det und es ein ge­mein­sa­mes Vor­ge­hen bräuch­te – und doch gibt es hier­für kein Nar­ra­tiv. Im Ge­gen­teil: Es wird mehr­fach be­tont, dass Män­ner kei­ne an­de­re Spra­che als Ge­walt ken­nen und die we­ni­gen Aus­nah­men wie Nuri selbst da­von be­droht wer­den – da sie ja «kei­ner rich­ti­gen» Männ­lich­keit ent­spre­chen.

Vom stil­len Pro­test zur Es­ka­la­ti­on

Im­mer wie­der wird der Song I Can See Cle­ar­ly Now, the Rain Has Go­ne von John­ny Nash an­ge­stimmt (Mu­sik: Chris Lüers), und man fragt sich: Wann ver­zieht sich denn nun der Re­gen? Wann zeigt sich denn die Welt von ih­rer son­ni­gen Sei­te? Wo ist sie nur, die Hoff­nung? Hier im Stück fin­det man sie nicht. Die Kon­se­quenz des Streiks ver­schlech­tert die Si­tua­ti­on noch dra­ma­ti­scher: Ein kol­lek­ti­ves Cha­os ent­steht, die Welt bricht zu­sam­men. Ei­ne For­de­rung der Prot­ago­nis­tin­nen ist: «Frau­en soll­ten nicht auf­hö­ren, sich zu küm­mern, Män­ner soll­ten da­mit an­fan­gen!» Aber das pas­siert hier nicht, im Ge­gen­teil: Ki­tas, Schu­len, Pfle­ge­diens­te und die Post ste­hen still, Kran­ken­häu­ser ver­dre­cken und sind über­füllt, Män­ner hun­gern und durs­ten und rot­ten sich schließ­lich zu­sam­men, um ge­gen den Pro­test vor­zu­ge­hen.

Auf ei­ner Büh­ne, die ei­ner Kran­ken­haus­wä­sche­rei gleicht (Ute Rad­ler), wer­den al­so die ak­tu­el­len Miss­stän­de scho­nungs­los an­ein­an­der­ge­reiht und so­mit ist Und al­le so still ein wich­ti­ges Stück, um die­se in ih­rer Wucht und vol­len Kon­se­quenz zu be­grei­fen. Doch ein rich­ti­ger Lö­sungs­an­satz wird nur va­ge in Aus­sicht ge­stellt. Am En­de prä­sen­tiert das En­sem­ble ein paar ver­ein­zel­te Flos­keln wie «die Ver­ein­ze­lung auf­bre­chen», «neue Fa­mi­li­en­struk­tu­ren fin­den» oder «Zu­ver­sicht zu­sam­men­krat­zen». Hier gilt es nun al­so, neue Nar­ra­ti­ve zu fin­den und Ge­schich­ten zu er­zäh­len, die ge­nau da­von be­rich­ten: Wir brau­chen Hoff­nung und gu­te Vor­bil­der! Wir müs­sen ge­stärkt aus Thea­ter­aben­den her­aus­ge­hen, um Ver­än­de­run­gen zu er­wir­ken, und nicht frus­triert oder ent­mu­tigt.

Aber war­ten wir ab, was der in­ter­na­tio­na­le Streik der Frau­en, der für den 9. März 2026 ge­plant ist, bringt. Wer noch über­legt, an die­sem teil­zu­neh­men, soll­te un­be­dingt Und al­le so still be­su­chen. Denn da­nach gibt es dar­an kei­ner­lei Zwei­fel mehr.

Und al­le so still: bis 4. Fe­bru­ar, Thea­ter Kon­stanz; nach der Vor­stel­lung vom 8. Ja­nu­ar gibt es ein Ge­spräch mit der Au­torin Ma­rei­ke Fall­wickl. 
thea­ter­kon­stanz.de 

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