Magische Welten, ernste Gespräche

Die Macher:innen von Hinter verzauberten Fenstern haben eine Welt erschaffen, in die man am liebsten selbst eintauchen würde. (Bilder: Philipp Uricher)

Mit Hinter verzauberten Fenstern von Cornelia Funke bringt das Theater Konstanz einen Klassiker auf die Bühne, der sehr unterhaltsam und witzig inszeniert wird. Gleichzeitig lädt er zu ernsten Gesprächen mit den Kids ein – etwa über Geheimnisse und den Medienkonsum.

Die Sto­ry von Hin­ter ver­zau­ber­ten Fens­tern ist ein klas­si­sches Mär­chen mit al­lem, was da­zu­ge­hört. Wir tref­fen Ju­lia, ein neun­jäh­ri­ges Mäd­chen, das – ab­ge­se­hen von ih­rem klei­nen Bru­der Oli­ver, der ihr auf die Ner­ven geht – ein klas­si­sches Bil­der­buch­le­ben in ei­ner in­tak­ten Klein­fa­mi­lie führt. Die­ses wird aber or­dent­lich auf den Kopf ge­stellt, als sie ei­nen Ad­vents­ka­len­der be­kommt – zu ih­rer Ent­täu­schung nicht mit Scho­ko­la­de, son­dern mit Bil­dern, die sich hin­ter den 24 Tür­chen ver­ste­cken. Lang­wei­lig fin­det sie das und ist rich­tig sau­er, aber der Frust ver­fliegt schon bald, als sie ent­deckt, dass es sich kei­nes­wegs um ei­nen nor­ma­len Ad­vents­ka­len­der han­delt, son­dern um ein ma­gi­sches Por­tal: Wenn sie lan­ge ge­nug auf die Bil­der blickt, kann sie in die­se hin­ein­stei­gen und ge­langt in ei­ne an­de­re Welt. Dort be­geg­nen ihr mär­chen­haf­te Ge­stal­ten und die Rei­se in ein Aben­teu­er be­ginnt.

Die­se Ge­schich­te ist ein Klas­si­ker in der Kin­der­li­te­ra­tur. Cor­ne­lia Fun­ke ist ei­ne der be­kann­tes­ten und er­folg­reichs­ten deut­schen Kin­der­buch­au­torin­nen und hat mit Bü­chern wie Die Wil­den Hüh­ner oder Tin­ten­herz Wer­ke ge­schrie­ben, die seit Jahr­zehn­ten ein fes­ter Be­stand­teil vie­ler Kin­der­zim­mer sind. Es sind die Lieb­lings­bü­cher ei­ner Ge­ne­ra­ti­on, die jetzt selbst El­tern ist und sie mit ih­ren ei­ge­nen Kin­dern ein zwei­tes Mal er­le­ben kann. Das ist üb­ri­gens ei­ner der bes­ten Aspek­te am El­tern­sein: dass man noch­mal in all die Ge­schich­ten ab­taucht, die man als Kind selbst so ge­liebt hat, und den ei­ge­nen Kin­dern die­sen Zau­ber wei­ter­ge­ben darf.

Ein Kin­der­buch­klas­si­ker, neu in­ter­pre­tiert

Hin­ter ver­zau­ber­ten Fens­tern ist bei vie­len Fa­mi­li­en seit der Erst­erschei­nung im Jahr 1989 ein fes­ter Be­stand­teil der Weih­nachts­zeit und wird al­le Jah­re wie­der ge­le­sen. Es macht auch ei­nen rie­si­gen Spass, die ku­rio­sen Fi­gu­ren zu tref­fen. In der In­sze­nie­rung in Kon­stanz wird die Ge­schich­te un­ter der Re­gie von Ron­ny Ja­ku­b­aschk und der Dra­ma­tur­gie von Hau­ke Pock­randt mit viel Herz, Witz und Charme in­sze­niert. Wir tref­fen Ja­ko­bus Jam­mer­nich, ei­nen et­was ei­gen­bröt­le­ri­schen Er­fin­der, der mit der El­fe Me­lis­sa, Bru­no Hein­zel, dem Rie­sen Rie­sig und Prinz Har­ry in ei­ner ma­gi­schen Wohn­ge­mein­schaft lebt. Sie al­le freu­en sich wie ir­re, als Ju­lia aus ih­rer Welt zu ih­nen zu Be­such kommt, und lö­sen mit ihr ge­mein­sam das gros­se Pro­blem, das sie seit Jah­ren plagt: Der bö­se Fürst Leo tor­pe­diert näm­lich die Kö­ni­gin und ver­sucht, flä­chen­de­ckend Scho­ko­la­den­ad­vents­ka­len­der ein­zu­füh­ren, was da­zu führt, dass die Bil­der­ka­len­der aus­ster­ben und die ma­gi­sche Welt kaum mehr Kin­der er­reicht.

Die klas­si­sche Fa­mi­li­en­ver­tei­lung von Mut­ter–Va­ter–zwei Kin­der ist im Stück bei­be­hal­ten, aber an an­de­ren Stell­schrau­ben wur­de ge­dreht, um die Ge­schich­te gen­der­tech­nisch ein biss­chen zeit­ge­mäs­ser zu ma­chen: Der ur­sprüng­li­che Kö­nig wird zur Kö­ni­gin, El­fe Me­lis­sa zu ei­nem Elf und der Er­fin­der Ja­ko­bus wird von Sa­rah Lee Kö­nig dar­ge­stellt. Ja­na Al­e­xia Rö­di­ger und Jas­per Di­ed­rich­sen spie­len ein glei­cher­mas­sen ge­stress­tes wie lie­be­vol­les El­tern­paar und Ju­li­us En­gel­bach zeigt den ty­pi­schen Kon­flikt ei­nes klei­nen Bru­ders, der sich zwi­schen ex­tre­mer Be­wun­de­rung und ve­he­men­ter Ab­leh­nung zu­recht­fin­den muss. Aber auch hier en­det die Ge­schich­te ver­söhn­lich, denn den Ge­schwis­tern ge­lingt es ge­mein­sam, die Auf­ga­ben zu lö­sen und das Kö­nig­reich zu ret­ten. Die Haupt­fi­gur Ju­lia wird von Lui­se Hipp auf ei­ne ganz wun­der­ba­re pip­pi­langstrumpf­ar­ti­ge Wei­se in­ter­pre­tiert und sie zeigt nicht zu­letzt durch ih­re be­ein­dru­cken­de akro­ba­ti­sche Leis­tung, wie stark und cool Mäd­chen sein kön­nen.

Ein ab­so­lu­tes High­light des Stücks ist die Aus­stat­tung. Wäh­rend die «nor­ma­le Welt» re­la­tiv karg und lang­wei­lig dar­ge­stellt wird, zeigt sich in der ma­gi­schen Welt ei­ne Fül­le von Far­ben und For­men. Hier hat sich das Aus­stat­tungs­kol­lek­tiv von De­ni­se Schnei­der und Cor­ne­li­us Reit­mayr selbst über­trof­fen und mit viel Lie­be zum De­tail ei­ne Welt ge­schaf­fen, in die man am liebs­ten selbst ein­tau­chen wür­de. Klei­ne Din­ge aus Ju­li­as Kin­der­zim­mer wie ei­ne Rit­ter­burg oder ei­ne Plüsch­maus wer­den rie­sen­gross und zum Le­ben er­weckt. Die Thea­ter­büh­ne gibt al­les her, was sie zu bie­ten hat. Von dop­pel­ten Ebe­nen über Vi­deo­in­stal­la­tio­nen bis zu Dreh­ele­men­ten ist al­les da­bei, was das Thea­ter­herz be­gehrt, und so ge­lingt ein flie­gen­der Wech­sel zwi­schen den Wel­ten mü­he­los. Da­bei wird es aber nie zu laut, wild oder gru­se­lig, und der Thea­ter­nach­mit­tag ist auch für klei­ne­re Kin­der sehr gut ge­eig­net.

Gu­ter An­lass für wich­ti­ge Ge­sprä­che

Man kann es gut da­bei be­las­sen und ei­nen un­ter­halt­sa­men Nach­mit­tag im Thea­ter ver­brin­gen – man kann die­ses Stück aber auch als Sprung­brett für wich­ti­ge Ge­sprä­che mit den Kin­dern nut­zen. Die Ge­schich­te von Cor­ne­lia Fun­ke zeigt näm­lich auch ei­ne ge­wis­se Pro­ble­ma­tik. Neh­men wir al­le ma­gi­schen Ele­men­te weg, bleibt fol­gen­de Sto­ry­line üb­rig: Ein neun­jäh­ri­ges Mäd­chen ver­bringt heim­lich Zeit mit ei­nem frem­den Mann, der sie in sei­ne Welt lockt. Sie er­zählt nie­man­dem da­von und hü­tet ihr Ge­heim­nis. Al­lein das ist ein Punkt, über den man mit Kin­dern spre­chen muss. Hin­zu kommt, dass die Kids heut­zu­ta­ge gar kei­nen ma­gi­schen Ad­vents­ka­len­der brau­chen, um in ei­ne an­de­re Rea­li­tät ab­zu­tau­chen – ih­nen reicht ein ein­zi­ges Fens­ter: der Bild­schirm. Die meis­ten Kin­der ver­brin­gen Zeit vor me­dia­len End­ge­rä­ten, und ge­nau dort kann pas­sie­ren, was in der Ge­schich­te the­ma­ti­siert wird: Ein Aben­teu­er be­ginnt und nicht al­le, die dort auf­tau­chen, sind gu­te Ge­stal­ten. An­hand von Fürst Leo, der dem Mäd­chen Ju­lia Angst macht und sie be­droht, kann man sehr gut die Ge­fah­ren des In­ter­nets be­han­deln und dass es un­ab­ding­lich ist, Er­wach­se­ne mit­ein­zu­be­zie­hen – so wie es am En­de der Ge­schich­te ja auch ge­schieht.

So ge­se­hen ist Hin­ter ver­zau­ber­ten Fens­tern ein tief­schich­ti­ges Stück, das ei­nen leich­ten Ein­stieg in ernst­haf­te Ge­sprä­che er­mög­licht, und gleich­zei­tig ist es so un­ter­halt­sam und warm­her­zig, dass sich Kin­der wun­der­bar dar­über iden­ti­fi­zie­ren kön­nen.

Ab­schlies­send bleibt nur ei­ne Fra­ge: Was für ei­nen Ad­vents­ka­len­der wünscht ihr euch in die­sem Jahr? Scho­ko­la­de oder Bild­chen? Mei­ne Kids sind sich un­ei­nig: Theo (5 Jah­re) will un­be­dingt ei­nen mit Bil­dern, Ar­thur (8 Jah­re) zeigt sich skep­tisch: «Das war al­les Fake! Ich neh­me lie­ber ei­nen mit Scho­ko­la­de.» – Okay, das Gu­te siegt eben nicht im­mer, aber was wir al­le mit­neh­men, ist, dass wir die Ad­vents­zeit mit vie­len Ge­schich­ten und ge­mein­sa­men Er­leb­nis­sen fül­len möch­ten – und dass ist viel wert­vol­ler als ein gut ge­füll­ter Ad­vents­ka­len­der.


Hin­ter ver­zau­ber­ten Fens­tern: bis 25. De­zem­ber, Stadt­thea­ter, Kon­stanz. 
thea­ter­kon­stanz.de 

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