Der Frage, was ein Name ist, stellte sich bereits Shakespeare. Goethes Dr. Faust war der Meinung, dass ein Name überbewertet sei. Doch die Komödie Der Vorname von Matthieu Delaporte und Alexandre de la Patellière antwortet darauf: der Name ist Programm. Ein Vorname kann uns in Fussstapfen treten lassen von Held:innen, oder eben auch in Fettnäpfchen, wenn der Vorname mit «f» statt mit «ph» geschrieben wird. Und das gilt übrigens auch für Spitznamen.
Man könnte meinen, dass sich heutzutage niemand mehr gross wundert, wenn Babys nach Himmelsrichtungen, griechischen Gött:innen oder Luxusmarken benannt werden. Moralisch vielleicht nicht unbedenklich, aber soweit «scheissegal» – solange wir damit keine Diktator:innen, Terrorist;innen oder Mörder:innen assoziieren. Denn diese No-Gos sind in ihrer emotionalen, wertenden Begleitvorstellung so tief im kollektiven Bewusstsein verankert, dass auch nur die angedachte Taufe als politischer Akt, ja sogar als faschistisches Statement interpretiert wird. Schliesslich leben wir ja nicht in einem «luftleeren Raum».
Was im Stück als «schlechter Witz» auf Kosten anderer beginnt, schaukelt sich innerhalb der Familie Garaud-Larchet hoch zu einem streitsüchtigen Spiel. Die kritische Gesellschaftskomödie ist hinsichtlich dieser hitzigen Vornamen-Debatte kein leichter Happen. Doch Regisseurin Brigitte Schwarz inszeniert die Geschichte entlang der Figuren zu einem köstlichen Hahnenkampf. Und alle müssen eine bittere Pille schlucken. Ein Unentschieden? Völlig ausgeschlossen.
«Nöd ganz alli Tasse im Schrank»
Alles beginnt eigentlich ganz gewöhnlich, aber ausdrucksstark: immer das gleiche Theater in einer Ehe. Durch einen Guckkasten (u.a. Martin Krämer) sieht man in eine gutbürgerliche Stube mit Kamin, einer Schnapsbar, verstreutem Kinderspielzeug zwischen den Sofakissen und einer Brockhaus-Enzyklopädie im Bücherregal. Alles ist ein bisschen zusammengewürfelt. Aber natürlich gut versichert.
Als visuelles Hörspiel ist die erste Szene zwischen einer Erzählerstimme aus dem Off (Thomas Schwarz) und den letzten Vorbereitungen des Ehepärchens inszeniert. Situationskomik par excellence, jedoch nur am Anfang. Der bünzlige Literaturprofessor im Pullunder, Pierre Garaud (Lukas Bucheli), sucht noch seinen Garagenschlüssel, bevor die Gäste kommen. Das marokkanische Essen vorbereitet und die Kinder ins Bett gebracht hat natürlich die fürsorgliche Elisabeth Garaud-Larchet (Laura von Wartburg). Innerlich köchelt bei beiden schon das Blut. «Merde!»
Aber schon hier zeigt sich eine der allgemeinen Stärken der Inszenierung: Die Schauspielenden haben viel dramaturgische Freiheit, um tief in die Figuren zu schlüpfen, sie zu färben und sie sehr persönlich und überzeugend zu verkörpern. Und im Dialekt wirkt das Ganze noch eindringlicher. Chapeau ans Ensemble!
Ein Fettnäpfchen nach dem anderen
Der Frieden wird dann komplett zerstört, als Elisabeths ordinärer Bruder, Vincent Larchet (Angelo Lepore) im bordeauxroten Anzug mit einem leichten «Rechtsdrall» zur Türe reinkommt. Provokant verdirbt er allen den Appetit, noch vor der Ankunft seiner Frau, durch das Spoilern des geplanten Vornamens seines noch ungeborenen Sohnes. Die hitzige Debatte beginnt. Kann ein beschmutzter Name wieder reingewaschen werden? Es scheint unmöglich. Dann schon lieber nach dem Vater oder der Mutter benennen.
Mit dem Auftritt der schwangeren Frau von Larchet, Anna Caravati (Giuglietta Grand), kann die illustre Gesellschaft der absurd-lächerlichen Diskussion zwischen den beiden Männern nur noch durch die Zigarette am Fenster entfliehen. Vernunft ist zwecklos. Arroganz und Egoismus haben die Bühne bereits belagert. Der einzige Friedensstifter im Stück ist der Posaunist (Markus Andrea Gruber), der seiner Figur im Frack eine ganz besonders romantische, unschuldige Ader verleiht. Neutral versucht er, dem Streit auszuweichen, so gut wie’s in dieser Runde eben geht. Doch auch er hat sich «schuldig» gemacht oder wird besser gesagt schuldig gemacht.
Auf den Gusto kommen
Der Regie gelingen tiefe Blicke in die Abgründe der Figuren einerseits durch emotionale Dialoge und andererseits durch heftige Schlagabtäusche. Im Vergleich zur Filmadaption des Stücks konzentriert sich Schwarz voll und ganz auf die Figurenkomik. Und das gelingt! Praktisch originalgetreu und nur mit leichten Kürzungen und Abweichungen lässt sie die Handlung vorantreiben.
Jedoch werden weder die szenischen Vorgänge noch die Figuren gross durch Musik oder Beleuchtung kommentiert oder akzentuiert, was die Mitte des Stücks ein bisschen im Kreis drehen lässt. Als würden sich die Figuren im Streit selbst verlieren. Doch am Ende krachts nochmals richtig laut, Fetzen fliegen, oder besser gesagt Vincent über den Tisch und das ganze Spiel endet offen mit einer Grimasse.
Die Quintessenz des Stücks? Namen benennen uns nicht, sie formen und prägen uns. Und gewisse Stigmata und Klischees verkomplizieren alles. Denn auch abseits der Theaterbühne sind viele damit beschäftigt, sogar besessen davon, sich einen Namen zu machen, das Image zu jedem Preis aufrechtzuerhalten oder den Namen anderer in Schmutz zu ziehen. Und es ist, wie Einstein schon sagte, leider immer noch leichter ein Atom zu spalten als ein Vorurteil.
«Der Vorname»: Kellerbühne St.Gallen, nächste Vorstellung 15. April, 20 Uhr, weitere Termine im April.