Mehr als nur ein Name

Die Namensdebatte ist heftig im Gange. (Bild: Christian Lippuner)

Ein Amuse-Bouche mit einer Extraportion Komik: Die St.Galler Kellerbühne serviert den französischen Klassiker Der Vorname im Dialekt unter der Regie von Brigitte Schwarz. Die Ego-Kollisionen auf der Bühne zeigen auf: ein Name ist nicht bloss Schall und Rauch.

Der Fra­ge, was ein Na­me ist, stell­te sich be­reits Shake­speare. Goe­thes Dr. Faust war der Mei­nung, dass ein Na­me über­be­wer­tet sei. Doch die Ko­mö­die Der Vor­na­me von Mat­thieu Del­apor­te und Alex­and­re de la Pa­tel­liè­re ant­wor­tet dar­auf: der Na­me ist Pro­gramm. Ein Vor­na­me kann uns in Fuss­stap­fen tre­ten las­sen von Held:in­nen, oder eben auch in Fett­näpf­chen, wenn der Vor­na­me mit «f» statt mit «ph» ge­schrie­ben wird. Und das gilt üb­ri­gens auch für Spitz­na­men.

Man könn­te mei­nen, dass sich heut­zu­ta­ge nie­mand mehr gross wun­dert, wenn Ba­bys nach Him­mels­rich­tun­gen, grie­chi­schen Gött:in­nen oder Lu­xus­mar­ken be­nannt wer­den. Mo­ra­lisch viel­leicht nicht un­be­denk­lich, aber so­weit «scheiss­egal» – so­lan­ge wir da­mit kei­ne Dik­ta­tor:in­nen, Ter­ro­rist;in­nen oder Mör­der:in­nen as­so­zi­ie­ren. Denn die­se No-Gos sind in ih­rer emo­tio­na­len, wer­ten­den Be­gleit­vor­stel­lung so tief im kol­lek­ti­ven Be­wusst­sein ver­an­kert, dass auch nur die an­ge­dach­te Tau­fe als po­li­ti­scher Akt, ja so­gar als fa­schis­ti­sches State­ment in­ter­pre­tiert wird. Schliess­lich le­ben wir ja nicht in ei­nem «luft­lee­ren Raum».

Was im Stück als «schlech­ter Witz» auf Kos­ten an­de­rer be­ginnt, schau­kelt sich in­ner­halb der Fa­mi­lie Ga­r­aud-Lar­chet hoch zu ei­nem streit­süch­ti­gen Spiel. Die kri­ti­sche Ge­sell­schafts­ko­mö­die ist hin­sicht­lich die­ser hit­zi­gen Vor­na­men-De­bat­te kein leich­ter Hap­pen. Doch Re­gis­seu­rin Bri­git­te Schwarz in­sze­niert die Ge­schich­te ent­lang der Fi­gu­ren zu ei­nem köst­li­chen Hah­nen­kampf. Und al­le müs­sen ei­ne bit­te­re Pil­le schlu­cken. Ein Un­ent­schie­den? Völ­lig aus­ge­schlos­sen.

«Nöd ganz al­li Tas­se im Schrank»

Al­les be­ginnt ei­gent­lich ganz ge­wöhn­lich, aber aus­drucks­stark: im­mer das glei­che Thea­ter in ei­ner Ehe. Durch ei­nen Guck­kas­ten (u.a. Mar­tin Krä­mer) sieht man in ei­ne gut­bür­ger­li­che Stu­be mit Ka­min, ei­ner Schnaps­bar, ver­streu­tem Kin­der­spiel­zeug zwi­schen den So­fa­kis­sen und ei­ner Brock­haus-En­zy­klo­pä­die im Bü­cher­re­gal. Al­les ist ein biss­chen zu­sam­men­ge­wür­felt. Aber na­tür­lich gut ver­si­chert. 

Als vi­su­el­les Hör­spiel ist die ers­te Sze­ne zwi­schen ei­ner Er­zäh­ler­stim­me aus dem Off (Tho­mas Schwarz) und den letz­ten Vor­be­rei­tun­gen des Ehe­pär­chens in­sze­niert. Si­tua­ti­ons­ko­mik par ex­cel­lence, je­doch nur am An­fang. Der bünz­li­ge Li­te­ra­tur­pro­fes­sor im Pul­lun­der, Pierre Ga­r­aud (Lu­kas Bu­cheli), sucht noch sei­nen Ga­ra­gen­schlüs­sel, be­vor die Gäs­te kom­men. Das ma­rok­ka­ni­sche Es­sen vor­be­rei­tet und die Kin­der ins Bett ge­bracht hat na­tür­lich die für­sorg­li­che Eli­sa­beth Ga­r­aud-Lar­chet (Lau­ra von Wart­burg). In­ner­lich kö­chelt bei bei­den schon das Blut. «Mer­de!» 

Aber schon hier zeigt sich ei­ne der all­ge­mei­nen Stär­ken der In­sze­nie­rung: Die Schau­spie­len­den ha­ben viel dra­ma­tur­gi­sche Frei­heit, um tief in die Fi­gu­ren zu schlüp­fen, sie zu fär­ben und sie sehr per­sön­lich und über­zeu­gend zu ver­kör­pern. Und im Dia­lekt wirkt das Gan­ze noch ein­dring­li­cher. Cha­peau ans En­sem­ble!

Ein Fett­näpf­chen nach dem an­de­ren

Der Frie­den wird dann kom­plett zer­stört, als Eli­sa­beths or­di­nä­rer Bru­der, Vin­cent Lar­chet (An­ge­lo Le­po­re) im bor­deaux­ro­ten An­zug mit ei­nem leich­ten «Rechtsd­rall» zur Tü­re rein­kommt. Pro­vo­kant ver­dirbt er al­len den Ap­pe­tit, noch vor der An­kunft sei­ner Frau, durch das Spoi­lern des ge­plan­ten Vor­na­mens sei­nes noch un­ge­bo­re­nen Soh­nes. Die hit­zi­ge De­bat­te be­ginnt. Kann ein be­schmutz­ter Na­me wie­der rein­ge­wa­schen wer­den? Es scheint un­mög­lich. Dann schon lie­ber nach dem Va­ter oder der Mut­ter be­nen­nen.

Mit dem Auf­tritt der schwan­ge­ren Frau von Lar­chet, An­na Ca­rava­ti (Giu­gli­et­ta Grand), kann die il­lus­tre Ge­sell­schaft der ab­surd-lä­cher­li­chen Dis­kus­si­on zwi­schen den bei­den Män­nern nur noch durch die Zi­ga­ret­te am Fens­ter ent­flie­hen. Ver­nunft ist zweck­los. Ar­ro­ganz und Ego­is­mus ha­ben die Büh­ne be­reits be­la­gert. Der ein­zi­ge Frie­dens­stif­ter im Stück ist der Po­sau­nist (Mar­kus An­drea Gru­ber), der sei­ner Fi­gur im Frack ei­ne ganz be­son­ders ro­man­ti­sche, un­schul­di­ge Ader ver­leiht. Neu­tral ver­sucht er, dem Streit aus­zu­wei­chen, so gut wie’s in die­ser Run­de eben geht. Doch auch er hat sich «schul­dig» ge­macht oder wird bes­ser ge­sagt schul­dig ge­macht. 

Auf den Gus­to kom­men

Der Re­gie ge­lin­gen tie­fe Bli­cke in die Ab­grün­de der Fi­gu­ren ei­ner­seits durch emo­tio­na­le Dia­lo­ge und an­de­rer­seits durch hef­ti­ge Schlag­ab­täu­sche. Im Ver­gleich zur Film­ad­ap­ti­on des Stücks kon­zen­triert sich Schwarz voll und ganz auf die Fi­gu­ren­ko­mik. Und das ge­lingt! Prak­tisch ori­gi­nal­ge­treu und nur mit leich­ten Kür­zun­gen und Ab­wei­chun­gen lässt sie die Hand­lung vor­an­trei­ben. 

Je­doch wer­den we­der die sze­ni­schen Vor­gän­ge noch die Fi­gu­ren gross durch Mu­sik oder Be­leuch­tung kom­men­tiert oder ak­zen­tu­iert, was die Mit­te des Stücks ein biss­chen im Kreis dre­hen lässt. Als wür­den sich die Fi­gu­ren im Streit selbst ver­lie­ren. Doch am En­de krachts noch­mals rich­tig laut, Fet­zen flie­gen, oder bes­ser ge­sagt Vin­cent über den Tisch und das gan­ze Spiel en­det of­fen mit ei­ner Gri­mas­se.

Die Quint­essenz des Stücks? Na­men be­nen­nen uns nicht, sie for­men und prä­gen uns. Und ge­wis­se Stig­ma­ta und Kli­schees ver­kom­pli­zie­ren al­les. Denn auch ab­seits der Thea­ter­büh­ne sind vie­le da­mit be­schäf­tigt, so­gar be­ses­sen da­von, sich ei­nen Na­men zu ma­chen, das Image zu je­dem Preis auf­recht­zu­er­hal­ten oder den Na­men an­de­rer in Schmutz zu zie­hen. Und es ist, wie Ein­stein schon sag­te, lei­der im­mer noch leich­ter ein Atom zu spal­ten als ein Vor­ur­teil.

«Der Vor­na­me»: Kel­ler­büh­ne St.Gal­len, nächs­te Vor­stel­lung 15. April, 20 Uhr, wei­te­re Ter­mi­ne im April.

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