Seelenerkundungen im niederländischen Riet

(Bild:pd)

Ab dem 5. Dezember zeigt das Kinok mit Rietland das bildgewaltige wie atmosphärisch dicht gearbeitete Spielfilmdebüt des niederländischen Regisseurs Sven Bresser. Die Natur und die Natur des Menschen stehen im Vordergrund dieser düster erzählten Geschichte.

Jo­han, ein schon in die Jah­re ge­kom­me­ner Schilf­bau­er, lebt zu­rück­ge­zo­gen auf sei­nem Hof im nie­der­län­di­schen Marsch­land. Hin und wie­der be­kommt er Be­such von sei­ner jun­gen En­ke­lin, die bei ihm über­nach­tet und ih­re Zeit vor al­lem da­mit ver­bringt, al­lein vor dem Fern­se­her zu sit­zen. Jo­han ist Wit­wer und die Haupt­fi­gur in Riet­land, dem Spiel­film­de­büt von Sven Bres­ser. Durch Jo­han er­le­ben wir haut­nah den Ar­beits­all­tag ei­nes be­schei­de­nen wie wort­kar­gen Schilfs­chnei­ders im länd­lich ge­präg­ten Teil der Nie­der­lan­de. Über die gan­ze Län­ge des Films wirkt Jo­han ver­schlos­sen. Was in sei­nem In­ners­ten vor sich geht, tritt nur ge­le­gent­lich an die Ober­flä­che.

In den ers­ten zehn Mi­nu­ten des Films wird kaum ge­spro­chen, im Vor­der­grund steht die ein­sa­me Ar­beit auf dem Feld: Man sieht Jo­han wie er mit Gum­mi­stie­feln im ho­hen Schilf steht und es mit ei­ner Si­chel be­ar­bei­tet. Die raue win­di­ge Land­schaft mit ih­ren Feucht­wie­sen und lang­ge­zo­ge­nen Ka­nä­len ist un­über­hör­bar, der Him­mel weit und der Schilf­bau­er in sei­nem Ele­ment, in­dem er die ur­alte Hand­werks­tra­di­ti­on des Schilf- bzw. Ree­t­an­baus am Le­ben hält. Vom Ein­satz gros­ser Ma­schi­nen hält er nicht viel. 

Im Ver­lauf der Ge­schich­te wird klar, dass die al­te Tra­di­ti­on des Schilf­an­baus im Aus­ster­ben be­grif­fen ist, weil Chi­na mit Bil­lig­prei­sen den Markt schwemmt. Ein Kun­de Jo­hans meint da­zu: «So sind die Zei­ten […] Du musst eben mit der Zeit ge­hen.» Als wä­re das Aus­ster­ben sei­nes Be­rufs nicht Grund ge­nug, in Zwei­fel zu ge­ra­ten, er­eig­net sich aus­ge­rech­net auf sei­nem An­bau­feld ein Mord an ei­nem jun­gen Mäd­chen. Halb­nackt wird es ei­nes Mor­gens von Jo­han auf­ge­fun­den. Die ört­li­che Po­li­zei tappt dar­auf­hin lan­ge Zeit im Dun­keln. Die Dorf­ge­mein­schaft ist in Schock­star­re, wo­bei Jo­han wie be­ses­sen ver­sucht, her­aus­zu­fin­den, wer das Mäd­chen ge­tö­tet hat.

In Da­vid-Lynch-Ma­nier

Jo­han wird von Re­gis­seur Sven Bres­ser als ein ei­gen­sin­ni­ger und wort­kar­ger Mensch in Sze­ne ge­setzt: Die Ka­me­ra geht da­bei meist auf Ab­stand und zeigt in der To­ta­len das zu­rück­ge­zo­ge­ne Le­ben so­wohl im Haus als auch auf dem Feld. Die Bild­fol­gen at­men Ru­he und zei­gen das All­täg­li­che. Sven Bres­ser und Ka­me­ra­mann Sam du Pon ar­bei­ten vor al­lem mit kam­mer­spiel­ar­ti­ger At­mo­sphä­re und le­gen Wert auf lang nach­hal­len­de Bild­fol­gen. So zeigt du Pon un­ter an­de­rem die ge­schun­de­nen Ar­bei­ter­hän­de des Bau­ern in Gross­auf­nah­me, oder lässt sie beim ein­sa­men Be­ten am Kü­chen­tisch zur äs­the­ti­schen At­trak­ti­on wer­den. Auch das Ver­ge­hen von Zeit giesst Ka­mer­mann du Pon in ru­hen­de Bil­der, die er un­ter an­de­rem mit dem lau­ten Ti­cken ei­ner Kü­chen­uhr ver­bin­det. Selbst der be­schäm­te und lang­an­hal­ten­de Blick Jo­hans in ei­nen al­ten Wand­spie­gel wird auf über­zeu­gen­de Wei­se dar­ge­stellt.

Das Sound­de­sign des Films ist eben­falls ein­drucks­voll: Die fla­che Land­schaft im Nor­den der Nie­der­lan­de kommt ei­nem un­glaub­lich nah. Man hat den Ein­druck, Teil die­ser Land­schaft zu sein, der Wind säu­selt ei­nem ins Ohr, der Re­gen pras­selt ge­gen die Wind­schutz­schei­be, das Was­ser rauscht und rinnt, und klei­ne­re Feu­er – von Jo­han an­ge­facht – pras­seln vor sich hin. Sven Bres­ser, der auch das Dreh­buch von Riet­land ge­schrie­ben hat, ist ein Meis­ter der Ver­dich­tung von Bil­dern und Tö­nen. Nicht um­sonst wird er mit Re­gis­seu­ren wie Da­vid Lynch und Ing­mar Berg­mann ver­gli­chen.

Die Na­tur selbst wie auch die Na­tur des Men­schen ste­hen im Zen­trum der Ge­schich­te. Man spürt in je­der Ein­stel­lung, wie ernst es dem Re­gis­seur um sein The­ma ist: Er führt sei­ne Fi­gu­ren nicht vor, er lässt sie in die­ser be­son­de­ren Land­schaft sie selbst sein, mit all ih­ren Ängs­ten, Sor­gen, und Be­gier­den. Es ist aus­ser­dem ei­ne be­son­de­re Stär­ke des Films, dass selbst ta­bui­sier­te The­men wie Selbst­be­frie­di­gung oder auch die zu­neh­men­de Ver­ein­ze­lung und Ver­ein­sa­mung in­ner­halb der Ge­sell­schaft in all ih­rer Dras­tik ge­zeigt wer­den.

Orts­kennt­nis­se durch Feld­ar­beit

Die 112 Mi­nu­ten Film­län­ge wir­ken nie ge­dehnt, die ein­ge­ar­bei­te­te Span­nung an kei­ner Stel­le auf­ge­setzt. Das Be­droh­li­che wirkt im All­täg­li­chen fort. Dass Sven Bres­ser bei sei­nem 2025er-Spiel­film­de­büt mit Lai­en ge­ar­bei­tet hat, merkt man Riet­land nicht an – Jo­han wird von Ger­rit Knob­be wun­der­bar und sou­ve­rän ge­spielt. Ken­nen­ge­lernt ha­ben sich Lai­en­dar­stel­ler und Re­gis­seur wäh­rend der drei Som­mer, die Bres­ser als Ern­te­hel­fer im Marsch­land ver­bracht hat. Die­ser Zeit ver­dankt der Re­gis­seur auch die Orts­kennt­nis so­wie die Ein­füh­lung in die Land­schaft.

Zu­letzt schaff­te es der Film in die Aus­wahl der Se­maine de la Cri­tique für die Film­fest­spie­le in Can­nes 2025, er­hielt beim 74. In­ter­na­tio­na­len Film­fes­ti­val Mann­heim-Hei­del­berg den Fi­pre­sci-Kri­ti­ker­preis und wur­de als nie­der­län­di­scher Bei­trag für die Os­cars ein­ge­reicht.

Man wünscht die­sem fein ge­spon­ne­nen Film ein gros­ses Pu­bli­kum und wei­te­re an­er­ken­nen­de Prei­se. Denn ob­wohl die­ses aus­ser­ge­wöhn­li­che Spiel­film­de­büt des 33-jäh­ri­gen Nie­der­län­ders Sven Bres­ser oft nur Din­ge an­reisst, vie­les so­gar of­fen­lässt, ist die nie­der­län­disch-bel­gi­sche Pro­duk­ti­on ein pa­cken­der wie kunst­voll ar­ran­gier­ter Thril­ler, der ge­konnt mit Ele­men­ten des ma­gi­schen Rea­lis­mus ar­bei­tet und so­gar Vi­deo­kunst­ele­men­te in sei­ne Hand­lung auf­nimmt.

Riet­land: meh­re­re Vor­füh­run­gen bis 31. De­zem­ber, Ki­nok St.Gal­len

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