, 12. April 2017
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«Wir müssen den Spagat machen, um selbsttragend zu sein»

#Saitenfährtein in Wil – und besucht den löblichen Gare de Lion. Ein Gespräch mit Mike Sarbach und Simon Müller vom Vorstand: über städtische Subventionen, ehrenamtliches Arbeiten und easy Öffnungszeiten.

Der Gare de Lion in Wil. (Bild: co)

Saiten: Stört es euch eigentlich, dass ich immer noch von der Remise spreche, wenn ich den Gare de Lion meine?

Mike Sarbach: Gar nicht. Wir reden selber auch oft von der Remise. Der Namenswechsel hatte eher taktische Gründe: Als wir das Lokal 2008 vom Verein Remise übernommen haben, hatte es in gewissen Bevölkerungskreisen nicht gerade den besten Ruf. Dem wollten wir entgegenwirken – nicht zuletzt, weil wir auch auf öffentliche Beiträge angewiesen sind. Wir wollten einen Neustart, darum haben wir den Namen zu Gare de Lion gewechselt.

Um wie viel Geld geht es?

Simon Müller: In den letzten Jahren hatten wir jeweils einen Umsatz von etwa einer halben Million Franken. Rund 15 Prozent davon sind Subventionen. Unterstützt werden wir von der Stadt Wil und vom Kanton St.Gallen.

Mike: Und punktuell vom Lotteriefonds. Dank diesem haben wir zum Beispiel seit kurzem ein neues Mischpult. Was ich zum Umsatz noch sagen will: 500’000 ist zwar eine schöne Zahl, aber richtige Löhne können wir uns nach wie vor keine auszahlen, sonst wären wir bei 600’000 oder 700’000 Franken.

Gibt es wenigstens eine Defizitgarantie?

Mike: Nein, für Verluste muss der Verein haften, darum machen wir auch jeweils Rückstellungen bei den Anlässen, die gut laufen.

Welche sind das?

Simon: Weihnachten, Bad Taste- und Elektro-Partys. Ohne diese Anlässe ginge es gar nicht. Diesen Spagat müssen wir machen, um möglichst selbsttragend zu sein. Wir können nicht nur die «coolen» kleinen Sachen veranstalten, sondern müssen gewisse Anlässe querfinanzieren.

Unter anderem Im GdL:
15. April: Artifacts, Prop Dylan und Landon Wordswell (yay!)
1. Mai: Toundra & Silentbass
12. Mai: Fleshgod Apocalypse
19. Mai: St.Kitts Royal Orchestra
20. Mai: Big Daddy Kane & Main Flow
4. Juni: Snak The Ripper
garedelion.ch

Trotzdem habe ich nicht das Gefühl, dass euer Lokal ein Kommerzschuppen ist. Andere meistern diese Gratwanderung weniger souverän.

Mike: Das freut uns, danke. Und wir machen ja auch ganz viele unkommerzielle Sachen; Lesungen, Kindertheater, Diskussionsrunden und etliche kleine Konzerte. Als mittelgrosser Club sind wir halt auch etwas dazu verdammt, diese Aufbauarbeit zu machen. Manchmal haben wir Bands im Gare de Lion, die kaum jemand sehen will – und zwei Jahre später sind sie dann dick im Geschäft. Das bringt uns zwar finanziell nichts, dafür profitiert unser Ruf als Kulturlokal.

Simon: Davon leben wir ja ein Stück weit auch. Ausserdem haben wir einen Leistungsauftrag von Stadt und Kanton: Wir sind verpflichtet, die kleinen und lokalen Kulturinitiativen zu unterstützen. Alles in allem haben wir einen sehr guten Vibe im Gare de Lion, finde ich. Auch weil wir für alle Genres und Altersklassen etwas zu bieten haben.

Wie ist denn die generelle Einstellung der Stadt euch gegenüber? Müsst ihr um jeden Batzen kämpfen oder seid ihr ein eingespieltes Team?

Simon: Der Dialog mit der Stadt und dem Kanton ist sehr gut. Matthias Löpfe, unser Vereinspräsident, hat ein sehr gutes Verhältnis aufgebaut. Er führt die Verhandlungen und konnte schon viel erreichen. Auch sonst sind wir ziemlich gut vernetzt, unter anderem dank Mike, der für die Grünen im Wiler Parlament sitzt und Nicole Losurdo von der Betriebsgruppe, die in der Wiler Kulturkommission ist.

Mike: Früher war das anders, da waren wir noch eher eigenbrötlerisch unterwegs und wollten möglichst autonom sein. Doch als Kulturbetrieb mit einer gewissen Grösse sind wir mittlerweile auf ein gutes Verhältnis mit den Behörden angewiesen. Wenn ich den finanziellen Beitrag der öffentlichen Hand mit den Beträgen von früher vergleiche, sind wir momentan definitiv auf einem guten Weg: Am Anfang waren es um die 35’000 Franken, heute sind es über 90’000.

Bleiben wir beim Geld: Ist es euer Ziel, irgendwann richtige Löhne auszuzahlen?

Mike: Wir arbeiten daran, ja. Im Moment läuft es gut, aber am Anfang war es wirklich schwierig, die guten Leute in der Betriebsgruppe und im Vorstand zu halten. Ab einem gewissen Alter kann man es sich einfach nicht mehr leisten, x Stunden gratis zu arbeiten…

Simon Müller (links), 1983, ist Aktuar im Vorstand des Gare de Lion und betreut das Ressort Promo & Medien. Mike Sarbach, 1981, ist Vorstandsmitglied und Leiter des Ressorts Programm.

In Wil dürfen die Gartenbeizen bis Mitternacht geöffnet sein. Davon können wir in St.Gallen nur träumen…

Mike: Ja, das war eine kleine Revolution, die unter anderem der florierenden Beizenszene in Wil zu verdanken ist. Im Gare de Lion durften wir früher nur bis um eins beziehungsweise bis um 3 Uhr nachts offen haben. Heute – nach jahrelangem Kampf – können wir pro Jahr 30 Events bis um 3 Uhr machen und 20 bis morgens um 5. Dafür sind die Auflagen relativ streng: Wir müssen unter anderem immer Security-Personal stellen, auch für die Strecke vom Silo bis zum Bahnhof.

Also gibt es auch nie Ärger mit Nachbarn?

Simon: So viele haben wir ja nicht, da wir im Industriegebiet sind, aber die Bässe an den Elektro-Partys sind teilweise schon bis auf die andere Seite der Gleise zu hören. Reklamationen gibt es zwar selten, aufpassen müssen wir aber trotzdem.

Mike: Um allfälligen Problemen vorzubeugen, haben wir jedes Jahr eine Sitzung mit dem Quartierverein, mit der Kantonspolizei, unserem Sicherheitsdienst und dem Leiter Markt & Gewerbe der Stadt. Man verlangt zwar relativ viel von uns, dafür kommt man uns mit den Öffnungszeiten entgegen.

Demnach habt ihr ja ein einigermassen entspanntes Verhältnis zur Stadt und zur Politik… Habt ihr trotzdem noch Wünsche?

Mike: Wir sind ja auch nicht in St.Gallen… Aber Spass beiseite: Finanziell könnte man uns schon noch weiter entgegenkommen. Wenn ich den Gare de Lion mit ähnlichen Clubs – Salzwerk, Palace, Grabenhalle oder Eisenwerk – vergleiche, hält sich die öffentliche Unterstützung für uns schon sehr in Grenzen. Mir geht es ums Prinzip: Ich begreife nicht, dass man von uns immer erwartet, dass wir alles ehrenamtlich und in Freiwilligenarbeit machen, während es beispielsweise im Stadtsaal oder in der Tonhalle völlig selbstverständlich ist, dass man einen marktüblichen Lohn bekommt. Immerhin gibt es uns schon seit fast 30 Jahren…

Simon: Ja, die Arbeitsbedingungen sind eine Katastrophe. Wenn jemand als Ressortleiter Verantwortung übernimmt, sollte das auch mit einem Teilpensum entschädigt werden. Sonst laufen uns früher oder später die Leute davon. Trotzdem haben wir zurzeit eine sehr gute Stimmung in der Betriebsgruppe. Man spürt den Teamgeist und merkt, dass wir alle am gleichen Strang ziehen.

Der Gare de Lion:
1989 wurde die Remise in Wil gegründet und war ab Mitte der 90er-Jahre über die Landesgrenzen hinaus als Konzert- und Partylokal bekannt. Ende 2007 löste sich der Verein Remise aus personellen Gründen auf und übergab das Projekt dem Verein Kulturzentrum Wil. Im Herbst 2008, nach einigen Umbauarbeiten, startete der Kulturbahnhof Gare de Lion seinen Betrieb. Die programmatischen Schwerpunkte der Remise wurden übernommen und durch Konzerte mit lokalen Bands, Lesungen, Poetry Slam, Comedy, Kleintheater und weiteren Veranstaltungen ergänzt. Geleitet wird das Lokal heute von einem fünfköpfigen Vorstand (Matthias Löpfe, Mike Sarbach, Timo Hollenstein, Simon Müller, Oliver Wiesendanger) und einer 16-köpfigen Betriebsgruppe.

Mehr zu Wil: im Maiheft von Saiten.

Diesen Samstag im Gare de Lion: Landon Wordswell

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