Saiten: Das Vulvadrachenkollektiv gibt es seit zwei Jahren. Wer seid ihr?
Taz: Wir sind ein queerfeministisches Kunstkollektiv für queere und FINTAQ*-Personen. Kunst definieren wir sehr breit, auch eine Party kann Kunst sein. Tatsächlich ist das Kollektiv an einer Party entstanden, am ersten Feen-Fest in der «Tankstell». Eine Freundesgruppe hatte das organisiert, mit dem Ziel, dass die Leute verkleidet kommen können, so wie sie wollen, mit Flügeln und Glitzer, und alle eine schöne Zeit haben.
Ginger: Die Gründungsmitglieder kommen zum Teil aus der Musikszene, haben Konzerte und Livemusik gespielt. Da hatte sich Frust angestaut, weil immer, wenn ein DJ für nach dem Konzert gesucht wurde oder jemand, der mischen kann, nur cis Männer die Chance oder den Job bekommen haben. Wir haben so viele talentierte Freunde, die in diversen Bereichen tätig sind, da wollten wir vernetzen, damit auch nicht cis Männer, Leute, die sonst eben nicht an solche Jobs kommen, eine Chance haben.
Und funktioniert das?
Ginger: Zu einem gewissen Grad schon, wir befinden uns momentan aber noch in der Vernetzungsphase, die wird wohl auch nie aufhören. Uns ist es aber in erster Linie wichtig gewesen, dass wir auch selber Sachen organisieren, unser Netzwerk nutzen und uns gemeinsam unterstützen.
Man kann euch also anfragen, um eine Veranstaltung zu organisieren?
Ginger: Ja, genau, und mitmachen! Wir sehen uns als Ressourcenpool. Wir haben Leute, die sich mit Tontechnik auskennen, mit Theatern oder wie man Fördergelder vom Kanton für eine Albumproduktion bekommt.
Ihr seid aber auch ein politisches Bündnis.
Taz: Ja, der Protest ist für uns ein grosser Aspekt. Kunst ist sehr politisch. Und das liegt uns allen sehr am Herzen. Als queere Menschen sind wir vielleicht eh schon mehr politisiert als andere.
Ginger: Darum haben wir uns von Anfang an intersektional gedacht, wir wollten, dass alle Platz haben. Wir sind auch sehr schnell beispielsweise ins antikapitalistische Bündnis St.Gallen eingetreten, um dort eine queerfeministische Stimme reinzubringen.
Also dürfen alle Menschen bei euch mitmachen?
Taz: Wir haben lange diskutiert, wer mitmachen darf im Kollektiv. Und schlussendlich haben wir entschieden, dass wir zum Beispiel auch eine solidarische Männergruppe machen für cis-hetero Männer, die uns unterstützen möchten. Obwohl wir immer mal wieder Werbung machen, besteht sie aus einer Person. Uns ist es aber wichtig, viele Leute einzuschliessen. Im FINTA-Treff ist vielleicht nicht unbedingt Platz für schwule Männer. Oder trans Männer. Oder eine Kollegin von uns, die ist super engagiert im Vulvadrachenkollektiv, ist einfach hetero. Wenn wir ein rein queeres Kollektiv wären, würde sie nicht dabei sein können. Viele wissen ja auch nicht, wer queer ist oder nonbinär. Darum haben wir sogar überlegt, ob wir überhaupt eine Differenz zu einer solidarischen Männergruppe machen wollen. Wir haben uns gefragt, ob wir nicht geoutete Menschen nicht exponieren, wenn wir sie abgrenzen. Wir haben auch, für die Menge an Leuten, die bei uns mitmachen, eine grosse Anzahl Menschen mit Behinderung.
Euer Markenzeichen ist ein riesiger Drache. Wofür steht er?
Taz: Der Vulvadrache provoziert. Er ist ein Fabelwesen. Leute fühlen sich ja schon sehr vor den Kopf gestossen, wenn man das Wort Vulva laut ausspricht. «Vulvadrache» auf eine Fahne zu schreiben, irritiert und erregt Aufmerksamkeit. Die Mutter von unserem Mitglied aus der solidarischen Männergruppe hat den Drachenkopf dort in einer Mulde gefunden und uns gefragt, ob wir ihn brauchen könnten. Wir haben ihn dann neu bemalt und jetzt wächst er stetig, die Regebogenflügel kamen beispielsweise an der ersten St.Galler Pride dazu.
Ginger: Uns ging es aber auch um eine aufklärerische Arbeit. Noch immer wird fälschlicherweise das ganze Genital als Vagina bezeichnet, was ja nicht korrekt ist.
Taz: Es gab aber auch schon trans Frauen und auch teilweise trans Männer, die sich nicht sicher waren, ob sie willkommen sind bei uns, weil ihre Vulva sie entweder belastet oder sie eben keine haben. Darum ist für uns wichtig, dass es ein Vulvadrache ist und kein Vulva-Drache. Wir benutzen auch oft die Abkürzung Vudra.
Warum glaubt ihr, braucht es immer noch jedes Jahr einen feministischen Streik?
Taz: Das sieht man ja an den Zahlen. Gerade kürzlich ist der Hate-Crime--Bericht (siehe Infobox) rausgekommen. 2024 gab es rund sechs Meldungen von Gewalt oder Diskriminierung pro Woche! Auch im «LGBTIQ+ Panel», einem Projekt von Forscher:innen der Universität Zürich, zeigt sich, dass die meisten queeren Personen Diskriminierung erleben. Ich bin erschrocken darüber, wie dreist Leute in der Öffentlichkeit diskriminieren, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen.
Ginger: Diesen Hate-Crime-Bericht gibt es erst seit ein paar Jahren. Da braucht es also noch viel Arbeit. Zumal die Dunkelziffer enorm hoch ist und diesbezügliche Schätzungen jedes Jahr nach oben gehen. Wir sind weit entfernt davon, Tatsachen abzubilden. Und da haben wir noch gar nicht über Femizide gesprochen.
Taz: Wir sollten uns in unseren Gemeinsamkeiten stützen und nicht auf unsere Unterschiede fokussieren. Weil zusammen sind wir einfach mehr oder stärker. So ist es auch mit seltenen Krankheiten, wie ich eine habe. In der Schweiz gibt es mehr Leute mit seltenen Krankheiten als Leute mit Diabetes. Wir sind viele!
Ginger: Dazu kommt, dass die Schweiz immer noch nur zwei Geschlechter anerkennt. Nur schon da läuft im Bezug zur Bedeutung von Feminismus, nämlich der Gleichstellung aller Geschlechter, ziemlich viel falsch.
Taz: Genau darum ist es wichtig, dass wir laut sind. In der LGBTIQ-Bewegung gibt es aber je länger, je mehr auch Stimmen, die sagen, jetzt wo wir akzeptiert sind, wollen wir nicht mehr so anecken. Und das ist schwierig, weil es uns Queers in zwei Lager teilt.
Also die, die anecken und die, die sich anpassen?
Taz: Ja und das ist sehr problematisch, ich höre immer wieder von trans femininen Personen, dass sie sich nichts anderes wünschen, als unsichtbar zu sein. Weil, wenn sie nicht sichtbar wären und einfach als Frau gelesen würden, wäre es sicherer für sie. Diese Unsichtbarkeit anzustreben ist aus meiner Sicht aber der falsche Weg. Es schützt zwar den Teil der trans Frauen, die irgendwann als Frau und nicht mehr als trans Person gelesen werden. Aber was passiert mit allen nonbinären Personen, die nirgendwo unsichtbar sind? Diesen Platz, den uns ein Teil der Gesellschaft nicht geben will, müssen wir uns nehmen, das geht halt nur mit Protest und Aktivismus.
Wie geht ihr mit Feministinnen um, die Angst um die Rechte haben, die sie schon erkämpft haben?
Taz: Ich glaube, es ist wichtig, aufzuzeigen wer der «Feind» ist. Wir wollen ja alle dasselbe, ich nehme diesen Personen keine Rechte weg. Uns beiden werden Rechte genommen, von jemand anderem.
Ginger: In Grossbritannien diskutiert man gerade, was eine cis Frau ist. Dadurch betreffen trans Themen plötzlich auch cis Frauen. Und ich glaube, wenn wir aufzeigen können, dass Feminismus intersektional sein muss, damit er funktioniert, hilft das am meisten. Ausserdem ist es ja noch nicht lange her, dass wir das Frauenstimmrecht eingeführt haben. Die Angst, diesen Platz, den man schon erkämpft hat, zu verlieren, ist nachvollziehbar. Umso wichtiger ist es, dass wir das ehren, weil ohne diesen Schritt könnten wir unseren auch nicht gehen. Und natürlich müssen wir den Dialog suchen und zeigen, dass wir fürs Gleiche einstehen: für Gleichberechtigung.
Was ist euer nächstes Projekt?
Taz: Wir wollen einen Living-Library-Event machen, wo wir den Austausch zwischen Menschen aus marginalisierten Gruppen und interessierten Menschen aus nicht marginalisierten Gruppen fördern wollen. Dabei möchten wir klären, was beispielsweise invasive Fragen sind und warum man sie vielleicht nicht stellen sollte. Wir möchten aber auch ein paar solcher Fragen beantworten, damit die aus der Welt sind. Ich würde da zum Beispiel erklären, warum es wenig hilfreich ist, einer Person im Rollstuhl gute Besserung zu wünschen. Das ist für mich in dem Moment anstrengend, aber ich kann damit etwas auflösen und verbessern.
Ginger: Es geht auch drum, die Kommunikation zu erleichtern und Vorurteile abzubauen. Und um den Kontakt und Austausch mit betroffenen Menschen. Es sind dann nicht mehr nur einfach diese trans Menschen, von denen alle reden. Im Gespräch merkt man, dass das ganz normale Leute sind.
Tanz: Wir haben auch ein Awarenesskonzept erarbeitet für den Umgang unterschiedlicher Kollektive und Gruppen untereinander. Damit wollen wir eine Basis für eine bessere Zusammenarbeit und Zukunft legen.
Worauf freut ihr euch am diesjährigen Streik besonders?
Ginger: Auf die Demo. Es ist so wichtig und so cool, gemeinsam mit anderen Leuten laut zu sein, zu kämpfen und zu zeigen, dass wir da sind. Man fühlt sich kräftig und mächtig, das fehlt vielen im Alltag, und an so einer Demo kann man das spüren.
Taz: Ja. Und man spürt, dass man nicht alleine ist, nicht alleine kämpft.
Ginger (es/keine), 1999, Student:in an der PHSG, musikalisch aktiv in Bands seit 2017, Mitglied Vulvadrachenkollektiv
Taz (dey/deren), 1998, Psychologie- und Soziologiestudent:in an der UZH, aktivistisch seit 2017, Mitglied Vulvadrachenkollektiv