, 7. Juli 2019
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Der Samenbömbeler

K.R.* wünscht sich eine grünere Stadt mit grösserer Biodiversität und tut auch etwas dafür. Heimlich, nachts und manchmal auch tagsüber, streut er Samen. Hier erläutert K.R., der anonym bleiben will, das Warum und das Wie.

Saiten: Weshalb säst du Pflanzen? Ist die «Stadt im grünen Ring» nicht grün genug?

K.R.: Schaut euch mal um! Wie viele Insekten habt ihr dieses Jahr schon gesehen? Subjektiv und objektiv werden es immer weniger. Das liegt auch an der Verödung der innerstädtischen Ökosysteme. Überall wüste Steingärten, unbepflanzte Böden und diese monokulturelle Buchsbaumheckenmanie. Da lebt nichts, das ist alles tot und viel zu clean. Der Boden will sich aber bedecken, und das würde er auch, wenn man ihn liesse.

Darum wirfst du Samen in fremde Gärten?

Ja, auch in fremde Gärten. Besonders bei Privaten auf den Hügeln tötelets teils stark. Aber natürlich sind die Erfolgsaussichten auf einen schönen Bewuchs vor allem an jenen Orten grösser, die nicht gejätet werden. Also auf öffentlichen Plätzen, etwa um Bäume herum, entlang von Hausmauern oder auf Verkehrskreiseln. Im Fachjargon spricht man von ruderalen Standorten, also vom Menschen überprägte, brache oder devastierte Standorte, wo nichts mehr wächst oder der Wuchs von Pflanzen verhindert wird.

Ist das nicht verboten?

Auf privaten Grundstücken vermutlich schon. Das ist mir aber egal. Die Luft mit SUV-Abgasen zu verpesten ist auch frech.

Welche Pflanzen empfiehlst du?

Es müssen anspruchslose Pflanzen sein, die mit kargen Böden klarkommen. Das sind vorzugweise heimische Pionierpflanzen, zum Beispiel Lattich, Tagetes, Kornblumen oder sonstige Sommerblumen. In Zürich pflanzt ein «Kollege» Malven. Man sollte einfach darauf achten, keine invasiven Pflanzen zu streuen, die dem Ökosystem schaden könnten. Im Samengeschäft des Vertrauens wird man sicherlich gut beraten.

Wie gehst du konkret vor?

Ich trage immer ein Filmdöschen mit einer speziellen Ruderalsaatmischung bei mir. So kann ich jederzeit spontan eingreifen, wenn ich an einem unbegrünten Ort vorbei gehe. Für etwas geplantere Aktionen bereite ich Samenbömbeli vor. Das sind aus Lehm, Blumenerde, Kompost und Samen zusammengeknetete Kügelchen, die ein, zwei Tage getrocknet und dann ausgeworfen werden. So ist die Saat vor Vögeln geschützt, und sobald es regnet, quellen die Kugeln auf und die Pflanzen können keimen. Es gibt auch die Möglichkeit, schattige Betonwände mit einer Mischung aus Buttermilch und Moos zu beschmieren oder zu beschriften. Damit habe ich persönlich aber noch keine Erfahrung gemacht.

Deine «Bepflanzungsangriffe» sind nicht politisch motiviert?

Ich will nicht die Gehirne der Menschen, sondern die Böden begrünen. Ich bin also kein aktivistisch bewegter Guerilla-Gardener. Mir geht es nicht um den Ungehorsam, sondern lediglich um eine gewisse Unordnung in den viel zu sterilen Gärten und um mehr Farbe und Leben im alltäglichen Betongrau.

*Die richtigen Initialen sind der Redaktion bekannt.

Dieser Beitrag erschien im Sommerheft von Saiten.

 

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