Er spricht mit Häusern

Andreas Kölbener arbeitet als freischaffender Zimmermann in St.Gallen. Statt auf Konventionen hört er auf die Sprache des Hauses und orientiert sich dabei an vergangenen Jahrhunderten. Er findet, Neubauten haben oft einen schlechten Charakter.

Andreas Kölbener bei einer Aufrichtung (Bild: Roman Berner)

«Ich bin süch­tig nach die­ser Selbst­wirk­sam­keit. Das kann auch un­ge­sund sein», sagt An­dre­as Köl­be­ner. «Wenn ich ei­nen Tag nichts pro­du­zie­re, füh­le ich mich manch­mal un­be­frie­digt.» Der ge­lern­te Zim­mer­mann hat sich vor fünf Jah­ren selbst­stän­dig ge­macht. Hier in St.Gal­len, Un­te­re Krä­zern, fer­tigt er Holz­bän­ke, Bal­ken, Bö­den und Re­ga­le für Kund:in­nen und für sich selbst an.

Die Werk­statt liegt im Sit­ter­to­bel. Nur ein paar Häu­ser ste­hen hier. In je­nem mit ro­sa­ro­ten Schin­deln wohnt und ar­bei­tet Köl­be­ner. Die Werk­statt un­ten, die Woh­nung oben.

Die Fens­ter ste­hen of­fen, nur das Rau­schen des Flus­ses ist zu hö­ren. Der 27-Jäh­ri­ge sitzt zap­pe­lig in sei­ner Kü­che auf ei­nem Frei­schwin­ger-Stuhl. Am rech­ten Ohr trägt Köl­be­ner ei­nen run­den Ohr­ring. Kein tra­di­tio­nel­ler Ohr­ring, wie man ihn als Zim­mer­mann trägt. Die­ser wä­re im lin­ken Ohr. Sein Ohr­ring sei von Ver­sace. Er lacht. «Spass, der ist vom Floh­markt.»

Vom Ap­pen­zel­ler­haus zur ei­ge­nen Spra­che

Von Ap­pen­zell In­ner­rho­den, wo Köl­be­ner auf­ge­wach­sen ist, zog es ihn erst­mals ins «Chn­ob­li­hus», ei­ne ehe­ma­li­ge al­ter­na­ti­ve Haus­ge­mein­schaft in St.Gal­len, Rot­mon­ten – und ein Ort der Sub­kul­tu­ren. Das war es auch, was Köl­be­ner in Ap­pen­zell ge­fehlt hat. Es be­schäf­tigt ihn bis heu­te. «Die Ge­sell­schaft könn­te viel pun­ki­ger le­ben.» Un­kon­ven­tio­nell. Kei­ne Schub­la­den. «Auch der Bau und die Ar­chi­tek­tur soll­ten mehr punk sein. Un­kon­ven­tio­nel­le Lö­sun­gen. Das heisst nicht, dass et­was schlud­rig ge­macht wird.» Im Ge­gen­teil: Ge­nau­ig­keit sei ihm sehr wich­tig. 

We­nig spä­ter im Ge­spräch zeigt er auf ein Fo­to, das ein­ge­rahmt an der Wand hängt. Es zeigt das El­tern­haus. Ein al­tes, tra­di­tio­nel­les Ap­pen­zel­ler­haus. «Das war aber, be­vor es mein Va­ter um­ge­baut hat», so Köl­be­ner. Der sei auch Zim­mer­mann. «Wir sind aber ganz an­ders im Stil. Ich schät­ze das Al­te und ver­su­che im­mer, die Hand­wer­ker­spra­che ei­nes Hau­ses zu fin­den und in die­sem Stil wei­ter­zu­bau­en.» Das ha­be er auch mit sei­ner Woh­nung ge­macht.

Farb­spren­kel zie­ren die ver­gilb­ten Wän­de. «Im­per­fek­ti­on ist auch ein Ge­stal­tungs­mit­tel», meint Köl­be­ner. Die Woh­nung war einst ei­ne Werk­statt. Drei Me­ter Raum­hö­he. Er zeigt auf ei­ne dun­kel­grün be­mal­te Wand, dar­un­ter die lan­gen Bret­ter er­kenn­bar: «Die Wand sieht so aus, als wä­re sie alt. Da­bei ha­be ich sie neu ge­macht. Ich ha­be mich am In­dus­trie­bau-Stil des Hau­ses ori­en­tiert.» Die Kü­che, die Schrän­ke, die Bö­den sind auch selbst ge­macht. Al­les aus hel­lem Fich­ten­holz – sein Lieb­lings­holz. Ei­ne Wand hat er li­la ge­stri­chen. Dar­an hän­gen Plat­ten: Alan Par­sons Pro­ject, Leo­nard Co­hen, Pink Floyd.

Nach der Zeit im «Chn­ob­li­hus» folg­ten ei­ni­ge Zi­vil­dien­st­ein­sät­ze, ei­ner da­von in Äthio­pi­en, und ei­ni­ge län­ge­re Rei­sen. Da­mals dach­te er ei­gent­lich, nicht mehr an­ge­stellt als Zim­mer­mann ar­bei­ten zu wol­len. In sei­ner Bu­de sei vie­les rou­ti­niert, in­dus­tri­ell und kon­ven­tio­nell ge­we­sen. Nach sei­ner Rück­kehr brauch­te er je­doch Geld und hat dar­auf­hin an­ge­fan­gen, Wohn­zim­mer zu re­no­vie­ren. «So bin ich qua­si in die Selbst­stän­dig­keit rein­ge­rutscht», sagt Köl­be­ner. «Und es läuft gut. Ich kann die Auf­trä­ge an­neh­men, die mir Freu­de ma­chen.» Und auch ei­ge­nen krea­ti­ven Pro­jek­ten nach­ge­hen.

Kunst in der Zim­me­rei

Köl­be­ner steht auf und führt ins Wohn­zim­mer. Er zeigt auf ei­nen Holz­sche­mel, auf dem ein gros­ser un­be­ar­bei­te­ter Stein be­fes­tigt ist. Ein Mö­bel­stück, das er zu­sam­men mit Ivo All­goe­wer, ei­nem Kol­le­gen, der als De­si­gner ar­bei­tet, ent­wor­fen hat – die­se wur­den an der Lau­san­ner De­sign­wo­che und im To­day Art Mu­se­um in Pe­king aus­ge­stellt. «In Kom­bi­na­ti­on mit Holz er­hal­ten Stei­ne ei­ne No­bles­se», meint Köl­be­ner. Al­les Ma­te­ri­al stammt aus ei­nem Wald in Ap­pen­zell. Leng­ge­wääd­li heisst er. «Wenn du auf dem Stein­stuhl sitzt, fühlt es sich so an, als wür­dest du draus­sen im Wald sein. Da­bei bist du in dei­nem Wohn­zim­mer», sagt Köl­be­ner schmun­zelnd. Für ihn be­deu­tet die­ses Pro­jekt öko­lo­gi­sches Bau­en. Ei­ne Rück­kehr zur Na­tur.

Die Möbelserie verbindet traditionelle Handwerkskunst mit zeitgenössischem Design. (Bild: Andreas Kölbener)

Das Holz ha­ben die bei­den 2021 wäh­rend der Mond­pha­sen ge­holzt. Das sei nicht spi­ri­tu­ell, son­dern Wis­sen­schaft: Das Holz wer­de bei ab­neh­men­dem Mond ge­schla­gen, weil es we­ni­ger Saft füh­re und so wi­der­stands­fä­hi­ges und ru­hi­ges Holz er­zeugt wer­de. Köl­be­ner zeigt zum hel­len Kü­chen­re­gal. Fich­te, wenn in der rich­ti­gen Mond­pha­se ge­schla­gen, ha­be sehr ru­hi­ge Ei­gen­schaf­ten, zum An­schau­en, aber auch zum Be­ar­bei­ten, weil es nicht so schnell auf Feuch­tig­keit re­agie­re. Hat Holz ei­nen Cha­rak­ter? «Ar­ven­holz ist be­ru­hi­gend, es riecht auch so. Weiss­tan­ne stinkt nach Kat­zen­urin», sagt Köl­be­ner.

Tra­di­ti­on mit Selbst­be­stim­mung

Spä­ter Nach­mit­tag, noch zwei Stun­den bis Fei­er­abend. Af­fo­ga­to? Weiss­wein? Köl­be­ner holt zwei mund­ge­bla­se­ne Wein­glä­ser aus dem Kü­chen­re­gal. «Die­ses Holz ist aus ei­ge­nem Schlag», so Köl­be­ner.

Auf den tra­di­tio­nel­len Lauf der Zim­mer­män­ner – die Walz – ge­he er nicht. Aber ei­nen Zim­mer­manns­hut be­sit­ze er dann doch. Wenn es reg­net, sei der hilf­reich. «Manch­mal ha­be ich das Ge­fühl, dass Zim­mer­män­ner un­ter sich blei­ben möch­ten», so Köl­be­ner. Auf der Home­page von Zim­me­rei­en fin­det man meist nur Schwei­zer Nach­na­men. «Da­bei fin­de ich die Stim­mung auf Bau­stel­len lus­tig. Es ist im­mer ei­ne so­zia­le Her­aus­for­de­rung, ge­ra­de als Bau­lei­ter.»

Un­ten in der Werk­statt be­rei­tet ein Mit­ar­bei­ter das Holz für die nächs­te Wo­che vor. Er ar­bei­tet tem­po­rär mit Köl­be­ner zu­sam­men. Im Ra­dio läuft SRF3, Ta­ke on Me. «So wie es halt ty­pisch ist auf ei­ner Bau­stel­le», meint Köl­be­ner schmun­zelnd. In den Ecken ste­hen Ha­ras­se voll mit Ap­pen­zel­ler Bier, Wein­fla­schen und Was­ser­fla­schen – von ei­ner Jam­ses­si­on letz­tes Wo­chen­en­de. Hier im Gar­ten hat Köl­be­ner ei­ni­ge Leu­te des «Chn­ob­li­hus» woh­nen las­sen, nach­dem die Stadt das Haus im Früh­ling ver­kauft hat. «Die Po­li­zei hat dann al­le ver­scheucht», sagt er.

Zu­sam­men mit sei­nem Mit­ar­bei­ter lädt Köl­be­ner die lan­gen Holz­bret­ter auf den An­hän­ger des Au­tos. Die bei­den re­no­vie­ren ein Haus in Wit­ten­bach. Nächs­te Wo­che gehts los. Ein 150-jäh­ri­ges Bau­ern­haus. «Es ver­langt nach ein­fa­chen und funk­tio­na­len Lö­sun­gen. Das Bo­den­stän­di­ge soll er­hal­ten blei­ben. Die Strick­wän­de blei­ben drin», so Köl­be­ner. Ganz im Sin­ne der al­ten Hand­wer­ker­spra­che des Hau­ses.

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