Fall Grüninger: Tatort war Bern, nicht das St.Galler Rheintal

Mark Pieth, Katja Achermann, Moderator Kaspar Surber, Valérie Arato und Paul Rechsteiner diskutieren an der «Erfreuliche Universität» im Palace die Geschichte von Paul Grüninger. (Bilder: pbu) 

Vor genau 30 Jahren wurde der St.Galler Polizeihauptmann Paul Grüninger, der hunderte Jüdinnen und Juden zur Zeit des Nationalsozialismus vor dem Tod gerettet hatte, juristisch rehabilitiert. Verschiedene Fachleute diskutierten am Freitag im Palace Grüningers Zivilcourage, die juristische Aufarbeitung sowie über Fluchthilfe im heutigen Kontext.

Das Pu­bli­kums­in­ter­es­se war gross am Frei­tag­abend, das Pa­lace war bis auf ei­ni­ge we­ni­ge Plät­ze voll be­setzt. Im Rah­men der Ver­an­stal­tungs­rei­he «Er­freu­li­che Uni­ver­si­tät» wa­ren ver­schie­de­ne Ver­tre­ter:in­nen aus Po­li­tik, Wis­sen­schaft und dem ju­ris­ti­schen Be­rufs­stand ein­ge­la­den. Sie roll­ten, mo­de­riert von WOZ-Re­dak­tor Kas­par Sur­ber, die Ge­schich­te von Paul Grü­nin­ger auf. Der Schrift­stel­ler und His­to­ri­ker Ste­fan Kel­ler, der 1993 mit sei­nem Buch Grü­nin­gers Fall. Ge­schich­ten von Flucht und Hil­fe zur po­li­ti­schen so­wie der dar­auf­fol­gen­den ju­ris­ti­schen Re­ha­bi­li­tie­rung des St.Gal­ler Po­li­zei­haupt­manns im Jahr 1995 mass­geb­lich bei­getra­gen hat­te, hielt ein Ein­füh­rungs­re­fe­rat, in dem er Grü­nin­gers Sus­pen­die­rung und die Fol­gen bis zu sei­ner Re­ha­bi­li­tie­rung re­ka­pi­tu­lier­te.

So be­rich­te­te Kel­ler, wie Paul Grü­nin­ger am 3. April 1939, von ei­nem Tag auf den an­de­ren, der Zu­gang zu sei­nem Bü­ro im St.Gal­ler Klos­ter­vier­tel un­ter­sagt wur­de. «Ur­kun­den­fäl­schung und Amts­pflicht­ver­let­zung» warf man ihm vor. Aus­ser­dem soll er nach An­sicht der St.Gal­ler Be­hör­den sei­nen Chef hin­ter­gan­gen und das Eid­ge­nös­si­sche Jus­tiz- und Po­li­zei­de­par­te­ment ge­täuscht ha­ben.

Es müs­se für Grü­nin­ger ei­ne lan­ge Zeit ge­we­sen sein, zwi­schen sei­ner Sus­pen­die­rung als Po­li­zei­kom­man­dant im Früh­ling 1939 bis zum Pro­zess im Herbst 1940, ver­mu­tet Ste­fan Kel­ler. Da­nach muss­te er noch­mals ein gu­tes hal­bes Jahr, bis Früh­jahr 1941, auf sein Ur­teil war­ten.

We­nig me­dia­le Un­ter­stüt­zung, da­für Ge­rüch­te und Un­wahr­hei­ten

Die Me­di­en ha­ben da­mals kaum über Grü­nin­gers Ent­las­sung be­rich­tet, und falls doch, wur­den vor al­lem Ge­rüch­te kol­por­tiert. So soll er an­geb­lich von den Ju­den fi­nan­zi­ell pro­fi­tiert, se­xu­el­le Ge­gen­leis­tun­gen von Jü­din­nen er­hal­ten ha­ben oder so­gar ein heim­li­cher Ver­eh­rer der Na­zis ge­we­sen sein. Für kei­nen die­ser Vor­wür­fe sei je­mals ein Be­weis ge­fun­den wor­den, er­klär­te Kel­ler. Par­tei er­grif­fen für Grü­nin­ger hat­te da­mals le­dig­lich der Ost­schwei­zer Pu­bli­zist Jo­hann Bap­tist Rusch, der Her­aus­ge­ber der Schwei­ze­ri­schen Re­pu­bli­ka­ni­schen Blät­ter war.

Stefan Keller, Autor des Buchs Grüningers Fall. Geschichten von Flucht und Hilfe. 

Rusch schrieb in ei­nem Ar­ti­kel: «Man hat hier viel­leicht nicht ganz zweck­un­ge­wollt ei­nen ab­so­lut ehr­ba­ren Eid­ge­nos­sen und treu­en Be­am­ten sei­nes Staa­tes zu Un­recht in übels­tes Licht ge­bracht. Das, wes­we­gen Haupt­mann Grü­nin­ger in Un­ter­su­chung steht, spricht für sei­ne Mensch­lich­keit.» Ge­nau die­se Mensch­lich­keit wur­de kri­mi­na­li­siert. Tat­sa­che ist: Grü­nin­ger hat­te in dem knap­pen Jahr vor sei­ner Sus­pen­die­rung hun­der­te, viel­leicht so­gar tau­sen­de Jü­din­nen und Ju­den über die Gren­ze im St.Gal­ler Rhein­tal die Ein­rei­se in die Schweiz er­mög­licht und ih­nen da­mit nicht nur die Rück­kehr in die Hän­de der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten er­spart, son­dern sie auch vor dem si­che­ren Tod in ei­nem der Kon­zen­tra­ti­ons- und Ver­nich­tungs­la­ger ge­ret­tet.

Was hat Grü­nin­ger ge­macht und wes­halb wur­de er ver­ur­teilt? Bis zum 18. Au­gust 1938 konn­ten Jü­din­nen und Ju­den pro­blem­los und le­gal aus Deutsch­land in die Schweiz ein­rei­sen. Von die­sem Tag an al­ler­dings galt die so­ge­nann­te «Grenz­sper­re», jü­di­schen Men­schen wur­de die Ein­rei­se in die Schweiz ver­bo­ten. Wer al­so vor dem 18. Au­gust 1938 Deutsch­land ver­liess, war ge­ret­tet und hat­te ein le­ga­les Blei­be­recht in der Schweiz. Grü­nin­ger da­tier­te des­halb das Ein­rei­se­da­tum al­ler Jü­din­nen und Ju­den, die nach der «Grenz­sper­re» ein­reis­ten, zu­rück auf ein be­lie­bi­ges Da­tum vor dem 18. Au­gust 1938. Da­mit le­ga­li­sier­te er bis zu sei­ner Sus­pen­die­rung im Früh­jahr 1939 ih­ren Auf­ent­halts­sta­tus und ret­te­te ihr Le­ben.

Die­ser klei­ne bü­ro­kra­ti­sche Akt führ­te letzt­lich zur Sus­pen­die­rung und Ver­ur­tei­lung Grü­nin­gers. Ein Po­li­zei­chef, der nicht nur weg­schaut, son­dern be­wusst Do­ku­men­te fälscht, war ge­mäss da­ma­li­ger Hal­tung in­ak­zep­ta­bel. Nach Aus­sa­gen von Mark Pieth, eme­ri­tier­ter Straf­rechts­pro­fes­sor der Uni­ver­si­tät Ba­sel und Ver­fas­ser ei­nes Gut­ach­tens zur Re­ha­bi­li­tie­rung so­wie am Frei­tag ei­ner der Gäs­te auf dem Po­di­um, hat­te das Ge­richt 1940 in der Be­ur­tei­lung des Falls die Ri­si­ken der jü­di­schen Men­schen un­ter­schätzt und nicht wirk­lich ernst ge­nom­men. «Ich will nicht sa­gen, dass die Leu­te da­mals, ins­be­son­de­re je­ne des St.Gal­ler Ge­richts, ver­kapp­te Na­zis wa­ren, aber sie wa­ren dem Ge­dan­ken­gut des Drit­ten Reichs ge­gen­über doch re­la­tiv of­fen», be­schrieb Pieth die da­ma­li­ge Hal­tung ge­gen Grü­nin­ger. Schliess­lich sei­en zu die­sem Zeit­punkt auch Kennt­nis­se von Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern be­reits vor­han­den ge­we­sen.

Mark Pieth

Nicht zu ver­ges­sen ist die Tat­sa­che, dass es der Bun­des­rat in Bern war, der das Ein­rei­se­ver­bot für jü­di­sche Men­schen er­wirk­te. Der Be­fehl aus Bern sei da­mals nicht nur falsch, son­dern auch il­le­gal ge­we­sen, er­klär­te Pieth. Be­reits vor 1938 exis­tier­te näm­lich das so­ge­nann­te Non-Re­fou­le­ment-Prin­zip, das der Völ­ker­bund, die Vor­läu­fer­or­ga­ni­sa­ti­on der heu­ti­gen UNO, be­reits Jah­re vor Grü­nin­gers Flucht­hil­fe ent­wi­ckelt hat­te. Non-Re­fou­le­ment be­deu­tet: Flücht­lin­ge, de­nen gra­vie­ren­de Ri­si­ken oder so­gar der si­che­re Tod droht, dür­fen nicht ab­ge­wie­sen wer­den. Ein Völ­ker­bund-Kon­zept aus den 1920er-Jah­ren.

Di­lem­ma zwi­schen der Ver­pflich­tung ge­gen­über dem Staat und der ei­ge­nen mo­ra­li­schen Pflicht

«Ge­mäss die­sem Prin­zip hat Grü­nin­ger nicht nur eh­ren­haft ge­han­delt, son­dern er hat­te auch recht im ju­ris­ti­schen Sin­ne», er­klär­te der ehe­ma­li­ge St.Gal­ler SP-Po­li­ti­ker Paul Rech­stei­ner, der auch Prä­si­dent der Paul Grü­nin­ger Stif­tung ist, am Po­di­um. Die­se Tat­sa­che sei auch für Grü­nin­gers Toch­ter Ruth Rod­uner bis zu ih­rem Tod En­de 2021 im­mer ent­schei­dend ge­we­sen. Man dür­fe aus­ser­dem nicht ver­ges­sen, dass es der Schwei­zer Bun­des­rat ge­we­sen sei, der die Na­zi-Be­hör­den in Ber­lin auf­for­der­te, die jü­di­schen Päs­se mit ei­nem nicht ab­wasch­ba­ren «J» zu kenn­zeich­nen, er­in­ner­te Rech­stei­ner an die da­ma­li­ge Pra­xis. 

Paul Grü­nin­ger be­fand sich recht­lich in ei­ner «Pflich­ten­kol­li­si­on». Das sei ein Not­stand, so Mark Pieth. Grü­nin­ger ha­be ei­ner­seits die Wei­sung aus Bern, die Ein­rei­se zu ver­weh­ren, als Amts­pflicht ge­se­hen, an­de­rer­seits sah er sei­ne per­sön­li­che Pflicht, Men­schen­le­ben zu ret­ten. Was ist zu tun in ei­ner sol­chen Si­tua­ti­on? Wel­che Pflicht ist hö­her zu ge­wich­ten? Ge­mäss dem ju­ris­ti­schen Prin­zip dür­fe ei­ne Per­son – in die­sem Fall Paul Grü­nin­ger –, so­bald zwei Pflich­ten gleich schwer wie­gen, je­ner den Vor­zug ge­ben, die er oder sie für rich­tig hal­te. Grü­nin­ger hat­te al­so die Wahl, den Be­fehl des Bun­des­rats zu be­fol­gen oder Men­schen­le­ben zu ret­ten. Er ent­schied sich für Letz­te­res.

Flucht und Flucht­hil­fe gel­ten bis heu­te als kri­mi­nell

Kat­ja Acher­mann, ei­ne auf Men­schen­rech­te und Asyl­recht spe­zia­li­sier­te An­wäl­tin, sieht im Fall Grü­nin­ger Par­al­le­len zu heu­te. Die Kri­mi­na­li­sie­rung von Flucht­hil­fe oder der Flucht selbst sei im Völ­ker­recht ein gros­ses The­ma. Es ge­be auch Bei­spie­le in der Schweiz: «Es gibt Men­schen, die in der See­not­ret­tung en­ga­giert sind und als Flucht­hel­fer:in­nen an­ge­klagt wer­den, weil sie Men­schen­le­ben ret­ten», sag­te sie. Ob­wohl sich die EU-Staa­ten den Grund­rech­ten der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on ver­pflich­tet hät­ten, stell­ten sie Men­schen vor Ge­richt, die an­de­re Men­schen auf ei­nem ge­ken­ter­ten Boot vor dem Er­trin­ken ret­te­ten.

Katja Achermann

Ein wei­te­res Pro­blem sei die Kri­mi­na­li­sie­rung der Flucht selbst. Im­mer öf­ter wür­den Schlep­per:in­nen die Ar­beit nicht sel­ber aus­füh­ren, son­dern Flücht­lin­ge en­ga­gie­ren, die Boo­te oder Au­tos sel­ber steu­ern. Oft wür­den die­se Ar­beit Flücht­lin­ge er­le­di­gen, die kein ei­ge­nes Geld für die Über­fahrt mit ei­nem Boot ha­ben, er­klär­te Acher­mann. Da­mit ma­chen sich die­se Flücht­lin­ge in EU-Staa­ten zu­sätz­lich straf­bar – oft mit dras­ti­schen Fol­gen. Im Durch­schnitt wür­den mi­gran­ti­sche Schlep­per:in­nen in der EU zu ei­ner Frei­heits­stra­fe von 46 Jah­ren ver­ur­teilt. Auch heu­te noch, ge­nau­so wie 1940, wird das Non-Re­fou­le­ment-Prin­zip aus­ge­höhlt.

Auch Mark Pieth sieht ei­ne rück­läu­fi­ge Ent­wick­lung. Ob­wohl die Schweiz kurz nach dem Krieg 1951 die Flücht­lings­kon­ven­ti­on des Eu­ro­pa­ra­tes ra­ti­fi­ziert hat­te, sei­en wir heu­te in ei­ner Pha­se, in der sich die An­er­ken­nung die­ses Prin­zips wie­der ab­schwä­che, so der eme­ri­tier­te Pro­fes­sor. Es ge­he nicht um Men­schen aus sta­bi­len Län­dern, die ein­fach hier ar­bei­ten woll­ten. Non-Re­fou­le­ment müs­se vor al­lem bei Men­schen aus Län­dern wie Af­gha­ni­stan oder Iran an­ge­wen­det wer­den, de­nen dra­ko­ni­sche Stra­fen oder so­gar der Tod dro­he bei ei­ner Rück­kehr.

Sper­ri­ger Weg zu Grü­nin­gers Re­ha­bi­li­tie­rung

Paul Grü­nin­ger er­leb­te sei­ne voll­stän­di­ge Re­ha­bi­li­tie­rung nicht mehr. Er starb im Fe­bru­ar 1972 – völ­lig ver­armt und oh­ne Ren­te –, ein knap­pes Vier­tel­jahr­hun­dert vor sei­ner ju­ris­ti­schen Re­ha­bi­li­tie­rung im No­vem­ber 1995. Es war un­ter an­de­rem auch Paul Rech­stei­ners Ver­dienst, die Re­ha­bi­li­tie­rung letzt­end­lich durch­zu­brin­gen. 1984 reich­te Rech­stei­ner im St.Gal­ler Gros­sen Rat – dem heu­ti­gen Kan­tons­rat – ein ent­spre­chen­des Pos­tu­lat ein. Die St.Gal­ler Re­gie­rung lehn­te den Vor­stoss im Fe­bru­ar 1985 mit der Be­grün­dung ab, der Be­griff «Re­ha­bi­li­tie­rung» sei dem kan­to­na­len Recht fremd. Ein wei­te­rer An­trag des da­ma­li­gen SP-Kan­tons­ra­tes Hans Fäss­ler wur­de 1989 mit fast iden­ti­scher Be­grün­dung eben­falls ab­ge­lehnt. Im­mer­hin zeig­te die Re­gie­rung Be­reit­schaft, den Fall Grü­nin­ger wis­sen­schaft­lich auf­ar­bei­ten zu las­sen. 

Paul Rechsteiner

Ei­ne wei­te­re In­itia­ti­ve von Paul Rech­stei­ner 1993 im Na­tio­nal­rat brach­te die Re­ha­bi­li­tie­rung schliess­lich ins Rol­len. Als Fol­ge ge­stand der Ge­samt­bun­des­rat 1994 erst­mals die Ab­wei­sung an der Gren­ze, die Ein­füh­rung des Ju­den­stem­pels in den Päs­sen so­wie die Ent­las­sung Grü­nin­gers als Feh­ler ein und be­zeich­ne­te die Hand­lun­gen der da­ma­li­gen Re­gie­rung als «un­halt­ba­re, ras­sis­ti­sche Dis­kri­mi­nie­rung». In­nen­mi­nis­te­rin Ruth Drei­fuss schrieb: «Der Fall Grü­nin­ger ist die Fol­ge ei­nes Rechts­zer­falls im Na­men der Staats­rä­son.» Es sei so­mit Auf­ga­be des gan­zen Lan­des, al­ler Par­tei­en und Re­li­gi­ons­ge­mein­schaf­ten, an­zu­er­ken­nen, dass Grü­nin­ger rich­tig han­del­te, als er in­ter­na­tio­na­lem Ge­wohn­heits­recht folg­te – ei­nem Recht, das die Aus­lie­fe­rung von Op­fern an ih­re Hen­ker ver­bie­tet, so Drei­fuss. Ein Jahr dar­auf wur­de Paul Grü­nin­ger auch vom St.Gal­ler Ge­richt ju­ris­tisch re­ha­bi­li­tiert und sei­ne Ver­ur­tei­lung pos­tum rück­gän­gig ge­macht.

Grü­nin­gers Zi­vil­cou­ra­ge ist heu­te ge­nau­so wich­tig wie 1938/39

Ob­wohl be­reits die Ber­gi­er-Kom­mis­si­on zu den nach­rich­ten­lo­sen Kon­ten und Ver­mö­gen jü­di­scher Gel­der auf Schwei­zer Bank­kon­ten in den 90er-Jah­ren, so­wie auch die Re­ha­bi­li­tie­rung Grü­nin­gers wich­ti­ge Ar­beit ge­leis­tet hät­ten in der Auf­ar­bei­tung der Rol­le der Schweiz im Na­tio­nal­so­zia­lis­mus, dür­fe nicht der Ein­druck ent­ste­hen, es ge­be jetzt nichts mehr zu tun, er­klär­te Va­lé­rie Ara­to, His­to­ri­ke­rin und Ge­schäfts­füh­re­rin des Netz­wer­kes Me­mo­ri­al für die Op­fer des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus. «Die Wahr­neh­mung in der Schwei­zer Ge­sell­schaft, dass nun al­les auf­ge­ar­bei­tet sei, wirkt bis heu­te nach.» Da­bei ge­be es auch in den an­de­ren Lan­des­tei­len – der fran­zö­si­schen und der ita­lie­ni­schen Schweiz – Men­schen, die da­mals wich­ti­ge Ar­beit ge­leis­tet hät­ten und de­ren Wir­ken noch auf­zu­ar­bei­ten sei, so Ara­to. Das Netz­werk Me­mo­ri­al will in den kom­men­den Jah­ren an der schwei­ze­risch-ös­ter­rei­chi­schen Gren­ze ein grenz­über­schrei­ten­des Ver­mitt­lungs­zen­trum zu Eh­ren von Paul Grü­nin­ger er­rich­ten.

Valérie Arato

Ob­wohl Grü­nin­ger seit drei Jahr­zehn­ten voll­stän­dig re­ha­bi­li­tiert ist, mahnt uns sein mo­ra­li­sches und eh­ren­haf­tes Han­deln bis in die Ge­gen­wart. Grü­nin­ger ha­be Mut auf­ge­bracht, sei­ne ei­ge­ne Kar­rie­re zu ris­kie­ren, so Mark Pieth. «Man wünscht sich sol­che Leu­te heu­te in den USA, oder auch hier.» Für Kat­ja Acher­mann steht der Na­me Grü­nin­ger für die «Ver­ant­wor­tung des Ein­zel­nen und für Men­schen­rech­te». Und für Paul Rech­stei­ner ist Grü­nin­ger ei­ne Art «Schu­le der Ur­teils­kraft». Grü­nin­gers Ge­schich­te stellt Fra­gen, mit de­nen wir auch heu­te noch kon­fron­tiert sind.

Das St.Gal­ler Rhein­tal wur­de wäh­rend der NS-Zeit zu ei­nem Stück Welt­ge­schich­te. Auf der ei­nen Sei­te des Rheins das bar­ba­ri­sche Na­zi­re­gime mit dem ans Reich an­ge­schlos­se­nen Ös­ter­reich, auf der an­de­ren Sei­te die de­mo­kra­tisch ge­blie­be­ne Schweiz. Ge­nau in je­ner neu­tra­len und de­mo­kra­ti­schen Schweiz pas­sier­te mit ei­ner an­ti­se­mi­ti­schen Flücht­lings­po­li­tik das Un­fass­ba­re.

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