Freiheitskampf und Scheiterhaufen

Jeanne d'Arc (Jasmin Jbilou) wird von Bischof Pierre Cauchon von Beauvais (Tobias Degen) mit Fragen gelöchert. (Bild: pd)

Pierre Massaux inszeniert mit seinem Théatre du Sacré den historischen Prozess gegen die französische Nationalheilige Jeanne d’Arc. Das Stück ist auch als Kritik auf zeitgeistige Voreingenommenheit zu verstehen.

«Pas­sé out­re!» Mit die­sem Aus­druck (Deutsch et­wa: Das über­ge­he ich!) schmet­ter­te die rea­le Jean­ne d’Arc die boh­ren­den Fra­gen des Kle­rus ab, der ge­gen die Krie­ge­rin pro­zes­sier­te. Manch­mal woll­te, manch­mal konn­te sie nicht ant­wor­ten. Denn der Pro­zess ge­gen sie war von An­fang an ei­ne ab­ge­kar­te­te Sa­che, das Ur­teil im Grun­de schon vor Pro­zess­be­ginn ge­fällt.

«Pas­sé out­re!», schmet­tert auch im­mer wie­der die stark auf­spie­len­de Jas­min Jbi­lou in den Kel­ler der Ro­se, wo das St.Gal­ler Thé­at­re du Sacré den his­to­ri­schen Pro­zess neu auf­rollt. Die Idee zum Stück, das sich eng an den Text des Ge­richts­pro­to­kolls lehnt, hat­te der in Spei­cher le­ben­de Thea­ter­lei­ter und Re­gis­seur Pierre Mas­saux schon vor Jah­ren. Da­mals stand er auf der Pa­ri­ser Place des Py­ra­mi­des und war er­staunt über die gol­de­ne Sta­tue der fran­zö­si­schen Na­tio­nal­hei­li­gen, die hoch zu Pferd ih­re Fah­ne trägt. Be­ein­druckt, aber we­nig über die his­to­ri­sche Fi­gur wis­send, be­gann er sich mit ihr zu be­schäf­ti­gen.

Ein paar Jah­re spä­ter hör­te er in ei­nem Ra­dio­pro­gramm, wie Aus­zü­ge aus den Pro­zess­ak­ten vor­ge­le­sen wur­den. «Un­glaub­lich, wie selbst­be­wusst und frech sie den Pries­tern ant­wor­te­te», sagt Mas­saux am Ran­de ei­ner Pro­be in St.Gal­len. «Die Kir­chen­män­ner stell­ten aber auch im­mer wie­der die­sel­ben Fra­gen, kom­pli­zier­te Fra­gen, auch dum­me Fra­gen.»

In den Fän­gen der In­qui­si­ti­on

Re­li­giö­se Vi­sio­nen hat­ten die jun­ge Frau an­ge­trie­ben, im Hun­dert­jäh­ri­gen Krieg zwi­schen Frank­reich und Eng­land zum Schwert zu grei­fen. Jean­nes Va­ter for­der­te ih­re Hin­rich­tung, weil er glaub­te, sei­ne Toch­ter wol­le als Pro­sti­tu­ier­te an den Kriegs­zü­gen teil­neh­men und nicht als Kämp­fe­rin. In Or­lé­ans ver­half sie 1429 dem spä­te­ren fran­zö­si­schen Kö­nig zu ei­nem wich­ti­gen Sieg, in­dem sie zu­erst ei­nen Zug mit Pro­vi­ant in die be­setz­te Stadt schleus­te und den dar­auf­fol­gen­den, er­folg­rei­chen Aus­fall der nun­mehr wie­der mo­ti­vier­ten Fran­zo­sen an­führ­te.

Ein Jahr spä­ter ge­riet sie bei der fran­zö­si­schen Nie­der­la­ge in der Schlacht vom Com­piè­g­ne in eng­li­sche Ge­fan­gen­schaft. Pro-eng­li­sche Geist­li­che – dar­un­ter Bi­schof Cauchon von Be­au­vais, Jean Beaupè­re, Dom­herr von Rouen, und Jean de la Fon­taine – ver­hör­ten Jean­ne d’Arc. Der In­qui­si­ti­ons­pro­zess dau­er­te über drei Mo­na­te und en­de­te für die An­ge­klag­te be­kannt­lich auf dem Schei­ter­hau­fen. Sie wur­de un­ter an­de­rem we­gen Feen­zau­bers, Hä­re­sie, Dä­mo­nen­glau­ben und Mor­des ver­ur­teilt. Fang­fra­gen, die ihr zu­hauf ge­stellt wur­den, kon­ter­te die jun­ge Frau, die kei­ne klas­si­sche Bil­dung ge­nos­sen hat­te, ge­schickt. Doch brach sie letzt­lich un­ter dem Druck und der Pein der Be­fra­gun­gen zu­sam­men, bis sie ih­re «Schuld» ein­ge­stand.

Weitere Informationen

Thé­at­re du Sacré: Jean­ne d’Arc – Der In­qui­si­ti­ons­pro­zess: Pre­mie­re am 17. Mai, 20 Uhr, Kel­ler der Ro­se, St.Gal­len. Wei­te­re Vor­stel­lun­gen im Mai in St.Gal­len und im Ju­ni in Spei­cher und Teu­fen

Lud­wig van Beet­ho­ven: So­na­te Op. 106 (Ham­mer­kla­vier), Pia­no­kon­zert von Gaspard De­ha­ene, 30. Mai, 20 Uhr (im An­schluss an die Thea­ter­auf­füh­rung), Fest­saal im Stadt­haus der Orts­bür­ger­ge­mein­de St.Gal­len

thea­tre­sacre.org

Die­ser Mo­ment des Zu­sam­men­bruchs ist auch ei­ne Schlüs­sel­sze­ne in der In­sze­nie­rung des Thé­at­re du Sacré. Das Stück gleicht ei­nem Alb­traum, in dem Jean­ne d’Arc qua­si aus dem Jen­seits auf den Pro­zess und ihr Ge­ständ­nis zu­rück­blickt.

Star­kes Lai­en­en­sem­ble

Mas­saux ar­bei­tet hier – wie in den meis­ten an­de­ren sei­ner In­sze­nie­run­gen – mit Lai­en­dar­stel­ler:in­nen. Be­son­ders ein­drück­lich ge­lingt die Ver­kör­pe­rung der Haupt­fi­gur durch Jas­min Jbi­lou. Na­tha­lie Maer­ten, To­bi­as De­gen und Chris­toph Her­zog ge­ben die hart­nä­cki­gen In­qui­si­to­ren. Ei­ne nicht min­der wich­ti­ge Rol­le neh­men Han­na Obykhod, Al­la Ha­lai­ko, Ma­ri­ia Shul­dyk und Na­ta­lia Shor­thyn ein. Die Ukrai­ne­rin­nen bil­den den Chor, der das Pro­zess­ge­sche­hen im­mer wie­der er­läu­tert und kom­men­tiert – manch­mal zwar in ge­bro­che­nem Deutsch, da­für mit um­so mehr schau­spie­le­ri­scher Hin­ga­be.

Mi­gran­ti­sche Stim­men ein­zu­be­zie­hen, zeich­net Pierre Mas­saux’ Thea­ter­ar­beit aus. Für ihn ist das ak­tu­el­le Stück aber auch ei­ne Kri­tik an ak­tu­el­len Zu­stän­den, in de­nen Men­schen oft an vor­ge­fass­ten Mei­nun­gen fest­hal­ten. Den – manch­mal aus­sichts­lo­sen – Kampf da­ge­gen gilt es zu kämp­fen. 

Da­zu passt ge­mäss dem Re­gis­seur auch die Mu­sik von Lud­wig van Beet­ho­ven, der Jean­ne d’Arc seit sei­ner Lek­tü­re von Schil­lers Stück Die Jung­frau von Or­leans be­wun­der­te. Für Mas­saux ist auch Beet­ho­vens Mu­sik kämp­fe­risch, aber nicht de­struk­tiv. Nach der Thea­ter­auf­füh­rung vom 30. Mai, dem Jah­res­tag der Hin­rich­tung von Jean­ne d’Arc, spielt der Pa­ri­ser Pia­nist Gaspard De­ha­ene im Fest­saal des Stadt­hau­ses – al­so in der Nach­bar­schaft zum Ro­sen­kel­ler – Beet­ho­vens So­na­te Op. 106, das so­ge­nann­te «Ham­mer­kla­vier». Ei­ne Mu­sik, die fast so un­mög­lich zu spie­len ist, wie es ei­ner vor­ver­ur­teil­ten Per­son un­mög­lich ist, ei­nen von Be­ginn weg kor­rum­pier­ten Pro­zess zu ge­win­nen.