Achtung Text! In der aktuellen Ausstellung «Let Yourself Be Free» im Kunstmuseum Liechtenstein gibt es viel zu lesen: Satzschnipsel, Worte, Sätze – gross auf Bildern, Plakaten, Monitoren und sogar wandfüllend in Videoprojektionen. Eingeblendet. Ausgeblendet. Der nächste Satz, die nächsten Wörter. Lies weiter! Aber bleibe nicht stehen, sondern bewege dich! Tony Cokes schafft, woran wortreiche Ausstellungen oft scheitern: Der US-amerikanische Künstler verzichtet vollständig auf abbildende Motive und fesselt dennoch.
Er packt Textmaterial auf Textmaterial, aber er langweilt nicht. Er fordert Aufmerksamkeit ein, will aber keinen Stillstand oder andächtige Versenkung. Stattdessen forciert er ein schwungvolles Eintauchen in die Inhalte der Ausstellung. All seine Installationen werden begleitet von eingängigen, elektronischen Rhythmen. «Let Yourself Be Free» ist von Musik durchdrungen und verführt dazu mitzuwippen, weiterzuschlendern und den Klängen nachzugehen – und trotzdem ist sie nicht oberflächlich oder nur aufs Seh- oder Hörvergnügen ausgerichtet.
Tony Cokes ist 1956 in Richmond, Virginia, geboren und lebt in Providence, Rhode Island. Er ist bekannt für seine Videoarbeiten, in denen er Zitate vor leuchtend farbigen Hintergründen einblendet und mit Musik kombiniert. Die Quellen seiner Textfragmente sind Interviews, Aufsätze, oder Artikel und stammen aus journalistischen, akademischen oder populären Quellen.
Bilderverzicht in bildreichen Zeiten
Bis zum 11. September 2001 verwendete Cokes auch Bilder, aber – so berichtet Tony Cokes in einem Interview mit Letizia Ragaglia, der Direktorin des Kunstmuseum Liechtenstein – dieses Ereignis brachte ihn auf die Frage, ob er die schockierenden Fotos der Terroranschläge wirklich einsetzen wollte: «Ich dachte, es müsste doch interessanter sein, über diese Bilder und ihre Wirkung zu sprechen, ohne sie vor Augen zu haben. Später dämmerte mir allmählich, dass diese Vorgehensweise – die Bilder selbst gar nicht zu zeigen – dem Publikum Raum bot, die eigene Erinnerung und eigene Phantasie zu nutzen.»
Zeitgenössisch in Blau (Bild: pd/ Sandra Maier)
Omnipräsenz in Rot (Bild: pd/ Sandra Maier)
Mit dem Verzicht auf die Wiederholung vorhandener Bilder, öffnet er der Vorstellungskraft einen grösseren Raum. Zugleich kann sein Festhalten an dieser Arbeitsweise inzwischen auch als Absage an die Allgegenwart der Bilder gesehen werden. Mit der immer stärkeren Präsenz der Bilder, ihrer nahezu lückenlosen Verfügbarkeit, kann ein Kunstwerk ohne abbildendes Motiv ein umso stärkeres Zeichen setzen.
Tony Cokes vertraut darauf, dass alle ausreichend viele Bilder gesehen haben, um angesichts seiner Themen sofort anknüpfen zu können. So zitiert er beispielsweise aus der Autobiografie des Schwarzen Architekten Paul Revere Williams. Dessen Reflexionen über modernistisches Design, über seine Erfahrungen mit rassistischer Segregation und seine Bemühungen, sich in diesem Umfeld als Architekt zu behaupten, sind so eindrucksvoll, dass sie keiner Bebilderung bedürfen. Oder wenn er den Kurator Okwui Enwezor zu Wort kommen lässt: Der 2019 verstorbene Nigerianer und Kosmopolit spricht über die omnipräsenten Vorurteile und Klischees, wenn über das Begriffspaar Design und Afrika gesprochen wird. Indem Cokes keine Illustrationen liefert, ermöglicht er ein neues Denken, statt die alten Vorstellungen fortzuschreiben.
Kunst über Kunst
Einen anderer grosser Themenschwerpunkt Cokes´ ist die Kunst selbst. Der Künstler lässt Personen aus der Kunstwissenschaft ebenso zu Wort kommen wie solche mit eigener Sammlung, er widmet sich Kunstbegriffen und der Kunstproduktion. Deshalb passt es gut, dass er im Kunstmuseum Liechtenstein auf seine Sammlung zurückgreifen und die Soloschau mit passenden Werken bestücken konnte.
Farbe und Text kommen zusammen (Bild: pd/ Sandra Maier)
Dies beschert dem Kunstpublikum ein Wiedersehen mit Highlights der Minimal Art, der Pop Art und Werken aus der Sammlung Rolf Ricke. Zu sehen sind beispielsweise charakteristische Installationen mit Leuchtstoffröhren von Dan Flavin, Andy Warhols ikonische Siebdruck-Bilder oder Werke von Richard Serra und Donald Judd. Letzterer kommt neben Rolf Ricke und dem Kurator Harald Szeemann auch in einer Auftragsarbeit vor, die Tony Cokes eigens für das Kunstmuseum Liechtenstein realisiert hat und die sich aufs Beste einfügt in die Ausstellung wie auch in die Sammlung des Hauses.
Der Künstler als DJ
Tony Cokes agiert in seinen Arbeiten oft wie ein DJ: Seine Botschaft steckt in seiner Auswahl. Das gilt für alle von ihm verwendeten Medien. Zugleich spielt die Musik eine besondere Rolle. Sie ist nicht nur Sound, sondern als popkulturelles Phänomen auch Inhalt seiner Arbeiten. In «The Morrissey»-Problem schildert er beispielsweise den Zwiespalt, als Schwarzer Teenager die Musik von The Smiths geliebt zu haben und sie immer noch zu hören, sich aber von den rechtsradikalen, rassistischen Äusserungen Morrisseys zu distanzieren.
Auch Persönlichkeiten wie Michael Jackson oder Britney Spears analysiert der Künstler in ihrer Komplexität und Medienpräsenz. Immer wieder gelingt ihm dies durch griffige Zitate und einem nüchternen, reflektierten Umgang mit den Quellen. Nicht zuletzt deshalb lohnt Tony Cokes bildfreie Kunst einer eingehenden Betrachtung.
Tony Cokes – «Let Yourself Be Free»: bis 1.März 2026, Kunstmuseum Liechtenstein.