Für den Kunstraum in der LOK hat die Schweizer Künstlerin Sara Masüger raumgreifende skulpturale Körper geschaffen, die beim Betreten ein neues Raumgefühl entstehen lassen. Die mehrfach ausgezeichnete Künstlerin ist in St.Gallen keine Unbekannte: Bereits 2023 war sie in der «Spotlight»-Ausstellung im Kunstmuseum St.Gallen zusammen mit internationalen Künstler*innen vertreten, zudem befinden sich zahlreiche ihrer Werke in der Sammlung des Museums. Am vergangenen Freitag wurde nun feierlich ihre Ausstellung in der LOK eröffnet.
Mit der Ausstellung «Gedächtnislandschaften» beschreitet Masüger neue Wege, indem sie Architektur und Skulptur im Innenraum miteinander verbindet. Ihre Figuren haben etwas von «Kunst am Bau» an sich, sind nahezu unfigurativ. Gerade dadurch ermöglichen sie eine körperliche Erfahrung der Kunst, die zugleich den Blick auf das Thema Erinnerung lenkt.
Spuren des Machens
Ein poröser Berg, geformt aus den Abdrücken der Hände, die ihn in konzentrierter Eile schufen und an manchen Stellen noch sichtbar sind, bildet das Tor zur Ausstellung. Die ortsspezifische Installation 37 Gradwirkt weniger durch visuelle Glattheit als durch die Spuren des Machens. In zahllosen Arbeitsstunden im Atelier des Sitterwerks hat Sara Masüger, die sich selbst als Workaholic bezeichnet, eine Arbeit entwickelt, die dem herausfordernden Raum der LOK selbstbewusst die Stirn bietet. «Ich habe jetzt keine Angst mehr vor dem Raum», sagt die Künstlerin, die kleinere Ausstellungsräume oft als «dankbarer» zu bespielen empfindet.

Die Künstlerin Sara Masüger (Bild: Katalin Deér)
Der aus Gips geformte Berg mit integrierter Grotte ist ein Einmalkunstwerk – nach Ende der Ausstellung wird es zerstört. Was bleibt, ist nicht das Objekt, sondern die Erinnerung an die Erfahrung des Materials. Mit der Vergänglichkeit ihrer Kunst hat Masüger längst einen eigenen Umgang gefunden: «Ich liebe es einfach zu arbeiten, das macht mich glücklich.» Immer wieder betont sie: «Das Material gibt den Ton an bei mir.»
Erinnern als körperliche Praxis
Der weisse Riese, der sich beim Betreten der Ausstellung vor den Besuchenden auftürmt, stellt diese nicht nur visuell, sondern vor allem körperlich vor eine Herausforderung. Seine Positionierung erinnert an Joseph Beuys’ Gedanken, den Weg durch eine Ausstellung nicht nur als Kunst, sondern auch als Aufforderung zu verstehen, die eigene kreative und gestalterische Kraft zu begreifen und auszuprobieren. Nach einigem Zögern gilt es, sich suchend einen eigenen Pfad durch den Berg zu bahnen.

Sara Masügers Werk 37 Grad (Bild: Sebastian Stadler)
37 Grad evoziert unterschiedliche Formen von Körperlichkeit: die Wärme des eigenen Körpers, die Anstrengung einer Steigung, den Winkel einer Bewegung. Der Werktitel kann zudem eine bedrückende Dimension entfalten, besonders in der Parallele zur mahnenden Installation in der KZ-Gedenkstätte Buchenwald – einer auf exakt 36.5 Grad erhitzten Metallplatte auf dem ehemaligen Appellplatz. Auch bei Masüger wird Körperlichkeit zum zentralen Träger von Erinnerung: Sie verweist auf das einst Lebendige und macht dessen Verletzlichkeit spürbar – besonders dort, wo die hochpolierte Steilwand des Berges, an Innenräume Zaha Hadids erinnernd, an ihrer Rückseite in eine zerfliessende Form übergeht und schliesslich im Nichts des Raumes zu verschwinden scheint.
Lack am seidenen Faden
Hinter dem Gipsmonument tropft es von der Decke. Schwer, fast lebendig und unheimlich in ihrer Präsenz, erinnern die tiefschwarzen tropfenförmigen Skulpturen an die surrealen Welten von H.R. Giger und lassen die Grenze zwischen Organischem und Künstlichem verschwimmen. An dünnen Fäden hängt die zweite Installation, Notation, traubenartig im Raum. Bei gutem Wetter, wenn der Wind durch die geöffneten Dachfenster weht, gerät die Arbeit leicht in Schwingung, wodurch ihre ölig-glänzende, melasseartige Oberfläche noch realer wirkt und ein kaum wahrnehmbarer Klang zu entstehen scheint.
Doch der Schein trügt: Bei Masüger entpuppt sich jede Reflexion als Illusion, und die scheinbare Perfektion offenbart sich als blosse Nachahmung. Beim genaueren Hinsehen zeigen die tropfenförmigen Körper, dass ihre Oberfläche nichts anderes als Lack ist. Farbliche Akzente erhalten die beiden skulpturalen Werke 37 Grad und Notation erst durch das Spiel der Reflexionen in der dahinterliegenden Fensterfront und der Begrünung draussen. Auch der Klang erweist sich als Trugbild der Sinne, wenn der dröhnende Berg auf die schwere, ruhige Tropflandschaft trifft.
Sara Masüger – «Gedächtnislandschaften»: bis 2. November, Kunstraum in der Lokremise, St.Gallen.
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