Wo Haut und Himmel aufeinandertreffen

Ein Blick in die Ausstellung (Bild: Yvan Sikiaridis)

Mit der Ausstellung «Tra cielo e pelle» ist die Kunsthalle Wil aus der Sommerpause zurück. Die Arbeiten von Fabio Melone erkunden das Verhältnis zwischen dem menschlichen Körper und allem Unsichtbaren und Überirdischen. Eine Beziehung, die der Künstler aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet.

Die bei­den Stock­wer­ke der Wi­ler Kunst­hal­le strot­zen vor kräf­ti­gen Far­ben. Fa­bio Me­lo­ne zeigt in der Aus­stel­lung «Tra cie­lo e pel­le» star­ke Kon­tras­te. Zwei Far­ben do­mi­nie­ren da­bei klar: Rot und Blau. Zwi­schen dem Him­mel und der Haut, wie die Aus­stel­lung auf Deutsch über­setzt heisst, lie­gen manch­mal Ki­lo­me­ter oder Stun­den, und manch­mal sind sie dicht auf­ein­an­der­ge­presst. Die Wer­ke, die mal Ge­mäl­de, mal Skulp­tu­ren, Col­la­gen, Tex­te oder Tex­ti­li­en sind, kom­mu­ni­zie­ren al­le in ei­ner an­de­ren Spra­che, ver­han­deln aber die glei­che Fra­ge: Was pas­siert al­les zwi­schen Haut und Him­mel?

In der Mit­te des un­te­ren Aus­stel­lungs­rau­mes ste­hen sie­ben Garn­ele­men­te, fast al­le rot und senk­recht im Raum, vie­le Fä­den zie­hen von ih­nen zum Bo­den. Zwei blaue Ele­men­te lö­sen die ho­mo­ge­ne An­ord­nung auf, ei­nes steht quer im Raum und bricht die ar­chi­tek­to­nisch wir­ken­de Ein­heit. In den Ge­mäl­den, die um die Garn­ele­men­te hän­gen, hat Blau stets die Rol­le des Hin­ter­grunds: der Lee­re. So wirkt die Far­be Blau – der Him­mel – in den Wer­ken oft weit ent­fernt und fremd. Rot hin­ge­gen wirkt le­ben­dig und greif­bar, zeigt Kör­per­li­ches und al­les, was uns nah ist und wärmt.

Mo­de­ma­ga­zi­ne als Aus­gangs­ma­te­ri­al

Der aus Ro­mans­horn stam­men­de Künst­ler ent­warf einst Mo­de­kol­lek­tio­nen, heu­te lebt und ar­bei­tet er in Zü­rich. Der Ent­ste­hungs­pro­zess sei­ner Kunst­wer­ke sei heu­te noch von der Ar­beit im Mo­de­de­sign ge­prägt, er­zählt er. Mood­boards und Col­la­gen sei­en oft Aus­gangs­la­ge von neu­en Pro­jek­ten. Sie tra­gen die In­spi­ra­ti­ons­quel­len, die oft im­mer noch aus der Mo­de, aber auch aus der Ar­chi­tek­tur oder Pop­kul­tur kom­men, zu­sam­men und skiz­zie­ren künst­le­ri­sche Ideen.

«Ir­gend­wann be­gann ich, Mo­de­ma­ga­zi­ne nicht nur als In­spi­ra­ti­on, son­dern auch als Ar­beits­ma­te­ri­al zu ver­wen­den», sagt Me­lo­ne. Er ver­schnip­pel­te per­fekt aus­se­hen­de Kör­per und über­mal­te oder über­kleb­te sie. Trends, Ste­reo­ty­pen und Ido­le aus Hoch­glanz­ma­ga­zi­nen wer­den de­kon­stru­iert und neu zu­sam­men­ge­setzt. Die Kör­per ver­lie­ren ih­re Macht und wer­den durch­läs­si­ger. Was ist Hül­le, was ist Kern? Was da­von ist sicht­bar, was nicht? Was trennt die Haut vom Him­mel, und was ver­bin­det sie? Es sind Fra­gen, die beim Be­trach­ten der Col­la­gen, Zeich­nun­gen und Ge­mäl­de auf­tau­chen.

Au­gen über­all

In der ers­ten Eta­ge hän­gen Tex­te auf Ita­lie­nisch. Sie be­schäf­ti­gen sich mit Fra­gen, die sich so­wohl an ei­nen selbst als auch an das Uni­ver­sum rich­ten kön­nen. Über ein Dut­zend Au­gen be­ob­ach­ten sie: Auf den Ge­mäl­den und Col­la­gen ist oft ein Au­gen­paar zu se­hen. Viel­fach er­schei­nen sie skep­tisch, be­ob­ach­tend. Da­bei of­fen­ba­ren sie ei­ne Sicht in das In­ne­re, in das Über­ir­di­sche der Wer­ke. Aus der rich­ti­gen Per­spek­ti­ve kann man den Blick er­wi­dern.

Augen sind ein zentrales Thema (Bild: Fabio Melone )

Me­lo­ne wagt sich in der Aus­stel­lung auch an die Gren­ze zwi­schen De­sign und Kunst. «Es sind zwei un­ter­schied­li­che Din­ge, die sich schon im­mer ge­gen­sei­tig be­ein­fluss­ten – auch in mei­ner Ar­beit», er­zählt der Künst­ler. Im Mu­se­ums­shop kann man Ja­cken kau­fen, die in Me­lo­nes Ate­lier ent­stan­den sind. Sie sind zwar nicht of­fi­zi­ell Teil der Aus­stel­lung, wer­fen je­doch die Fra­ge auf: Wann ist Kunst De­sign? Und er­gibt ei­ne Tren­nung hier noch Sinn? Me­lo­ne stellt sich in «Tra cie­lo e pel­le» pri­mär an­de­ren The­men, fügt je­doch hin­zu: «Ich fin­de die­se Fra­gen hoch­span­nend. Die Ja­cken sind ein Pro­jekt, das ich ger­ne wei­ter­ver­fol­gen möch­te.»

Ge­stal­ten mit Strahl­kraft

In der zwei­ten Eta­ge hängt ein über zwei Me­ter ho­hes Werk, das wäh­rend der Co­vid-Pan­de­mie ent­stan­den ist. Die Mi­xed-Me­dia-Ar­beit trägt den Ti­tel Lungs und zeigt das In­ne­re ei­nes Kör­pers. Der Kopf ge­hört der Sän­ge­rin Ma­don­na, ist über­malt und hat ei­nen Hei­li­gen­schein. Die Re­li­gi­on spiel­te in Me­lo­nes Le­ben im­mer wie­der ei­ne Rol­le. Die vie­len Ma­don­nas bei der Fa­mi­lie in Ita­li­en ha­ben ihn im­mer fas­zi­niert. Wie schöp­fen die Men­schen Hoff­nung und Zu­ver­sicht aus sol­chen Dar­stel­lun­gen?

Die Fi­gu­ren auf den an­de­ren Wer­ken im Raum knüp­fen an die Prä­senz von Ma­don­na an. So auch der Bub auf dem grü­nen Stuhl. Er hat brei­te Schul­tern, den Blick zur Sei­te ge­rich­tet und den lin­ken Arm läs­sig auf der Arm­leh­ne ab­ge­stützt. Will er be­ein­dru­cken? Denkt er über ei­nen nach oder sind sei­ne Ge­dan­ken ge­ra­de ganz wo­an­ders?

Der Mix an Me­di­en, Far­ben und Ma­te­ria­li­en geht auf: Die Wer­ke tre­ten in ei­nen Dia­log – so­wohl un­ter­ein­an­der als auch mit den Be­trach­ten­den. Me­lo­ne stellt in «Tra cie­lo e pel­le» vie­le Fra­gen – und über­lässt die Ant­wor­ten den Be­trach­ten­den.

Fa­bio Me­lo­ne – «Tra cie­lo e pel­le»: bis 5. Ok­to­ber, Kunst­hal­le Wil.
sai­ten.ch/ka­len­der

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