Rund 9000 Objekte umfasst die Sammlung des Winterthurer Fotomuseums. Darunter sind vor allem auf Fotopapier festgehaltene Momente der Zeitgeschichte, einige dieser Objekte haben jedoch einen anderen Träger oder sind bewegte Bilder. Sie entstanden zwischen 1960 und der Gegenwart. Ein Teil dieser Sammlung soll nun im Zuge der Ausstellung «(Mit)einander» der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Und zwar nicht einfach so, sondern verknüpft mit den Werken anderer, zeitgenössischer Künstler:innen aus der ganzen Welt.
«Wir wollen damit einerseits unsere wertvolle Sammlung präsentieren und gleichzeitig aber auch zeitgenössische Positionen ausstellen, die noch nicht im Bestand vertreten sind. Durch den Dialog dieser Arbeiten entstehen sehr interessante Momente und eben auch Kontraste», sagt Alessandra Nappo, Sammlungskuratorin des Fotomuseums.
In «(Mit)einander», der zweiten Ausstellung seit der Wiedereröffnung des Fotomuseums, werden rund ein Dutzend fotografische Arbeiten von Tacita Dean, John Divola, David Goldblatt, Roni Horn, Axel Hütte, Gordon Matta-Clark, Ricarda Roggan und Joel Sternfeld einer Handvoll Installationen von Kara Springer gegenübergestellt.
Die künstlerische Praxis der 1980 auf Barbados geborenen und in Kanada aufgewachsenen Kara Springer umfasst Fotografie, Skulpturen und ortsspezifische Installationen – und untersucht oft Machtstrukturen und die Konstruktion historischer Narrative. Zentrale Themen ihrer Arbeit sind auch diasporische Erfahrungen sowie das Verhältnis zwischen menschlichen Eingriffen in die Natur und deren Rückwirkungen.
Kara Springer, I / must be given words, 2022 (Bild: Jack McCombe)
Thematisch begegnen sich die Arbeiten der ausgewählten Fotograf:innen mit jenen Kara Springers deshalb in drei Bereichen, wie Alessandra Nappo erklärt: Zum einen geht es um Machtverhältnisse und den Einfluss fiktiver Geschichten und Narrative auf die Gesellschaft. Anderseits um Orte der Zuflucht und deren Wahrnehmung sowie letztlich um die komplexe Beziehung von Mensch und Natur – und wie beide aus Profitgier ausgenutzt, unterdrückt und gegeneinander ausgespielt werden können. Prägend für die Ausstellung sei auch der Begriff «slow violence», also die langsame Zerstörung der Natur durch die Menschen, graduelle Gewaltausübung über Zeit und Raum, für die Menschen nicht direkt wahrnehmbar.
Kunst im Dialog - und im ästhetischen Widerspruch
Kara Springer zeigt in Winterthur die Arbeiten The Shape of Mountains und I / must be given words. Beide Installationen sind bunt, lieblich, still und aktiv zugleich. Die Künstlerin nutzte für erstere doppelseitige hochauflösende Nahaufnahmen von mehrfach gebranntem Ton, die auf japanisches Reispapier gedruckt sind, und begegnet in dieser aus violetten Formen bestehenden Arbeit den Bergen, die für sie einen möglichen, künftigen Zufluchtsort bilden. Die zweite Arbeit ist etwas älter (2022), befasst sich mit Ton und dessen Struktur und thematisch mit kolonialen Strukturen, dem Vermischen von Kulturen und Sprachen – «obsessive mapping of brokenness» nennt es die Künstlerin. Daraus entstanden sind Nahaufnahmen der Strukturen von gebranntem, auf Leuchtkästen aufgetragenem Ton aufgetragen auf Leuchtkästen.
Joel Sternfeld, After a Flash Flood, 1979 aus «American Prospects». (Bild: Joel Sternfeld)
Tacita Dean, Ship of Death, 2001, aus «The Russian Ending». (Bild: Tacita Dean)
Dort trifft Kara Springs thematisch beispielsweise Tacita Dean, die sich durch das Eingreifen in den chemischen Entwicklungsprozess ihre Fotografien bearbeitet und mit fiktiven Enden realer Geschichten spielt. Oder auch David Goldblatt, der mit seinen Bildern Machtstrukturen in Südafrika offenlegt sowie Joel Sternfeld, dessen Fotografien die komplexe, oft destruktive Beziehung von Mensch und Umwelt klar, ästhetisch und schockierend auf den Punkt bringen.
Und genau das ist, laut Alessandra Nappo das Ziel dieses Dialogs. So heisst es im Ausstellungsbeschrieb, dass «unerwartete Verknüpfungen, fruchtbare Kontraste, inhaltliche oder ästhetische Gemeinsamkeiten und Unterschiede räumlich erfahrbar» gemacht werden sollen. Dem wird «(Mit)einander» auf jeden Fall gerecht. Unweigerlich versucht man beim Betrachten der Kombination der Kunst, die Gegensätze und den Dialog zu entschlüsseln. Gleichzeitig scheint es, als ob die Macht der Bilder durch die unerwartete, andere Komponente verstärkt wird. Und als ob deren Botschaften mithilfe des jeweils anderen Mediums noch etwas weitergetragen und lauter würden.
Aus der Sammlungspräsentation soll eine Reihe werden
«(Mit)einander» ist die zweite Ausstellung seit der Wiedereröffnung des Fotomuseums Winterthur und soll den Anfang einer Serie markieren. Einmal im Jahr sollen Werke aus der Sammlung gezeigt werden – immer im Dialog mit moderner Kunst. Im Zentrum dabei stehe es jeweils, die künstlerische Praxis zeitgenössischer Kunstschaffender zu untersuchen und dann thematisch zu verbinden mit Werken aus der Sammlung. Wie viele solche Ausstellungen es tatsächlich werden, ist derzeit noch unklar. «Zwei weitere sind schon geplant, für die nächste konnten wir bereits eine interessante französisch-vietnamesische Künstlerin engagieren», berichtet Nappo.
Die für diese Gegenüberstellung ausgewählten Künstler:innen sollen nicht zwingend die Fotografie als Medium oder Praxis verwenden, wie man es für das Fotomuseum Winterthur erwarten würde, im Gegenteil. Es sollen Künstler:innen angefragt werden, die mit unterschiedlichen Materialien arbeiten und aus möglichst verschiedenen Ecken der Welt stammen. Ein möglichst diverser Kontrast. So wie mit Kara Springer.
«(Mit)einander»: bis 15. Oktober 2026, Fotomuseum Winterthur. Vernissage: 24.Oktober, 18 Uhr; Gespräch mit der Künstlerin Kara Springer: 25.Oktober, 15 Uhr
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