Bunte Kontraste und laute Widersprüche

In «(Mit)einander» zeigt das Fotomuseum Winterthur einen Teil seiner Sammlung in Verbindung mit zeitgenössischer Kunst. So sollen neue Verknüpfungen und spannende Kontraste entstehen – thematisch wie materiell.

Kara Springer, The Shape of Mountains, 2023 (Bild: Brad Farwell)

Rund 9000 Ob­jek­te um­fasst die Samm­lung des Win­ter­thu­rer Fo­to­mu­se­ums. Dar­un­ter sind vor al­lem auf Fo­to­pa­pier fest­ge­hal­te­ne Mo­men­te der Zeit­ge­schich­te, ei­ni­ge die­ser Ob­jek­te ha­ben je­doch ei­nen an­de­ren Trä­ger oder sind be­weg­te Bil­der. Sie ent­stan­den zwi­schen 1960 und der Ge­gen­wart. Ein Teil die­ser Samm­lung soll nun im Zu­ge der Aus­stel­lung «(Mit)ein­an­der» der Öf­fent­lich­keit zu­gäng­lich ge­macht wer­den. Und zwar nicht ein­fach so, son­dern ver­knüpft mit den Wer­ken an­de­rer, zeit­ge­nös­si­scher Künst­ler:in­nen aus der gan­zen Welt.

«Wir wol­len da­mit ei­ner­seits un­se­re wert­vol­le Samm­lung prä­sen­tie­ren und gleich­zei­tig aber auch zeit­ge­nös­si­sche Po­si­tio­nen aus­stel­len, die noch nicht im Be­stand ver­tre­ten sind. Durch den Dia­log die­ser Ar­bei­ten ent­ste­hen sehr in­ter­es­san­te Mo­men­te und eben auch Kon­tras­te», sagt Ales­san­dra Nap­po, Samm­lungs­ku­ra­to­rin des Fo­to­mu­se­ums. 

In «(Mit)ein­an­der», der zwei­ten Aus­stel­lung seit der Wie­der­eröff­nung des Fo­to­mu­se­ums, wer­den rund ein Dut­zend fo­to­gra­fi­sche Ar­bei­ten von Ta­ci­ta De­an, John Di­vo­la, Da­vid Gold­blatt, Ro­ni Horn, Axel Hüt­te, Gor­don Mat­ta-Clark, Ri­car­da Rog­gan und Jo­el Stern­feld ei­ner Hand­voll In­stal­la­tio­nen von Ka­ra Sprin­ger ge­gen­über­ge­stellt.

Die künst­le­ri­sche Pra­xis der 1980 auf Bar­ba­dos ge­bo­re­nen und in Ka­na­da auf­ge­wach­se­nen Ka­ra Sprin­ger um­fasst Fo­to­gra­fie, Skulp­tu­ren und orts­spe­zi­fi­sche In­stal­la­tio­nen – und un­ter­sucht oft Macht­struk­tu­ren und die Kon­struk­ti­on his­to­ri­scher Nar­ra­ti­ve. Zen­tra­le The­men ih­rer Ar­beit sind auch dia­spo­ri­sche Er­fah­run­gen so­wie das Ver­hält­nis zwi­schen mensch­li­chen Ein­grif­fen in die Na­tur und de­ren Rück­wir­kun­gen.

Kara Springer, I / must be given words, 2022 (Bild: Jack McCombe)

The­ma­tisch be­geg­nen sich die Ar­bei­ten der aus­ge­wähl­ten Fo­to­graf:in­nen mit je­nen Ka­ra Sprin­gers des­halb in drei Be­rei­chen, wie Ales­san­dra Nap­po er­klärt: Zum ei­nen geht es um Macht­ver­hält­nis­se und den Ein­fluss fik­ti­ver Ge­schich­ten und Nar­ra­ti­ve auf die Ge­sell­schaft. An­der­seits um Or­te der Zu­flucht und de­ren Wahr­neh­mung so­wie letzt­lich um die kom­ple­xe Be­zie­hung von Mensch und Na­tur – und wie bei­de aus Pro­fit­gier aus­ge­nutzt, un­ter­drückt und ge­gen­ein­an­der aus­ge­spielt wer­den kön­nen. Prä­gend für die Aus­stel­lung sei auch der Be­griff «slow vio­lence», al­so die lang­sa­me Zer­stö­rung der Na­tur durch die Men­schen, gra­du­el­le Ge­walt­aus­übung über Zeit und Raum, für die Men­schen nicht di­rekt wahr­nehm­bar.

Kunst im Dia­log - und im äs­the­ti­schen Wi­der­spruch

Ka­ra Sprin­ger zeigt in Win­ter­thur die Ar­bei­ten The Shape of Moun­ta­ins und I / must be gi­ven words. Bei­de In­stal­la­tio­nen sind bunt, lieb­lich, still und ak­tiv zu­gleich. Die Künst­le­rin nutz­te für ers­te­re dop­pel­sei­ti­ge hoch­auf­lösen­de Nah­auf­nah­men von mehr­fach ge­brann­tem Ton, die auf ja­pa­ni­sches Reis­pa­pier ge­druckt sind, und be­geg­net in die­ser aus vio­let­ten For­men be­stehen­den Ar­beit den Ber­gen, die für sie ei­nen mög­li­chen, künf­ti­gen Zu­fluchts­ort bil­den. Die zwei­te Ar­beit ist et­was äl­ter (2022), be­fasst sich mit Ton und des­sen Struk­tur und the­ma­tisch mit ko­lo­nia­len Struk­tu­ren, dem Ver­mi­schen von Kul­tu­ren und Spra­chen – «ob­ses­si­ve map­ping of bro­ken­ness» nennt es die Künst­le­rin. Dar­aus ent­stan­den sind Nah­auf­nah­men der Struk­tu­ren von ge­brann­tem, auf Leucht­käs­ten auf­ge­tra­ge­nem Ton auf­ge­tra­gen auf Leucht­käs­ten.

Joel Sternfeld, After a Flash Flood, 1979 aus «American Prospects». (Bild: Joel Sternfeld)

Tacita Dean, Ship of Death, 2001, aus «The Russian Ending». (Bild: Tacita Dean)

Dort trifft Ka­ra Springs the­ma­tisch bei­spiels­wei­se Ta­ci­ta De­an, die sich durch das Ein­grei­fen in den che­mi­schen Ent­wick­lungs­pro­zess ih­re Fo­to­gra­fien be­ar­bei­tet und mit fik­ti­ven En­den rea­ler Ge­schich­ten spielt. Oder auch Da­vid Gold­blatt, der mit sei­nen Bil­dern Macht­struk­tu­ren in Süd­afri­ka of­fen­legt so­wie Jo­el Stern­feld, des­sen Fo­to­gra­fien die kom­ple­xe, oft de­struk­ti­ve Be­zie­hung von Mensch und Um­welt klar, äs­the­tisch und scho­ckie­rend auf den Punkt brin­gen.

Und ge­nau das ist, laut Ales­san­dra Nap­po das Ziel die­ses Dia­logs. So heisst es im Aus­stel­lungs­be­schrieb, dass «un­er­war­te­te Ver­knüp­fun­gen, frucht­ba­re Kon­tras­te, in­halt­li­che oder äs­the­ti­sche Ge­mein­sam­kei­ten und Un­ter­schie­de räum­lich er­fahr­bar» ge­macht wer­den sol­len. Dem wird «(Mit)ein­an­der» auf je­den Fall ge­recht. Un­wei­ger­lich ver­sucht man beim Be­trach­ten der Kom­bi­na­ti­on der Kunst, die Ge­gen­sät­ze und den Dia­log zu ent­schlüs­seln. Gleich­zei­tig scheint es, als ob die Macht der Bil­der durch die un­er­war­te­te, an­de­re Kom­po­nen­te ver­stärkt wird. Und als ob de­ren Bot­schaf­ten mit­hil­fe des je­weils an­de­ren Me­di­ums noch et­was wei­ter­ge­tra­gen und lau­ter wür­den.

Aus der Samm­lungs­prä­sen­ta­ti­on soll ei­ne Rei­he wer­den

«(Mit)ein­an­der» ist die zwei­te Aus­stel­lung seit der Wie­der­eröff­nung des Fo­to­mu­se­ums Win­ter­thur und soll den An­fang ei­ner Se­rie mar­kie­ren. Ein­mal im Jahr sol­len Wer­ke aus der Samm­lung ge­zeigt wer­den – im­mer im Dia­log mit mo­der­ner Kunst. Im Zen­trum da­bei ste­he es je­weils, die künst­le­ri­sche Pra­xis zeit­ge­nös­si­scher Kunst­schaf­fen­der zu un­ter­su­chen und dann the­ma­tisch zu ver­bin­den mit Wer­ken aus der Samm­lung. Wie vie­le sol­che Aus­stel­lun­gen es tat­säch­lich wer­den, ist der­zeit noch un­klar. «Zwei wei­te­re sind schon ge­plant, für die nächs­te konn­ten wir be­reits ei­ne in­ter­es­san­te fran­zö­sisch-viet­na­me­si­sche Künst­le­rin en­ga­gie­ren», be­rich­tet Nap­po.

Die für die­se Ge­gen­über­stel­lung aus­ge­wähl­ten Künst­ler:in­nen sol­len nicht zwin­gend die Fo­to­gra­fie als Me­di­um oder Pra­xis ver­wen­den, wie man es für das Fo­to­mu­se­um Win­ter­thur er­war­ten wür­de, im Ge­gen­teil. Es sol­len Künst­ler:in­nen an­ge­fragt wer­den, die mit un­ter­schied­li­chen Ma­te­ria­li­en ar­bei­ten und aus mög­lichst ver­schie­de­nen Ecken der Welt stam­men. Ein mög­lichst di­ver­ser Kon­trast. So wie mit Ka­ra Sprin­ger.

«(Mit)ein­an­der»: bis 15. Ok­to­ber 2026, Fo­to­mu­se­um Win­ter­thur. Ver­nis­sa­ge: 24.Ok­to­ber, 18 Uhr; Ge­spräch mit der Künst­le­rin Ka­ra Sprin­ger: 25.Ok­to­ber, 15 Uhr
fo­to­mu­se­um.ch

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