Zum Glück hat jede Epoche ihre Missstände. Die Satire hätte ohne sie wenig Futter, der humorig-kreative Blick auf das Zeitgeschehen wäre mausarm, wie jene Menschen, die in der Regel als einzige von der spitzen Schreib- und Zeichenfeder verschont blieben. Auch Honoré Daumier (1808–1879), der grösstenteils in Paris als Maler, Bildhauer, Grafiker, vor allem aber als Karikaturist wirkte und letztlich blind und verarmt starb, trat in seinem Werk nie nach unten. Seine Kritik galt den Mächtigen, den Herrschenden, den Korrupten. Eines seiner liebsten Ziele war Napoleon III., der sich nach einem autokratischen Putsch 1852 selber vom Staatspräsidenten zum Kaiser erhoben hatte.
Die Karikatur des französischen «Bürgerkönigs» Louis Philippe als Gargantua, der verfressene und versoffene Roman-Riese von Rabelais, handelte ihm eine sechsmonatige Gefängnisstrafe ein. Doch das ermunterte ihn nur weiter in seiner Machtkritik, die immer wieder unter die Zensur fiel. Zwischenzeitlich gab sich Daumier aufgrund der dauernden Repressalien, die er und die Zeitschriften, für die er arbeitete, erdauern mussten, dennoch etwas handzahmer.
So entstanden auch (etwas) feinere Karikaturen, etwa jene um 1840, als er die Pariser:innen beim gemeinsamen Bad malte, weil die Regierung von der Arbeiterschaft gefordert hatte, sich öfter zu waschen, und hierfür Bäder an der Seine einrichtete. Wie es allerdings um die Hygiene des Pariser Stadtflusses stand, lässt sich nur erahnen: Ein Badender wäscht gleich noch seinen Hund mit, und im Hintergrund angedeutet uriniert einer in den Fluss. Und schunkelt da etwa noch eine saucisse de merde in den Seinewellen im Vordergrund?
Daumier richtete seine Kritik nicht nur auf die Innenpolitik. Zur Zeit des Krimkriegs und der damit verbundenen russischen Expansionsgelüste (kommt uns heute irgendwie bekannt vor…) zeichnete er eine Reihe gebückt kniender, halbnackter Moldau-Walachen, hinter ihnen schwingt ein russischer Offizier seine Peitsche. Darunter steht: «Die Russen unterrichten die Moldau-Walachen in ihren Gebräuchen.»
In der Regel stellte sich Honoré Daumier aber in den Dienst der Republik und der Demokratie, der immer wieder das autokratische Gebaren der französischen Machthaber im wankelmütigen 19. Jahrhundert aufs Korn nahm.
Eine feine Ausstellung im kleinen Kunstraum Stellwerk in Heerbrugg zeigt einige ausgewählte Lithografien, die in Zeiten zunehmend selbstherrlich agierender Regierungen weltweit wieder sehr aktuell daherkommen.
«Honoré Daumier – Il faut être de son temps!»: Ausstellung ausgewählter lithografischer Karikaturen, 2. bis 18. Mai, freitags (18 bis 20 Uhr) sowie samstags und sonntags (14 bis 18 Uhr), Kulturraum Stellwerk Heerbrugg.