Nischig, respektvoll und ein Sprungbrett für Comedians

Box-Slam in der Grabenhalle. Das Publikum entschied sich jeweils für die blaue oder rote Ecke. Matze B. trat in seidenen Boxershorts auf. (Bilder: Saiten Grafik)

Vor 25 Jahren organisierte der -Verein Slam Gallen seinen ersten Poetry Slam – damals noch als waghalsiges Vorprogramm von Jack Stoiker. Seither ist das Format gewachsen, gefeiert worden und hat eine Reihe prominenter Talente hervorgebracht. Am 20. Dezember kehren viele von ihnen für das Jubiläum in der Grabenhalle zurück auf die Poetry-Slam-Bühne.

Poet­ry Slam, der Punk­rock der Li­te­ra­tur, der Batt­le-Rap oh­ne Beats, die Le­sung oh­ne Lan­ge­wei­le. Ih­re Tex­te per­for­men die Slam­po­et:in­nen auf der Büh­ne, set­zen sich dem Wett­be­werb un­ter­ein­an­der und der Gunst des Pu­bli­kums aus. Meist wäh­rend ei­nes Zeit­li­mits von fünf bis sie­ben Mi­nu­ten. Sie las­sen sich fei­ern oder er­tra­gen Schwei­gen, be­rüh­ren ihr Pu­bli­kum oder brin­gen es zum La­chen. Es wird ge­raucht, ge­trun­ken und ge­ro­as­tet. Manch­mal ist es deep, fies, emo­tio­nal, lus­tig und mal geht es rau zu und her. Und doch mö­gen sich in der Poet­ry-Slam-Sze­ne – in der «Sla­mi­ly» – al­le gut lei­den und freu­en sich. Und wer ge­winnt, er­hält ei­nen sym­bo­li­schen Preis, frü­her ei­ne Fla­sche Whis­key.

Ant­wort auf ei­ne un­se­xy und in­ak­ti­ve Li­te­ra­tur­sze­ne

Nach St.Gal­len ge­holt hat das For­mat vor 25 Jah­ren Lu­kas Hof­stet­ter. Der St.Gal­ler Event- und Kul­tur­ver­an­stal­ter ist da­mals auf der Su­che nach neu­en Ver­an­stal­tungs­for­ma­ten für den Ju­gend­kul­tur­raum Flon. Par­al­lel da­zu pu­bli­ziert Ri­chi Küt­tel ein Spo­ken-Word-Li­te­ra­tur­ma­ga­zin und tritt bei den of­fe­nen Voll­mond­le­sun­gen auf, wo auch Etrit Has­ler re­gel­mäs­sig liest. «Wir wa­ren des­il­lu­sio­niert dar­über, wie un­se­xy und in­ak­tiv die Li­te­ra­tur­sze­ne war», so Has­ler.

Auch Hof­stet­ter ist an den Voll­mond­le­sun­gen, um nach po­ten­zi­el­len Teil­neh­mer:in­nen für sei­nen ge­plan­ten Poet­ry Slam Aus­schau zu hal­ten. «Ich ha­be an ver­schie­de­nen Or­ten ver­sucht, Leu­te zum Slam­men zu über­re­den.» Has­ler ist ei­ner von de­nen, die zu­sa­gen. Und um zu se­hen, wor­auf er sich ein­ge­las­sen hat, will er im Vor­feld sei­nen ers­ten Slam in Zü­rich be­su­chen. «Al­ler­dings war ich zu spät dran und der Ver­an­stal­ter liess mich nicht rein.» Da ei­ne an­ge­kün­de­te Slam­me­rin ver­spä­tet ist, schleicht er sich in ih­rem Wind­schat­ten in die Lo­ka­li­tät und muss gleich auf­tre­ten, an­statt nur zu­zu­schau­en. «Ich glau­be, es dau­er­te 15 Jah­re, bis ich ei­nen Poet­ry Slam nur als Zu­schau­er be­sucht ha­be – an­sons­ten ha­be ich im­mer ge­le­sen oder mo­de­riert.»

Slam­mer schlägt To­co­tro­nic

Der al­ler­ers­te vom Ver­ein Slam Gal­len or­ga­ni­sier­te Slam fin­det am 16. De­zem­ber 2000 qua­si im Vor­pro­gramm von Jack Stoi­ker statt. «Das war ei­gent­lich sui­zi­dal, weil sich der Stoi­ker-Fan­kreis aus vor­wie­gend lau­ten, bier­trin­ken­den, grö­len­den Män­nern zu­sam­men­setzt. Aber sie ha­ben sich er­staun­li­cher­wei­se an dem Abend rein­zie­hen las­sen», sagt Has­ler, der als Slam­mer der ers­ten Stun­de gilt und heu­te als Ge­schäfts­füh­rer von Su­is­se­cul­tur So­cia­le wirkt.

Finalabstimmung am zweiten Slam im Flon: Etrit Hasler, Shqipton Rexhaj, Bubi Rufener (am Mikrofon), Daniel Ryser, Mathias Frei, Ivo Engeler, Samuel Lutz (von links).

2003 war der Poetry Slam am Openair St.Gallen.

Nach die­sem Start kann sich Poet­ry Slam in St.Gal­len eta­blie­ren, re­gel­mäs­sig fin­den Ver­an­stal­tun­gen in der Gra­ben­hal­le und im Flon statt. «Ei­nes der ers­ten ganz gros­sen High­lights war, als wir 2003 am Open­air St.Gal­len ei­nen Slam auf der Ster­nen­büh­ne durch­füh­ren durf­ten», sagt Hof­stet­ter. Fast 5000 Leu­te sol­len die­sen be­sucht ha­ben. Das SRF be­rich­te­te da­mals so­gar, dass beim gleich­zei­ti­gen Auf­tritt von To­co­tro­nic we­ni­ger Leu­te im Pu­bli­kum ge­stan­den hät­ten.

Poet­ry Slam wird im­mer be­lieb­ter – auch aus­ser­halb von St.Gal­len. Doch in St.Gal­len flo­riert das Gen­re und Slam -Gal­len führt zahl­rei­che krea­ti­ve und in­no­va­ti­ve Ver­an­stal­tun­gen durch. Dar­un­ter «Dead or Ali­ve»-Slams in Zu­sam­men­ar­beit mit dem Stadt­thea­ter, bei dem die Slam­mer als le­ben­de Dich­ter:in­nen ge­gen to­te Schrift­stel­ler:in­nen – ge­spielt von Schau­spie­ler:in­nen – an­tre­ten durf­ten. Auch Ver­an­stal­tun­gen wie Jazz- und Ero­tik­s­lams oder das Tat­wort ge­hö­ren zum St.Gal­ler Slam-Re­per­toire.

«Ei­ne rie­sen Gau­di war auch der Slam im Box­ring», er­in­nert sich Ri­chi Küt­tel, der dem neu auf­kom­men­den Slam erst kri­tisch ge­gen­über­ge­stan­den war, sich in ei­ner «zwei­ten Wel­le» aber voll­ends da­für be­geis­tern konn­te und nebst dem Slam­men und Mo­de­rie­ren auch die ers­ten Schwei­zer U20-Slams in­iti­ier­te.

«Am Slam schät­ze ich die Nä­he zum Pu­bli­kum, die Re­spekt­lo­sig­keit der Spra­che und die Ver­bun­den­heit un­ter den Slam­mern», so Küt­tel, der heu­te als Kul­tur­ver­mitt­ler tä­tig ist. Wie ein Rock­star ha­be er sich teil­wei­se ge­fühlt, als er als ak­ti­ver Slam­mer ei­nen Abend in Ma­drid, den nächs­ten in Düs­sel­dorf und dann wie­der in St.Gal­len per­formt ha­be. Aus der ak­ti­ven Slam­sze­ne zog er sich al­ler­dings zu­rück. «Es ka­men die Kin­der und die Ka­ter dau­er­ten ein­fach zu lan­ge.»

Dass St.Gal­len den Über­na­men «Hoch­burg des Slams» er­hielt, hält Küt­tel für ei­ne Er­fin­dung des «St.Gal­ler Tag­blatts». «Die ha­ben das ein­fach im­mer ge­schrie­ben, und ir­gend­wann ha­ben es al­le ge­glaubt.» Er sei im­mer der Über­zeu­gung ge­we­sen, dass auch in Zü­rich min­des­tens ge­nau so viel lau­fe.

«Muss­te Ha­zel den Whis­key ab­neh­men»

Was die Ost­schwei­zer Slam­sze­ne aus­zeich­net, sind zahl­rei­che Co­me­di­ans, die aus ihr her­vor­gin­gen, et­wa La­ra Stoll, Re­na­to Kai­ser, Ga­bri­el Vet­ter, Pat­ti Bas­ler oder auch Ha­zel Brug­ger. «Letz­te­re war 17 Jah­re alt, als sie in St.Gal­len ei­nen Slam ge­won­nen hat­te – den Whis­key muss­te ich ihr dann schnell wie­der ab­neh­men», er­in­nert sich Lu­kas Hof­stet­ter.

Er hat den Poetry Slam nach St.Gallen gebracht: Lukas Hofstetter am Slam in der Frohegg vom 26. April 2002

Für Etrit Has­ler zeich­net sich St.Gal­len auch durch ein re­spekt­vol­les Pu­bli­kum aus: «Slams wa­ren in der An­fangs­zeit auch feind­se­li­ge Büh­nen­for­ma­te, bei de­nen das Pu­bli­kum oft nur dar­auf war­te­te, den Slam­mer aus­zu­bu­hen.» Nicht so in St.Gal­len, hier galt seit An­be­ginn «re­spect the po­et». «Und bei erns­ten Tex­ten ist es im Saal teil­wei­se so lei­se, dass man die sprich­wört­li­che Steck­na­del fal­len hört», so Has­ler. Hier sei man we­der ver­snobt, noch wis­se man al­les bes­ser.

Auch Slam­me­rin Mi­ri­am Schöb schätzt den Hu­mor der St.Gal­ler:in­nen. «Mir wird oft ge­sagt, ich ha­be ei­nen Ni­schen­hu­mor – in St.Gal­len kommt die­ser su­per an», so die selbst­stän­di­ge Kul­tur­schaf­fen­de. Schöb ist seit zehn Jah­ren ak­ti­ve Slam­me­rin. «Im Poet­ry Slam gibt es heu­te mehr Awa­re­ness, mehr Ge­schlech­ter­di­ver­si­tät und die Räu­me, in de­nen wir auf­tre­ten, sind si­che­rer ge­wor­den.»

Ju­bi­lä­ums­fei­er am 20. De­zem­ber

Slam ist nicht nur ein Spie­gel der Ge­sell­schaft, son­dern auch kraft­voll. Was sich kürz­lich an der deutsch­spra­chi­gen Meis­ter­schaft in der ost­deut­schen Neo­na­zi­hoch­burg Chem­nitz zeig­te. «Ei­ne mus­li­mi­sche Frau mit Kopf­tuch hat die­sen mit Ab­stand ge­won­nen», so Hof­stet­ter. Und Has­ler er­gänzt: «Ihr Text war häs­sig, an­kla­gend und stark – 1800 Per­so­nen sind auf­ge­stan­den zur Stan­ding Ova­ti­on.»

Seit Co­ro­na ist es et­was har­zi­ger ge­wor­den, und die Lo­ca­ti­ons sind nicht im­mer gleich gut ge­füllt wie frü­her. Aber über Nach­wuchs­pro­ble­me kann sich Slam Gal­len nicht be­kla­gen. «Vom 16-jäh­ri­gen New­co­mer bis hin zur pen­sio­nier­ten Ex-Bun­des­rats-Re­den­schrei­be­rin ist al­les da­bei», so Hof­stet­ter.

Am 20. De­zem­ber in der Gra­ben­hal­le fei­ert Slam­gal­len dann sein 25-Jahr-Ju­bi­lä­um mit al­lem, was Rang und Na­men hat, dar­un­ter auch zahl­rei­che Ex-Slam­mer:in­nen, die ein­zig für das Ju­bi­lä­um wie­der auf die Büh­ne stei­gen.

25 Jah­re Poet­ry Slam St.Gal­len: 20. De­zem­ber, 19.30 Uhr, Gra­ben­hal­le, St.Gal­len; mo­de­riert von Etrit Has­ler und Ri­chi Küt­tel, Gruss­wort von Stadt­prä­si­den­tin Ma­ria Pap­pa.
slam­gal­len.ch

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