«Das Bauhaus in der Schweiz, die hölzerne Moderne und Genossenschaftsbauten», heisst das grossformatige Buch im Untertitel. Auf dem Umschlag steht nur der Name Rauh. Die St.Galler Architektinnen Christine Egli und Dorothy Holt Wacker, Enkelin von Georg Rauh, haben zusammen mit der St.Galler Fotografin Ladina Bischof und drei Fachautor:innen ein bisher kaum beachtetes Kapitel lokaler Architekturgeschichte ans Licht geholt.
Georg Rauh (1906–1965) ist in einer Zimmermannsfamilie in St. Gallen aufgewachsen. Er absolvierte selbst eine Zimmermannslehre und studierte im Alter ab 22 Jahren am Bauhaus in Dessau. An dieser Ausbildungsstätte, die einen ganzen Baustil prägte, leitete damals der Schweizer Architekt Hannes Meyer die Architekturausbildung. Dies machte für viele Schweizer das Studium interessant.
Blick in den Unterricht am Bauhaus
Von seinen Lehrern wird Rauh gelobt. In seinem Nachlass sowie im Archiv des Bauhauses finden sich Materialien, die nicht nur seinen Fleiss zeigen, sondern auch dokumentieren, welche Themen vor rund 100 Jahren den Studierenden vermittelt wurden. Unter anderem berechnete Rauh für seine Projekte minutiös den Sonnenstand im Jahresverlauf, um die Häuser so auszurichten, dass sie möglichst wenig Energie zum Heizen benötigten. Heute eher erstaunlich ist dagegen die Tatsache, dass Rauh in seinen ersten Projekten in den Wohnungen «Allesbrenner-Öfen» und keine Zentralheizung einbauen liess, so dass jede Partei individuell entscheiden konnte, wie warm sie es haben wollte.
Am Bauhaus wurde rationelles und damit möglichst günstiges Bauen für Menschen mit wenig Geld vermittelt. Diese «Architektur der reinen Funktionalität» entsprach dem Sozialdemokraten Rauh, der später Mehrfamilienhäuser für Gewerkschaften und deren Wohnbaugenossenschaften plante. Seine ersten Bauten aber waren Holzkonstruktionen aus vorfabrizierten Elementen, die vor Ort in wenigen Tagen zum fertigen Haus zusammengebaut wurden.
Dabei achtete er in der Planung darauf, dass möglichst wenig Verschnitt entstand, zudem arbeitete er mit damals unüblichen Sperrholztafeln und mit Eternit. Er plante auch so, dass die gleichen Wasser- und Abwasserleitungen sowohl für die Küche als auch fürs Badezimmer benutzt werden können, und beschränkte die Grösse der Zimmer.
Günstig, aber gut
Doch Rauh baute nicht einfach nur günstig. Bei aller Einfachheit setzte er auf qualitativ hochwertige Details, auf Chromstahlabdeckungen in der Küche, auf Eichenböden, sorgfältig gestaltete Handläufe oder Schranktüren. Er wolle – so wird er im Buch zitiert – Materialien einsetzen, die «unempfindlich gegen Abnützung» sind. Stilistisch hielt er sich anfänglich an die klaren Linien des Bauhauses, kombinierte diese aber mit dem «Landistil» der 1940er-Jahre und traditionellen Ostschweizer Merkmalen, etwa den durchlaufenden Bandfenstern der Appenzellerhäuser.
Weil die Bautätigkeit in der Stadt St.Gallen nach der Stickerkrise der 1920er-Jahre lange nicht mehr in Schwung kam, engagierte sich Rauh auch als Ausbildner an der Gewerbeschule und gründete eine eigene Zimmereifachschule, die auf die Meisterprüfung vorbereitete. Nach der Eröffnung des eigenen Architekturbüros 1935 fand er mit seinen vergleichsweise günstigen Holzbauten eine Nische. Er kaufte auch selbst Grundstücke und überbaute sie.

Das ehemalige Wohnhaus von Georg Rauh an der Sonnenhaldenstrasse.
Und als im und nach dem Zweiten Weltkrieg die Wohnungsnot gross war, plante Rauh im Auftrag der Gewerkschaften und deren Wohnbaugenossenschaften jene Mehrfamilienhäuser, die heute als typische 1950er-Jahre-Wohnblöcke gelten. In St.Gallen stammen unter anderem die Überbauungen an der Lindenstrasse und in Schönenwegen sowie die Reihenhäuser am Bach in St.Georgen von ihm. Die Wohnungen sind bescheiden: Der Architekt rechnete damals mit 11 Quadratmetern pro Bewohner:in – heute wohnen wir im Durchschnitt auf nahezu 50 Quadratmetern.
Viele Rauh-Bauten sind unbekannt
Das von den Autorinnen aus verschiedenen Archiven zusammengetragene Werkverzeichnis zählt 78 Planungen und Bauten auf. Darunter auch kleinere Aufträge, wie den 1948 realisierten Umbau des Restaurants im Volkshaus an der Lämmlisbrunnenstrasse, dem heutigen «Toscana». Dessen Raum wurde allerdings in den 1970er-Jahren erneut verändert. Im gleichen Jahr plante er aber auch die Berg- und Talstation sowie die Stützen der Alvier-Seilbahn in Wartau. Von vielen Projekten existieren in den Archiven nur rudimentär beschriftete Pläne. Bei anderen fehlt eine Ortsangabe, so dass nicht klar ist, ob das Werkverzeichnis vollständig ist und welche Objekte noch erhalten sind und in welchem Zustand.
Georg Rauhs eigenes Wohnhaus an der Sonnenhaldenstrasse 20a in St.Gallen ist zwar von aussen nicht im besten Zustand, ist aber innen dank der qualitätvollen Materialien gut erhalten, was die aktuellen Fotos von Ladina Bischof dokumentieren.

Im Innern ist Rauhs ehemaliges Wohnhaus noch gut erhalten.

Auch an den benachbarten Mehrfamilienhäusern von 1963 zeigen sich Alterungsspuren. Dabei handelt es sich mit um die letzten Bauten, die der Architekt vor seinem plötzlichen Tod als Folge eines Herzinfarkts realisieren konnte. Die insgesamt vier, heute versteckt in einer parkähnlichen Umgebung liegenden Mehrfamilienhäuser an der unteren Sonnenhaldenstrasse sind denkmalgeschützt. Ihre ums Eck laufenden Balkone nahmen noch einmal typische Gestaltungselemente des Bauhauses auf.
Heutige Eigentümerin ist sich der Bedeutung bewusst
Heute ist dieses Ensemble zusammen mit dem Wohnhaus von Rauh gleich nebenan im Eigentum der Pensionskasse Tellco mit Sitz in Schwyz. Vizedirektorin Irina Bechmann – sie hat der HSG doktoriert – betont, die Kasse sei sich «der historischen und architektonischen Bedeutung der Liegenschaften an der Sonnenhaldenstrasse bewusst». Derzeit gebe es für diese Häuser keine konkreten Sanierungs- oder Neubaupläne. Und sie verspricht: «Sollten künftig werterhaltende Massnahmen erforderlich werden, würden diese in enger Abstimmung mit den zuständigen Denkmalschutzbehörden sowie den betroffenen Mieterinnen und Mietern geplant, um eine tragfähige Lösung für alle Anspruchsgruppen zu gewährleisten.»
Es ist das Verdienst des sehr sorgfältig gestalteten Buches, dass Georg Rauh jetzt mehr als nur Architektur-Insider:innen bekannt wird. Neben einer detaillierten Biografie umfasst das Buch drei Fachbeiträge: Über das Bauhaus und dessen Lehre (von Ita Heinze-Greenberg), über den Zimmermeister und Holzbauarchitekten Rauh (von Gregory Grämiger) sowie über Entwurf und Bauen in Zeiten der Wohnungsnot (von Patrick Schoeck-Ritschard). Damit und mit vielen historischen und grossformatigen aktuellen Fotos bietet es weit mehr als eine herkömmliche Architektenmonografie.
Christine Egli, Dorothy Holt Wacker: Georg Rauh – Das Bauhaus in der Schweiz, die hölzerne Moderne und Genossenschaftsbauten. Quart Verlag, Luzern 2025.
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