Ulenspiegel kann nicht sterben

Tyll (Nicolas Rosat) und Nele (Anja Tobler) auf dem Wagen (Bild: pd/Tanja Dorendorf)

Er ist Narrenfigur, Überlebenskünstler und Chronist zugleich. Den Dreissigjährigen Krieg übersteht Tyll Ulenspiegel, indem er sich ihm entzieht. Die Bühnenfassung von Daniel Kehlmanns Roman Tyll bringt ulkige Bilder auf die Bühne. Am Donnerstag feierte das Stück in der Lokremise Premiere.

«Man kann auf ei­nem Seil nicht ge­hen, aber Tyll pro­biert wei­ter.» Der klei­ne Mül­lers­sohn ist aus har­tem Holz ge­schnitzt. Er steigt auf und fällt, steigt auf und fällt, steigt auf und fällt. Der Krieg, der um ihn tobt, kann ihn von sei­nem Ziel nicht ab­hal­ten. Er kommt im­mer wie­der da­von.

Das Kon­zert und Thea­ter St.Gal­len zeigt in Tyll das Büh­nen­stück des gleich­na­mi­gen Er­folgs­ro­mans von Da­ni­el Kehl­mann. Die Aus­gangs­la­ge: Eu­ro­pa be­fin­det sich im Dreis­sig­jäh­ri­gen Krieg und Tyll Ulen­spie­gel ist mit­ten­drin. Kehl­mann bringt da­mit ei­ne spät­mit­tel­al­ter­li­che Fi­gur ins 17. Jahr­hun­dert. Ein Kniff, der dem Pu­bli­kum die Fra­ge auf­zwingt, wie wir Krie­ge wahr­neh­men und mit ih­nen um­ge­hen.

Ei­gent­lich hät­te das Stück be­reits im Fe­bru­ar ge­zeigt wer­den sol­len. Auf­grund ge­sund­heit­li­cher Aus­fäl­le im En­sem­ble muss­te es ver­scho­ben wer­den. Doch auch die­ses Mal hat­te ein En­sem­ble­mit­glied Pech: Pas­ca­le Pf­eu­ti er­wisch­te zwei Ta­ge vor der Pre­mie­re die Grip­pe. Sie hät­te ei­nen be­deu­ten­den Teil in der Pro­duk­ti­on ge­spielt und auch mu­si­ka­li­sche Bei­trä­ge über­nom­men. Ma­nu­el Her­wig vom St.Gal­ler Schau­spiel­ensem­ble und Jean­ne De­vos, En­sem­ble­mit­glied bei den Büh­nen Bern, wa­ren zwei lust­vol­le und über­zeu­gen­de Er­satz­spie­ler:in­nen.

Hen­kers­mahl­zeit für die Un­schuld

Der jun­ge Tyll (Lia Ba­yon Por­ter) muss flie­hen. Va­ter Claus Ulen­spie­gel (Jürg Kien­ber­ger) trieb es mit sei­nen Fra­gen über das Le­ben, den Sinn und das Sein zu weit. Er ge­rät mit der Kir­che in ei­nen Kon­flikt und wird zum Tod ver­ur­teilt. Kien­ber­ger spielt die Rol­le mit be­wusst kau­zi­ger Ver­schro­ben­heit und sorgt da­mit für ei­ni­ge La­cher aus dem Pu­bli­kum. Sein Hen­ker (Mar­tin Butz­ke) kocht ihm zwi­schen den bei­den Pu­bli­kums­tri­bü­nen die Hen­kers­mahl­zeit. Ei­ne buch­stäb­lich köst­li­che Sze­ne, die die Lok­re­mi­se mit ap­pe­tit­li­chem Es­sens­duft füllt.

Die Henkersmahlzeit  (Bild: pd/Tanja Dorendorf)

Die Hinrichtung (Bild: pd/Tanja Dorendorf)

 

Auf der an­de­ren Sei­te rich­tet Atha­na­si­us Kir­cher (Ma­nu­el Her­wig) über das teuf­li­sche Ver­ge­hen: «Und wenn Sie un­schul­dig sind? Tja – Un­schuld be­weist gar nichts!» Kir­cher kommt rich­tig in Fahrt, wird laut und fuch­telt mit den Ar­men un­ter sei­nem Kit­tel. Der ge­müt­lich schmat­zen­de Va­ter Ulen­spie­gel auf der an­de­ren Sei­te: ei­ne her­vor­ra­gen­de Ge­gen­über­stel­lung.

Kli­by, Ca­ro­li­ne und Krieg

Wie ver­hal­ten wir uns, wenn Krieg ist? Wenn Ord­nung und Recht feh­len? In ei­nem Re­li­gi­ons­krieg sor­gen Will­kür, Aber­glau­be und Angst für ein be­klem­men­des Kli­ma. Für die ein­fa­chen Leu­te, die über­le­ben, sei es gut­tu­end zu wis­sen, dass sie le­ben, wäh­rend die gros­sen Krie­ger ster­ben. In dreis­sig Jah­ren Krieg ent­ste­hen graus­li­che Ge­wohn­hei­ten, die gan­ze Ge­ne­ra­tio­nen prä­gen. Und Tyll fragt sich: Was macht die Er­de mit dem Blut, das in ihr ver­si­ckert? «Wenn man sich an die Dun­kel­heit ge­wöhnt hat, ent­ste­hen Um­ris­se.» 

Ei­nen ko­mi­schen Hö­he­punkt er­reicht das Stück bei Tylls Road­show. Auf ei­nem Büh­nen­wa­gen spielt ei­ne il­lus­tre Band Songs wie The Sound of Si­lence oder Should I Stay or Should I Go. Ein Kopf rollt da­von und ein lan­ger Strumpf­ho­sen­pe­nis schleift über den Bo­den. Die Sze­ne gip­felt in ei­ner Kli­by-und-Ca­ro­li­ne-Num­mer, das Pu­bli­kum ist aus­ser sich. Es ist viel­leicht ge­nau die Men­ge an Derb­heit, die es braucht, um Krieg er­tra­gen zu kön­nen. 

Das Stück ar­bei­tet mit viel Ori­gi­nal­text aus dem Ro­man. Der Abend ist in ge­wis­sen Mo­men­ten et­was un­auf­ge­räumt und ver­wirr­lich. Er ver­liert sich manch­mal in lan­gen Mo­no­lo­gen und sprung­haf­ten Über­gän­gen und folgt kei­ner chro­no­lo­gi­schen Er­zähl­struk­tur. Wer das Buch mag, dürf­te da­mit aber kein Pro­blem ha­ben. Tyll mit sei­nen ro­ten Strümp­fen soll­te wohl auch so­was wie der ro­te Fa­den bil­den. Die wirk­lich schil­lern­den Fi­gu­ren sind je­doch die Ne­ben­cha­rak­te­re. Das Stück über­zeugt mit dem Hu­mor, mit den gross­ar­ti­gen Kos­tü­men (Sa­bi­ne Bli­ckenstor­fer und Ro­my Rex­heu­ser) und mit den viel­fäl­ti­gen mu­si­ka­li­schen Ein­la­gen un­ter der Lei­tung von Jürg Kien­ber­ger. 

Tyll über­lebt all sei­ne Zeit­ge­noss:in­nen. Bes­ser als fried­lich zu ster­ben sei schliess­lich, über­haupt nicht zu ster­ben.

Tyll: bis 11. Fe­bru­ar 2026, Kon­zert und Thea­ter St.Gal­len.

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