Wer denkt wird kopflos

Unterwegs mit Kutsche (Bild: pd/Jos Schmid)

Was, wenn wir den Kopf ausschalten, nur, um ihn behalten zu können? Die Legende von Sleepy Hollow zeigt, wie aus Angst Dummheit wird. Eine Horror-Komödie, die am Samstag Premiere gefeiert hat.

In Slee­py Hol­low, ei­nem klei­nen Ort nörd­lich von New York, spukt es. Die Dorf­be­woh­ner:in­nen er­zäh­len von ei­nem kopf­lo­sen Sol­da­ten, der sein Un­we­sen trei­be. Doch Ich­ab­od Cra­ne, der neue Leh­rer im Dorf, glaubt nicht an über­na­tür­li­che Kräf­te. Für al­les ge­be es ei­ne ra­tio­na­le Er­klä­rung. Die Son­ne wan­de­re nicht je­de Nacht hin­ab in das Reich der Fins­ter­nis, nein, die Er­de dre­he sich halt. Und das Heu­len des Win­des sei nicht das Kla­gen der To­ten, son­dern ein­fach Luft, die mit Druck und Ge­schwin­dig­keit Ge­räu­sche ma­che. Der jun­ge Mis­ter Cra­ne ver­zwei­felt an der Dumm­heit der Dorf­be­völ­ke­rung. Sie scheint kom­plett lern­re­sis­tent zu sein.

In Die Le­gen­de von Slee­py Hol­low im Kon­zert und Thea­ter St.Gal­len kann das Pu­bli­kum be­ob­ach­ten, was pas­siert, wenn die ei­nen das glau­ben, was die an­de­ren für un­mög­lich hal­ten. Phil­ipp Löh­le schrieb das Stück auf der Grund­la­ge der be­rühm­ten Kurz­ge­schich­te des ame­ri­ka­ni­schen Schrift­stel­lers Wa­shing­ton Ir­ving. Er mach­te ei­ne Ko­mö­die aus ei­nem Kon­flikt zwi­schen den ver­meid­li­chen Dum­men und den ver­meid­li­chen Ver­nünf­ti­gen. Doch wer steht auf wel­cher Sei­te?

Angst vor Ge­spens­tern

Der kopf­lo­se Söld­ner soll einst ein klu­ger Kopf ge­we­sen sein, er­zählt man sich. Seit er tot ist, su­che er nach ei­nem neu­en Kopf. Und des­we­gen sei den­ken so ge­fähr­lich: Wer denkt, ver­liert den Kopf. Ei­ne Ana­lo­gie, die gut in un­se­re Zeit passt. Und schon der Theo­lo­ge Diet­rich Bon­hoef­fer er­kann­te, dass Dumm­heit ge­fähr­li­cher sei als Bos­heit. Er schrieb wäh­rend sei­ner Ge­fan­gen­schaft un­ter den Na­zis, dass Dumm­heit nicht un­be­dingt aus Man­gel an Bil­dung ent­steht. Viel­mehr ver­lie­re der Mensch sei­ne Sou­ve­rä­ni­tät durch die Ein­wir­kung von über­wäl­ti­gen­der Macht­ent­fal­tung und wer­de so dumm. Dumm­heit sei so­mit ei­ne Fol­ge von Angst.

Ein Dorf in Aufruhr (Bild: pd/Jos Schmid)

Ei­ne be­son­de­re Rol­le beim Thea­ter­stück in St.Gal­len spielt die Mu­sik. Frie­de­ri­ke Bern­hardt hat da­für neue Stü­cke kom­po­niert und auch Songs von En­nio Mor­rico­ne, Nick Ca­ve oder Green Day in­te­griert. Die Schau­spie­ler:in­nen ver­mi­schen sich mit dem Da­men­chor des Thea­ters St.Gal­len und sin­gen im­mer wie­der auch selbst. Der Chor ist ei­ne her­vor­ra­gen­de Er­gän­zung zum En­sem­ble und be­rei­chert das Stück so­wohl mu­si­ka­lisch als auch in­halt­lich. Die ge­sun­ge­nen Tex­te schaf­fen ei­nen wei­te­ren Zu­gang zur heu­ti­gen Zeit und kom­men­tie­ren die Ge­schich­te aus ei­ner neu­en Per­spek­ti­ve. Die In­sze­nie­rung mit Kos­tü­men (Sa­bi­ne Bli­ckenstor­fer), die teils an die Out­fits des MA­GA-Mobs vom Sturm auf das Ka­pi­tol an­ge­lehnt sind, un­ter­mau­ert die­se Ver­bin­dung zu­sätz­lich.

Grün­dungs­my­thos der ame­ri­ka­ni­schen Kul­tur­ge­schich­te

Wa­shing­ton Ir­ving schrieb die Ge­schich­te im Jahr 1820, die Er­zäh­lung spielt nur 30 Jah­re da­vor. Es war die Zeit des kul­tu­rel­len Na­ti­on Buil­dings. Für die da­mals noch jun­gen USA war die Le­gen­de von Slee­py Hol­low per­fekt und wur­de zum Li­te­ra­tur­klas­si­ker, der bis heu­te in den ame­ri­ka­ni­schen Schul­zim­mern be­han­delt wird. Ei­ne gru­se­li­ge Ge­schich­te vol­ler Blut und Spuk als Grün­dungs­le­gen­de passt zu ei­ner Na­ti­on, die ih­re Wur­zeln in der ge­walt­vol­len Ver­trei­bung und Aus­lö­schung der an­säs­si­gen Be­völ­ke­rung hat.

Man kann sich fra­gen, wie weit ent­fernt die USA heu­te von die­ser ge­zeig­ten Dumm­heit sind. Wer glaubt denn heu­te noch, dass die Er­de ei­ne Schei­be ist? Dass Na­tur­ge­set­ze von Men­schen er­fun­den sind? Dass es sehr wohl He­xen gibt? Doch viel wich­ti­ger ist die Fra­ge, wer über­haupt all die­se My­then wi­der­le­gen kann, wenn den­ken zu ge­fähr­lich wird. Ein Ame­ri­ka, in dem Jour­na­list:in­nen und Wis­sen­schaft­ler:in­nen den Mund hal­ten müs­sen, ist viel­leicht wirk­lich schon so gru­se­lig wie das Slee­py Hol­low ge­wor­den. 

Al­les nur Show?

In der zwei­ten Hälf­te ver­liert Mis­ter Cra­ne sei­ne Sym­pa­thien. Er han­delt we­der ra­tio­nal noch auf­klä­re­risch. Wur­de er nun auch dumm, durch die Angst, die ihm ein­ge­flösst wur­de? Oder war er es viel­leicht von An­fang an? Der Schau­spie­ler Ya­scha Finn Nol­ting ver­leiht der Fi­gur von Ich­ab­od Cra­ne viel Charme und be­ein­druckt mit Ge­sang, Ko­mik und Akro­ba­tik. Bar­ba­ra-Da­vid Brüesch (In­sze­nie­rung) macht aus dem Stück ge­mein­sam mit Mar­tin Bie­ri (Dra­ma­tur­gie) ei­ne Hor­ror-Show, wo Text, Mu­sik, Witz und Ef­fek­te dicht an­ein­an­der­ge­reiht sind.

Die Angst geht um (Bild: pd/Jos Schmid)

Un­ter den vie­len Kos­tüm­wech­seln, Splat­ter­ef­fek­ten und der tech­nisch auf­wän­di­gen Show ge­hen die tief­grün­di­gen Fra­ge­stel­lun­gen manch­mal et­was un­ter. Es dau­ert nie lan­ge, bis der nächs­te La­cher kommt. Da­durch be­steht die Ge­fahr, dass man sich zu sehr von der Show ver­zau­bern lässt und we­nig Zeit zum Nach­den­ken bleibt. Die mu­si­ka­li­schen Mo­men­te wer­den des­we­gen be­son­ders wich­tig und ge­ben dem Abend mehr Zeit für Tief­gang. Und viel­leicht geht es im Stück eben ge­nau dar­um, sich da­bei zu er­tap­pen, wie man sich von der Show ei­gent­lich gut un­ter­hal­ten fühlt, wäh­rend­des­sen aber ver­gisst, selbst zu den­ken. Man kann ja so­wie­so nicht mehr un­ter­schei­den, was echt, fake, ver­trau­ens­wür­dig oder ge­fähr­lich ist.

Die Le­gen­de von Slee­py Hol­low: bis 10 De­zem­ber, Kon­zert und Thea­ter St.Gal­len

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