Verchäuferlis

Am 18. Mai stimmt der Kanton St. Gallen wieder einmal über erweiterte Ladenöffnungszeiten ab. FDP und SVP wollen damit das «veraltete» Gesetz der vermeintlichen Realität anpassen und «für gleich lange Spiesse sorgen». Die Liberalisierung ist aber in erster Linie ein Bedürfnis der Grossverteiler, für das die Arbeitnehmenden bezahlen. Ein Kommentar.

Wie es sich für die fö­de­ra­lis­ti­sche Schweiz ge­hört, gibt es auch in Sa­chen La­den­öff­nungs­zei­ten so­wohl auf Kan­tons- als auch auf Ge­mein­de­ebe­ne zahl­rei­che Re­geln und Ge­set­ze. Mit dem Nach­trag zum Ge­setz über Ru­he­tag und La­den­öff­nung sol­len die Öff­nungs­zei­ten in St. Gal­len ge­mäss den Be­für­wor­ter:in­nen aus FDP und SVP der «Rea­li­tät» – al­so den ver­meint­li­chen Be­dürf­nis­sen der Be­völ­ke­rung – 
so­wie den um­lie­gen­den Kan­to­nen, wo De­tail­händ­ler:in­nen be­reits län­ger und öf­ter öff­nen dür­fen, an­ge­passt und da­mit ver­ein­heit­licht wer­den. Aber eben auch ma­xi­mal li­be­ra­li­siert.

Künf­tig sol­len al­le Ge­schäf­te im Kan­ton von Mon­tag bis Sams­tag von 5 bis 22 Uhr öff­nen dür­fen an­statt wie heu­te von 6 bis 19 Uhr. Klei­ne Lä­den durf­ten bis­her be­reits fle­xi­bler öff­nen als grös­se­re. Und die St. Gal­ler In­nen­stadt gilt seit 2020 als Tou­ris­mus­zo­ne mit er­wei­ter­ten La­den­öff­nungs­zei­ten. Ein­schrän­kun­gen wie ver­kürz­te Öff­nungs­zei­ten bei­spiels­wei­se am Grün­don­ners­tag, an Hei­lig­abend oder an Sil­ves­ter wür­den künf­tig ent­fal­len. Nur grös­se­re Lä­den sol­len an Sonn- und Fei­er­ta­gen wei­ter­hin ge­schlos­sen blei­ben, so­fern die je­wei­li­ge po­li­ti­sche Ge­mein­de kei­ne Aus­nah­men von den ge­setz­li­chen La­den­öff­nungs­zei­ten vor­sieht. Denn die Mög­lich­keit, Aus­nah­men für re­gio­na­le oder wich­ti­ge über­re­gio­na­le An­läs­se zu er­las­sen, sol­len die Ge­mein­den wei­ter­hin ha­ben. Für Selbst­be­die­nungs­lä­den oh­ne Per­so­nal soll es gar kei­ne zeit­li­chen Be­schrän­kun­gen mehr ge­ben.

Aber wem nützt die­se Li­be­ra­li­sie­rung? Klei­nen Lä­den oder Gross­ver­tei­lern? Gibt es wirk­lich ein Be­dürf­nis nach län­ge­ren Öff­nungs­zei­ten in der Be­völ­ke­rung? Oder spie­len hier ge­winn­ge­trie­be­ne Un­ter­neh­mer:in­nen «Ver­chäu­fer­lis» mit der Work-Life-Ba­lan­ce von Ar­beit­neh­men­den?

Li­ber­té, Ega­li­té, meh isch meh

Wenn in der Schweiz po­li­tisch über Li­be­ra­li­sie­rung, die die ei­ge­nen Kas­sen fül­len könn­te, dis­ku­tiert wird, ist das Ge­wer­be in der Re­gel mit an Bord. Bei der ak­tu­el­len Vor­la­ge zeigt es sich al­ler­dings skep­tisch. In ei­ner Um­fra­ge aus dem Jahr 2021 fand der kan­to­na­le Ge­wer­be­ver­band St. Gal­len her­aus, dass 194 sei­ner Mit­glie­der ver­län­ger­te Öff­nungs­zei­ten ab­leh­nen und nur 25 Un­ter­neh­men die­se be­für­wor­ten wür­den. Be­grün­dung: Es brau­che mehr Per­so­nal für län­ge­re Öff­nungs­zei­ten, was wie­der­um Geld kos­te. Die Ein­nah­men aus den paar zu­sätz­lich ge­öff­ne­ten Stun­den wür­den die­se Kos­ten al­ler­dings kaum de­cken. Klingt lo­gisch.

Apro­pos Per­so­nal: Fach­kräf­te­man­gel? Län­ge­re Ar­beits­ta­ge oder Ar­bei­ten an den Ta­gen vor Weih­nach­ten oder Os­tern lo­cken kaum Ar­beits­kräf­te. Zu­mal die Ar­beits­be­din­gun­gen im De­tail­han­del so­wie­so nicht gut sind. Ei­ne Li­be­ra­li­sie­rung der Ar­beits­zei­ten be­deu­tet vor al­lem Ge­winn­ma­xi­mie­rung für die Ar­beit­ge­ben­den, sel­ten lohnt sich dies für die Ar­beit­neh­men­den, de­ren Ar­beits­ta­ge da­mit län­ger wer­den. Es ist näm­lich nicht an­zu­neh­men, dass di­rekt zu­sätz­li­ches Per­so­nal an­ge­stellt wird. Da­mit be­zah­len für die­se Fle­xi­bi­li­sie­rung in ers­ter Li­nie die Ar­beit­neh­men­den. Meist mit Ein­bus­sen im Pri­vat­le­ben, oft mit ih­rer Ge­sund­heit. Das zei­gen Stu­di­en von Ge­werk­schaf­ten.

Der Kampf um die Spiess­län­ge

Aus­ser­dem ist es nicht er­wie­sen, dass die Be­völ­ke­rung wirk­lich ver­län­ger­te La­den­öff­nungs­zei­ten wünscht. Eher im Ge­gen­teil: Zahl­rei­che In­itia­ti­ven in ver­schie­de­nen Kan­to­nen, in de­nen ei­ne ähn­li­che Fle­xi­bi­li­sie­rung ge­for­dert wur­de, hat die Stimm­be­völ­ke­rung ab­ge­lehnt. So letz­tes Jahr im Wal­lis, 2022 in Ba­sel und zehn Jah­re zu­vor in Lu­zern und Zü­rich. Auch in St. Gal­len wur­den ähn­li­che Be­geh­ren be­reits drei Mal ab­ge­lehnt. Ist das die «Rea­li­tät», von der die Bür­ger­li­chen re­den? Ist die­se nicht schon da­durch ab­ge­deckt, dass man aus­ser­halb der nor­ma­len Öff­nungs­zei­ten an Bahn­hö­fen oder Tank­stel­len das Nö­tigs­te be­sor­gen kann?

Viel­leicht geht es aber gar nicht um die An­lie­gen der Be­völ­ke­rung. Denn die Be­für­wor­ter:in­nen be­haup­ten auch, dass der Kan­ton St. Gal­len durch das «ver­al­te­te Ge­setz» nicht gleich lan­ge Spies­se ha­be wie die Nach­bar­kan­to­ne, wo die Öff­nungs­zei­ten li­be­ra­ler und da­mit die Spies­se län­ger sei­en. Da­bei geht es aber nicht um die An­lie­gen der Kon­su­ment:in­nen, son­dern viel­mehr um je­ne der Un­ter­neh­mer:in­nen. Näm­lich um die Angst, be­nach­tei­ligt zu wer­den, den Kür­ze­ren zu zie­hen – Spiess­neid.

Zu­letzt geht es aber auch um den Un­ter­schied zwi­schen Klei­nen und Gros­sen, zwi­schen Tan­te-Em­ma-Lä­den, die sich bis­her durch fle­xi­ble­re Öff­nungs­zei­ten von den gros­sen De­tail­lis­ten ab­he­ben konn­ten.

Fakt ist: Bei ei­nem Ja wür­den die Klei­nen ver­lie­ren und die Gros­sen ge­win­nen, wie so oft, wenn die Bür­ger­li­chen nach Li­be­ra­li­sie­rung schrei­en. Und für ein­mal so­gar dann, wenn ih­re ge­werb­li­che Ba­sis ei­gent­lich da­ge­gen ist. Wenn al­so der Be­völ­ke­run­gen län­ge­re Öff­nungs­zei­ten kaum nüt­zen, aus­ser den Gross­ver­tei­lern sie ak­tiv nie­mand möch­te, kaum ei­ner sie be­zah­len kann und das Per­so­nal da­für fehlt – war­um al­so Ja stim­men? Nur da­mit wir nicht so weit ge­hen müs­sen, wenn wir am Sams­tag­abend vor dem Aus­gang Par­me­san su­chen? Oder da­mit die Bür­ger­li­chen kei­nen Spiess­neid mehr ha­ben müs­sen?