Wie es sich für die föderalistische Schweiz gehört, gibt es auch in Sachen Ladenöffnungszeiten sowohl auf Kantons- als auch auf Gemeindeebene zahlreiche Regeln und Gesetze. Mit dem Nachtrag zum Gesetz über Ruhetag und Ladenöffnung sollen die Öffnungszeiten in St. Gallen gemäss den Befürworter:innen aus FDP und SVP der «Realität» – also den vermeintlichen Bedürfnissen der Bevölkerung –
sowie den umliegenden Kantonen, wo Detailhändler:innen bereits länger und öfter öffnen dürfen, angepasst und damit vereinheitlicht werden. Aber eben auch maximal liberalisiert.
Künftig sollen alle Geschäfte im Kanton von Montag bis Samstag von 5 bis 22 Uhr öffnen dürfen anstatt wie heute von 6 bis 19 Uhr. Kleine Läden durften bisher bereits flexibler öffnen als grössere. Und die St. Galler Innenstadt gilt seit 2020 als Tourismuszone mit erweiterten Ladenöffnungszeiten. Einschränkungen wie verkürzte Öffnungszeiten beispielsweise am Gründonnerstag, an Heiligabend oder an Silvester würden künftig entfallen. Nur grössere Läden sollen an Sonn- und Feiertagen weiterhin geschlossen bleiben, sofern die jeweilige politische Gemeinde keine Ausnahmen von den gesetzlichen Ladenöffnungszeiten vorsieht. Denn die Möglichkeit, Ausnahmen für regionale oder wichtige überregionale Anlässe zu erlassen, sollen die Gemeinden weiterhin haben. Für Selbstbedienungsläden ohne Personal soll es gar keine zeitlichen Beschränkungen mehr geben.
Aber wem nützt diese Liberalisierung? Kleinen Läden oder Grossverteilern? Gibt es wirklich ein Bedürfnis nach längeren Öffnungszeiten in der Bevölkerung? Oder spielen hier gewinngetriebene Unternehmer:innen «Verchäuferlis» mit der Work-Life-Balance von Arbeitnehmenden?
Liberté, Egalité, meh isch meh
Wenn in der Schweiz politisch über Liberalisierung, die die eigenen Kassen füllen könnte, diskutiert wird, ist das Gewerbe in der Regel mit an Bord. Bei der aktuellen Vorlage zeigt es sich allerdings skeptisch. In einer Umfrage aus dem Jahr 2021 fand der kantonale Gewerbeverband St. Gallen heraus, dass 194 seiner Mitglieder verlängerte Öffnungszeiten ablehnen und nur 25 Unternehmen diese befürworten würden. Begründung: Es brauche mehr Personal für längere Öffnungszeiten, was wiederum Geld koste. Die Einnahmen aus den paar zusätzlich geöffneten Stunden würden diese Kosten allerdings kaum decken. Klingt logisch.
Apropos Personal: Fachkräftemangel? Längere Arbeitstage oder Arbeiten an den Tagen vor Weihnachten oder Ostern locken kaum Arbeitskräfte. Zumal die Arbeitsbedingungen im Detailhandel sowieso nicht gut sind. Eine Liberalisierung der Arbeitszeiten bedeutet vor allem Gewinnmaximierung für die Arbeitgebenden, selten lohnt sich dies für die Arbeitnehmenden, deren Arbeitstage damit länger werden. Es ist nämlich nicht anzunehmen, dass direkt zusätzliches Personal angestellt wird. Damit bezahlen für diese Flexibilisierung in erster Linie die Arbeitnehmenden. Meist mit Einbussen im Privatleben, oft mit ihrer Gesundheit. Das zeigen Studien von Gewerkschaften.
Der Kampf um die Spiesslänge
Ausserdem ist es nicht erwiesen, dass die Bevölkerung wirklich verlängerte Ladenöffnungszeiten wünscht. Eher im Gegenteil: Zahlreiche Initiativen in verschiedenen Kantonen, in denen eine ähnliche Flexibilisierung gefordert wurde, hat die Stimmbevölkerung abgelehnt. So letztes Jahr im Wallis, 2022 in Basel und zehn Jahre zuvor in Luzern und Zürich. Auch in St. Gallen wurden ähnliche Begehren bereits drei Mal abgelehnt. Ist das die «Realität», von der die Bürgerlichen reden? Ist diese nicht schon dadurch abgedeckt, dass man ausserhalb der normalen Öffnungszeiten an Bahnhöfen oder Tankstellen das Nötigste besorgen kann?
Vielleicht geht es aber gar nicht um die Anliegen der Bevölkerung. Denn die Befürworter:innen behaupten auch, dass der Kanton St. Gallen durch das «veraltete Gesetz» nicht gleich lange Spiesse habe wie die Nachbarkantone, wo die Öffnungszeiten liberaler und damit die Spiesse länger seien. Dabei geht es aber nicht um die Anliegen der Konsument:innen, sondern vielmehr um jene der Unternehmer:innen. Nämlich um die Angst, benachteiligt zu werden, den Kürzeren zu ziehen – Spiessneid.
Zuletzt geht es aber auch um den Unterschied zwischen Kleinen und Grossen, zwischen Tante-Emma-Läden, die sich bisher durch flexiblere Öffnungszeiten von den grossen Detaillisten abheben konnten.
Fakt ist: Bei einem Ja würden die Kleinen verlieren und die Grossen gewinnen, wie so oft, wenn die Bürgerlichen nach Liberalisierung schreien. Und für einmal sogar dann, wenn ihre gewerbliche Basis eigentlich dagegen ist. Wenn also der Bevölkerungen längere Öffnungszeiten kaum nützen, ausser den Grossverteilern sie aktiv niemand möchte, kaum einer sie bezahlen kann und das Personal dafür fehlt – warum also Ja stimmen? Nur damit wir nicht so weit gehen müssen, wenn wir am Samstagabend vor dem Ausgang Parmesan suchen? Oder damit die Bürgerlichen keinen Spiessneid mehr haben müssen?