Vom Alternativprojekt zur kulturellen Institution

Am 18. November zeigt das Kinok Element of Crime, den ersten Kinofilm von Lars von Trier, anlässlich der Jubiläums-Reihe «40 Jahre Kinok»

40 Jahre Programmkino in St.Gallen: Das Kinok jubiliert im November. Und es hat allen Grund dazu, die eigene Erfolgsgeschichte zu feiern.

Heu­te ist es ei­ne Selbst­ver­ständ­lich­keit, dass in der Stadt St.Gal­len ne­ben Hol­ly­wood-Block­bus­tern auch an­spruchs­vol­le­re und ex­pe­ri­men­tel­le Fil­me zum Pre­mie­ren­start im Ki­no­saal zu se­hen sind. Dass dem so ist, ist das Ver­dienst des Ki­nok in der Lok­re­mi­se. Die Wur­zeln des heu­te gröss­ten und be­deu­tends­ten Pro­gramm- und Art­house-Ki­nos der Ost­schweiz rei­chen bis in die be­weg­te Zeit der spä­ten 1970er-Jah­re zu­rück. Da­mals war die Ki­no­si­tua­ti­on in St.Gal­len ei­ne ganz an­de­re als heu­te.

Nicht, dass es in Gül­len, wie St.Gal­len in der Al­ter­na­tiv­sze­ne in An­leh­nung an Der Be­such der al­ten Da­me von Fried­rich Dür­ren­matts heisst, zu we­nig Ki­no­sä­le ge­ge­ben hät­te. Es war eher das Ge­gen­teil der Fall. Das Pro­gramm der vor­han­de­nen Ki­nos war aber mit sel­te­nen Aus­nah­men auf Main­stream und Kom­merz aus­ge­rich­tet. Ex­pe­ri­men­tel­les, kri­ti­sches und lin­kes Ki­no fand in St.Gal­len nicht statt. Wer Fil­me von Ri­chard Din­do und Fre­di M. Mu­rer, wer Klas­si­ker, die Film­ge­schich­te ge­schrie­ben ha­ben, oder wer Stu­dio­fil­me auf der gros­sen Lein­wand se­hen woll­te, muss­te nach Zü­rich aus­wei­chen.

Dass es in St.Gal­len durch­aus ein Be­dürf­nis nach gu­tem und po­li­ti­schem Film gab, be­le­gen Ver­su­che von Grup­pen und Ein­zel­nen mit Film­vor­füh­run­gen. So zeig­te et­wa die «Stein­schleu­der» im Ju­ni 1979 im Ki­no Stor­chen (das noch nicht dem spä­te­ren lo­ka­len Ki­no­mo­no­po­lis­ten Franz An­ton Brü­ni ge­hör­te) den Strei­fen Mon­ta­na Sa­cra (1973) von Ale­jan­dro Jo­do­row­sky. In der Al­ter­na­tiv­beiz «Post­hal­le» an der Lang­gas­se flim­mer­te im Ju­li 1980 «ein heis­ser Film über die Zür­cher Kra­wal­le mit Live-Punk-Rock-Sound» über die Lein­wand.

Auch im AJZ im Blei­che­li – er­öff­net im März 1981 und ab­ge­brannt im Ok­to­ber des­sel­ben Jah­res – sind Film­vor­füh­run­gen do­ku­men­tiert. Da­bei ging es um die Ju­gend­un­ru­hen, die Woh­nungs­not und Bau­spe­ku­la­ti­on. Am 10. April et­wa wur­de der Do­ku­men­tar­film Zwi­schen Be­ton­fahr­ten (1980) von Pi­us Mor­ger ge­zeigt. Am 24. April prä­sen­tier­te die Ak­ti­on «Lä­bigs Blei­che­li» ei­nen Film «über Spe­ku­la­ti­on und Städ­te­bau». Und an ei­ner Ak­ti­ons­wo­che im Au­gust stan­den Fil­me ge­gen Spe­ku­lan­ten am Bei­spiel von Wie­di­kon, über den Kampf ge­gen AKWs in Gös­gen und Kai­ser­augst so­wie «ei­ne Su­per-8-Nacht» mit Fil­men des Pu­bli­kums («Bringt eu­re ei­ge­nen Fil­me mit!») auf dem Pro­gramm.

Film­klas­si­ker im Was­ser und im Schnee

Die Ge­schich­te des Ki­nok be­ginnt 1982 mit «Ki­no­ki Gül­len». Der Ver­ein wur­de am 14. April 1982 ge­grün­det. Die Sta­tu­ten hat­ten neun Ar­ti­kel und wa­ren un­ter­schrie­ben von Fe­lix Kä­lin, Pe­ter Kamm und Hu­go «Bu­daz» Kel­ler. Der Be­griff Ki­no­ki geht auf ei­ne Grup­pe jun­ger so­wje­ti­scher Film­pio­nie­re um Re­gis­seur und Me­di­en­theo­re­ti­ker Dzi­ga Ver­tov (1896–1954) zu­rück. Er stammt aus dem Rus­si­schen und ist ei­ne Zu­sam­men­set­zung aus den Wör­tern Ki­no und Au­ge. Mit dem Ki­no­au­ge war das Ka­me­ra­ob­jek­tiv ge­meint, das die Rea­li­tät ab­bil­det.

«Ki­no­ki Gül­len» zeig­te 1982, 1983 und 1984 Fil­me an wech­seln­den und un­ge­wöhn­li­chen Or­ten der Stadt St.Gal­len. Dar­un­ter wa­ren vie­le klas­si­sche Pro­duk­tio­nen aus der So­wjet­uni­on. Der ers­te Film war Alex­an­der New­s­ki (1938) von Ser­gej M. Ei­sen­stein im Volks­bad. Das Pu­bli­kum plantsch­te wäh­rend der Film­vor­füh­rung im Schwimm­be­cken oder sass frös­telnd und et­was ver­le­gen an des­sen Rand, wie ein Zei­tungs­be­richt aus je­ner Zeit no­tier­te.

In den Un­ter­la­gen des Stadt­ar­chivs St.Gal­len sind wei­te­re sechs Film­aben­de do­ku­men­tiert. Sie fan­den in der Keh­richt­ver­bren­nungs­an­la­ge, in der Gra­ben­hal­le, in der Ka­ver­ne des Kraft­werks Ku­bel, im ehe­ma­li­gen Kies­werk Wä­gen­wald, in der ehe­ma­li­gen «Volks­stim­me»-Dru­cke­rei beim Spi­ser­tor und auf dem ver­schnei­ten Freu­den­berg statt. Ge­ra­de der Abend auf dem Freu­den­berg ist vie­len Zu­schau­er:in­nen als «wun­der­schö­ner An­lass» im Ge­dächt­nis ge­blie­ben.

Sally Potters Orlando mit Tilda Swinton ist am 9. November im Kinok zu sehen.

Am 9. Fe­bru­ar 1984 wur­de der Stumm­film Sturm über Asi­en (1928) von Wsewo­lod Pu­dow­kin beim See­len­hof auf ein Schnee­feld pro­ji­ziert. La­cher gabs wäh­rend des Films für Eliosch, den ins Bild spa­zie­ren­den Ma­rem­ma-Schä­fer­hund von Steff Schwald. Die ab­schlies­sen­de Licht­schau mit viel Feu­er und Rauch stamm­te von Ro­man Si­gner. Die Film­aben­de der Ki­no­ki hat­ten rasch ihr Pu­bli­kum: Zwi­schen 70 (in der ver­reg­ne­ten Kies­gru­be) und 250 Per­so­nen (in der Gra­ben­hal­le) ka­men je­weils.

Ei­ne an­de­re Spur leg­ten par­al­lel zu den Ki­no­ki die Off­ra-Frau­en (Or­ga­ni­sa­ti­on für die Sa­che der Frau) mit Frau­en­fil­men im Ki­no Stor­chen. Dar­un­ter war als ei­ne der Ku­ra­to­rin­nen des Pro­gramms Mo­ni­ka Lie­ber­herr, ei­ne der spä­te­ren Mit­be­grün­de­rin­nen des K59.

Be­weg­te Zei­ten, lang­le­bi­ge Pro­jek­te

«Die Zeit war reif, es galt die Stadt zu er­obern und sie ei­gen­mäch­tig zu be­spie­len», wür­digt Sa­bin Schrei­ber 2010 in ei­nem Text zum 25. Ge­burts­tag die Grün­dungs­pe­ri­ode des Ki­nok. «In der be­weg­ten Sub­kul­tur der Acht­zi­ger misch­ten sich äs­the­ti­sche und po­li­ti­sche Be­dürf­nis­se. Aus die­ser Auf­bruch- und Grün­der­stim­mung her­aus ent­stan­den Pro­jek­te und In­sti­tu­tio­nen, die heu­te noch Be­stand ha­ben: Gra­ben­hal­le, En­gel, Kunst­hal­le, Frau­en­bi­blio­thek.» Zu die­sen In­sti­tu­tio­nen zählt auch 40 Jah­re nach sei­nem Start na­tür­lich im­mer noch das Ki­nok.

Im März 1985 grün­de­ten die Ki­no­kis und wei­te­re In­ter­es­sier­te in der Spa­ni­schen Wein­hal­le an der Ku­gel­gas­se den Ver­ein K59, wo­bei 59 für die Sum­me der da­mals gän­gi­gen Film­for­ma­te stand: 8, 16 und 35 Mil­li­me­ter. Im ehe­ma­li­gen Quar­tier­ki­no Apol­lo an der Gross­acker­stras­se fand der Ver­ein ein für Ki­no­vor­stel­lun­gen ge­eig­ne­tes Lo­kal, das mit viel Fron­ar­beit und ein­fa­chen Mit­teln her­ge­rich­tet wur­de. Erst­mals «Film ab!» hiess es dann im Ki­no K59 in St.Fi­den am 23. No­vem­ber 1985.

Dass es so weit kam, war auch po­li­ti­scher Vor­ar­beit zu ver­dan­ken – un­ter an­de­rem vom da­ma­li­gen SP-Ge­mein­de­rat und spä­te­ren Na­tio­nal- und Stän­de­rat Paul Rech­stei­ner. 1983 er­warb Franz An­ton Brü­ni die Schul­t­hess-Ki­nos, wo­mit das Ki­no­mo­no­pol in St.Gal­len Tat­sa­che wur­de. Der po­li­ti­sche Druck, al­ter­na­ti­ves Ki­no mit öf­fent­li­chen Mit­teln zu er­mög­li­chen, stieg da­mit. Druck bau­te auch der im­mer wie­der zu hö­ren­de Vor­wurf auf, dass Stadt und Kan­ton in den frü­hen 1980ern für ar­ri­vier­te Kul­tur Mil­lio­nen, für Al­ter­na­tiv­kul­tur kaum et­was aus­gä­ben.

Für die Test­pha­se im neu­en Lo­kal in St.Fi­den er­hielt der Ver­ein K59 schliess­lich über 100’000 Fran­ken von Stadt und Kan­ton. Ab 1987 sub­ven­tio­nier­te die Stadt das Stu­dio­ki­no mit jähr­lich 70’000 Fran­ken. An­de­re Ein­nah­me­quel­len wa­ren der Bil­lett­ver­kauf und Mit­glie­der­bei­trä­ge. Da­zu ka­men un­zäh­li­ge Stun­den Gra­tis­ar­beit, wie sich Fran­co Car­rer er­in­nert. Er stiess im De­zem­ber 1986 zur K59-Crew, lern­te das Hand­werk des Ope­ra­teurs, das er bis heu­te in Teil­zeit im Ki­nok aus­übt. Als ge­lern­ter In­nen­ar­chi­tekt plan­te Car­rer den Um­bau des al­ten Ki­nos. Des­sen Neu­eröff­nung fand im Ju­ni 1987 statt.

Skan­da­le und ein Dau­er­streit

Die ers­ten Jah­re des K59 wa­ren ei­ne Zeit, in der Ki­no an­ecken und Kon­tro­ver­sen im Lo­kal­teil der Ta­ges­zei­tun­gen aus­lö­sen konn­te. 1986 füll­te die K59-Auf­füh­rung von Das Ge­spenst (1982) von Her­bert Ach­tern­busch die Spal­ten der Ta­ges­zei­tung «Die Ost­schweiz» mit Le­ser­brie­fen em­pör­ter ka­tho­li­scher Mo­ra­list:in­nen. Als Re­ak­ti­on, dass The Last Tempt­a­ti­on of Christ (1988) von Mar­tin Scor­se­se ge­zeigt wur­de, un­ter­nahm ein CVP-Kan­tons­rat den Ver­such, wei­te­re Kan­tons­bei­trä­ge fürs Al­ter­na­tiv­ki­no zu un­ter­bin­den. Dass sich das K59 1989 so­li­da­risch mit den Be­set­zer:in­nen des Ho­tels Hecht zeig­te, stiess wie­der­um dem Chef des kan­to­na­len Am­tes für Kul­tur sau­er auf.

Teil des ers­ten Jahr­zehnts von K59 und Ki­nok war auch ein Dau­er­streit mit Franz An­ton Brü­ni, dem ab 1983 al­le an­de­ren Ki­no­sä­le der Stadt ge­hör­ten. Der Be­griff Ki­no­mo­no­pol und die öf­fent­li­chen Gel­der für die al­ter­na­ti­ve Kon­kur­renz sties­sen Brü­ni sau­er auf. Das Team des K59 wie­der­um nerv­te, dass Brü­ni Druck auf Film­ver­lei­her auf­setz­te und Strei­fen re­ser­vier­te, die er nie zeig­te, et­wa 1985 M (1931) von Fritz Lang, The Ele­ment of Crime (1984) von Lars von Trier oder die Fil­me von Lu­is Bu­ñuel.

Die Fron­ten wa­ren klar ge­zo­gen. Ei­ne fried­li­che Ko­exis­tenz von Da­vid und Go­li­ath, von Film­kunst und Kom­merz schien nicht mög­lich. Ab den frü­hen 1990er-Jah­ren ver­schwam­men die Trenn­li­ni­en aber über­ra­schend schnell. So lan­de­ten im Pro­gramm von Franz An­ton Brü­ni ziem­lich rasch nach Grün­dung des K59 ver­mehrt auch an­spruchs­vol­le­re Fil­me. Dies un­ter dem Ein­druck des Er­folgs des al­ter­na­ti­ven Vor­stadt­ki­nos so­wie auf­grund von Ver­än­de­run­gen im Film­markt. Das K59 an­der­seits muss­te sich öff­nen, um das Image des nicht mehr ganz zeit­ge­mäs­sen Al­ter­na­tiv­ki­nos ab­zu­schüt­teln. Das Ver­hält­nis ent­spann­te sich da­durch et­was.

Zum Jubiläum zeigt das Kinok am 11. November auch Chungking Express von Wong Kar-Wai aus dem Jahr 1994.

Und Prinzessin Mononoke am 19. November - der fünfte und in Europa bekannteste Film des Ghibli-Studios.

Im Ok­to­ber 1990 tauf­te sich das K59 in Ki­nok um. Die Um­be­nen­nung er­folg­te nach 59 Mo­na­ten Be­trieb, wie sich Fran­co Car­rer er­in­nert: «Wir hat­ten das Ge­fühl, nun die­ses 59 weg­las­sen zu kön­nen, um mit dem neu­en Na­men ei­nen nä­he­ren Be­zug zu un­se­ren Ur­sprün­gen, die Ki­no­kis, zu schaf­fen.» Die Lei­tung des Be­triebs wech­sel­te in den ers­ten Jah­ren re­gel­mäs­sig. Un­ter an­de­rem hat­ten sie Jörg Ei­gen­mann, Her­bert Wüst, Fran­co Car­rer, Bru­no Pel­lan­di­ni, Ro­ger Walch und Sa­bi­na Bro­cal in­ne. Der Be­trieb war stark kol­lek­tiv ge­prägt.

Ein nächs­ter wich­ti­ger Schritt nach der Um­be­nen­nung war in den 1990er-Jah­ren der An­lauf für ei­ne ge­wis­se Pro­fes­sio­na­li­sie­rung. Die Ki­nok-Lei­tung wur­de als fes­te Stel­le im Per­so­nal­plan de­fi­niert. 1998 trat San­dra Mei­er die­se Stel­le an. Das war der Start­schuss zu ei­ner neu­en Pha­se der Ki­nok-Ge­schich­te.  In­fol­ge der Pro­fes­sio­na­li­sie­rung un­ter Mei­ers Lei­tung setz­te das Ki­nok zu ei­nem neu­en Hö­hen­flug an.

Zu­rück zu den Wur­zeln und Auf­bruch in ei­ne neue Epo­che

Dank ideen­rei­cher und in­spi­rier­ter Pro­gram­mie­rung stie­gen trotz der un­güns­ti­gen La­ge des Ki­no­saals an der öst­li­chen Pe­ri­phe­rie der In­nen­stadt die Ein­tritts­zah­len deut­lich an. Für 1997 et­wa ver­mel­de­te der Ki­nok-Jah­res­be­richt 5692, für 2000 be­reits 12'278 Ein­trit­te. 2008 wur­de mit 18'023 Be­su­cher:in­nen der Höchst­stand für die Pe­ri­ode in St.Fi­den er­reicht. Mit ein Fak­tor da­für war, dass die Ki­nok-Ma­cher:in­nen zu­rück zu den Wur­zeln gin­gen und Ver­an­stal­tun­gen aus­ser­halb des ei­ge­nen Ki­no­saals for­cier­ten. Ge­sucht wur­de auch die Zu­sam­men­ar­beit mit an­de­ren Or­ga­ni­sa­tio­nen. Zwi­schen 2002 und 2008 wur­den bei An­läs­sen mit un­ter­schied­li­chen Part­nern rund 100 Fil­me an un­ter­schied­li­chen Or­ten ge­zeigt. San­dra Mei­er hat­te auch im­mer gros­se Lust auf Ex­pan­ded-Ci­ne­ma-For­ma­te, die den Ki­no­raum spren­gen. Da­zu ge­hör­ten un­ter an­de­rem Dop­pel- und Mehr­fach­pro­jek­tio­nen im Next­ex und im Pro­vi­so­ri­um der Lok­re­mi­se, ein Win­ter-Open-Air im Bo­ta­ni­schen Gar­ten oder Open-Air-Vor­füh­run­gen im Pro­vi­so­ri­um der Lok­re­mi­se.

Die Or­ga­ni­sa­ti­on die­ser An­läs­se sei auf­wän­dig ge­we­sen, er­in­nert sich San­dra Mei­er. Und es sei ein Kraft­akt ge­we­sen, sie mit sehr be­schränk­ten Res­sour­cen par­al­lel zum Be­trieb an der Gross­acker­stras­se auf die Bei­ne zu stel­len. Oh­ne Un­ter­stüt­zung und Know‑how durch die 2005 zum Ki­nok ge­stos­se­ne Bri­git­te Kem­mann wä­re die reich­hal­ti­ge Be­spie­lung zwei­er Stand­or­te und der Um­zug in die Lok­re­mi­se nicht mög­lich ge­we­sen.

In ei­ne neue Ära star­te­te das Ki­nok im Herbst 2010. Kan­ton und Stadt bau­ten die Lok­re­mi­se hin­ter dem Haupt­bahn­hof nach ei­ner um­kämpf­ten Volks­ab­stim­mung zum Kul­tur­zen­trum um. San­dra Mei­er sah von An­fang an die gros­se Chan­ce fürs Ki­nok, bei dem Pro­jekt da­bei zu sein, da der ak­tu­el­le Stand­ort ab­seits des Stadt­zen­trums kei­ne Ent­wick­lungs­mög­lich­kei­ten bot. Die Lok­re­mi­se sei wie ein Sech­ser im Lot­to ge­we­sen, sagt die Ki­nok-Lei­te­rin im Rück­blick. Da­durch ha­be man die räum­lich knap­pe und tech­nisch über­hol­te In­fra­struk­tur in St.Fi­den ver­las­sen kön­nen.

Am 26. November ist im Kinok Stranger Than Paradise zu sehen. Ein frühes Werk von Jim Jarmusch, eigentlich als Kurzfilm gedacht und komplett in schwarzweiss gedreht.

Des­halb sei das Pro­jekt in der Lok­re­mi­se ein Glücks­fall ge­we­sen. Wo­bei das mit dem Glücks­fall für bei­de Sei­ten gilt: Das Ki­nok hat sich in den ers­ten 15 Jah­ren im Ring­bau, der einst als Ga­ra­ge für Lo­ko­mo­ti­ven dien­te, zum Pu­bli­kums­mo­tor des Kul­tur­zen­trums ent­wi­ckelt. 2011, im ers­ten vol­len Jahr in der Lok­re­mi­se, wur­den 29’995 Ki­no­ein­trit­te ge­zählt. Im Re­kord­jahr 2024 wuchs die­se Zahl auf 65’448 Be­su­cher:in­nen. Das Pro­gramm, das seit den An­fän­gen ste­tig aus­ge­baut wur­de, war­tet heu­te werk­tags mit vier bis fünf, am Sams­tag und Sonn­tag mit fünf bis sechs Vor­stel­lun­gen auf.

Ge­sucht: Jun­ge Ki­no­gän­ger:in­nen

Auch wenn es das Ki­nok der­zeit nicht zu spü­ren scheint: Das Ki­no be­fin­det sich welt­weit auf­grund neu­er Ge­wohn­hei­ten beim Me­di­en­kon­sum in der Kri­se. San­dra Mei­er macht sich des­we­gen für das gröss­te Pro­gramm- und Art­house-Ki­no der Ost­schweiz aber kei­ne Sor­gen: «In den nächs­ten 20 Jah­ren wird das Ki­no nach wie vor funk­tio­nie­ren.» Dies dank der ak­tu­el­len Ge­ne­ra­ti­on der El­tern und Gross­el­tern, die mit der Lein­wand auf­ge­wach­sen sei­en. Was da­nach kom­me, sei tat­säch­lich of­fen und hän­ge da­von ab, ob es ge­lin­ge, die Jun­gen wie­der in grös­se­rer Zahl ins Ki­no zu lo­cken.

Zu­ver­sicht­lich ist San­dra Mei­er, dass das Ki­nok den be­vor­ste­hen­den Ge­ne­ra­tio­nen­wech­sel bei sei­nen
Ma­cher:in­nen gut be­wäl­ti­gen wird. Die heu­ti­gen Ak­teur:in­nen hät­ten die be­weg­te Zeit der Acht­zi­ger und die Pio­nier­pha­se des Ki­nok noch sel­ber mit­er­lebt. Auf die nächs­te Ge­ne­ra­ti­on war­te­ten an­de­re Her­aus­for­de­run­gen und Auf­ga­ben. Das Ki­nok sei heu­te ein eta­blier­ter, ge­fes­tig­ter und ge­schätz­ter Be­trieb. Sie ha­be da­her kei­ne Angst: «Es gibt vie­le gut aus­ge­bil­de­te Leu­te, die sich ger­ne mit neu­en Ideen und Herz­blut für ei­ne so schö­ne Sa­che en­ga­gie­ren wol­len.»

Sor­gen be­rei­ten der Lei­te­rin eher die ak­tu­el­len Ten­den­zen zur Knaus­rig­keit in der Kul­tur­po­li­tik. Das Bei­spiel des Ki­nok und der Lok­re­mi­se zei­ge ex­em­pla­risch, dass sich In­ves­ti­tio­nen in Kul­tur­pro­jek­te und ih­re In­fra­struk­tur lohn­ten. Kul­tur­bau­ten ge­hör­ten al­len, es sei­en de­mo­kra­ti­sche Or­te. Die Kul­tur brau­che «schö­ne Or­te».  Sie drück­ten Wert­schät­zung ge­gen­über dem Pu­bli­kum und der Kul­tur aus, trü­gen zur At­trak­ti­vi­tät der Städ­te bei und zö­gen ei­ne gros­se Zahl Gäs­te an.

So ein Pro­jekt wie die Lok­re­mi­se oh­ne die fi­nan­zi­el­le Un­ter­stüt­zung der öf­fent­li­chen Hand auf die Bei­ne zu stel­len und zu be­trei­ben, sei un­mög­lich, be­tont San­dra Mei­er. Or­te wie die Lok­re­mi­se sei­en aber für den Zu­sam­men­halt un­se­rer im­mer mehr frag­men­tier­ten Ge­sell­schaft wich­tig. Ge­ra­de das Ki­no sei ein öf­fent­li­cher Ort, der al­len of­fen­ste­he und an dem sich die so­zia­len Schich­ten misch­ten. Es sei ein Ort für al­le – ein Treff­punkt, ein Flucht­ort, ein Re­fle­xi­ons­ort und ein Ort für De­bat­ten in ei­nem.

40 Jah­re Ki­nok Ju­bi­lä­ums­fei­er: 14. No­vem­ber, 20 Uhr
sai­ten.ch/ka­len­der

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