Wie hast dus mit dem Modekonsum?

Ausstellungsansicht «Mode sammeln. Von T-Shirts bis Haute Couture» (Bild: pd/Maurice Grünig)

Die Ausstellung «Mode sammeln. Von T-Shirts bis Haute Couture» im Textilmuseum St.Gallen erzählt vom Tragen und Begehren, vom Sehen und Gesehenwerden – aber eben auch vom Wegwerfen.

Ei­ne der schöns­ten Ne­ben­säch­lich­kei­ten der Welt steht im Zen­trum der ver­gan­ge­ne Wo­che im Tex­til­mu­se­um St.Gal­len er­öff­ne­ten Schau «Mo­de sam­meln. Von T-Shirts bis Hau­te Cou­ture». Schon beim Be­tre­ten des im Par­terre ein­ge­rich­te­ten, in­ter­ak­ti­ven Ver­mitt­lungs­be­reichs wird deut­lich, dass Mo­de weit mehr ist als ein Kon­sum­gut. Sie spie­gelt per­sön­li­che Ge­schich­ten, ist Aus­druck von Be­geh­ren und Sehn­sucht und zu­gleich Zeu­gin ge­sell­schaft­li­cher Dy­na­mi­ken.

Die par­ti­zi­pa­ti­ve Ebe­ne lädt die Be­su­chen­den ein, über ih­re ei­ge­nen emo­tio­nal be­setz­ten Lieb­lings­stü­cke nach­zu­den­ken: Wel­ches Klei­dungs­stück birgt Er­in­ne­run­gen, wel­ches strahlt pu­re Freu­de aus? In ei­nem di­gi­ta­len «Out­fit of the Day»-Ta­ge­buch kön­nen ei­ge­ne Krea­tio­nen in­sze­niert und ge­teilt wer­den. Mo­de wird so zur Iden­ti­täts- und Ge­mein­schafts­stif­te­rin und Aus­druck ei­ner Zu­ge­hö­rig­keit zu ei­nem be­stimm­ten Kul­tur­raum – ei­nem, den das Tex­til­mu­se­um ins­be­son­de­re im Kon­text der Schweiz sicht­bar macht.

Li­ai­son dan­ge­reu­se

In­fo­tex­te ge­ben Ein­bli­cke in den Mo­de­kon­sum und re­gen zur Re­fle­xi­on über Ge­wohn­hei­ten, Trends und ge­sell­schaft­li­che Rah­men­be­din­gun­gen hier­zu­lan­de an: et­wa, wie vie­le Tex­ti­li­en ein:e Schwei­zer:in im Jahr «kon­su­miert» und was da­von im Müll lan­det. Es wird deut­lich: Mo­de und Kon­sum sind ei­ne ge­fähr­li­che Li­ai­son ein­ge­gan­gen. Da­bei ver­bin­det die Aus­stel­lung Freu­de an in­di­vi­du­el­ler Mo­de­ge­schich­te mit ei­nem Be­wusst­sein für so­zia­le und öko­lo­gi­sche Di­men­sio­nen.

Gleich­zei­tig zeigt die Schau, dass sie nicht al­le Fa­cet­ten er­fas­sen kann: Klei­dung wird nicht nur ge­tra­gen und ge­liebt, son­dern auch weg­ge­ge­ben oder ge­spen­det – oft geo­gra­phisch aus­ge­la­gert, in Län­der des Glo­ba­len Sü­dens ver­schifft und da­mit aus dem un­mit­tel­ba­ren Blick­feld ge­räumt. An die­ser Stel­le tritt die künst­le­ri­sche Po­si­ti­on von An­drea Vo­gel in den Vor­der­grund. Ih­re Vi­deo­ar­beit Die Lum­pen­samm­le­rin, die im Rah­men des par­ti­zi­pa­ti­ven Be­reichs ge­zeigt wird, fun­giert als kri­tisch-selbst­re­fle­xi­ver Spie­gel. Im Mit­tel­punkt steht ei­ne Be­rufs­grup­pe, die einst vom Sam­meln und Wie­der­ver­wer­ten aus­ge­dien­ter Tex­ti­li­en leb­te – ein in der Ost­schweiz bis ins 20. Jahr­hun­dert ver­brei­te­ter Brot­er­werb, der heu­te in an­de­re Welt­re­gio­nen aus­ge­la­gert ist.

Von Sub­kul­tur bis Hau­te Cou­ture

Geht man hoch in den ei­gent­li­chen Aus­stel­lungs­be­reich, weicht die Re­fle­xi­on der Kon­tem­pla­ti­on. In­sel­ar­tig an­ge­ord­net um­schrei­tet man in ei­nem ge­dimm­ten Raum die Samm­lungs­stü­cke. Der Blick in die Ge­heim­nis­se des Klei­der­schranks ist voll­kom­men in­sze­niert. Spit­ze und Lin­ge­rie, Fund­stü­cke mit His­to­ri­en­cha­rak­ter, sind eben­so zu se­hen wie po­li­tisch auf­ge­la­de­ne T-Shirts, dar­un­ter ei­nes mit dem gros­sen Schrift­zug War is Over und dar­un­ter et­was klei­ner if you want it, in­spi­riert von der An­ti-Viet­nam-Kam­pa­gne von John Len­non und Yo­ko Ono aus dem gleich­na­mi­gen Song Hap­py Xmas (War Is Over). Da­ne­ben prangt der iro­nisch über­frach­te­te Schrift­zug der US-ame­ri­ka­ni­schen Kon­zept­künst­le­rin Jen­ny Hol­zer Pro­tect me from what I want in schril­ler Pail­let­ten­op­tik auf ei­nem T-Shirt.

Von Blumenmustern bis zu Pailetten (Bild: pd/Maurice Grünig)

Al­les hat hier sei­ne Ord­nung, wie in ei­nem be­geh­ba­ren Klei­der­schrank. Ei­ne Grup­pie­rung von Abend­klei­dern er­weckt den Ein­druck ei­ner mu­sea­len In­sze­nie­rung von Hau­te Cou­ture, ähn­lich der Ga­le­rie Di­or in Pa­ris. Ei­ne Aus­wahl an Kra­wat­ten zeigt die mi­nu­tiö­sen Ver­än­de­run­gen von Brei­ten und Län­gen und ih­re teils gros­se Wir­kung auf die In­sze­nie­rung der Kör­per, die sie tra­gen.

Blick in die Schatz­kis­te

Ne­ben Ein­bli­cken in die Mu­se­ums­be­stän­de zei­gen auch vier pri­va­te Samm­ler:in­nen ih­re Schät­ze. Sam­meln wirkt wie ein Vi­rus. Be­geis­te­rung brei­tet sich aus, Din­ge häu­fen sich an, be­wusst oder un­be­wusst. Lei­den­schaft schenkt Freu­de, kann aber auch Lei­den mit sich brin­gen – vor al­lem, wenn sie zur pa­tho­lo­gi­schen Ob­ses­si­on wird. In Vi­deo­in­ter­views be­rich­ten die Samm­ler:in­nen von ih­rem per­sön­li­chen Be­zug zu den Ob­jek­ten und da­von, was ihr Sam­mel­ver­hal­ten aus­macht, et­wa das «Fein­ma­chen» mit ei­nem be­son­de­ren Stück, das nicht je­de:r be­sitzt, oder das Be­wah­ren von Er­in­ne­run­gen durch Klei­dung.

Den Un­ter­schied zwi­schen ei­nem Klei­der­schrank und ei­ner Gar­de­ro­be macht letzt­lich der Wil­le aus, die Samm­lung zu ku­ra­tie­ren: die dar­in be­find­li­chen Ob­jek­te zu pfle­gen, zu re­pa­rie­ren und vor al­lem im­mer wie­der zu tra­gen. Klei­der­schrän­ke ver­wan­deln sich so zu Ar­chi­ven, mal mit dem Charme von Schatz­kis­ten, mal als Ka­bi­net­te der Ku­rio­si­tä­ten, viel­leicht so­gar der Ge­heim­nis­se. Da­bei geht es weit we­ni­ger um Trend­ana­ly­sen als um his­to­ri­sche Do­ku­men­ta­ti­on. Ge­ra­de die­ser kon­ser­vie­ren­de Cha­rak­ter, so der in der Aus­stel­lung ver­tre­te­ne Kon­sens, ver­leiht den Din­gen Be­deu­tung und macht ei­ne Samm­lung zur Samm­lung.

Kleider tragen Geschichten, spiegeln Subkulturen und Protest wider und können, wie Kunstwerke oder Musikstücke, emotional bewegen, wodurch sich ihre museale Inszenierung rechtfertigt. Da kann man leicht dem Reiz erliegen, mehr davon besitzen zu wollen – in der Hoffnung, es bringe mehr Glück. Ein Trugschluss? Darauf findet die Ausstellung keine abschliessenden Antworten – es bleibt den Besuchenden selbst überlassen, sich die Gretchenfrage zu stellen: Wie hast dus eigentlich mit dem Modekonsum?

Sammeln ist nicht nur ein ästhetisches Vergnügen, es hat Gewicht. Überfluss und Überkonsum werden im Textilmuseum spürbar, gleichzeitig zeigt sich, dass gezieltes Sammeln Traditionen bewahrt und einen respektvollen Umgang mit Kleidung fördert. Mode wird so nicht nur aufbewahrt, sondern auch zum Kulturgut schlechthin geweiht. 

«Mode sammeln. Von T-Shirts bis Haute Couture»: bis 25. Mai 2026, Textilmuseum St.Gallen.

Bildschirmfoto 2025 11 02 um 15 12 45

Herrenfrack um etwa 1780 (Bild: pd/Maurice Grünig)

Jetzt mitreden:
Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Dein Kommentar wird vor dem Publizieren von der Redaktion geprüft.