Eine der schönsten Nebensächlichkeiten der Welt steht im Zentrum der vergangene Woche im Textilmuseum St.Gallen eröffneten Schau «Mode sammeln. Von T-Shirts bis Haute Couture». Schon beim Betreten des im Parterre eingerichteten, interaktiven Vermittlungsbereichs wird deutlich, dass Mode weit mehr ist als ein Konsumgut. Sie spiegelt persönliche Geschichten, ist Ausdruck von Begehren und Sehnsucht und zugleich Zeugin gesellschaftlicher Dynamiken.
Die partizipative Ebene lädt die Besuchenden ein, über ihre eigenen emotional besetzten Lieblingsstücke nachzudenken: Welches Kleidungsstück birgt Erinnerungen, welches strahlt pure Freude aus? In einem digitalen «Outfit of the Day»-Tagebuch können eigene Kreationen inszeniert und geteilt werden. Mode wird so zur Identitäts- und Gemeinschaftsstifterin und Ausdruck einer Zugehörigkeit zu einem bestimmten Kulturraum – einem, den das Textilmuseum insbesondere im Kontext der Schweiz sichtbar macht.
Liaison dangereuse
Infotexte geben Einblicke in den Modekonsum und regen zur Reflexion über Gewohnheiten, Trends und gesellschaftliche Rahmenbedingungen hierzulande an: etwa, wie viele Textilien ein:e Schweizer:in im Jahr «konsumiert» und was davon im Müll landet. Es wird deutlich: Mode und Konsum sind eine gefährliche Liaison eingegangen. Dabei verbindet die Ausstellung Freude an individueller Modegeschichte mit einem Bewusstsein für soziale und ökologische Dimensionen.
Gleichzeitig zeigt die Schau, dass sie nicht alle Facetten erfassen kann: Kleidung wird nicht nur getragen und geliebt, sondern auch weggegeben oder gespendet – oft geographisch ausgelagert, in Länder des Globalen Südens verschifft und damit aus dem unmittelbaren Blickfeld geräumt. An dieser Stelle tritt die künstlerische Position von Andrea Vogel in den Vordergrund. Ihre Videoarbeit Die Lumpensammlerin, die im Rahmen des partizipativen Bereichs gezeigt wird, fungiert als kritisch-selbstreflexiver Spiegel. Im Mittelpunkt steht eine Berufsgruppe, die einst vom Sammeln und Wiederverwerten ausgedienter Textilien lebte – ein in der Ostschweiz bis ins 20. Jahrhundert verbreiteter Broterwerb, der heute in andere Weltregionen ausgelagert ist.
Von Subkultur bis Haute Couture
Geht man hoch in den eigentlichen Ausstellungsbereich, weicht die Reflexion der Kontemplation. Inselartig angeordnet umschreitet man in einem gedimmten Raum die Sammlungsstücke. Der Blick in die Geheimnisse des Kleiderschranks ist vollkommen inszeniert. Spitze und Lingerie, Fundstücke mit Historiencharakter, sind ebenso zu sehen wie politisch aufgeladene T-Shirts, darunter eines mit dem grossen Schriftzug War is Over und darunter etwas kleiner if you want it, inspiriert von der Anti-Vietnam-Kampagne von John Lennon und Yoko Ono aus dem gleichnamigen Song Happy Xmas (War Is Over). Daneben prangt der ironisch überfrachtete Schriftzug der US-amerikanischen Konzeptkünstlerin Jenny Holzer Protect me from what I want in schriller Paillettenoptik auf einem T-Shirt.
Von Blumenmustern bis zu Pailetten (Bild: pd/Maurice Grünig)
Alles hat hier seine Ordnung, wie in einem begehbaren Kleiderschrank. Eine Gruppierung von Abendkleidern erweckt den Eindruck einer musealen Inszenierung von Haute Couture, ähnlich der Galerie Dior in Paris. Eine Auswahl an Krawatten zeigt die minutiösen Veränderungen von Breiten und Längen und ihre teils grosse Wirkung auf die Inszenierung der Körper, die sie tragen.
Blick in die Schatzkiste
Neben Einblicken in die Museumsbestände zeigen auch vier private Sammler:innen ihre Schätze. Sammeln wirkt wie ein Virus. Begeisterung breitet sich aus, Dinge häufen sich an, bewusst oder unbewusst. Leidenschaft schenkt Freude, kann aber auch Leiden mit sich bringen – vor allem, wenn sie zur pathologischen Obsession wird. In Videointerviews berichten die Sammler:innen von ihrem persönlichen Bezug zu den Objekten und davon, was ihr Sammelverhalten ausmacht, etwa das «Feinmachen» mit einem besonderen Stück, das nicht jede:r besitzt, oder das Bewahren von Erinnerungen durch Kleidung.
Den Unterschied zwischen einem Kleiderschrank und einer Garderobe macht letztlich der Wille aus, die Sammlung zu kuratieren: die darin befindlichen Objekte zu pflegen, zu reparieren und vor allem immer wieder zu tragen. Kleiderschränke verwandeln sich so zu Archiven, mal mit dem Charme von Schatzkisten, mal als Kabinette der Kuriositäten, vielleicht sogar der Geheimnisse. Dabei geht es weit weniger um Trendanalysen als um historische Dokumentation. Gerade dieser konservierende Charakter, so der in der Ausstellung vertretene Konsens, verleiht den Dingen Bedeutung und macht eine Sammlung zur Sammlung.
Kleider tragen Geschichten, spiegeln Subkulturen und Protest wider und können, wie Kunstwerke oder Musikstücke, emotional bewegen, wodurch sich ihre museale Inszenierung rechtfertigt. Da kann man leicht dem Reiz erliegen, mehr davon besitzen zu wollen – in der Hoffnung, es bringe mehr Glück. Ein Trugschluss? Darauf findet die Ausstellung keine abschliessenden Antworten – es bleibt den Besuchenden selbst überlassen, sich die Gretchenfrage zu stellen: Wie hast dus eigentlich mit dem Modekonsum?
Sammeln ist nicht nur ein ästhetisches Vergnügen, es hat Gewicht. Überfluss und Überkonsum werden im Textilmuseum spürbar, gleichzeitig zeigt sich, dass gezieltes Sammeln Traditionen bewahrt und einen respektvollen Umgang mit Kleidung fördert. Mode wird so nicht nur aufbewahrt, sondern auch zum Kulturgut schlechthin geweiht.
«Mode sammeln. Von T-Shirts bis Haute Couture»: bis 25. Mai 2026, Textilmuseum St.Gallen.
Herrenfrack um etwa 1780 (Bild: pd/Maurice Grünig)