Kürzlich habe ich auf Einladung einer internationalen Organisation, die sich für die Förderung der ukrainischen Bibliothek einsetzt, die Frankfurter Buchmesse besucht. Es war wie ein grosser Atemzug frischer Luft und zugleich wie ein Stück Zuhause. In Lwiw gibt es seit 1994 eine solche Buchmesse – schon seit mehr als 30 Jahren!
Genau jene Messe, die dieses Jahr angegriffen wurde und über die alle internationalen Medien berichteten, die vor Ort waren. Das ist wohl «der mutige Krieg gegen Bücher».
Mit dieser Messe bin ich aufgewachsen. Nicht mit den Angriffen, versteht sich. Sondern mit den Vorträgen, Events, Interviews, Diskussionen und dem «Festivalvibe». Und nun war dieses Gefühl wieder da, nur diesmal auf Deutsch.
Wenn der Krieg etwas gelehrt hat, dann etwas, was seiner eigenen Logik (nämlich Mord und Tod) widerspricht. Er hat gelehrt, dass man leben muss. In diesem Jahr wurde in der Ukraine sogar das Radiodiktat der Einheit zu genau diesem Thema geschrieben. Auch die Ukrainer:innen in der Schweiz haben mitgeschrieben, was mich besonders gefreut hat.
Am letzten Messetag, dem Sonntag, machte ich mich also auf den Weg, um all das noch einmal zu spüren, diesmal mit Deutschkenntnissen.
Das war unglaublich! Es war fast wie ein Schritt zurück in ein früheres Leben, mit all den Charakteren und der Atmosphäre von damals. Der nationale Stand der Ukraine in Frankfurt war dieses Jahr auch beeindruckend. Das Design basierte auf Ornamenten von Wassyl Krytschewskyj, dem Begründer der ukrainischen architektonischen Moderne, und die Fläche betrug über 200 Quadratmeter. 38 Verlage hatten ihre Bücher ausgestellt. Das waren insgesamt über 300 Titel!
Ich ging dort zwischen den Reihen und es fühlte sich an, als würde ich meinen Freunden begegnen. Einige der Autor:innen sind tatsächlich meine Freunde, viele von ihnen haben neue Bücher veröffentlicht. Manche sind aus dem Krieg zurückgekehrt und haben über ihre Erfahrungen geschrieben. Einer dieser Autoren präsentiert gerade sein Buch in Oslo. Ich sah auch neue Werke von jenen, die ich schon seit meiner Studienzeit lese.
Ich hätte am liebsten über jedes Regal die Hand gleiten lassen und jedes Buch in die Hand genommen, als würde ich kurz Hallo sagen.
Und das Beste war eine enorm grosse Fläche mit Ständen voller ins Deutsche übersetzter Bücher für Kinder, Schullektüre, klassische und zeitgenössische Literatur. Diese Vielzahl an Übersetzungen von Autorinnen und Autoren, mit deren Werken ich aufgewachsen bin, hat mich fast mehr berührt als die ganze Reise. In der literarischen Diskussion ging es genau darum. Darum, wie wertvoll es ist, dass so viele Stimmen übersetzt wurden und nicht nur die wenigen berühmten. Ich werde oft nach Empfehlungen gefragt. Jetzt habe ich eine riesige Liste, die weit über die bekannten Namen hinausgeht.
Bohdan Kolomijtschuk, Wiktorija Amelina, Artur Dron, Halyna Petrossanjak, Kateryna Babkina, Lesja Ukrajinka, Natalka Sniadanko, Pawlo Kasarin ... Das sind nur wenige Namen, die man inzwischen empfehlen kann, nicht nur die bekannte (und wirklich tolle) Oksana Sabuschko. Ich habe mich irgendwie so darüber gefreut, dass all diese Bücher bereits auf Deutsch verfügbar sind. Fast so sehr, als wären sie meine eigenen.
Die wundervolle St.Galler Kantons- und Stadtbibliothek, in der ich einst Serhij Zhadan auf Deutsch bestellt habe, wird sie wahrscheinlich bald ebenfalls in ihren Regalen haben.
In Basel gab es inzwischen sogar einen Literaturabend mit einigen dieser Autor:innen. Dabei wurde mir wieder bewusst, wie typisch schweizerisch es ist, Dinge langsam und gründlich anzugehen. Darum bin ich sicher, dass diese Bücher auch hier ihren Weg finden. Alles kommt mit der Zeit.
Zum Beispiel das Buch War and Justice Diary: Looking at Women Looking at War von Wiktorija
Amelina. Sie konnte es nicht mehr fertigstellen, denn sie wurde durch einen russischen Raketenangriff getötet. Das Buch wurde 2025 mit dem «Orwell Prize for Political Writing» ausgezeichnet und gehört gemäss BBC zu den 40 besonders lesenswerten Titeln des Jahres. Dieses Buch würde ich sehr gern einmal in St.Gallen sehen.
Liliia Matviiv, 1988, stammt aus Lviv in der Ukraine. Die Journalistin, Essayistin und Sozialaktivistin ist im Frühling 2022 in die Schweiz gekommen und lebt derzeit in St.Gallen. Ol’ha Gneupel hat den Text übersetzt.