In meiner letzten Kolumne schrieb ich von Träumen, die in Erfüllung gehen. Diese Geschichte handelt von noch so einem.
Eines Winterabends sass ich in der Küche meiner Freundin, einer Geigerin aus der Tonhalle. Ihr kennt bestimmt die behagliche Atmosphäre – Pasta Bolognese, Gespräche von der Welt und grossen Ideen ... Das war kurz vor den Gedenkfeiern zum Jahrestag der Standhaftigkeit am 24. Februar. Da erzählte mir Olenka, wie sehr sie sich wünsche, ein grosses, richtiges Festival mitten in der Stadt zu veranstalten.
Sie brannte für diese Idee, und ich verstand, warum. Ich dachte nämlich, dass gerade so etwas hier fehlte. Eine Stadt kann nicht nur von Kommerz und Werbeschildern leben. Wo sind die Räume für Kunst, in denen Menschen miteinander ins Gespräch kommen, wo informelle Kreise entstehen, wo man sich einfach kennenlernt und etwas teilt, sich ausruht und inspirieren lässt? Nicht nur durch hohe Kunst, sondern auch durch etwas für die Seele. Ein solcher Ort fehlte sehr.
Als ich von dieser Idee hörte, war ich begeistert. Wie es so schön heisst: Great minds think alike. Ideen schweben in der Luft und werden Wirklichkeit.
Die Vorbereitungszeit war unglaublich kurz, denn für so einen Anlass bräuchte es mindestens ein Jahr. Umso mehr habe ich mich darüber gefreut, in der Presse zu lesen, wie sich alles entwickelte. Und dann öffnete dieses schöne Haus am Bohl – das Waaghaus – endlich seine Türen für die Kunst.
Wisst ihr, wir machten wohl mit allen Freunden Fotos vor dem Festivalbanner. Denn geplant war eines und geworden sind es viel mehr. Es war nicht nur irgendeine Veranstaltung, sondern richtig mitten im Herzen der Stadt, bei der ÖV-Haltestelle, wo man hingehen und zum Beispiel einen Geiger aus Lwiw hören konnte. Was einst wie ein Märchen schien, wurde Wirklichkeit.
Das Festival dauerte den ganzen Sommer und noch ein Stück Herbst. Es herrschte eine ganz besondere Stimmung. Schon allein der Gedanke wärmte, dass es heute in der Stadt etwas gab, wohin man gehen konnte, und zwar organisiert von Ukrainer:innen.
Für mich war es ein Gefühl von Zuhause-Sein. Denn genau so war es zu Hause: Ab und zu ging man zu Veranstaltungen, Aufführungen, Konzerten. Und nun ist all das hier …
Ausserdem war das eine grossartige Gelegenheit, mein Deutsch zu üben! Im Ernst jetzt: Wer sich eine Stunde lang Rilkes Im Frühfrost anhört, merkt, wie enorm das hilft. Wie sonst?
Ich lud meine Freunde ein; endlich gab es Zeit, Ort und Gelegenheit, sich zu treffen … So schön, wenn ein Festival lange dauert und verschiedene Menschen vorbeikommen, gemütlich Zeit verbringen, und manchmal auch etwas Neues entdecken können. Zum Beispiel kamen unsere Freunde aus Winterthur eigens dafür. Auch meine Schweizer Freunde aus St. Gallen waren froh, vorbeizuschauen. Es war lustig, wie wir alle gleichzeitig Deutsch, Englisch und Ukrainisch sprachen.
Wir belebten die Mauern des historischen Gebäudes … Manche meinten, wir hätten ein Stück Leben ins Herz der Stadt gebracht.
Es blieb so ein schöner Nachgeschmack. Genau so, wie es nach einem Sommer sein soll.
Ich möchte glauben, dass das nur der Anfang ist. Dass noch viele solche Veranstaltungen folgen. Wenn man kleine Schritte sieht, erscheinen sie einem so winzig. In Wirklichkeit sind es die Samen, aus denen alles keimt …