Wie zwei Puzzle-Teile zusammenfanden

Das Kulturarchiv Oberengadin platzt aus allen Nähten und eine Stiftung sucht für ein Patrizierhaus in Zuoz nach einer geeigneten Nutzung. Ein umsichtiger Architekt führt die beiden Institutionen zusammen.

Die Che­sa Plan­ta thront mit­ten in Zu­oz am steil ab­fal­len­den Dorf­platz und be­steht aus zwei Haus­tei­len. Ih­re Ur­sprün­ge ge­hen auf ein En­ga­di­ner Bau­ern­haus aus dem 16. Jahr­hun­dert zu­rück. Die­ses wur­de nach und nach zum mäch­ti­gen Dop­pel­pa­tri­zi­er­haus mit ge­trenn­ten Zu­gän­gen wei­ter­ge­baut. Bei­de Haus­tei­le sind um 1760 im ba­ro­cken Stil um­fas­send aus­ge­baut wor­den. Da­bei blieb trotz des herr­schaft­li­chen Aus­drucks die ur­sprüng­li­che bäu­er­li­che Ty­po­lo­gie ab­les­bar. Seit je­her im Ei­gen­tum der Fa­mi­lie von Plan­ta, wur­de sie schliess­lich bis in die spä­ten 1980er-Jah­re mit di­ver­sen Ein­bau­ten um­ge­stal­tet.

Die Grün­dung des Stif­tungs­fonds bil­de­te 2018 die Grund­la­ge für ei­ne Wei­ter­ent­wick­lung. Die Woh­nun­gen wa­ren für heu­ti­ge Be­dürf­nis­se zu klein­tei­lig, der Heu­spei­cher blieb un­ge­nutzt. 2020 lud die Stif­tung da­her drei lo­ka­le Ar­chi­tek­tur­bü­ros ein, ein neu­es Nut­zungs­kon­zept zu er­stel­len.

Zwei der drei ein­ge­la­de­nen Teams schlu­gen im Heu­spei­cher zu­sätz­li­che Woh­nun­gen vor, um der an­hal­ten­den Woh­nungs­knapp­heit in der Re­gi­on et­was ent­ge­gen­zu­hal­ten. Al­ler­dings eig­net sich der Heu­stall mit der pri­mär ein­sei­ti­gen Be­lich­tung nur be­dingt für zeit­ge­mäs­ses Woh­nen. Auch für La­den­ge­schäf­te im Erd­ge­schoss war das Ge­bäu­de auf­grund der vor­han­de­nen Struk­tur und feh­len­den Öff­nun­gen nicht ge­eig­net. Wel­che Nut­zung passt al­so in ein re­prä­sen­ta­ti­ves Pa­tri­zi­er­haus mit Öko­no­mie­teil?

Ar­chiv und Woh­nun­gen un­ter ei­nem Dach 

Ar­chi­tekt Urs Pa­d­run, der drit­te Teil­neh­mer, hat­te schnell er­kannt, dass der gros­se Heu­spei­cher auf ei­ne an­de­re Wie­der­be­le­bung war­te­te. Wohn­haft in Guar­da und mit sei­nem Bü­ro in La­vin an­säs­sig, ist er gut ver­netzt im Tal und kennt die lo­ka­le Bau­kul­tur. Pa­d­run kon­tak­tier­te Do­ra Lar­del­li, die Grün­de­rin und bs 2023 Lei­te­rin des Kul­tur­ar­chivs Ober­enga­din. Das Ar­chiv war auch in ei­ner Che­sa Plan­ta ein­ge­mie­tet, al­ler­dings in Sa­me­dan. Die Platz­ver­hält­nis­se wur­den nach 35 Jah­ren Samm­lungs­ak­ti­vi­tät knapp, die kon­ser­va­to­ri­schen Be­din­gun­gen in den Kel­ler­räu­men lies­sen zu wün­schen üb­rig. Die Samm­lungs­lei­te­rin war da­her of­fen für ei­nen Um­zug.

Ar­beits- und Stu­di­en­plät­ze ei­nes Ar­chivs sind auf Ta­ges­licht an­ge­wie­sen. Ar­chi­va­li­en be­nö­ti­gen vor al­lem ein sta­bi­les Kli­ma. Der Stall­teil eig­ne­te sich für ei­nen Aus­bau da­her bes­tens. Auch die Ge­mein­de Zu­oz war von der neu­en Nut­zung mit­ten im Dorf an­ge­tan. So reich­te Pa­d­run bei der Stif­tung ein Pro­jekt ein, dass so­wohl ei­nen klei­nen An­teil an Woh­nun­gen, je­doch im Kern das neue Kul­tur­ar­chiv Ober­enga­din be­her­ber­gen soll­te. Die Stif­tung war so­fort von sei­ner Idee über­zeugt. Pa­d­run be­kam den Zu­schlag.

Das Kon­zept folgt sei­nem ak­ku­ra­ten und me­tho­di­schen Um­gang mit his­to­risch ge­wach­se­ner Bau­sub­stanz: Be­wah­ren, was er­hal­tens­wert ist, ent­fer­nen, was stört. Be­vor Neu­es hin­zu­kom­men konn­te, wur­den nach­tei­li­ge Ein­bau­ten ent­fernt, un­sach­ge­mäss auf­ge­tra­ge­ne Deck­put­ze aus Ze­ment ent­fernt und Schich­ten mit Di­sper­si­ons­far­ben frei­ge­legt. Auf der Grund­la­ge die­ses «Roh­baus» war es nun mög­lich, die zur Er­fül­lung der Rah­men­be­din­gun­gen not­wen­di­gen Ele­men­te hin­zu­zu­fü­gen. Die Ro­ko­ko-ge­präg­te Woh­nung wur­de sa­niert, zu­oberst un­ter dem Dach blieb Platz für ei­ne zu­sätz­li­che neue Woh­nung.

Im­mer wie­der neue Her­aus­for­de­run­gen 

Fast täg­lich muss­ten auf der Bau­stel­le schnel­le Ent­schei­de ge­fällt wer­den. Das Haus schien zwar in ei­nem gu­ten Zu­stand zu sein. Bald zeig­te sich je­doch, dass die Sta­tik un­ge­nü­gend und die Fas­sa­de zur Via Mai­stra ge­ris­sen war. Ein öf­fent­lich zu­gäng­li­ches Haus muss hin­der­nis­frei sein und ei­nen norm­ge­rech­ten Flucht­weg auf­wei­sen. Der neue Lift und die Trep­pe er­schlies­sen auch die zwei Woh­nun­gen und tra­gen zur Sta­bi­li­sie­rung des Bau­werks bei. Die Ver­wen­dung von Be­ton wur­de nur wo nö­tig und im Holz­be­ton­ver­bund ein­ge­setzt.

Ei­nen Zeit­plan ein­zu­hal­ten war fast un­mög­lich, im­mer wie­der stand Urs Pa­d­run vor zu­sätz­li­chen Kos­ten­punk­ten, die die Stif­tung tra­gen muss­te. Mit be­grenz­tem Bud­get wur­de den­noch das Ma­xi­mum er­reicht: Klug ein­ge­setz­te neue Ma­te­ria­li­en, die mass­voll ver­edelt wur­den, ent­spra­chen auch den denk­mal­pfle­ge­ri­schen An­for­de­run­gen. Die neu­en Ein­bau­ten des Ar­chivs wur­den mög­lichst re­du­ziert und be­stehen vor­wie­gend aus un­ver­leim­ten Na­tur­höl­zern aus der Re­gi­on.

Vom Heu­spei­cher zum Ge­schich­ten­spei­cher 

Die Kalk­put­ze sind Ei­gen­mi­schun­gen der Re­stau­ra­to­ren. Bei der Re­no­va­ti­on wur­de Schicht für Schicht frei­ge­legt. Im Ein­gangs­be­reich sind sie be­wusst sicht­bar be­las­sen. Sie zei­gen die lang­jäh­ri­ge Ge­schich­te des Hau­ses und ge­ben Auf­schluss über Mo­de­strö­mun­gen wie Vor­lie­ben für Far­ben. Der Charme des Un­per­fek­ten und die le­ben­di­gen Ober­flä­chen be­rüh­ren und we­cken das Be­dürf­nis, sich im at­trak­ti­ven Ar­chiv ein­zu­schlies­sen und ver­bor­ge­nen Ge­schich­ten nach­zu­ge­hen.

Seit En­de 2024 lebt das Haus wie­der. Das Kul­tur­ar­chiv wid­met sich der Samm­lung, Be­wah­rung und Ver­mitt­lung der re­gio­na­len Kul­tur an­hand von Ar­te­fak­ten und Do­ku­men­ten. Für Re­cher­chen ist es nach An­mel­dung zu­gäng­lich. Der ehe­ma­li­ge Heu­spei­cher ist heu­te ein Ge­schich­ten­spei­cher. Von aus­sen deu­tet we­nig auf die Sa­nie­rung hin, als Ein­heit mit dem obe­ren Ge­bäu­de­teil be­lebt es den Dorf­platz durch sei­ne öf­fent­li­che Nut­zung. Ein­zig die Och­sen­au­gen im Dach ver­ra­ten mit ei­nem Zwin­kern die be­hut­sa­me Er­tüch­ti­gung des Ge­bäu­des für den nächs­ten Le­bens­zy­klus.

Gutes Bauen Ostschweiz

Die Ar­ti­kel­se­rie «Gu­tes Bau­en Ost­schweiz» möch­te die Dis­kus­si­on um ei­ne re­gio­na­le Bau­kul­tur an­re­gen. Sie be­han­delt über­grei­fen­de The­men aus den Be­rei­chen Raum­pla­nung, Städ­te­bau, Ar­chi­tek­tur und Land­schafts­ar­chi­tek­tur. Fra­gen zum Zu­stand un­se­rer Bau­kul­tur und der Zu­kunft der Pla­nung wer­den eben­so be­spro­chen wie an­de­re, et­wa wie die Kli­ma­kri­se zu be­wäl­ti­gen ist und wel­chen Bei­trag das Bau­en da­zu leis­ten kann, oder wie die Ver­dich­tung his­to­risch wert­vol­ler Dör­fer und Stadt­tei­le ge­lin­gen kann. 

Die Se­rie wur­de lan­ciert und wird be­treut durch das Ar­chi­tek­tur Fo­rum Ost­schweiz (AFO). Das AFO ver­steht al­le For­men an­ge­wand­ter Ge­stal­tung un­se­rer Um­welt als wich­ti­ge Be­stand­tei­le un­se­rer Kul­tur und möch­te die­se ei­ner brei­ten Öf­fent­lich­keit nä­her­brin­gen.

a-f-o.ch/gu­tes-bau­en-ost­schweiz

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