Faber, Priya Ragu, Kuno Lauener, Sophie Hunger oder Stephan Eicher: Sie alle sind Grössen der Schweizer Musikszene. Doch viele andere Musiker:innen, selbst professionelle beziehungsweise selbständige, leben von ihrer Kunst mehr schlecht als recht, einige können ihre Altersvorsoge kaum sicherstellen, die 2. und 3. Säule kennen sie nur vom Hörensagen. Ein Teil des Problems ist, dass sie für ihre Musik so gut wie kein Geld sehen, seit die Tonträgerverkäufe wegen Streamingplattformen eingebrochen sind. Ein anderer, dass sie auch für Konzerte schlecht entschädigt werden. Die Gagen reichen oft nicht einmal aus, um die Berufsauslagen zu decken, geschweige denn, um etwas auf die Seite legen zu können.
Dem will Sonart, der grösste Verband der Schweizer Musikschaffenden, entgegenwirken: Mitte Mai hat Sonart die Honorarempfehlungen veröffentlicht, wie es sie bereits für angestellte Orchester- und Ensemblemusiker:innen oder für Musikpädagog:innen gibt. Der wohl wichtigste Punkt sind die Ansätze für Konzerte: Die «Minimum Pay»-Gage liegt bei 600 Franken pro Person, die «Fair Pay»-Gage bei 800 Franken. Für SoloAuftritte empfiehlt Sonart wegen des «erheblichen Mehraufwands in der Vorbereitung» einen Zuschlag von 20 bis 30 Prozent.
Diese Honorarempfehlungen richten sich an «professionelle, selbständig erwerbende Musikschaffende», wie es in der Unterzeile heisst. Gemäss Definition des Bundesamtes für Kultur zählt dazu, wer mindestens 50 Prozent der Arbeitszeit für die künstlerische Tätigkeit aufwendet oder mindestens 50 Prozent seines Einkommens daraus erzielt. In der Praxis zählen auch all jene Musiker:innen dazu, die hauptberuflich etwas anderes machen, aber ihrem «Hobby» mit einer gewissen Ernsthaftigkeit nachgehen und regelmässig auftreten. Die Appenzeller Musikerin Riana, die als Lehrerin arbeitet und gar nicht voll auf die Karte Musik setzen will, das aber sehr professionell betreibt, ist ein gutes Beispiel dafür. Auf Songwriting, Üben, Bandproben, Buchhaltung, Booking, Promo und andere Aufgaben entfallen dann schnell einmal 20 Stunden in der Woche. Und ein Auftritt kommt – je nachdem, wie weit man fahren muss – einem ganzen Arbeitstag mit 12 Stunden oder mehr gleich: einladen, hinfahren, ausladen, Soundcheck, warten, Konzert spielen, einladen, zurückfahren und ausladen.
Das Aufarbeiten der Gagenausfälle für die Entschädigungen des Bundes während der Coronapandemie habe gezeigt, wie prekär die Situation für die Musikschaffenden tatsächlich sei, sagt Sonart-Geschäftsleiterin Cécile Drexel. Das habe auch in der Gesellschaft das Bewusstsein dafür geschärft. Deshalb habe Sonart die Honorarempfehlungen erarbeitet. «Wir wissen, dass sie viel höher sind als in der Realität – heute betragen sie etwa 200 bis 300 Franken pro Musiker:in, wir fordern nun das Dreifache.»
Es braucht nur schon mehr Geld für den Status quo
Die «Sicherstellung einer angemessenen Entschädigung professioneller Kulturschaffender sowie Verbesserung der beruflichen Rahmenbedingungen und der Chancengleichheit» hat auch der Bund als eines von sechs Handlungsfeldern in der Kulturbotschaft 2025—2028 definiert. Dass die Verbindlichkeit solcher Honorarempfehlungen im Zusammenhang mit der Förderung Druck aufbaue, sei klar, sagt Drexel. «Aber uns ist bewusst, dass sich das nicht von heute auf morgen umsetzen lässt oder dass viel weniger Projekte umgesetzt werden.»
Die Honorarempfehlungen kommen zu einem Zeitpunkt, in dem die (Live-)Musikbranche in der Schweiz im Umbruch ist. Viele Konzertlokale und Clubs kämpfen ums Überleben. Erst im September schlossen das Selig in Chur und das Kraftwerk Krummenau im Toggenburg, im Sommer stellte das Zürcher Mascotte den Betrieb ein. Das TapTab in Schaffhausen, das Kraftfeld in Winterthur oder das Fri-Son in Fribourg mussten im vergangenen Jahr Geld sammeln, um das Aus abzuwenden. Eine Folge dieser Entwicklung ist, dass es insbesondere für jüngere Bands, die nicht so viel Publikum anziehen, immer schwieriger wird, überhaupt gebucht zu werden. Saiten hat in der Januar-Ausgabe darüber berichtet.
In den Konsultationsprozess für die Sonart-Richtlinien eingebunden war neben den Förderstellen diverser Städte und Kantone auch Petzi, der Schweizer Dachverband der nicht-gewinnorientierten Musikclubs und Festivals. «Wir stehen ganz klar dafür ein, die soziale Nachhaltigkeit innerhalb des Ökosystems zu stärken», sagt Diego Dahinden, Geschäftsstellenleiter Deutschschweiz. Dieses erlebe gerade eine «grosse strukturelle Krise», ausgelöst durch verändertes Ausgehverhalten, steigende Kosten, sinkende Einnahmen – und das immer spürbarere Duopol der beiden multinationalen Konzerne Livenation und CTS Eventim, zu dem unter anderem auch das Openair St.Gallen gehört.
Die Eigenfinanzierungsgrade von vielen der rund 200 Mitglieder lägen zwischen 70 und 90 Prozent, der Anteil Kulturförderung am Budget sei bei vielen klein bis marginal. «Sie bräuchten nur schon mehr Geld, um den Status quo erhalten zu können», sagt Dahinden. Petzi warnt deshalb davor, diese Honorarempfehlungen als verbindlich anzuschauen, ohne die Finanzierung der einzelnen Konzertlokale vorgängig zu klären. «Das hätte drastische Folgen. Viele würden nur noch markttaugliche Musik buchen oder Kleinformationen – oder keine Supportacts mehr.»
Saiten hat sich bei verschiedenen Konzertlokalen in der Region St.Gallen umgehört. Und es zeigt sich: Genau diese Befürchtung ist teilweise schon Tatsache.
Fast ein Viertel Konzerte weniger
Ende September stimmte das St.Galler Stadtparlament einer Subventionserhöhung ans Palace zu. Der Beitrag der Stadt St.Gallen liegt seit 2023 bei 213’100 Franken pro Jahr, vom Kanton kommen aktuell 82’499 Franken hinzu. Der städtische Beitrag steigt ab 2026 um 25’000 Franken – immerhin. Das ist aber weniger als die Hälfte der beantragten 60’000 Franken. Mit diesem Geld wollte das vor bald 20 Jahren eröffnete Kulturlokal einen Teil des drohenden Defizits von rund 100’000 Franken pro Jahr abfedern. Dieses ist unter anderem auf die Anpassung der Gagen an die Honorarempfehlungen von Sonart zurückzuführen.
«Wir sind jetzt dran, das Budget fürs nächste Jahr zu erstellen», sagt Co-Betriebsleiterin Lidija Dragojević. Noch sei nicht ganz klar, wie sich die fehlenden 35’000 Franken aufs Programm beziehungsweise auf die Gagen auswirken werden. «Aber wenn wir uns konsequent an die Mindestgage halten würden, hätten wir im vergangenen Jahr 10 von 45 Konzerten nicht durchführen können – also fast ein Viertel.»
Man müsse aufpassen, dass die Honorarempfehlungen nicht dazu führten, dass Schweizer Bands noch seltener oder stattdessen vermehrt Solokünstler:innen gebucht würden. «Gerade junge Bands sind auf Auftrittsmöglichkeiten angewiesen, um vorwärts zu kommen.» Es stelle sich aber auch die Frage, wie man damit umgehen soll, wenn eine Band freiwillig für wenig oder kein Geld im Palace auftreten will, weil es für sie wichtig sei. «Einerseits wäre das ein schlechtes Zeichen, andererseits wäre es schwierig, nur deshalb abzusagen.»
Doppelt so hoher Gagenaufwand
Die benachbarte Grabenhalle ist das zweite alternative Kulturlokal in St.Gallen, das hohe Beiträge von der öffentlichen Hand bekommt – derzeit jährlich 244’000 Franken von der Stadt und 30’000 Franken vom Kanton. Sie hat allerdings einen anderen Leistungsauftrag: Während das Palace ausschliesslich ein kuratiertes Programm hat, kann die Grabenhalle auch für Fremdveranstaltungen gemietet werden.
«Grundsätzlich finden wir die Honorarempfehlungen eine gute Sache», sagt Sascha Vujčin, Mitglied der Programmgruppe und des Kollektivs der Grabenhalle. Sie seien wichtig für die soziale Absicherung der Musiker:innen. Nur: Unter den jetzigen Gegebenheiten seien die Ansätze nicht realistisch. «Wir kommen übers Jahr gerade einigermassen über die Runden.»
Die Gesamtsumme der Gagen für Musikacts belief sich 2024 auf rund 80’000 Franken. «Wenn wir sämtliche Schweizer Musiker:innen konsequent nach ‹Fair Pay› bezahlt hätten, hätten wir Mehrkosten von 72’666 Franken gehabt», sagt Vujčin. Also fast doppelt so viel. Schon ohne diese Richtlinien sei es kaum machbar, ein Konzert gewinnbringend durchzuführen. «Wir hatten im vergangenen Jahr ein einziges Konzert, das nicht defizitär war – es schloss mit einem Gewinn von 6 Franken ab.» Was bei der Grabenhalle als nicht-profitorientiertem Lokal an sich noch kein Problem ist, solange die Rechnung am Ende des Jahres ausgeglichen ist.
Dies zu erreichen, werde jedoch immer schwieriger. Nebst den bereits erwähnten Problemen hat bei der Grabenhalle die Zahl der Vermietungen in den vergangenen Jahren abgenommen. Dieses Jahr sehe es finanziell zwar okay aus, 2024 hingegen verzeichnete das Kulturlokal, das im vergangenen Jahr sein 40-Jahr-Jubiläum feierte, ein Defizit von über 18’000 Franken. Nicht etwa wegen des zweitägigen Jubiläumsfests im Stadtpark ohne (beziehungswiese mit einem freiwilligen) Eintrittspreis, sondern aus dem laufenden Betrieb heraus.
Bei Konzerten von bekannteren Schweizer Acts erfülle man die Honorarempfehlungen grösstenteils, sagt Vujčin. Neben einer Fixgage, die eher tief ausgehandelt wird, beteilige man die Musiker:innen in der Regel ab dem Break-even an den Ticketverkäufen. Sogenannte Doordeals, bei denen die Musiker:innen bereits ab dem ersten verkauften Ticket partizipieren und nicht erst ab dem Break-even, versucht die Grabenhalle hingegen zu vermeiden. Bei weniger bekannten Hauptacts liegt die Gagenspanne, je nach Bekanntheitsgrad beziehungsweise Erfahrung, zwischen 300 und 800 Franken – pro Act, nicht pro Musiker:in. Bei Supportacts bewegt sie sich am unteren Ende dieser Skala.
Niederschwellige Konzertreihen wie «Ein kleines Konzert» (in der verkleinerten Halle) oder «Bullaugenkonzert» (im Foyer), die jeweils 10 Franken Eintritt kosten, wären jedoch nicht mehr möglich, wenn sich die Grabenhalle an die Richtlinien von Sonart halten müsste, sagt Vujčin. Oder anders gesagt: Um beim «Kleinen Konzert» mit der fünfköpfigen St.Galler Band Exhibit von Ende September bei einer Gage von 800 Franken pro Musiker:in dasselbe Defizit zu erreichen, hätte der Eintritt bei gleich vielen zahlenden Gästen (41) 90 statt 10 Franken kosten müssen. Beim Konzert von To Athena im März 2024 mit 150 Besucher:innen wären es 65 statt 25 Franken (im Vorverkauf) gewesen.
Höhere Subventionen oder fast keine Konzerte mehr
Ähnlich stellt sich die Situation im Wiler Kulturlokal Gare de Lion dar, wenn auch unter anderen Voraussetzungen. Die Stadt Wil (111’000 Franken) und der Kanton (61’250 Franken) unterstützen zwar das 1989 gegründete Kulturlokal mit Beiträgen, zu rund 80 Prozent ist es aber selbsttragend. Man kann es für nicht-öffentliche Privatveranstaltungen wie Geburtstags- oder Hochzeitspartys oder Firmenanlässe mieten, öffentliche Fremdveranstaltungen sind jedoch nur als Koproduktion mit dem Gare de Lion möglich.
Mike Sarbach ist seit vielen Jahren Leiter des Ressorts Booking und Marketing und damit Teil der dreiköpfigen Betriebsleitung. Ausserdem ist er Gitarrist und Sänger der Indie-Pop-Band Frantic. «Aus Musikersicht sind die Sonart-Richtlinien nicht aus der Luft gegriffen», sagt der 44-Jährige, der für die Grünen im St.Galler Kantonsrat sitzt. «Aber aus Veranstaltersicht sieht das anders aus. Wir sind konstant finanziell sehr knapp dran. Ohne die ehrenamtlichen Stunden im vierstelligen Bereich jedes Jahr könnte diese Art von Kultur gar nicht existieren.» Dabei würde das Gare de Lion gerne auch seine Angestellten und Freelancer besser bezahlen. Eventmanager:innen beispielsweise kommen als erste und gehen als letzte, bekommen bei Konzerten aber 220 Franken pauschal, Tontechniker:innen 300 Franken.
Das Gare de Lion veranstaltet pro Jahr durchschnittlich etwa 100 Auftritte von Bands, Solokünstler:innen und DJs – «deutlich weniger als früher», wie Sarbach sagt. «Wenn wir die Overhead-Kosten (indirekte Kosten durch Infrastruktur, Verwaltung etc., Anm. d. Red.) einrechnen, machen wir im Schnitt etwa 3000 Franken Verlust pro Konzert.» Früher konnte das Gare de Lion dank des Reingewinns von verschiedenen Partys drei bis vier defizitäre Konzerte querfinanzieren. Dies sei inzwischen kaum mehr möglich. «Deshalb haben wir vor ein paar Jahren damit begonnen, gezielt Partys für ein Publikum zwischen 25 und 40 zu pushen. Diese laufen besser.» Das sei jedoch ein zweischneidiges Schwert. «Wir sind schliesslich auch für die Jüngeren da. Sie sind unsere Zukunft.»
Bei Konzerten arbeitet auch das Gare de Lion, ähnlich wie die Grabenhalle, bei den Hauptacts mit möglichst tiefen Fixgagen und einer Beteiligung an den Ticketeinnahmen ab dem Break-even. Ein Supportact hingegen bekomme pauschal zwischen 150 und 450 Franken, sagt Sarbach. «Uns ist bewusst, dass das sehr tief ist, aber es liegt einfach nicht mehr drin.» Seit ein paar Jahren komme es auch immer öfter vor, dass man aus finanziellen Gründen ganz auf einen Supportact verzichte.
Bei der Ansetzung der Gage müsse man nicht nur die Professionalität oder das Renommee einer Band berücksichtigen, sondern auch, wie viel Publikum sie anlocken kann, sagt Sarbach. Das finanzielle Risiko dürfe nicht einseitig zulasten der Veranstalter:innen gehen. «Verdient eine etablierte Band, die aus super Musiker:innen besteht, aber nur vor wenigen Zuschauer:innen spielt, eine höhere Gage als ein angesagter junger Act, der 100 Tickets verkauft?»
Sollten diese Honorare für die Konzertlokale verbindlich werden, gibt es gemäss Sarbach zwei Möglichkeiten: «Die erste ist, dass es deutlich höhere Subventionen geben müsste.» Wie (un-)realistisch das unter dem gegenwärtigen politischen Klima im Kanton St.Gallen ist, weiss Sarbach selber nur zu gut: Vor zwei Jahren hatte er zusammen mit Martin Sailer (SP) im Kantonsrat die «Kulturprozent»-Motion eingereicht. Diese forderte, das kantonale Kulturbudget auf ein Prozent des Gesamtaufwands zu erhöhen, um insbesondere die Arbeitsbedingungen der Kulturschaffenden zu verbessern. Bei der Abstimmung im Frühling 2024 blieb die Motion mit 72 Nein- zu 24 Ja-Stimmen (bei drei Enthaltungen und 21 Abwesenden) jedoch absolut chancenlos. «Die andere Möglichkeit ist: Wir machen keine Konzerte mehr – oder nur noch jene paar wenigen, die sich finanziell lohnen.»
«Wir haben keinen Spielraum»
Seit bald zwölf Jahren bietet auch das Treppenhaus in Rorschach ein vielfältiges Konzertprogramm. Es unterscheidet sich in einem Punkt wesentlich von den anderen Betrieben: Es ist Café, Bar und Konzertlokal in einem und dienstags bis sonntags geöffnet, auch wenn keine Veranstaltungen stattfinden; die Theke teilen sich die Konzertbesucher:innen und «normale» Gäste. Eine genaue Aufschlüsselung der Barumsätze nach regulärer und «Veranstaltungskonsumation» ist deshalb nicht möglich. Und: Das «Treppi» ist klein. Gerade mal 130 Personen passen in den Konzertraum. «Bei unserer Kapazität sind selbst ‹Fair Pay›-Gagen kaum machbar, ausser ausverkauften Shows», sagt Geschäftsführer und Booker Samuel Baumann.
Das Treppenhaus bekommt von der Stadt Rorschach 15’000 Franken und vom Kanton 25’000 Franken jährlich an Subventionen. Der fünfköpfige Vorstand arbeitet ehrenamtlich. Nebst der Erhöhung der Löhne für die Angestellten und Freelancer – Tontechniker:innen bekommen 200 bis 300 Franken pauschal – sei das Ziel, wenigstens die Stelle der Geschäftsführung so entlöhnen zu können, um sie nachhaltig zu sichern, sagt Baumann. «Für höhere Gagen haben wir praktisch keinen Spielraum.» Aus der Durchführung der Konzerte resultiere jährlich ein Verlust zwischen 40’000 und 50’000 Franken. «Das Ziel ist, bei jedem Konzert eine schwarze Null zu schreiben.» Dies dank der Einnahmen aus der Gastronomie und aus Partys. Ausserdem organisiert das Treppenhaus jedes Jahr vier externe Veranstaltungen, darunter zwei Daydances am Bodensee. Im vergangenen Jahr fielen jedoch beide ins Wasser. Auch deshalb resultierte 2024 ein grosses Loch in der Kasse, das Treppenhaus musste sogar einen Kredit aufnehmen, um es zu stopfen. «Wir sind also darauf angewiesen, dass die nächsten Jahre gut werden», sagt Baumann. Dieses Jahr sehe es besser aus, zum Entlöhnen der Vorstandsarbeit reicht es aber wieder nicht.
So nötig auch das Treppenhaus eine Subventionserhöhung hätte, so unrealistisch sei diese in absehbarer Zeit, ist Baumann überzeugt: «Für die Kultur wird es nicht mehr Geld von der öffentlichen Hand geben. Wenn man uns den Beitrag erhöhen würde, müsste man ihn woanders kürzen. Das wird in absehbarer Zeit wohl nicht passieren.»
80 Prozent höhere Gagen in zehn Jahren
Seit 2005 findet im Innenhof des Kulturmuseums St.Gallen an jeweils 15 Tagen, verteilt über drei Wochen, das Kulturfestival statt. «Es steht ausser Frage, dass wir Profimusiker:innen gerne gute Gagen bezahlen möchten. Gerade im Hinblick auf Altersarmut ist der Grundgedanke der Honorarrichtlinien sehr gut», sagt Festivalleiter Lukas Hofstetter. Bei den Hauptacts, auch jenen aus der Schweiz, erfülle man die Honorarempfehlungen von Sonart. Bei den Supportacts liege man jedoch darunter. Würden sämtliche Schweizer Musiker:innen nach «MinimumPay» bezahlt, hätte das Mehrkosten von ein paar tausend Franken zur Folge. Ein Betrag, den das Kulturfestival, das auch sehr wetterabhängig ist, nicht einfach so stemmen kann.
Das Kulturfestival gebe Supportacts die Möglichkeit, vor viel Publikum auftreten zu können, sagt Booker Marc Frischknecht, der selbst Musiker ist (Yes I’m Very Tired Now). «Wenn wir sie fast gleich wie die Hauptacts entschädigen müssten, würde das unser Budget sprengen.» Er sei davon überzeugt, dass viele junge Bands am Kulturfestival lieber bei einer kleinen Gage auftreten als gar nicht. Auch Hofstetter und Frischknecht befürchten, die Sonart-Richtlinien könnten dazu führen, dass es vor allem im Nachwuchsbereich weniger grosse Bands, dafür mehr Einzelkünstler:innen geben wird.
Beim Kulturfestival machen Sponsoring und Subventionen ein Drittel des Budgets aus, den Rest muss es über den Ticket- und Getränkeverkauf erwirtschaften. Bis zur Coronapandemie sei der Businessplan ziemlich gut aufgegangen, sagt Hofstetter. Seither hätten sich die finanziellen Rahmenbedingungen jedoch, wie bei vielen anderen, drastisch verschlechtert. Die Umsätze seien rückläufig, die Kosten für Infrastruktur, Personal, Strom, Bier und so weiter stiegen – und die Gagen in der Festivalbranche, die ohnehin um rund ein Drittel höher seien als bei Clubkonzerten, hätten sich seit 2016 um rund 80 Prozent erhöht. Aufgrund des geringen finanziellen Spielraums wirke sich jede Erhöhung der Gage direkt auf den Eintrittspreis des jeweiligen Konzerts aus, es sei aber praktisch nicht mehr möglich, das weiter auf die Besucher:innen abzuwälzen. «St.Gallen hat nun mal nicht dasselbe Preisniveau wie Zürich», sagt Hofstetter. Letztlich entscheide der Markt – also die Besucher:innen –, wie teuer die Tickets sein könnten. Es sei jedoch auch klar, dass die öffentliche Hand wegen des Spardrucks nicht ihre Beiträge plötzlich erhöhen könne.
Es geht auch um den Marktwert
Marc Frischknecht ist zudem Mitinhaber der Øya-Bar. Im «Klub» im Untergeschoss, der rund 100 Personen fasst, veranstaltet er ab und zu auch Konzerte – ohne Subventionen oder Defizitgarantie. Die Gage im Øya sei tief, sagt er. «Bei dieser Kapazität und einem Ticketpreis zwischen 40 und 50 Franken müsste ich auf einen ausverkauften Abend hoffen, damit eine vierköpfige Band 600 Franken pro Person bekommt. Das ist bei fast allen Bands, die im Øya auftreten, schlicht nicht realistisch. Und ich kann es mir nicht leisten, mit einem Konzert 1000 Franken zu verlieren.»
Es sei eine Tatsache, dass viele Musiker:innen zu schlecht bezahlt seien. Und trotzdem sei es falsch, wenn eine Band nur deshalb eine so hohe Gage verlange, weil sie sich als professionell bezeichne, diese aber nicht wieder einspielen könne. «Warum soll ich ihr dann so viel bezahlen und das ganze finanzielle Risiko selber tragen? Ein Marktwert muss doch auch eine Rolle spielen.» Natürlich sei es wünschenswert, dass Musiker:innen von ihrer Kunst leben könnten, das sei aber leider nicht realistisch – wie bei ihm selbst auch.
Saiten hätten für diesen Artikel gerne auch mit dem Openair St.Gallen (OASG) gesprochen, schliesslich ist das Festival im Sittertobel der grösste Musikanlass in der Region. Bei Schweizer Headlinern wie Stress, Patent Ochsner etc. stellt sich die Frage nach den Honorarempfehlungen von Sonart ohnehin nicht. Doch mit der Intro-Stage und dem ebenfalls vom OASG organisierten «Musig uf de Gass», das wenige Wochen vorher in der St.Galler Innenstadt stattfindet, bieten die Verantwortlichen vor allem jungen Musiker:innen und Bands mit unterschiedlichem Professionalisierungsgrad eine Plattform. Einige Konzerte am Musig uf de Gass sind sogar kostenlos. Doch wie steht es da um die Gagen? Konkrete Zahlen wollte OASG-Chef Christof Huber nicht nennen. Auf Anfrage nimmt er schriftlich Stellung: «Das Openair St.Gallen setzt sich seit jeher für die regionale, nationale, aber auch internationale Förderung von (jungen) Künstler:innen ein. (…) Zur Förderung gehört am OASG auch die faire Entlöhnung der Künstler:innen, weshalb wir Bemühungen und Empfehlungen zur zusätzlichen Verbesserung in diesem Bereich begrüssen. Diese Verbesserungen müssen aber auch in einem Verhältnis zum Anlass und Wirkung stehen, um die wirtschaftliche Nachhaltigkeit zu gewährleisten, da sonst diese Plattformen und Veranstaltungsorte wegbrechen. Hier wären die Politik und insbesondere die Kulturförderung gefordert.»
Veranstalter:innen spüren Druck der Kulturförderung
Die verschiedenen Veranstalter:innen und Konzertlokale, mit denen Saiten für diesen Artikel gesprochen hat, berichten, dass sie seitens des Kantons St.Gallen bereits die Erwartung spüren, die Honorarempfehlungen von Sonart umzusetzen. Teilweise sei das auch in die Leistungsvereinbarungen eingeflossen, was einige nicht unterschreiben wollten. Der Kulturförderung seien faire Gagen und Löhne ein wichtiges Anliegen, bestätigt Sabina Brunnschweiler, Co-Leiterin des Amts für Kultur. Es sei aber nicht möglich, die Honorarrichtlinien von einem Tag auf den andern für alle verpflichtend einzufordern und die Anwendung zu kontrollieren. «Uns ist bewusst, dass dadurch einige Kulturinstitutionen schliessen müssten.» Gerade im ländlich geprägten Ringkanton St.Gallen mit seinem vielfältigem Kulturangebot sei es wichtig, die Situation der verschiedenen Anspruchsgruppen zu berücksichtigen sowie gemeinsam und Schritt für Schritt Verbesserungen zu erzielen. Da keine zusätzlichen finanziellen Mittel vorhanden seien, bedeute das an verschiedenen Orten auch eine stärkere Selektion, im Programmangebot der Kulturlokale oder in der Förderung der Institutionen.
Lidija Dragojević vom Palace nimmt die Kulturförderung in die Verantwortung, zu Lösungen beizutragen – aber auch die Politik, die darüber entscheidet, wie viel Geld für Kultur überhaupt zur Verfügung steht. «Die Clubs können und sollen diese finanzielle Last nicht allein tragen, das wäre eine extreme Verschiebung des Förderauftrags zu den Clubs hin.» Sie sei überzeugt, dass man einen Kompromiss finden und sich schrittweise den Honorarempfehlungen annähern werde. «Jetzt braucht es sehr viel Arbeit und sehr viele Gespräche und Verhandlungen zwischen allen Beteiligten – Musikschaffenden, Clubs, Förderstellen, der Politik.
Auch für Sascha Vujčin von der Grabenhalle ist klar: Ohne mehr Geld von der öffentlichen Hand werde es nicht möglich sein, die Honorarempfehlungen umzusetzen. «Auch wir werden über kurz oder lang eine Subventionserhöhung brauchen.» Ansonsten müsse man Abstriche beim Programm in Kauf nehmen, was letztlich nicht im Sinne der Musiker:innen sei. Lukas Hofstetter vom Kulturfestival teilt diese Befürchtung: «Der Boomerang wird sein, dass es irgendwann weniger Konzerte geben wird.» Vor allem würden die Grabenhalle und andere Kulturlokale dadurch auch den Leistungsauftrag, den sie von der Förderstellen haben, nicht erfüllen.
Für Cécile Drexel von Sonart ist es klar, dass man die Konzertlokale die Honorarempfehlungen nicht von heute auf morgen umsetzen kann. Sie sieht sie aber auch als Druckmittel gegenüber der Politik, mehr Geld für die Kultur zu sprechen. «Die Politik und den Förderinstitutionen sind in der Plicht, zu den Honorarempfehlungen Stellung zu beziehen und mehr Geld für die Kultur zur Verfügung zu stellen. Musikschaffende brauchen diese Bühnen, es ist weder in ihrem noch in unserem Sinn, dass sie schliessen.»
Für die Collagen zu diesem Text hat DOME Geldsymbole und -motive aus Albencovers herausgelöst und neu arrangiert.