Zwischen Mythos und modernem Agrarbetrieb

Anna Hulačovás Arbeiten im Kunstraum Dornbirn (Bild: pd/Günter Richard Wett)

Anna Hulačová zeigt ihr vielschichtiges Werk im Kunstraum Dornbirn. Die ehemalige Montagehalle wird zur perfekten Kulisse für ihre künstlerische Erzählung über die historische und gegenwärtige Dimension von Landwirtschaft und Ökologie.  

Die rö­mi­sche Ge­schich­te und die So­wjet­zeit wer­den nicht oft in ei­nem Atem­zug ge­nannt. Par­al­le­len gibt es den­noch, wie An­na Hu­l­ačo­vá her­aus­ar­bei­tet. Die tsche­chi­sche Künst­le­rin stellt der­zeit im Kunst­raum Dorn­birn aus. Sie zeigt dort be­stehen­de und al­ler­neu­es­te, ei­gens pro­du­zier­te Stü­cke in ei­ner se­hens­wer­ten In­stal­la­ti­on. 

Die gros­sen The­men der Künst­le­rin sind die Au­to­ma­ti­sie­rung und In­dus­tria­li­sie­rung der Land­wirt­schaft und de­ren Aus­wir­kun­gen auf die Na­tur und die Ge­stalt der Land­schaft. An­na Hu­l­ačo­vá schöpft da­für vor al­lem aus zwei Quel­len: Sie stu­diert an­ti­ke Schrif­ten und lässt ih­re ei­ge­nen Fa­mi­li­en- und Le­bens­er­fah­run­gen in ih­re Wer­ke ein­flies­sen. Auf­ge­wach­sen ist die 1984 ge­bo­re­ne Künst­le­rin im länd­li­chen Böh­men. Sie lebt nach wie vor auf dem Land, im klei­nen, böh­mi­schen Ort Klučov. 

Ent­eig­nun­gen und in­ten­si­vier­te Agrar­wirt­schaft

Ih­re Fa­mi­lie hat um 1950, in der da­ma­li­gen Tsche­cho­slo­wa­ki­schen Re­pu­blik, die Um­ge­stal­tung des Lan­des nach so­wje­ti­schem Mus­ter er­lebt. In die­ser Zeit wur­den Klein­bau­ern­hö­fe ent­eig­net und zu gros­sen Land­wirt­schafts­be­trie­ben zu­sam­men­ge­schlos­sen: War die Land­schaft zu­vor von klei­nen Fel­dern, Rai­nen und He­cken ge­prägt, so do­mi­nie­ren seit der Bo­den­re­form rie­si­ge land­wirt­schaft­li­che Flä­chen, die mit schwe­ren Ma­schi­nen be­ar­bei­tet wer­den. Auch die Tier­hal­tung hat sich ent­spre­chend ver­än­dert, rie­si­ge Stäl­le wur­den ge­baut, die Mas­sen­tier­hal­tung setz­te ein.

All dies ist für An­na Hu­l­ačo­vás Fa­mi­lie noch im­mer sehr prä­sent. Zu­gleich sind die­se Ver­än­de­run­gen – der in­ten­si­vier­te An­bau, die auf gros­sen Er­trag aus­ge­rich­te­te Zucht und der da­für not­wen­di­ge Ein­satz von Pes­ti­zi­den, In­sek­ti­zi­den oder An­ti­bio­ti­ka – ein The­ma weit über den per­sön­li­chen oder geo­gra­fisch be­grenz­ten Rah­men hin­aus.

Das Werk Wheat Harvest aus dem Jahr 2025 (Bild: pd/Günter

Richard Wett)

Der Calf Bearer, ebenfalls aus dem Jahr 2025 (Bild: pd/Günter

Richard Wett)

Die Künst­le­rin fin­det da­für ei­ne ein­drück­li­che, plas­ti­sche Spra­che. Sie ar­bei­tet mit Be­ton und formt das in­dus­tri­el­le Ma­te­ri­al zu Fi­gu­ren und Ob­jek­ten, lässt da­bei aber höh­len­ar­ti­ge Leer­stel­len: Wo ein Ge­sicht wä­re, klafft ein Loch. Auch der Brust­korb ei­ni­ger Ge­stal­ten bleibt hohl. Die­se Fi­gu­ren plat­ziert An­na Hu­l­ačo­vá in ih­rem Gar­ten. Dort hält sie sie­ben Bie­nen­völ­ker. Wenn ei­ne Kö­ni­gin mit ih­rem Schwarm ei­nen neu­en Platz sucht, fin­det sie den in den Be­ton­fi­gu­ren. Sie fül­len die Leer­stel­len mit Wa­ben und ein star­ker Kon­trast ent­steht: das wei­che, ho­nig­far­be­ne Wachs im har­ten, grau­en Be­ton. 

Bu­go­nie und Bie­nen­zucht

Wäh­rend die Be­ton­fi­gu­ren auf we­ni­ge De­tails re­du­ziert sind, be­sit­zen die Wa­ben das ty­pi­sche ak­ku­ra­te, sechs­ecki­ge Mus­ter. Mit den Bie­nen kommt auch die An­ti­ke ins Spiel. An­na Hu­l­ačo­vá be­zieht sich vor al­lem auf Ver­gil und die Vor­stel­lung der Bu­go­nie: «Man glaub­te, dass aus dem ver­we­sen­den Kör­per ei­nes to­ten Rin­des ein Bie­nen­volk von selbst ent­ste­hen könn­te. Die to­ten Tier­kör­per wur­den da­für ei­gens im Wald plat­ziert.» Ver­gil be­rich­tet an­hand der Aris­tai­os-Sa­ge über die­sen My­thos: Der Gott der Im­ke­rei be­dräng­te Or­pheus‘ Frau Eu­ry­di­ke. Sie je­doch floh vor ihm und trat da­bei auf ei­ne Schlan­ge. Nach­dem sie durch den Schlan­gen­biss ge­stor­ben war, räch­ten sich ih­re Schwes­tern und lies­sen im Ge­gen­zug Aris­tai­os‘ Bie­nen ster­ben. Sei­ne Mut­ter riet ihm dar­auf­hin, an Eu­ry­di­kes Grab Rin­der zu op­fern. We­nig spä­ter wa­ren die Tier­kör­per vol­ler Bie­nen.

An­na Hu­l­ačo­vá setzt dies in Be­zug zum Bie­nen- und In­sek­ten­ster­ben der heu­ti­gen Zeit. Ihr künst­le­ri­sches Werk ist düs­ter, dys­to­pisch, aber nicht oh­ne poe­ti­sche, hoff­nungs­vol­le Mo­men­te. Ein Bei­spiel ist Un­der­world and Con­fis­ca­ti­on(2025). Auf der ei­nen Sei­te zeigt es Fi­gu­ren bei der Ern­te und wie sie Gar­ben weg­tra­gen. Die Dar­stel­lung ist in­spi­riert von der Tra­jans­säu­le, so An­na Hu­l­ačo­vá, denn dort sind rö­mi­sche Sol­da­ten zu se­hen, die kon­fis­zier­te Fel­der ab­ern­ten. Et­was, das auch Ver­gil be­traf, des­sen Fa­mi­lie im Zu­ge ei­ner Um­ver­tei­lung von ih­ren Län­de­rei­en ver­trie­ben wur­de. Zu­gleich setzt die Künst­le­rin ei­nen wei­te­ren Be­zug: Die Fi­gu­ren glei­chen in ih­rer Äs­the­tik je­nen so­wje­ti­scher Mo­nu­men­te und ver­wei­sen da­mit auf die Ent­eig­nun­gen und Kol­lek­ti­vie­run­gen in so­zia­lis­ti­scher Zeit. 

Bie­nen­wa­ben vs. Be­ton

Ne­ben die­ser dra­ma­ti­schen Kom­po­nen­te ent­hält die­ses Kunst­werk wie an­de­re Ar­bei­ten in der Aus­stel­lung ei­nen Hin­weis auf mög­li­che Er­neue­rung: An der Rück­sei­te hat An­na Hu­l­ačo­vá ei­nen Gra­nat­ap­fel­zweig plat­ziert. Die Früch­te sym­bo­li­sier­ten in der An­ti­ke die Un­ter­welt und ste­hen zu­gleich für die Hoff­nung. Der Zweig ist aus Holz ge­schnitzt und von Bie­nen­wa­ben be­setzt. 

Installationsansicht Underworld and Confiscation (Bild: pd/Günter Richard Wett)

 

An­na Hu­l­ačo­vá hat auch hier – ne­ben der Im­ke­rei – ei­nen sehr per­sön­li­chen Be­zug: Ihr Va­ter war Tisch­ler, auch sie hat zu­erst die­ses Hand­werk er­lernt und da­nach Holz­bild­haue­rei stu­diert. Zwar nimmt der Be­ton hier wie in der ge­sam­ten Aus­stel­lung ma­te­ri­ell mehr Raum ein, aber die Holz­ele­men­te und die Bie­nen­wa­ben ent­fal­ten ei­ne Prä­senz, die stär­ker ist als der Be­ton. So­mit ist die Span­nung der Werk­stof­fe in ei­ner fein aus­ta­rier­ten Ba­lan­ce.

Das gilt auch für die In­hal­te der Aus­stel­lung: Bei al­len rea­lis­ti­schen Be­trach­tun­gen der Kon­se­quen­zen ei­ner in­ten­si­vier­ten Land­wirt­schaft, bei al­len ne­ga­ti­ven Aus­wir­kun­gen von Ent­eig­nun­gen auf die ei­ge­ne Fa­mi­lie und die Ge­sell­schaft ge­winnt Pes­si­mis­mus nicht die Ober­hand. An­na Hu­l­ačo­vá ge­lingt es in der ehe­ma­li­gen In­dus­trie­hal­le in Dorn­birn, ei­ne po­si­ti­ve At­mo­sphä­re zu kre­ieren. 

Nicht um­sonst trägt die Aus­stel­lung den Ti­tel «Bu­co­li­ca». Die bu­ko­li­sche Land­schaft fei­ert – auch in den Schrif­ten von Ver­gil – das Ide­al­bild des Land­le­bens mit glück­li­chen Hir­ten im Ein­klang mit der Na­tur. Als Mot­to die­ser Schau ist der Be­griff aber mehr als Iro­nie, denn sie zeigt: Noch ist ei­ne Um­kehr zu al­ter­na­ti­ven An­bau­mo­del­len und zu ei­ner öko­lo­gi­schen Nah­rungs­mit­tel­ver­sor­gung mög­lich. Noch schwär­men die Bie­nen.

An­na Hu­l­ačo­vá – «Bu­co­li­ca»: bis 1.März 2026, Kunst­raum Dorn­birn.

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