Berge und Bunker

Cemile Sahins Gewehr im Schrank von 2023. (Bild: pd/Christian Lauer)

Die Kunsthalle St.Gallen zeigt mit «BB – Born to Bloom» die erste Schweizer Einzelausstellung von Cemile Sahin. Im Zentrum stehen zwei auf den ersten Blick gegensätzliche Dinge, die jedoch miteinander verbunden sind.

Krieg und Na­tur. Der ers­te Im­puls: Das passt nicht zu­sam­men. Die Na­tur als Idyl­le, als Ort der Ru­he. Krieg hin­ge­gen be­deu­tet Ge­walt, Zer­stö­rung und Tod. Trotz­dem: Krieg fin­det nicht nur in Städ­ten oder Dör­fern statt, son­dern auch in der Na­tur, in Ber­gen, Tä­lern und Wäl­dern. Da­bei wird Na­tur zur stra­te­gi­schen Ein­heit, ist Res­sour­ce, Schutz­raum und Gren­ze. Und nicht zu­letzt dient sie als na­tio­na­le Iden­ti­täts­stif­te­rin.

Mit die­ser am­bi­va­len­ten Be­zie­hung von Na­tur und Krieg setzt sich die in Ber­lin le­ben­de Künst­le­rin Ce­mi­le Sa­hin (*1990) in ih­rer ers­ten Schwei­zer Ein­zel­aus­stel­lung «BB – Born to Bloom» aus­ein­an­der. Die­se ist ab dem 6. Sep­tem­ber in der Kunst­hal­le St.Gal­len zu se­hen. 

Er­zäh­len als künst­le­ri­sche Pra­xis

Die «kri­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung mit Macht­struk­tu­ren, Krieg und Ge­walt» sei zen­tral für Sa­hins Werk, heisst es im Pres­se­text. Die Künst­le­rin mit kur­disch-ale­vi­ti­schen Wur­zeln, die Bil­den­de Kunst in Lon­don und Ber­lin stu­dier­te, ar­bei­tet mul­ti­me­di­al, un­ter an­de­rem mit Film, Fo­to­gra­fie und In­stal­la­tio­nen. 

Da­bei wer­de sie zu ei­ner Art Er­zäh­le­rin und ver­hand­le, «wie Me­di­en, Po­li­tik und Kriegs­füh­rung un­se­re Ge­schichts­bil­der kon­stru­ie­ren». Das Er­zäh­len ist Sa­hin oh­ne­hin ver­traut: Als Au­torin hat sie meh­re­re Ro­ma­ne ver­öf­fent­licht und wur­de da­für 2025 mit dem Erich-Fried-Preis aus­ge­zeich­net.

Mi­li­ta­ri­sier­te Idyl­le

Das Haupt­werk in «BB – Born to Bloom» ist ge­mäss Pres­se­text ei­ne «mehr­ka­na­li­ge Vi­deo­in­stal­la­ti­on», in der Sa­hin ih­ren Fo­kus auf Krieg und Na­tur aus­dif­fe­ren­ziert. Die Künst­le­rin ver­bin­det zwei Ge­birgs­zü­ge: die Schwei­zer Al­pen und die kur­di­schen Berg­re­gio­nen. Bei­de Land­schaf­ten ha­ben enor­me Sym­bol­kraft und sind Or­te na­tio­na­ler Iden­ti­täts­bil­dung, gleich­zei­tig ha­ben sie auch mi­li­tä­ri­sche Funk­tio­nen. 

So ver­kör­per­ten die Al­pen wie kaum et­was an­de­res die «tou­ris­tisch pro­pa­gier­te Swiss­ness», schreibt die Kunst­hal­le. Zu­gleich ver­wie­sen sie auf ein ver­bor­ge­nes Bun­ker­sys­tem, das «ein zen­tra­les Ver­tei­di­gungs­dis­po­si­tiv der Schwei­zer Ar­mee» ist. An­ders, aber nicht we­ni­ger sym­bo­lisch auf­ge­la­den, sind die kur­di­schen Ge­bir­ge. Die­se sei­en In­be­griff des kur­di­schen Wi­der­stands­kamp­fes und Sym­bol der lang er­hoff­ten Frei­heit. 

Schwe­re Kost, knal­lig ver­packt

Es ist kein Zu­fall, dass Sa­hin in ih­rer Ar­beit ei­ne Ver­bin­dung zwi­schen den bei­den Re­gio­nen her­stellt, denn sie sind über den Lau­san­ner Ver­trag von 1923 ver­bun­den. Die­ser Ver­trag de­fi­nier­te die neu­en Gren­zen der Tür­kei und «un­ter­grub die ter­ri­to­ria­le Sou­ve­rä­ni­tät des kur­di­schen Vol­kes», so die Kunst­hal­le St.Gal­len. «Dass Lau­sanne heu­te ein be­deu­ten­der Ent­wick­lungs­stand­ort mi­li­tä­ri­scher Kampf­droh­nen und die ro­man­ti­sche Schweiz ei­nes der am stärks­ten be­waff­ne­ten Län­der der Welt ist, the­ma­ti­siert Sa­hin in der Vi­deo­ar­beit Ge­wehr im Schrank» aus dem Jahr 2023.

Ausstellungsansicht von «Look at the People!» im Kunstmuseum Stuttgart. (Bild: pd/ Andrea Rossetti)

Trotz – oder ge­ra­de we­gen – ih­rer the­ma­ti­schen Kom­ple­xi­tät ar­bei­tet Sa­hin mit ei­ner «pop­kul­tu­rel­len Äs­the­tik». Ernst­haf­tes und Spie­le­ri­sches ver­schrän­ken sich, was Re­fle­xi­ons­an­sät­ze er­öff­net: «Ih­re Far­ben, Ma­te­ria­li­tä­ten, ih­re Spra­che und ihr Me­di­en­ein­satz zi­tie­ren Lo­gi­ken so­zia­ler Me­di­en und las­sen durch Text- und Bil­der­flut im­mersi­ve In­stal­la­tio­nen ent­ste­hen.»

Ce­mi­le Sa­hin – «BB – Born to Bloom»: 6. Sep­tem­ber bis 16. No­vem­ber, Kunst­hal­le St.Gal­len; Ver­nis­sa­ge mit der Künst­le­rin: 5. Sep­tem­ber, 18 Uhr; Le­sung mit der Künst­le­rin: 6. Sep­tem­ber, 13 Uhr.
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