Krieg und Natur. Der erste Impuls: Das passt nicht zusammen. Die Natur als Idylle, als Ort der Ruhe. Krieg hingegen bedeutet Gewalt, Zerstörung und Tod. Trotzdem: Krieg findet nicht nur in Städten oder Dörfern statt, sondern auch in der Natur, in Bergen, Tälern und Wäldern. Dabei wird Natur zur strategischen Einheit, ist Ressource, Schutzraum und Grenze. Und nicht zuletzt dient sie als nationale Identitätsstifterin.
Mit dieser ambivalenten Beziehung von Natur und Krieg setzt sich die in Berlin lebende Künstlerin Cemile Sahin (*1990) in ihrer ersten Schweizer Einzelausstellung «BB – Born to Bloom» auseinander. Diese ist ab dem 6. September in der Kunsthalle St.Gallen zu sehen.
Erzählen als künstlerische Praxis
Die «kritische Auseinandersetzung mit Machtstrukturen, Krieg und Gewalt» sei zentral für Sahins Werk, heisst es im Pressetext. Die Künstlerin mit kurdisch-alevitischen Wurzeln, die Bildende Kunst in London und Berlin studierte, arbeitet multimedial, unter anderem mit Film, Fotografie und Installationen.
Dabei werde sie zu einer Art Erzählerin und verhandle, «wie Medien, Politik und Kriegsführung unsere Geschichtsbilder konstruieren». Das Erzählen ist Sahin ohnehin vertraut: Als Autorin hat sie mehrere Romane veröffentlicht und wurde dafür 2025 mit dem Erich-Fried-Preis ausgezeichnet.
Militarisierte Idylle
Das Hauptwerk in «BB – Born to Bloom» ist gemäss Pressetext eine «mehrkanalige Videoinstallation», in der Sahin ihren Fokus auf Krieg und Natur ausdifferenziert. Die Künstlerin verbindet zwei Gebirgszüge: die Schweizer Alpen und die kurdischen Bergregionen. Beide Landschaften haben enorme Symbolkraft und sind Orte nationaler Identitätsbildung, gleichzeitig haben sie auch militärische Funktionen.
So verkörperten die Alpen wie kaum etwas anderes die «touristisch propagierte Swissness», schreibt die Kunsthalle. Zugleich verwiesen sie auf ein verborgenes Bunkersystem, das «ein zentrales Verteidigungsdispositiv der Schweizer Armee» ist. Anders, aber nicht weniger symbolisch aufgeladen, sind die kurdischen Gebirge. Diese seien Inbegriff des kurdischen Widerstandskampfes und Symbol der lang erhofften Freiheit.
Schwere Kost, knallig verpackt
Es ist kein Zufall, dass Sahin in ihrer Arbeit eine Verbindung zwischen den beiden Regionen herstellt, denn sie sind über den Lausanner Vertrag von 1923 verbunden. Dieser Vertrag definierte die neuen Grenzen der Türkei und «untergrub die territoriale Souveränität des kurdischen Volkes», so die Kunsthalle St.Gallen. «Dass Lausanne heute ein bedeutender Entwicklungsstandort militärischer Kampfdrohnen und die romantische Schweiz eines der am stärksten bewaffneten Länder der Welt ist, thematisiert Sahin in der Videoarbeit Gewehr im Schrank» aus dem Jahr 2023.

Ausstellungsansicht von «Look at the People!» im Kunstmuseum Stuttgart. (Bild: pd/ Andrea Rossetti)
Trotz – oder gerade wegen – ihrer thematischen Komplexität arbeitet Sahin mit einer «popkulturellen Ästhetik». Ernsthaftes und Spielerisches verschränken sich, was Reflexionsansätze eröffnet: «Ihre Farben, Materialitäten, ihre Sprache und ihr Medieneinsatz zitieren Logiken sozialer Medien und lassen durch Text- und Bilderflut immersive Installationen entstehen.»
Cemile Sahin – «BB – Born to Bloom»: 6. September bis 16. November, Kunsthalle St.Gallen; Vernissage mit der Künstlerin: 5. September, 18 Uhr; Lesung mit der Künstlerin: 6. September, 13 Uhr.
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