Ein anderes Weihnachtsmärchen

Mahtab (Nina Niknafs) und die Fee Pari (Jennifer Panara) (Bild: pd/Toni Suter)

Das Konzert und Theater St.Gallen zeigt mit dem Familienstück Das Mondmädchen ein modernes Märchen. Versetzt in eine fantastische Welt, geht es um Flucht und die Suche nach einer neuen Heimat.

Gu­te Feen, bö­se Herr­scher:in­nen, spre­chen­de Tie­re und ei­ne mu­ti­ge Hel­din: Das Mond­mäd­chen hat al­le Zu­ta­ten, die es für ein Mär­chen braucht. Da­bei ist das Fa­mi­li­en­stück, der­zeit am Kon­zert und Thea­ter St.Gal­len zu se­hen, kein klas­si­sches, son­dern ein mo­der­nes Mär­chen. Die fein­füh­li­ge und poe­ti­sche Ge­schich­te er­zählt vom Ver­lust der Hei­mat und dem Auf­bruch ins Un­ge­wis­se – aber auch vom Fin­den von Trost und Wär­me. 

Die Hel­din ist das Mond­mäd­chen Maht­ab (Ni­na Ni­knafs). Es lebt mit sei­ner Fa­mi­lie in ei­nem fer­nen Land und ob­wohl ein ver­hass­ter Kai­ser herrscht, ver­bringt Maht­ab ei­ne glück­li­che Kind­heit. Als aber die Blut­ro­te (Jen­ni­fer Pan­a­ra) die Macht an sich reisst, ver­schlim­mert sich die La­ge im Land dras­tisch. Al­les, was Freu­de bringt, wird ver­bo­ten: das Spie­len, das La­chen, das Tan­zen. 

Ei­nes Ta­ges be­fiehlt die Blut­ro­te, al­len Mäd­chen die Haa­re zu schnei­den und ver­langt nach den Her­zen der Jun­gen. Dar­auf­hin be­schlies­sen Mahtabs El­tern, mit der Fa­mi­lie zu flie­hen. Es be­ginnt ei­ne be­schwer­li­che Rei­se mit vie­len Her­aus­for­de­run­gen. Aber Maht­ab ist nicht al­lein. Ihr Bru­der Mi­lad (Jo­na­than Fink), die spre­chen­de Kat­ze Tou­lou­se (Mar­cus Schä­fer) und die gu­te Fee Pa­ri (Jen­ni­fer Pan­a­ra) ste­hen ihr treu zur Sei­te. 

Ori­ent­tep­pich und Opern­klän­ge

Das Thea­ter­stück ba­siert auf dem gleich­na­mi­gen Kin­der­buch der Au­torin Mehr­nousch Zae­ri-Es­faha­ni. Die Deutsch-Ira­ne­rin flüch­te­te im Jahr 1985 als Elf­jäh­ri­ge mit ih­rer Fa­mi­lie aus dem Iran nach Deutsch­land. Die­se trau­ma­ti­sche Er­fah­rung hat sie in der mär­chen­haf­ten Er­zäh­lung Das Mond­mäd­chen ver­han­delt. Ad­ap­tiert hat die Ge­schich­te ei­gens für das Thea­ter St.Gal­len die Au­torin und Re­gis­seu­rin Pa­me­la Dürr, die be­reits zahl­rei­che Thea­ter­stü­cke, Opern und Hör­spie­le für ein jun­ges Pu­bli­kum rea­li­siert hat.

Im Gros­sen Haus des St.Gal­ler Thea­ters ent­fal­tet sich das Mär­chen un­ter ei­nem rie­si­gen, rot-gol­de­nen Ori­ent­tep­pich, der die Büh­ne ge­schwun­gen um­rahmt. Ni­na Ni­knafs ver­leiht ih­rer Maht­ab et­was kind­lich Über­dreh­tes und Mar­cus Schä­fer über­nimmt gleich meh­re­re Rol­len. Er über­zeugt in al­len: von der fre­chen Kat­ze Tou­lou­se bis zum stren­gen Po­li­zis­ten. Auch Jen­ni­fer Pan­a­ra zeigt ih­re Viel­sei­tig­keit. Sie ver­kör­pert die grau­sa­me Blut­ro­te und die gu­te Fee Pa­ri, ver­wir­ren tut das aber dank opu­len­ter Kos­tü­mie­rung nie­man­den. 

Un­ter­malt wird die Ge­schich­te mit Live­mu­sik di­rekt aus dem Or­ches­ter­gra­ben. Mar­tin Flü­ge setzt ver­schie­de­ne Per­kus­si­ons­in­stru­men­te ein und Os­car Velás­quez spielt Kla­ri­net­te, Sa­xo­fon und Flö­te. In der Ge­stalt der Pa­ri ver­leiht Pan­a­ra dem Stück mit ih­rer be­ein­dru­cken­den Ge­sangs­per­for­mance et­was Opern­flair. Für die fri­sche Mär­chen­ku­lis­se, in­spi­riert von 1001 Nacht, sorgt Büh­nen­bild­ner Da­mi­an Hitz mit spie­le­ri­schem Ein­satz von Ani­ma­tio­nen und Il­lus­tra­tio­nen. 

Flucht als Mär­chen er­zählt

Aus der Per­spek­ti­ve ei­nes Kin­des er­zählt Das Mond­mäd­chen be­hut­sam ei­ne Ge­schich­te von Men­schen, die flie­hen müs­sen. Da­mit greift das Stück ei­ne ge­sell­schaft­li­che Rea­li­tät auf, von der Kin­der eben­so be­trof­fen sein kön­nen. Viel­leicht, weil sie selbst Flucht­er­fah­rung ha­ben, oder weil das Schul-Gspän­li die Hei­mat ver­las­sen muss­te. 

Mit der Ver­la­ge­rung der Ge­schich­te in ei­ne Mär­chen­welt ent­steht ei­ne ge­wis­se Di­stanz zur Rea­li­tät. Ein­ge­hüllt in Fan­ta­sie und Me­ta­pho­rik und ge­spickt mit char­man­tem Hu­mor wird der an­spruchs­vol­le In­halt auch für ein jün­ge­res Pu­bli­kum zu­gäng­lich ver­mit­telt. 

Die Familie auf der Flucht (Bild: pd/Toni Suter)

Man­che sym­bo­li­schen Ebe­nen blei­ben im Fa­mi­li­en­stück sehr sub­til. Bei Mahtabs er­zwun­ge­nem Kurz­haar­schnitt ge­he es nicht ein­fach um das Tra­gen ei­ner un­ge­lieb­ten Fri­sur, er­klärt Pa­me­la Dürr auf An­fra­ge von Sai­ten. Das Schnei­den der Haa­re ste­he stell­ver­tre­tend für den Ver­lust der Selbst­be­stim­mung über den ei­ge­nen Kör­per, sagt Dürr und ver­weist auf den für die Au­torin Zae­ri-Es­faha­ni au­to­bio­gra­fi­schen Be­zug: «In­fol­ge der Re­vo­lu­ti­on im Iran in den 1980er-Jah­ren muss­te sie plötz­lich ein Kopf­tuch tra­gen. Und weil ih­re lan­gen und di­cken Haa­re nicht un­ter das Tuch pass­ten, hat ihr die Mut­ter die Haa­re ab­ge­schnit­ten.» 

Trotz der Ver­la­ge­rung des Stücks in die Mär­chen­welt bleibt die Rea­li­tät für das er­wach­se­ne Pu­bli­kum er­kenn­bar. Sei es durch Par­al­le­len zu his­to­ri­schen Er­eig­nis­sen wie der ira­ni­schen Re­vo­lu­ti­on oder durch Nar­ra­ti­ve aus ak­tu­el­len De­bat­ten über Mi­gra­ti­on und Selbst­be­stim­mung. Die­se dop­pel­te Les­bar­keit macht das Stück be­son­ders reiz­voll. 

Das Mond­mäd­chen: bis 14. Fe­bru­ar, Kon­zert und Thea­ter St.Gal­len.

Jetzt mitreden:
Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Dein Kommentar wird vor dem Publizieren von der Redaktion geprüft.